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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 13.01.2004
Aktenzeichen: 2 Sa 951/03
Rechtsgebiete: BGB, ArbGG


Vorschriften:

BGB § 613 a
BGB § 613 a Abs. 4
BGB § 613 a Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2 lit. c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 2 Sa 951/03

Verkündet am: 13.01.2004

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 14. Mai 2003, 9 Ca 11/03, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 15.04.1981 als Verlagsmitarbeiter beschäftigt.

Die Beklagte erstellt und vertreibt im Raum A-Stadt die Zeitung "X.". Sie ist zu 100 % eine Tochter der W., die die "W" herausgibt.

Nach dem Arbeitsvertrag des Klägers ist er als "Anzeigen-Sachbearbeiter" bei der Beklagten beschäftigt. Bis Ende der neunziger Jahre war er in der Anzeigenabteilung im Innendienst eingesetzt; danach nahm er vertretungsweise Tätigkeiten im Außendienst wahr, ab Juni 2001 ist er nur noch im Außendienst beschäftigt. Seine Aufgabe besteht darin, bei einem festen Kundenkreis Anzeigen zu verkaufen und in diesem Zusammenhang die Verkaufsberatung durchzuführen. Die von ihm aquirierten Anzeigen gibt er dann an den Innendienst weiter, wo sie nochmals überarbeitet werden bevor sie zum Druck kommen. Im Verbreitungsgebiet des X. sich der Kläger den Kundenkreis mit einer weiteren Mitarbeiterin.

Die Beklagte beschäftigte im November 2002 insgesamt 23 Mitarbeiter, von denen 13 im Redaktionsbereich und 10 im Verlagsbereich eingesetzt waren. Nachdem die Anzeigen im X. im Jahre 2002 um etwa 20 % zurückgegangen waren, beschloss die Beklagte im November 2002, ihre Anzeigenabteilung nicht weiter mehr selbst zu betreiben, sondern sie auf die W. zu übertragen. In Saarbrücken werden seitdem die eingehenden Anzeigen aus dem Verbreitungsgebiet des X. teilweise vom dort vorhandenen Personal mit bearbeitet, teilweise werden die im Innendienst zu verrichtenden Arbeiten bei der Anzeigenaufnahme fremd vergeben.

Mit dem Anzeigengeschäft waren bei der Beklagten insgesamt 5 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Beklagte hat unter Hinweis, dass der Bedarf für diese Tätigkeiten bei der Beklagten entfallen sei, sich von diesen fünf Arbeitnehmern getrennt, darunter auch vom Kläger, dem sie deswegen mit Schreiben vom 27.12.2002 das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2003 gekündigt hat.

Gegen diese Kündigung wehrt sich der Kläger im vorliegenden Verfahren.

Der Kläger hält die Kündigung für sozial nicht gerechtfertigt. Er bestreite, dass überhaupt außerbetriebliche Gründe vorgelegen hätten, um die Anzeigenabteilung bei der Beklagten zu schließen. Das Anzeigengeschäft sei das Herzstück einer Zeitung, von der sie lebe und ihren Verdienst erziele. Mit der Übertragung dieser Tätigkeit auf die X. versuche die Beklagte sich von langjährig beschäftigten Mitarbeitern zu trennen, so dass eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes vorliege. Darüber hinaus habe die Beklagte auch keine Sozialauswahl vorgenommen, weil sie zusammen mit der W. einen gemeinsamen Betrieb bilde, so dass alle einschlägigen Mitarbeiter der beiden Zeitungen miteinander vergleichbar seien. Auch liege ein Fall eines Betriebsüberganges nach § 613 a vor, so dass die Kündigung auch deswegen unwirksam sei.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 27.12.2002 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

Aufgrund des starken Rückgangs des Anzeigengeschäftes sei sie zur Kosteneinsparung gezwungen worden. Sie habe daher die Entscheidung getroffen, das Anzeigengeschäft auf die W. zu übertragen. Der Bedarf für die Beschäftigung des Klägers sei damit entfallen. Sie bilde zusammen mit der W. keinen einheitlichen Betrieb, da es keine gemeinsame Geschäftsleitung der beiden Zeitungen gebe. Lediglich einer ihrer Geschäftsführer sei als Mitgesellschafter für beide Zeitungen tätig. Der Anzeigenbereich stelle keinen eigenständigen Betriebsteil dar. Auch gehe keine organisatorische Einheit von ihr auf die W. über. Im Übrigen habe sie sich dafür eingesetzt, dass der Kläger - wie zwei weitere Mitarbeiterinnen auch - zur W. überwechseln konnten. Die dem Kläger dort angebotene Position im Außendienst sei von diesem - was zwischen den Parteien unstreitig ist - trotz mehrerer unterschiedlicher Angebote nicht angenommen worden.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 14.05.2003, auf dessen Tatbestand zur näheren Sachverhaltsdarstellung hiermit Bezug genommen wird, der Klage stattgegeben. In den Entscheidungsgründen hat es angegeben, es handele sich bei der Kündigung des Klägers um eine unzulässige Austauschkündigung. Auch sei die Kündigung nach § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam, weil es sich bei der Anzeigenabteilung um eine Betriebsabteilung im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB handele.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese in gleicher Weise begründet. Die Beklagte hält das Urteil für unrichtig. Die Kündigung stelle keine Austauschkündigung dar, vielmehr habe sie die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Anzeigenbereich komplett zu schließen und diese Arbeiten zukünftig von der W. erledigen zu lassen. Auf die W. seien keine Arbeitsplätze verlagert worden. Diese habe zudem einen Teil der erfassten Anzeigen fremd vergeben. Eine rechtsgeschäftliche Übertragung eines organisatorisch abgrenzbaren Betriebsteils hat auch nicht vorgelegen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil, das die Sach- und Rechtslage richtig beurteilt habe. Er habe einem vertraglich ihm angebotenen Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die W. nur deshalb nicht zugestimmt, weil die ihm angebotenen neuen Arbeitsbedingungen für ihn unzumutbar gewesen seien.

Dass die Anzeigenerfassung von der W. teilweise fremd vergeben werde, darauf komme es nicht an, weil er mit der Anzeigenerfassung seit seinem Einsatz im Außendienst nichts mehr zu tun habe. Seine bei der Beklagten ausgeübte Außendiensttätigkeit habe die W. auf eine von der Beklagten übernommene Mitarbeiterin neu übertragen, so dass sein Arbeitsplatz auch nicht weggefallen sei.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthafte Berufung wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und in gleicher Weise begründet; sie ist auch im Übrigen zulässig.

In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Die Kündigung der Beklagten ist wegen Verstoßes gegen § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam, da vorliegend ein Teilbetriebsübergang im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB vorliegt.

Ein Betriebsübergang im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB setzt die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Der Begriff Einheit bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören als Teilaspekte der Gesamtwürdigung namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten. Eine Einheit darf allerdings nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Die Identität der Einheit ergibt sich auch aus den anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in Sachen A S; BAG NZA 1998, 249 ff.). Der Übergang des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes tritt aber nicht nur ein, wenn der gesamte Betrieb übertragen wird, sondern auch, wenn ein "Betriebsteil" durch Rechtsgeschäft übertragen wird. Ein Betriebsteil liegt vor, wenn es sich bei dem übergegangenen Teil um eine selbständig abtrennbare organisatorische Einheit handelt, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird (BAG EzA § 613 a BGB Nr. 209). Wird ein Betriebsteil selbständig übertragen, dann gehen nur die Arbeitsverhältnisse derjenigen Arbeitnehmer über, die in dem betroffenen Betriebsteil beschäftigt werden (BAG NZA 1998, 249).

Ob ein Betrieb oder Betriebsteil nach § 613 a BGB übergeht, kann nicht pauschal beurteilt werden. Es kommt immer auf die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles an. Dabei ist anerkannt, dass eine bloße Funktionsnachfolge ohne Übergang von wesentlichen Betriebsmitteln kein Betriebsübergang darstellt. Bei der Frage, welche dieser Betriebsmittel auf den Nachfolger übergehen müssen, um von einem (Teil-)Betriebsübergang im Sinne von § 613 a BGB ausgehen zu können, ist auf den arbeitstechnischen Zweck des übergegangenen Teils abzustellen (vgl. z. B. BAG DB 1989, 430 für einen Betriebsübergang bei einem Großhandelsbetrieb). Je nach Art des Betriebsteils kann auch die Übernahme oder Nichtübernahme der Kundschaft ein wesentlicher Faktor für die Bewahrung der wirtschaftlichen Einheit sein. Wenngleich in einer Marktwirtschaft eine Kundschaft nicht automatisch übernommen, sondern gewonnen bzw. gehalten wird, so reicht der Übergang der Kundenkartei oder der Übergang einer Vertriebsberechtigung in einem bestimmten Gebiet aus, wenn die Übertragung dieser Rechte ein wesentliches Betriebsmittel darstellt (vgl. EuGH AP Nr. 9 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187; LAG Düsseldorf, NZA-RR 2000, 353; Erfurter Kommentar/Preis, Nr. 230, § 613 a BGB, Rz. 31). Dabei reicht schon aus, wenn der Erwerber, bezogen auf den gleichen Kundenkreis, eine ähnliche Tätigkeit am gleichen Ort bzw. in unmittelbarer Nähe ausübt (BAG AP Nr. 188 zu § 613 a BGB).

Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt im Streitfalle mit der Übertragung der Anzeigenabteilung durch die Beklagte auf die Saarbrücker Zeitung ein Teilbetriebsübergang im Sinne von § 613 a BGB vor. Für eine Tageszeitung sind die Einnahmen durch Werbung hinsichtlich ihrer Existenz von besonderer Bedeutung. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass das Anzeigengeschäft das "Herzstück" einer Zeitung darstellt, wovon sie lebt. Die zentrale Bedeutung der Anzeigenabteilung einer relativ kleinen örtlichen Tageszeitung, die die Beklagte herausgibt, besteht im festen Kundenstamm solcher Unternehmen, die relativ regelmäßig für sich in der Zeitung werben. Innerhalb der Anzeigenabteilung ist der Außendienst und die Aquirierung von Aufträgen bei gewerblichen Kunden eine maßgebliche Geschäftstätigkeit. Die anschließende Umsetzung der durch die Außendienstmitarbeiter herbeigebrachten Aufträge innerhalb des Betriebes ist deutlich untergeordnet, was den Wert und die Bedeutung einer Anzeigenabteilung als eigenständiges Betriebsmittel betrifft. Mit der Ausgliederung des Anzeigengeschäftes hat die Beklagte auch die Bearbeitung dieses Kundenstammes auf die W. übertragen. Nach wie vor annoncieren die gleichen Kunden, in gleicher Weise wie vorher auch im "X". Damit ist nicht etwa die W. als neuer Konkurrent auf dem Markt aufgetreten, sondern sie übt hinsichtlich des Übergangs der Anzeigenabteilung im maßgeblichen Außendienstbereich die identische Tätigkeit aus, die vorher die Beklagte verrichtet hat. Dem einzelnen Geschäftskunden dürfte im Übrigen die rechtsgeschäftliche Übertragung des Anzeigenteils gar nicht aufgefallen sein. Dass die Beklagte die im Innendienst zu verrichtenden Tätigkeiten beim Anzeigengeschäft nicht als organisatorische wirtschaftliche Einheit auf die W. übertragen hat, sondern dass die Übernehmerin diese Innendiensttätigkeiten mit eigenem Personal ausführt bzw. fremd vergeben hat, darauf kommt es hinsichtlich der Beurteilung eines Betriebsüberganges im Sinne von § 613 a BGB im Streitfalle nicht an.

Ist die Übertragung des Anzeigenbereichs im Streitfall rechtlich als Teilbetriebsübergang im Sinne von § 613 a Abs. 1 BGB zu qualifizieren, dann ist auch das Arbeitsverhältnis des Klägers automatisch kraft Gesetzes auf den Betriebserwerber, der vorliegend eine andere Rechtspersönlichkeit als das übertragende Unternehmen darstellt, übergegangen. Eine wegen des Betriebsüberganges von der Beklagten ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung ist daher wegen Verstoßes gegen § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam.

Nach alledem war die unbegründete Berufung der Beklagten gegen das im Ergebnis zutreffende erstinstanzliche Urteil mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision konnte angesichts der gesetzlichen Kriterien von § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zugelassen werden.

Ende der Entscheidung

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