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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 03.08.2006
Aktenzeichen: 11 TaBV 23/06
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 98
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 11 TaBV 23/06

Entscheidung vom 03.08.2006

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz, Auswärtige Kammern Neuwied, Az.: 9 BV 7/06, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten vorliegend um die Errichtung einer Einigungsstelle.

Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um ein tarifgebundenes Unternehmen der Metallindustrie Rheinland-Pfalz. Sie führte zum 01.04.2006 das Entgeltrahmenabkommen (ERA) für die Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz vom 06.07.2004 ein.

Zuvor unterrichtete die Antragstellerin die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 04.01.2006, das sie beschlossen habe, eine Betriebsvereinbarung über Erschwerniszulagen nach § 12 Abs. 2 des Entgeltrahmenabkommens abzuschließen. Die Antragsgegnerin erwiderte hierauf mit Schreiben vom 20.01.2006, das sie die Voraussetzungen für Erschwerniszulagen nicht sehe und forderte die Antragstellerin auf, konkret ihre Forderung darzulegen.

Die Antragstellerin antwortete der Antragsgegnerin hierauf mit Schreiben vom 24.01.2006, dass die Betriebsvereinbarung über Erschwerniszulagen körperliche Belastungen und Umgebungseinflüsse berücksichtigen und vergüten solle, die über die normalen Erschwernisse ganz erheblich hinausgingen. Sie forderte die Antragsgegnerin auf, bis Ende der 5. Kalenderwoche einen Verhandlungstermin zu benennen, andernfalls sie die Einigungsstelle anrufen würde. Mit Beschluss vom 01.02.2006 beschloss die Antragstellerin ein Beschlussverfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle nach § 76 Abs. 5 BetrVG einzuleiten.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. bei der Antragsgegnerin eine Einigungsstelle einzusetzen zum Thema inhaltliche Regelung der Erschwerniszulagen gemäß § 12 des Entgeltrahmenabkommens dem Grunde und der Höhe nach;

2. zum Vorsitzenden Herrn Y X, Richter am Arbeitsgericht Koblenz zu bestellen;

3. die Zahl der Beisitzer auf 3 pro Seite festzusetzen.

Die Antraggegnerin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat vorgetragen, dem Antragsteller fehle ein Rechtsschutzinteresse, weswegen der Antrag unzulässig sei. Er habe bislang nicht substantiiert dargelegt, für welche Tätigkeiten er überhaupt welche Erschwerniszulagen verhandeln möchte. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um überhaupt in eine zielführende Verhandlung eintreten zu können. So lange der Antragsteller nicht sage, worüber er konkret verhandeln wolle, gäbe es keinen Verhandlungsgegenstand.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Verfahrensbeteiligten in der I. Instanz wird auf die eingereichten Schriftsätze und den Tatbestand des erstinstanzlichen Beschlusses des Arbeitsgerichts Koblenz verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 18.04.2006 den Anträgen 1) und 2) der Antragsgegnerin stattgegeben und bezüglich des Antrags 3) die Zahl der Beisitzer auf 2 pro Seite festgesetzt.

Bezüglich der Gründe der Entscheidung wird auf die Ausführungen unter II. des Beschlusses (Bl. 46 ff d.A.) verwiesen.

Der Beschluss des Arbeitsgerichts ist der Antragsgegnerin am 21.04.2006 zugestellt worden. Sie hat gegen ihn beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz durch Schriftsatz vom 03.05.2006, beim Landesarbeitsgericht am 04.05.2006 eingegangen, Beschwerde eingelegt.

Sie trägt vor, Die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts und die dabei zu Grunde liegende Rechtsauffassung sei rechtsfehlerhaft. Sie bleibe bei ihrer Ansicht, ein Rechtschutzinteresse für die Einsetzung einer Einigungsstelle sei seitens der Antragstellerin nicht gegeben und wiederholt ihre erstinstanzlichen Ausführungen. Insbesondere gäbe es keinen hinreichend umgrenzten Regelungsgegenstand, über den die Einigungsstelle befinden könnte.

Sie beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz - Ausw. Kammern Neuwied - vom 18.04.2006 - Az.:9 BV 7/06 - abzuändern und die Anträge zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit und die Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen überlagert werde von der Möglichkeit der Einsetzung einer Einigungsstelle. Das Betriebsverfassungsgesetz spreche insoweit keine Priorität aus. Im Übrigen sei ein Rechtsschutzinteresse gegeben.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Verfahrensbeteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll vom 03.08.2006 verwiesen.

II.

1. Die an sich statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht gemäß § 98 Abs. 2 ArbGG eingelegt worden.

2. Sie ist allerdings unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholung voll umfänglich verwiesen wird, dem Antrag des Antragstellers stattgegeben.

Ergänzend wird im Hinblick auf die Beschwerdebegründung folgendes ausgeführt:

a) Nach § 76 Abs. 1 BetrVG ist für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei Bedarf eine Einigungsstelle zu bilden. Können sich die Betriebspartner insoweit nicht einigen, dann sichert § 98 ArbGG letztlich das Recht der Betriebspartner die Einigungsstelle einzuberufen.

§ 98 ArbGG ermöglicht eine beschleunigte Bildung der Einigungsstelle. Der Beschleunigungsaspekt ergibt sich daraus, dass die Entscheidung nicht durch die Kammer, sondern durch den Vorsitzenden allein zu treffen ist. Der Antrag nach § 98 ArbGG darf wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist, weil das Gericht nicht in eine umfassende und zeitraubende Zuständigkeitsprüfung verstrickt werden soll. Dem Beschleunigungsgrundsatz dient weiter die Abkürzung der Einlassungs- und Ladungsfristen auf 48 Stunden und der Umstand, dass der Beschluss der I. Instanz nach § 98 Abs. 1 S. 5 ArbGG innerhalb von 2 Wochen nach Eingang des Antrags den Beteiligten zugestellt werden soll.

Allein durch diese kurze Fristenregelung ergibt sich die eindeutige Tendenz von § 98 ArbGG, dass zeitraubende Rechtsprobleme im Rahmen von § 98 ArbGG nicht geklärt werden sollen. Wäre dies der Fall, dann müsste das Gericht zwangsläufig gegen die Fristenregelung in § 98 Abs. 1 S. 5 ArbGG verstoßen und diese gesetzliche Bestimmung liefe ins Leere.

b) Die offensichtliche Unzuständigkeit einer Einigungsstelle im Sinne von § 98 Abs. 1 S. 1 ArbGG ist im Rahmen des erzwingbaren Einigungsverfahrens nur dann gegeben, wenn unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt die Zuständigkeit der Einigungsstelle als möglich erscheint, weil sich die beizulegende Streitigkeit erkennbar nicht unter einen Mitbestimmungstatbestand fassen lässt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.08.2005 2 TaBV 40/05).

Der Prüfungsmaßstab der Offensichtlichkeit, den § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG für die Zuständigkeit der Einigungsstelle aufstellt, bezieht sich, wie sich aus der Fristenreglung nach § 98 Abs. 1 S. 5 ArbGG ergibt, auch auf solche Fragen, die sich im weitesten Sinne als Vorfragen der Zuständigkeit der Einigungsstelle erweisen (Schwab/Weth/Walker ArbGG § 98 Rdn. 43).

c) Der Antragsgegnerin ist zuzugestehen - insofern teilt das Gericht ausdrücklich nicht die Ansicht der Antragstellerin - dass § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG vorschreibt, dass Arbeitgeber und Betriebsrat über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln haben und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten machen müssen. Grundsätzlich ist vor der Anrufung der Einigungsstelle der Versuch einer Einigung nötig, da ansonsten ein Rechtsschutzinteresse für die Anrufung der Einigungsstelle fehlt (GK - ArbGG § 98 Rdn. 6; Ricardi BetrVG 8. Auflg., § 76 Rdn. 64).

Die Anforderung an einen solchen Einigungsversuch dürfen allerdings nicht überspannt werden (GK ArbGG § 76 Rdn. 65). Ein Rechtsschutzinteresse zur Anrufung einer Einigungsstelle besteht bereits dann, wenn sich eine Seite weigert Verhandlungen aufzunehmen. Die Aufnahme förmlicher Verhandlungen bedarf es nicht, da es sonst einer der Betriebspartner in der Hand hätte, die Anrufung einer Einigungsstelle zu verzögern. Es reicht vielmehr aus, wenn sich eine Seite nicht auf Verhandlungen eingelassen hat (Dörner/Luczak/Wildschütz Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht 5. Auflg. I Rdn. 1079;LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19.04.2005 5 TaBV 16/05).

Es genügt, wenn beide Betriebspartner wissen, worum es bei den Verhandlungen gehen soll, wobei es ausreichend ist, dass der Regelungsgegenstand hinreichend bekannt ist. In diesem Falle können beide Betriebspartner frei entscheiden, wann sie die Errichtung einer Einigungsstelle mit gerichtlicher Hilfe für notwendig erachten und die Verhandlungen für gescheitert ansehen. Hält ein Betriebspartner die förmliche Aufnahme von Verhandlungen auf Grund des bisherigen Verhaltens der Gegenseite für aussichtslos und ruft er deswegen das Arbeitsgericht zur Einsetzung einer Einigungsstelle nach § 98 ArbGG an, so ist diese nicht deswegen offensichtlich unzuständig, weil der Verhandlungsanspruch nach § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG noch nicht oder noch nicht vollständig erfüllt worden ist (LAG Rheinland-Pfalz a.a.O.).

d) Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin der Antragsgegnerin durch Zuleitung ihrer Beschlussfassung vom 04.01.2006 am 04.01.2006 und mit ihrem Schreiben vom 24.01.2006 den Regelungsgegenstand der Verhandlungen mitgeteilt. Sie hat mitgeteilt, dass sie eine Betriebsvereinbarung über Erschwerniszulagen nach § 12 ERA abschließen möchte, in der körperliche Belastungen und Umgebungseinflüsse berücksichtigt werden und vergütet werden sollten, die über die normalen Erschwernisse ganz erheblich hinausgehen. Damit hat sie für die Antragsgegnerin ausreichend den Verhandlungsgegenstand umrissen. Einzelheiten hätten in den Verhandlungen, wie das Arbeitsgericht zutreffend in seinen Gründen ausgeführt hatte, besprochen und geregelt werden können.

Die Antragsgegnerin hat sich in ihrem Antwortschreiben vom 20.01.2006 nicht bereit erklärt Verhandlungen aufzunehmen und hat der Antragstellerin auch keinen Terminvorschlag gemacht. Ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin zur Einleitung des Einigungsstellenverfahrens ist daher gegeben.

e) Soweit die Antragsgegnerin im Anhörungstermin beim LAG am 03.08.2006 weiter ausgeführt hat, sie sehe gar keinen Regelungsspielraum für eine Betriebsvereinbarung, da § 12 ERA Rechtsfragen und nicht tatsächliche Regelungen betreffe, konnte das Gericht diesen Ausführungen nicht folgen. In § 12 Abs. 2 ERA ist ausdrücklich festgehalten, dass der Grund und die Höhe der jeweiligen Erschwerniszulagen durch Betriebsvereinbarungen zu regeln sind. Jedenfalls ist unter dem eingeschränkten Prüfungsmaßstab im Rahmen des Verfahrens nach § 98 ArbGG keine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle festzustellen. Ein Mitbestimmungsrecht der Antragstellerin kann sich vorliegend aus § 12 Abs. 2 ERA in Verbindung mit § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ergeben. Im Übrigen wird die Einigungsstelle selbst über ihre Zuständigkeit zu befinden haben.

f) Der vom Arbeitsgericht eingesetzte Vorsitzende und die Anzahl der Beisitzer wurde im Beschwerdeverfahren von Beteiligten nicht angegriffen, so dass der Beschluss des Arbeitsgerichts insoweit Rechtskraft erlangt hat.

Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung gibt es kraft Gesetz nicht, § 98 Abs. 2 S. 4 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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