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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 23.11.2006
Aktenzeichen: 4 Sa 588/06
Rechtsgebiete: ETV, MTV, ZPO, BGB


Vorschriften:

ETV § 3
ETV § 3 Nr. 1
MTV § 9
MTV § 9 Abs. 1 Satz 3
MTV § 9 Abs. 1 Satz 4
MTV § 9 Nr. 1
MTV § 10
MTV § 10 Abs. 8
MTV § 17 Abs. 4
ZPO § 256
BGB § 612 Abs. 3
BGB § 622 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 4 Sa 588/06

Entscheidung vom 23.11.2006

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 26.04.2006 - 4 Ca 2022/05 - abgeändert.

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.05.2002 die Betriebszugehörigkeitszulage ab dem 15. Beschäftigungsjahr bis zum 14.09.2004 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 15.09.2004 die Betriebszugehörigkeitszulage ab dem 20. Beschäftigungsjahr zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Auslegung des Tarifwerkes für die Kliniken in der Unternehmensgruppe M, zu der die Beklagte gehört, insbesondere um die Frage, ob Zeiten eines ruhenden Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeitszulage unberücksichtigt bleiben dürfen.

Die Parteien sind Mitglieder der Tarif schließenden Parteien. Die Klägerin ist seit 1989 bei der Beklagten als Krankengymnastin beschäftigt, zuletzt in Teilzeit mit 17,5 Wochenstunden bei einem Bruttomonatsgehalt von 1.125,28 €. Sie befand sich vom 31.10.1996 bis 30.10.1999 in Elternzeit.

In § 3 des Entgelttarifvertrages vom 01.03.1999 (ETV M), heißt es zur Betriebszugehörigkeitszulage:

"§ 3 für die Vergütung ab dem 03., 05., 10., 15. und 25. Beschäftigungsjahr erhält der/die Arbeitnehmer/-in eine Betriebszugehörigkeitszulage (Anlage 1 und 1 a)."

Die Beklagte zahlte der Klägerin ab 15.09.2002 die Betriebszugehörigkeitszulage für erreichte 15 Jahre. Die Klägerin hatte schon vorher (am 23.08.2002) darauf hingewiesen, dass ihr die Zulage bereits vom 15.09.1999 an hätte gezahlt werden müssen, denn ihr Arbeitsverhältnis habe zu diesem Zeitpunkt bereits 15 Jahre bestanden.

Das Tarifwerk beinhaltet weiter auszugsweise folgende Regelungen:

"§ 3 [ETV M] Höhe der Vergütung

1. Bei seiner/ihrer Einstellung erhält der/die Arbeitnehmer/-in die Anfangsgrundvergütung einer Vergütungsgruppe. Nach Ablauf von sechs Beschäftigungsmonaten erhält er/sie die Grundvergütung der jeweiligen Vergütungsgruppe. [...]

[Ab dem 3., 5., 10., 15., 20. und 25. Beschäftigungsjahr erhält der/die Arbeitnehmer/-in eine Betriebszugehörigkeitszulage (Anlage 1 und 1a).]

Die Betriebszugehörigkeitszulage errechnet sich jeweils auf die Vergütung (zuzüglich der bisher erworbenen Betriebszugehörigkeitszulage) des/der Arbeitnehmers/-in, die er/sie vor dem Stichtag zur Anpassung an die Beschäftigungsjahre erhalten hat. Die Betriebszugehörigkeitszulage ist separat zur Grundvergütung auszuweisen.

[...]

3. Die Betriebszugehörigkeitszulage wird für eine Vollbeschäftigung gezahlt. Nicht vollbeschäftigte Arbeitnehmer/-innen erhalten die Betriebszugehörigkeitszulage anteilig auf die für ihre Teilzeitbeschäftigung vereinbarte Vergütung.

Wird nach einer Vollzeitbeschäftigung eine Teilzeitbeschäftigung vereinbart, so vermindert sich neben der Vergütung der jeweiligen Vergütungsgruppe auch die erworbene Betriebszugehörigkeitszulage anteilig.

§ 9 [Manteltarifvertrag vom 1.3.1999 (MTV M)] Beschäftigungszeit

1. Beschäftigungszeit ist die Zeit einer Beschäftigung innerhalb der Klinik.

Wird ein unbefristetes Arbeitsverhältnis abgeschlossen, so werden Zeiten aus einem vorhergehenden befristeten Arbeitsverhältnis (Ärzte/innen im Praktikum, Praktikanten/-innen und Auszubildende sind hiervon ausgenommen) voll angerechnet, wenn im unbefristeten Arbeitsverhältnis die Fristen des § 3 MTV [Probezeit] abgelaufen sind.

Eine Verpflichtung zur Anrechnung früherer Beschäftigungszeiten besteht nicht, wenn der/die Arbeitnehmer/-in auf eigenen Wunsch ausgeschieden ist und wieder eingestellt wird, es sei denn, dass er/sie

a) wegen Ableistung des Wehrdienstes oder eines ihn ersetzenden öffentlichen Dienstes,

b) wegen Betreuungsaufgaben in der eigenen Familie,

c) wegen Arbeitsunfall oder Krankheit aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist und sich unverzüglich nach Wegfall des Grundes um seine/ihre Wiedereinstellung beworben hat.

Ausfallzeiten, z.B. auch längerer unbezahlter Urlaub, werden bei der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht berücksichtigt; dies gilt auch bei der Wiedereinstellung.

2. Abgeleistete Beschäftigungsjahre außerhalb der Klinik können auf die Beschäftigungszeit angerechnet werden, wenn sie für die auszuübende Tätigkeit von Bedeutung sind.

§ 10 [MTV M] Vergütung

1. Der/Die Arbeitnehmer/in erhält eine Vergütung, die sich aus Tarifgehalt, Zulagen und Zuschlägen zusammensetzt.

[...]

8. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer/-innen, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht oder die trotz bestehenden Arbeitsverhältnisses keinen Anspruch auf Lohn und Gehalt haben, erhalten keine Leistungen (mit Ausnehme der Mutterschaftszeit). Ruht das Arbeitsverhältnis oder besteht ein Anspruch auf Vergütung im Kalenderjahr nur teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung."

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass die Anrechnung der Elternzeit als Beschäftigungszeit nach dem Tarifvertrag zwingend vorgesehen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass ihr ab dem 01.05.2002 die Betriebszugehörigkeitszulage ab dem 15. Beschäftigungsjahr bis zum 14.09.2004 zu zahlen ist;

2. festzustellen, dass ihr ab dem 15.09.2004 die Betriebszugehörigkeitszulage ab dem 20. Beschäftigungsjahr bis zum 14.09.2004 zu zahlen ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Klägerin könne erst ab dem 15.09.2002 die Zulage für 15 Beschäftigungsjahre erhalten, weil tariflich nur die tatsächliche Beschäftigung ohne Elternzeit entscheidend sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 26.04.2006 verwiesen. Weiter wird verwiesen auf den Text der bezeichneten Tarifverträge, die mit der Klageschrift eingereicht wurden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage aus Rechtsgründen abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, weil Ausfallzeiten wie beispielsweise unbezahlte Urlaubszeiten keine Beschäftigungszeiten seien, komme eine Anrechnung dieser Zeiten nicht in Betracht. Das Arbeitsgericht hat weiter Tarifwerke des öffentlichen Dienstes zur Auslegung herangezogen und ausgeführt, ein Verstoß gegen Höherrangiges, insbesondere Europarecht, scheide aus.

Wegen der Einzelheiten der umfangreichen Urteilsbegründung wird auf die vorbezeichnete Entscheidung verwiesen.

Das Urteil wurde der Klägerin am 07.07.2006 zugestellt. Sie hat hiergegen am 27.07.2006 Berufung eingelegt, und, nachdem die Frist zur Begründung bis zum 09.10.2006 verlängert worden war, mit am 22.09.2006 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Klägerin greift aus Rechtsgründen das angefochtene Urteil an. Die Herausnahme von Zeiten des Erziehungsurlaubs bzw. der Elternzeit sei nach dem Tarifvertrag nicht vorgesehen, und auch nicht mit höherrangigem Recht vereinbar.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 26.04.2006 wird abgeändert;

2. es wird festgestellt, dass der Klägerin ab dem 01.05.2002 die Betriebszugehörigkeitszulage ab dem 15. Beschäftigungsjahr bis zum 14.09.2004 zu zahlen ist;

3. es wird festgestellt, dass der Klägerin ab dem 15.09.2004 die Betriebszugehörigkeitszulage ab dem 20. Beschäftigungsjahr zu zahlen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil aus den ihrer Ansicht nach zutreffenden Erwägungen in den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen zum Sitzungsprotokoll vom 23.11.2006.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 520 ZPO).

Das Rechtsmittel der Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

II.

Die Klägerin kann wie von der Kammer festgestellt, bei der Berechnung ihrer Vergütung eine Betriebszugehörigkeitszulage ab dem 15. Beschäftigungsjahr bis zum 14.09.2004 verlangen, wobei die Klägerin mit der Antragsbeschränkung ab 01.05.2002 tariflichen Ausschlussfristen und Verjährungsfristen Rechnung getragen hat. Weiter ist die Beklagte verpflichtet, der Klägerin ab 15.09.2004 die Betriebszugehörigkeitszulage ab dem 20. Beschäftigungsjahr zu zahlen.

Das für ein Feststellungsverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben. Da die Parteien nur um die tarifliche Berechnung des Gehaltes insbesondere der Betriebszugehörigkeitszulage streiten und die Beklagte zu erkennen gegeben hat, dass sie sich an ein Feststellungsverfahren halten wird, war die Klägerin nicht gehalten, wenigstens einen Teil der Forderung im Wege einer Leistungsklage einzuklagen. Die Frage, wie sich das Gehalt zusammensetzt, kann zulässigerweise Gegenstand eines Feststellungsverfahrens im Sinne des § 256 ZPO sein.

III.

Der Klägerin steht wie von ihr begehrt die Berechnung der Betriebszugehörigkeitszulage zu. Sie hat jedenfalls am 01.05.2002 eine Betriebszugehörigkeit von mehr als 15 Beschäftigungsjahren aufzuweisen und ab dem 15.10.2004 eine Betriebszugehörigkeit von 20 Beschäftigungsjahren.

Dieses Ergebnis ergibt sich aus einer Auslegung der einschlägigen Tarifverträge. Die Auslegung der einschlägigen Tarifverträge hat das Ergebnis, dass die Betriebszugehörigkeitszulage eine Belohnung für Betriebstreue und nicht eine zusätzliche Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung ist. Die Betriebszugehörigkeitszulage belohnt die Betriebstreue, so dass die Elternzeit hierbei nicht unberücksichtigt bleibt. In der Elternzeit ist die Betriebstreue des Arbeitnehmers ebenfalls vorhanden.

Die Auslegung der einschlägigen Passagen im Tarifvertrag ergibt, dass es sich um eine Belohnung der Betriebstreue handelt, die sich in einem erhöhten Entgelt niederschlägt.

Die Auslegung eines normativen Teiles eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifvertrag nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil diese Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse sind zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen und sachgerechten zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.

Maßgebend ist zunächst der von den Tarifvertragsparteien verwandte Sprachgebrauch. Nach § 3 des Entgelttarifvertrags erhalten Mitarbeiter nach verschieden gestaffelten Beschäftigungsjahren eine Betriebszugehörigkeitszulage. Was als Beschäftigungsjahr anzusehen ist, regelt § 3 Nr. 1 des Entgelttarifvertrages nicht. Vergleichbare Regelungen finden sich im Manteltarifvertrag dort in § 9 Nr. 1, in welchem die Beschäftigungszeit als "die Zeit der Beschäftigung innerhalb der Klinik" definiert wird.

Nach dem Urteil des BAG vom 04.12.2002 - 10 AZR 138/02 (AP Nr. 245 zu § 611 BGB "Gratifikation") - ist Beschäftigung nach dem allgemeinen Sprachgebrauch "jemanden gegen Bezahlung arbeiten lassen". "Beschäftigt sein" kann auch bedeuten, bei einem anderen "angestellt" zu sein. Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist der Begriff der Beschäftigung nicht auf ein ununterbrochenes aktives Tun beschränkt sondern kann einen Dauerzustand beschreiben, der Unterbrechungen zulässt, ohne ihn damit zu beenden oder im Charakter zu verändern.

Der allgemeine Sprachgebrauch fasst daher sowohl das aktive Tätigwerden als auch den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Im Urteil vom 15.10.1986 - 4 AZR 584/85 - hat das Bundesarbeitsgericht auf die allgemeine Bedeutung des Begriffs der Beschäftigungszeit abgestellt und darunter die Zeit verstanden, während der das Arbeitsverhältnis rechtlich besteht. Tatsächliche Unterbrechungen entweder durch längere Krankheit oder Urlaub bleiben insofern unberücksichtigt. Wenn solche Zeiten ausnahmsweise auf die Beschäftigungszeiten nicht angerechnet werden sollen, muss dies von den Tarifvertragsparteien besonders geregelt werden.

Im Zusammenhang mit der hier streitigen Tarifauslegung ist gesondert darauf hinzuweisen, dass in § 3 des Entgelttarifvertrags eine Betriebszugehörigkeitszulage ausgewiesen wird, deren Voraussetzung sich an die Beschäftigungszeit anlehnt. Betriebszugehörigkeit ist aber ohne eine gesonderte Definition der Beschäftigungszeit unschwer dahin zu interpretieren, dass hier der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses maßgebend ist. Die Betriebszugehörigkeitszulage belohnt damit die Betriebstreue.

Auch der tarifliche Zusammenhang bestätigt dieses Ergebnis. Die Tarifvertragsparteien haben den Ausdruck der Beschäftigung auch in anderen Normen verwendet wie etwa in § 17 Abs. 4 des Manteltarifvertrages. In der Regelung der Kündigungsfristen wird auf die Beschäftigungszeit abgestellt, die Kündigungsfristen richten sich, wie sich aus § 622 Abs. 2 BGB ergibt, nach dem rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses, Ruhezeiten, wie Elternzeit, führen nicht dazu, dass sich der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses verkürzt. In § 10 Abs. 8 des Manteltarifvertrages haben die Tarifvertragsparteien geregelt, welche Leistungen Arbeitnehmer im ruhenden Arbeitsverhältnis zustehen. So findet sich eine Regelung über das 13. Monatsgehalt und das Urlaubsgeld. Die Tarifvertragsparteien haben somit das Problem des ruhenden Arbeitsverhältnisses durchaus erkannt. Hätten sie diese Zeiten auch bei der Berechnung bei der Beschäftigungszeit unberücksichtigt bleiben lassen wollen, hätte sich in § 9 des Manteltarifvertrages eine dem § 10 Abs. 8 des Manteltarifvertrages entsprechende Regelung finden müssen.

Diesem Auslegungsergebnis steht auch nicht § 9 Abs. 1 Satz 4 des Manteltarifvertrags entgegen. Wenn dort geregelt ist, dass Ausfallzeiten zum Beispiel auch längerer unbezahlter Urlaub, bei der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht berücksichtigt werden, dies auch bei der Wiedereinstellung gelte, ist in dieser Regelung die Elternzeit ausdrücklich nicht erwähnt. Diese Regelung macht durchaus Sinn, weil derjenige, der einen unbezahlten Urlaub durch Vereinbarung mit dem Arbeitgeber antritt, nicht nach seiner Rückkehr in den Genuss der nächst höheren Betriebszugehörigkeitszulage nach längerer Abwesenheit kommen soll. Während der Tarifvertrag den unbezahlten Urlaub als Regelbeispiel für die Ausfallzeit nennt, ist die Elternzeit hier nicht ausdrücklich erwähnt. Der tarifliche Zusammenhang ergibt aber, dass die Tarifvertragsparteien die Elternzeit gegenüber dem unbezahlten Urlaub privilegieren wollten. Dies ergibt sich insbesondere aus § 9 Abs. 1 Satz 3 MTV, mit welchem frühere Beschäftigungszeiten bei unterbrochenem Arbeitsverhältnis unter gewissen Voraussetzungen, hier die Betreuung von Familienangehörigen, gegenüber einem sonstigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis bevorzugen.

Die Tarifvertragsparteien wollten also den unbezahlten Urlaub anders behandeln als die Elternzeit. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass nicht rein zufällig der unbezahlte Urlaub genommen wurde, die Elternzeit hingegen nicht.

Für die Privilegierung der Elternzeit spricht die in Art. 6 des Grundgesetzes enthaltene Wertentscheidung. Weil bei der Auslegung von Tarifnormen im Zweifel davon auszugehen ist, dass die Tarifvertragsparteien Regelungen treffen wollten, die nicht wegen Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht unwirksam sind, ist dieses Auslegungsergebnis geboten.

Schließlich spricht auch der Grundsatz der Praktikabilität für die hier gefundene Auslegung. Wenn, wie die Beklagte darstellt, die Betriebszugehörigkeitszulage es auch honorieren soll, dass sich ein Arbeitnehmer im Betrieb Kenntnisse und Erfahrungen erworben hat und diese dann als Gegenleistung für das Arbeitsentgelt in das Arbeitsverhältnis einbringen kann, stellen sich rein praktische Schwierigkeiten schon bei der Frage, wie z. B. ein Teilzeitarbeitsverhältnis behandelt werden soll, in welchem einem Arbeitnehmer nicht die gleiche Zeit zum Erwerb von Kenntnissen und Erfahrungen bleibt wie in einem Vollzeitarbeitsverhältnis.

Das Argument der Beklagten, mit der Betriebszugehörigkeitszulage würden auch Kenntnisse und Erfahrungen honoriert, überzeugt schon deswegen nicht, weil die Betriebszugehörigkeitszulage für sämtliche Gruppen der tariflichen Entgeltstufen, also auch die einfachsten Hilfstätigkeiten, angewendet wird, in dem nicht ersichtlich ist, welche Kenntnisse und Erfahrungen ein Arbeitnehmer zwischen dem 15. und 20. Jahr der Betriebszugehörigkeit erwerben sollte mit der Folge, dass hierfür eine höhere Vergütung als sachgerecht angesehen werden kann.

Auch Sinn und Zweck der Tarifverträge ist für die Auslegung von Bedeutung. Es handelt sich nicht in erster Linie um eine zusätzliche Vergütung für Arbeitsleistung, weil Sonderzahlungen im Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung und daher Arbeitsentgelt im engeren Sinne sind. Der Anspruch auf solche Zahlungen entsteht im Laufe des Bezugszeitraums entsprechend der zurückgelegten Zeitdauer und Arbeitsleistung und wird lediglich zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt fällig. Scheidet der Arbeitnehmer aus, hat er Anspruch auf eine anteilige Sonderzahlung. Die Betriebszugehörigkeitszulage bemisst sich auf der Grundlage der Betriebszugehörigkeit und wird jeweils ab dem 03., 05., 10., 15., 20. und 25. Jahr fällig. Nur wenn der Arbeitnehmer eines der genannten Beschäftigungsjahre erreicht, steht ihm ein Anspruch auf Gewährung der Tarifzulage zu. Wird das Arbeitsverhältnis vorzeitig beendet, findet eine Zahlung der Zulage nicht, auch nicht anteilig statt, da es insoweit bereits an einer Anspruchsvoraussetzung fehlt. Dieser Umstand spricht gegen einen reinen Entlohnungscharakter der Tarifzulage für die bereits erbrachten Arbeitsleistungen. Unterstrichen wird dies auch durch die Bezeichnung der Zulage als Betriebszugehörigkeitszulage. Mit der Zugehörigkeit zum Betrieb ist aber die Betriebstreue untrennbar verbunden.

Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die Auslegung der einschlägigen Tarifbestimmunen ergibt, dass Zeiten eines ruhenden Arbeitsverhältnisses infolge Elternzeit nicht dazu führen, dass die nächste Stufe der Betriebszugehörigkeitszulage erst entsprechend später erreicht wird.

IV.

Ob die Regelung bei einer Auslegung wie vom Arbeitsgericht und von der Beklagten vorgenommen, nicht gegen höherrangiges Recht verstößt, konnte von der Kammer unentschieden bleiben.

Immerhin liegt es nahe, von einer mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung auszugehen, welche gemäß Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und § 612 Abs. 3 BGB unzulässig wäre. Der Anteil der Väter, die im Jahre 2001 Elternzeit in Anspruch nahmen, lag unter 3 % (vgl. Bundesstatistik Erziehungsgeld, Auswertung von 2001 (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)). Er ist in den nachfolgenden Jahren auf max. 5 % angestiegen. Die Nichtanrechnung der Elternzeit auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit und die damit zeitlich verzögerte Gewährung der Tarifzulage trifft also im Geltungsbereich des Tarifvertrages hauptsächlich weibliche Arbeitnehmer, so dass eine unterschiedliche Betroffenheit der Geschlechter bei der Ermittlung der Beschäftigungsjahre gegeben ist.

Die Benachteiligung der weiblichen Arbeitnehmer ist nicht zulässig, weil sie nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die mit der Diskriminierung des Geschlechts nichts zu tun haben. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses in der Elternzeit ist kein rechtfertigender Grund für die Nichtberücksichtigung der Elternzeit bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit, weil diese nicht als zusätzliche Vergütung für den Arbeitnehmer angesehen werden kann, der tatsächlich gearbeitet hat. Die Betriebszugehörigkeitszulage belohnt die Betriebstreue. Sie ist allein für die Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb unabhängig von der tatsächlich geleisteten Arbeit zu zahlen. In dieser Konstellation wird ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmern die Betriebszugehörigkeitszulage zeitlich um den Zeitraum der Elternzeit verzögert gewährt, diese Arbeitnehmer gegenüber denjenigen benachteiligen, die keine Elternzeiten in Anspruch genommen haben. Für diese Unterscheidung besteht kein sachlich rechtfertigender Grund, weil wie bereits dargestellt, die Betriebszugehörigkeitszulage nicht Kenntnisse und Fertigkeiten, die während tatsächlich geleisteter Arbeit erworben werden, zusätzlich honoriert.

Nach allem musste also festgestellt werden, dass der Klägerin die mit der Klage verfolgten Ansprüche zustehen. Das entgegenstehende klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts war abzuändern und auf die Berufung der Klägerin wie geschehen zu erkennen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat wegen grundsätzlicher Bedeutung und des Umstandes, dass die Tarifverträge auch über den Bezirk des Landesarbeitsgerichts hinaus Geltung haben und deren Auslegung Streit entscheidend ist, die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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