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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 19.10.2004
Aktenzeichen: 5 Sa 325/04
Rechtsgebiete: ArbGG, KSchG, BGB, BetrVG, MTV, LStDV, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 58 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 7
ArbGG § 69 Abs. 2
KSchG § 15
KSchG § 15 Abs. 1
KSchG § 15 Abs. 1 S. 1
BGB § 626 Abs. 1
BetrVG § 78 S. 2
MTV § 15 Ziffer 5
LStDV § 3
ZPO § 138
ZPO § 138 Abs. 3
ZPO § 286 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 5 Sa 325/04

Verkündet am: 19.10.2004

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16.03.2004 - aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.01.2004 - verkündete Urteil des ArbG Mainz - 2 Ca 2276/03 - wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28.07.2003 nicht aufgelöst worden ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreites werden der Beklagten auferlegt.

III. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf EUR 7.506,00 festgesetzt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die am 12.10.1944 geborene Klägerin ist seit dem 01.04.1974 bei der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Die Klägerin ist Mitglied des Betriebsrates. Die Klägerin ist als Sachbearbeiterin u.a. auch für ihre eigenen Gehaltsabrechnungen zuständig.

Die Gehaltsabrechnung für den Monat März 1999 nahm die Klägerin so vor, dass ihr 11 Stunden Samstagsarbeit (Inventur vom 16.01.1999) als lohnsteuer- und sozialversicherungsfreie Sonntagsarbeit (5,5 Stunden) bezahlt wurden.

Ihre eigene Gehaltsabrechnung sowie die Gehaltsabrechnungen der Arbeitnehmer R. und Inboden für April 1999 nahm die Klägerin so vor, dass die jeweils zu zahlenden Jubiläumsgelder "netto" ausgezahlt wurden.

Mit dem Schreiben vom 09.07.2003 (Bl. 33 f der Beiakte - 2 BV 2009/03 -) erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung.

Seit dem 12.07.2003 ist die Klägerin arbeitsunfähig krank.

Mit dem Schreiben vom 28.07.2003 kündigte die Beklagte der Klägerin mit Zustimmung des Betriebsrates fristlos ("mit sofortiger Wirkung", - s. Kündigungsschreiben Bl. 7 d.A.).

Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf das Urteil, das das Arbeitsgericht aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.01.2004 am 16.03.2004 verkündet hat (- folgend: Urteil vom 16.03.2004 - 2 Ca 2276/03 -; siehe dort Seite 3 ff = Bl. 169 ff d.A.). Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen das ihr am 05.04.2004 zugestellte Urteil vom 16.03.2004 - 2 Ca 2276/03 - hat die Klägerin am 29.04.2004 Berufung eingelegt und diese am 07.06.2004 (= Montag) begründet.

Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 07.06.2004 (Bl. 206 ff d.A.) verwiesen.

Unter Hinweis darauf, dass sämtliche Buchungsvorgänge der Klägerin weder von der Finanzverwaltung, noch vom zuständigen Sozialversicherungsträger beanstandet worden sind, macht die Klägerin dort insbesondere geltend, dass ein Vermögensdelikt oder ein Eigentumsdelikt zu Lasten der Beklagten nicht vorliege. Sie meint, dass ihr ein Verstoß gegen die Steuergesetzgebung im Zusammenhang mit der Abrechnung der Jubiläumsgelder nicht vorzuwerfen sei. Dazu führt die Klägerin ebenso weiter aus wie zu ihrer Behauptung, dass ihr auch ein Verstoß gegen sozialversicherungsrechtliche Vorgaben bei der Abrechnung der Jubiläumsgelder nicht vorzuhalten sei.

Die Klägerin verweist auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, wonach sie die Abrechnung der Jubiläumsgelder mit dem zuständigen Geschäftsleiter W. abgestimmt habe. Die Klägerin macht geltend, dass das Arbeitsgericht diesen Vortrag als unstreitig hätte behandeln müssen. W. habe der Klägerin zugestanden, jede legale Möglichkeit der Abrechnung zu nutzen, um den betroffenen Mitarbeitern die Steuerfreiheit zu erhalten.

Nach wie vor sei nicht erkennbar - so meint die Klägerin weiter -, wie von einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses die Rede sein könne, wenn die Beklagte es nicht einmal für notwendig erachtet habe, die angeblich zu wenig abgeführte Lohnsteuer und die angeblich zu wenig abgeführten Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten.

Hinsichtlich der Abrechnung der Inventurarbeiten als Sonntagsarbeit verweist die Klägerin auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, wonach sie seinerzeit versucht habe, mit der Zeugin E. eine Lösung zu finden.

Ergänzend hat sich die Klägerin in den Schriftsätzen vom 23.07.2004 (Bl. 239 ff d.A.) und vom 03.09.2004 (Bl. 265 f d.A.), auf die ebenfalls verwiesen wird, geäußert.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des ArbG Mainz vom 16.03.2004 - 2 Ca 2276/03 - festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28.07.2003 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts nach näherer Maßgabe ihrer Ausführungen in der Berufungsbeantwortung vom 13.07.2004 (Bl. 231 ff d.A.) und im Schriftsatz vom 13.08.2004 (Bl. 244 ff d.A.), auf die jeweils Bezug genommen wird.

Die Beklagte führt dort insbesondere dazu aus, dass die Abrechnung und Auszahlung der fraglichen Jubiläumszuwendungen sozialversicherungsrechtlich und steuerrechtlich zu beanstanden war. Soweit sich die Klägerin zur Rechtfertigung ihrer Vorgehensweise auf einen Zeitungsartikel beruft, wertet die Beklagte dieses Vorbringen als bloße Schutzbehauptung. Auch die angebliche Absprache mit dem damaligen Bereichsleiter W. könne - so macht die Beklagte weiter geltend - die Klägerin nicht entlasten. Ihre in der Betriebsanhörung aufgeführte Einlassung bedeute eben keine vorbehaltslose Zustimmung in die entsprechende Vorgehensweise. W. habe die Vorgehensweise der Klägerin demnach nicht ohne Einschränkungen genehmigt, - sondern auf die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben verwiesen. Genau dies habe die Klägerin aber nicht getan. Für unerheblich hält es die Beklagte, ob das Verhalten der Klägerin im Rahmen der Lohnsteuerprüfung und der von der LVA vorgenommenen Prüfung bestätigt worden sei oder nicht. Im Übrigen hätten die Gehaltsabrechnungen der Klägerin sowie von R. und Inboden bei der Lohnsteuerprüfung gar nicht vorliegen können, weil diese im Schreibtisch der Klägerin eingeschlossen gewesen seien. Die Beklagte wirft der Klägerin vor, dass sie bei einer korrekten Abrechnung der Jubiläumszuwendung den Buchungsschlüssel 626 bzw. 628 hätte verwenden müssen.

Die Beklagte legt dar, dass sie die Jubiläumszuwendungen für die Klägerin sowie für R. und Inboden im Mai 2004 nachversteuert habe; die Beiträge an die Krankenkassen seien ebenfalls abgeführt worden.

Soweit es um die Abrechnung der Inventurarbeit geht, behauptet die Beklagte, dass die Zeugin E. seinerzeit weder eine Vorgesetztenfunktion, noch eine Anweisungsbefugnis gegenüber der Klägerin gehabt habe. Die angebliche Absprache mit der Zeugin E. könne die Klägerin nicht entlasten. Die Beklagte bezieht sich auf die E-Mail vom 16.06.1998 (Bl. 251 d.A.).

Schließlich stützt die Beklagte die Kündigung auf die in den Anhörungsschreiben vom 14.07.2003 und vom 16.07.2003 mitgeteilten Gründe.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt verwiesen.

Die Berufungskammer hat Beweis erhoben gem. Beweisbeschluss vom 28.09.2004 - 5 Sa 325/04 - (= Sitzungsniederschrift Seite 2 = Bl. 274 d.A.) durch Vernehmung der Zeugin E.. Die Aussage der Zeugin ist festgehalten in der vorbezeichneten Sitzungsniederschrift (dort Seite 2 ff = Bl. 274 ff d.A.). Hierauf wird zwecks Darstellung des Inhalts der Beweisaufnahme Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die hiernach zulässige Berufung erweist sich als begründet.

II.

Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung nicht aufgelöst worden.

Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam, weil ein wichtiger Grund im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB fehlt, der es der Beklagten unzumutbar gemacht hat, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.

1.

Soweit die Beklagte die Kündigung auch auf die in den Anhörungsschreiben vom 14.07.2003 und vom 16.07.2003 mitgeteilten Gründe stützt, wiegen die dort genannten Umstände nicht so schwer - dies ergibt jedenfalls die gem. § 626 Abs. 1 BGB vorgenommene Interessenabwägung -, dass der Beklagten deswegen die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar gewesen wäre. Dies gilt insbesondere auch für das Verhalten, das die Klägerin nach Zugang der Abmahnung vom 09.07.2003 am 11.07.2003 gezeigt hat (Äußerung gegenüber dem V. U. in Bezug auf den Personalleiter (Teamleiter) T. S.).

Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung können nach § 15 Abs. 1 KSchG besonders geschützte Personen - wie die Klägerin als Betriebsratsmitglied - nur dann wirksam fristlos gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren Nichtbetriebsratsmitglied dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Nur so kann der Schutzbestimmung des § 78 S. 2 BetrVG angemessen Rechnung getragen werden, wonach Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Betriebsratstätigkeit nicht benachteiligt werden dürfen. Deshalb muss bei außerordentlichen fristlosen Kündigungen im Rahmen der Interessenabwägung die fiktive Kündigungsfrist des Arbeitnehmers zugrunde gelegt werden, d. h. diejenige Kündigungsfrist, mit der ihm ordentlich gekündigt werden könnte, wenn er nicht dem besonderen Kündigungsschutz des § 15 KSchG unterläge (vgl. BAG vom 18.02.1993 AP-Nr. 35 zu § 15 KSchG 1969; Hueck/von Hoyningen-Huene 12. Aufl. KSchG § 15 Rz 88). Vorliegend ist also im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung/Interessenabwägung zu prüfen, ob der Beklagten die Einhaltung der hier längstmöglichen ordentlichen Kündigungsfrist von 7 Monaten zum Ende eines Kalendermonats zuzumuten gewesen ist (vgl. § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 BGB). Dieser - vom Arbeitsgericht zutreffend erwähnte - Prüfungsmaßstab verändert sich hier nicht etwa dadurch, dass gleichzeitig eine sogenannte tarifliche "Unkündbarkeit" eingreifen würde. Insoweit ist es anerkanntes Recht - vgl. BAG vom 21.06.2000 - 4 AZR 379/99 - = NZA 2001, 271 -, dass es sich bei § 15 Ziffer 5 MTV Einzelhandel Rheinland-Pfalz gerade nicht um eine derartige Unkündbarkeitsklausel handelt; ordentliche Kündigungen sind insoweit nicht von vornherein ausgeschlossen (BAG aaO.).

Bei einem vergleichbaren Nichtbetriebsratsmitglied wäre der Beklagten - bei einer auf die in den Anhörungsschreiben vom 14.07.2003 und vom 16.07.2003 - genannten Gründe gestützten Kündigung die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar gewesen. Im Ergebnis gilt dies (auch) für die Gründe, die die Beklagte dem Betriebsrat mit dem Schreiben vom 24.07. bzw. 25.07.2003 mitgeteilt hat.

2.

a) Das Verhalten, das die Klägerin bei der Abrechnung der am 11.01.1999 geleisteten Samstagsarbeit (Inventurarbeiten) als Sonntagsarbeit (- in der Gehaltsabrechnung für März 1999 -) gezeigt hat, ist ebenso an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen wie das Verhalten im Zusammenhang mit der Abrechnung und "Netto"-Auszahlung ihrer eigenen Jubiläumszuwendung sowie der Jubiläumszuwendungen der Arbeitnehmer R. und Inboden (- im April 1999). Zur Arbeitspflicht - also zur Hauptpflicht - der Klägerin als Abrechnungssachbearbeiterin gehörte es, die Vergütungen der Arbeitnehmer - auch ihre eigene - ordnungsgemäß abzurechnen. Sie war verpflichtet, die insoweit jeweils einschlägigen steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen zu beachten und anzuwenden. Diese ordnungsgemäße Anwendung hat sie sowohl bei dem Vorgang "Abrechnung von Samstagsarbeit als Sonntagsarbeit" als auch bei den Vorgängen "Jubiläumszuwendungen" unterlassen und sich dadurch - bewusst und gewollt - unter Ausnutzung ihrer Position als Abrechnungssachbearbeiterin eigene finanzielle Vorteile verschafft.

Das steuer- und sozialversichungsrechtliche Privileg für Sonntagsarbeit greift eben nur für tatsächlich geleistete Sonntagsarbeit. Die Steuerfreiheit für Jubiläumszuwendungen, so wie sie nach näherer Maßgabe der LStDV (hier § 3) in der Fassung vom 10.10.1989 bis zum 31.12.1998 bestanden hat, bestand - als die Klägerin und die Arbeitnehmer R. und Inboden ihre Arbeitnehmerjubiläen im Frühjahr 1999 feierten - eben nicht mehr. Der Klägerin war bekannt, dass § 3 LStDVaF durch das Gesetz vom 24.03.1999 Bundesgesetzblatt I 402 mit Wirkung vom 01.01.1999 aufgehoben worden war.

Die Klägerin hat hiernach in den genannten Fällen jeweils schuldhaft-pflichtwidrig ganz erhebliche Vertragsverletzungen begangen. Der Umstand, dass der Beklagten letztlich kein finanzieller Schaden entstanden ist, steht der Wertung als jeweils erhebliche Pflichtverletzung nicht entgegen. Die Verfehlungen der Klägerin stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der von der Klägerin vertraglich geschuldeten Tätigkeit.

b) Liegt hiernach ein an sich die außerordentliche Kündigung rechtfertigendes Verhalten der Klägerin vor, so überwiegt doch im Rahmen der Interessenabwägung im Ergebnis das Interesse der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses das Beendigungsinteresse der Beklagten. In diesem Zusammenhang wirkt es sich - nach dem bereits oben zu Ziffer II. 1. Ausgeführten - zum Nachteil der Beklagten aus, dass in einem Fall der vorliegenden Art - die ordentliche Kündigung ist hier kraft Gesetzes (§ 15 Abs. 1 KSchG) ausgeschlossen - im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung/Interessenabwägung eben nicht auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung abzustellen ist, sondern - wie oben erwähnt - auf die fiktive Kündigungsfrist von (hier) 7 Monaten. Der Beklagte ist es zuzumuten gewesen, diese Kündigungsfrist einzuhalten.

aa) Für die außerordentlich-fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses sprechen hier freilich (zunächst) Gründe des Vertrauensverlustes sowie der Betriebsdisziplin und der betrieblichen Ordnung.

Die Beklagte darf in ihrem eigenen Interesse sowie im Interesse des Betriebes und der Belegschaft Verhaltensweisen wie sie die Klägerin gezeigt hat nicht (völlig) sanktionslos hinnehmen. Berücksichtigt man - wie auch das Arbeitsgericht dies zu Recht getan hat - die besondere Vertrauensstellung der Klägerin als Personal- bzw. Abrechnungssachbearbeiterin - dann müssen insoweit auch Gesichtspunkte wie Lebens- und Dienstalter sowie die langjährig gezeigte Betriebstreue der Klägerin -, die für die Klägerin sprechen können, zurücktreten. Gleichwohl reichen die oben aufgezeigten - für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sprechenden - Gesichtspunkte hier letztlich nicht aus, um zur Feststellung der Unzumutbarkeit im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zu führen.

bb) Den vertragsbezogenen Interessen der Beklagten wird auch dann noch ausreichend Rechnung getragen, wenn man die Beklagte darauf verweist, der Klägerin erst nach erfolgloser einschlägiger Abmahnung außerordentlich zu kündigen. Eine Abmahnung ist auch bei Handlungsweisen, die - wie hier - den Vertrauensbereich berühren, nicht stets entbehrlich, sondern - soll wirksam gekündigt werden - notwendig, wenn ein steuerbares Verhalten in Rede steht und es erwartet werden kann, dass Vertrauen wieder hergestellt wird. Die beiden genannten Voraussetzungen sind hier erfüllt.

- Die Erstellung ordnungsgemäßer Gehaltsabrechnungen betrifft ein Geschehen, das der Arbeitnehmer, der damit betraut ist, lenken kann; es geht hier also um ein steuerbares Verhalten.

- Auch die zweite Voraussetzung ist erfüllt. Es kann erwartet werden, dass sich die Klägerin nach einer ordnungsgemäßen Abmahnung vertragsgemäß verhalten wird und somit in der Folgezeit ein erschüttertes bzw. zunächst verloren gegangenes Vertrauen wieder hergestellt wird.

Diese Erwartung bestand nach Ansicht der Berufungskammer im entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Kündigungsausspruches deswegen, weil die Klägerin bei dem ihr jeweils zur Last gelegten Verhalten weder völlig heimlich, noch völlig eigenmächtig vorgegangen ist, sondern zuvor jeweils andere kompetente Mitarbeiter der Beklagten mit der entsprechenden Problematik konfrontiert hatte. Aus diesem Grunde lässt sich hier auch nicht die Feststellung treffen, dass damals, als die Klägerin die ihr nunmehr vorgeworfenen Taten beging, aus der Sicht der Klägerin eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen war. Umstände, aufgrund derer die Abmahnung als entbehrlich oder als nicht erfolgversprechend angesehen werden könnte, liegen nicht vor.

(1.) Soweit es um die unrichtige Abrechnung der Jubiläumszuwendungen im April 1999 geht, ist es gem. § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, dass die Klägerin seinerzeit den zuständigen Bereichsleiter W. auf die Problematik "Abrechnung von Jubiläumszuwendungen" angesprochen hat und dieser - ohne sich näher mit der Problematik zu befassen - der Klägerin zugestanden hat, jede legale bzw. rechtlich einwandfreie Möglichkeit der Abrechnung zu nutzen. Aus den von der Klägerin auf Seite 4 der Berufungsbegründung (= Bl. 216 d.A.) vorgetragenen Gründen teilt die Berufungskammer nicht die Ansicht des Arbeitsgerichts, die Klägerin habe die Erklärung des Bereichsleiters W. nicht ausreichend substantiiert dargetan. Die Einlassung der Klägerin ist insoweit hinreichend konkret, um eine weitergehendere Darlegungs- und Erklärungslast der Beklagten auszulösen. Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich, dass das Gespräch im Frühjahr 1999 vor der Erstellung der fraglichen Gehaltsabrechnungen für April 1999 im Betrieb stattgefunden hat. Die Einlassung der Klägerin ist in örtlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht ausreichend substantiiert. Die letztlich für die Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat das - auch im Zustimmungsantrag (dort Seite 5 = Bl. 35 d.A.) erwähnte - Gespräch der Klägerin mit W. nicht ausreichend bestritten. Auf der Grundlage des beiderseitigen Parteivorbringens ist deswegen gem. § 138 ZPO festzustellen, dass das Gespräch - so wie von der Klägerin geschildert - tatsächlich stattgefunden hat.

Zwar war die Abrechnungsmethode, die die Klägerin damals beabsichtigte und schließlich auch tatsächlich vorgenommen hat, weder legal, noch rechtlich einwandfrei. Der Umstand, dass sie mit der entsprechenden Problematik bei dem zuständigen Bereichsleiter vorstellig geworden ist, also Rücksprache genommen hat, belegt aber die grundsätzliche Bereitschaft der Klägerin sich vertragsgetreu zu verhalten. Sie wollte die Abrechnungsproblematik mit dem Vorgesetzten erörtern. Dass dieser damals von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht hat, kann sich im Rahmen der Interessenabwägung gem. § 626 Abs. 1 BGB nicht zum Nachteil der Klägerin auswirken.

Hiernach kann (auch) nicht angenommen werden, dass die Rechtswidrigkeit des in Rede stehenden Verhaltens ohne weiteres für die Klägerin erkennbar gewesen ist. Die Berufungskammer teilt die von der Klägerin vertretene Ansicht, dass durch die Äußerung von W. der Wert der der Klägerin überlassenen schriftlichen Unterlagen zur Problematik "Abrechnung von Jubiläumszuwendungen" deutlich relativiert bzw. gemindert worden ist. Die Klägerin musste sich nunmehr nicht sagen, dass die sanktionslose Hinnahme der von ihr beabsichtigten Gehaltsabrechnungen offensichtlich ausgeschlossen war.

(2.) In ähnlicher Weise hat sich die Klägerin auch im Zusammenhang mit der Abrechnung der Samstagsarbeit vom 11.01.1999 in der Märzabrechnung von 1999 an eine kompetente Person, nämlich die Zeugin E. gewandt. Diese hat das Verhalten der Klägerin nicht nur gekannt, sondern ausdrücklich gebilligt. Dies steht gem. § 286 Abs. 1 ZPO zur Überzeugung der Kammer fest. Die Zeugin E. hat bei ihrer Vernehmung einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Ihre Aussage ist glaubhaft und widerspruchsfrei. Unter Berücksichtigung des § 58 Abs. 2, § 64 Abs. 7 ArbGG konnte von einer Beeidigung abgesehen werden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Zeugin im März 1999 noch Personalleiterin/Abteilungsleiterin gewesen ist. Jedenfalls trug sie damals - zumindest als Statussymbol - die Bezeichnung "Abteilungsleiterin Personal". Weiter ist es in diesem Zusammenhang gem. § 138 Abs. 3 ZPO (auch) als unstreitig anzusehen, dass W. noch gegen Ende des Jahres 1997 in einer Besprechung darauf hingewiesen hatte, dass die Zeugin E. weiterhin "Abteilungsleiterin Personal" bleibe. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 23.07.2004 (dort S. 3 = Bl. 241 d.A.) hat die Beklagte in ihrer Einlassung vom 13.08.2004 (dort S. 2 = Bl. 249 d.A.) nicht ausreichend bestritten. Selbst nach dem Inhalt der elektronischen Nachricht ("E-Mail") vom 16.06.1998 sollte die Zeugin E. - auch noch während des Altersteilzeit-Arbeitsverhältnisses - dem Betrieb für Fragen und Probleme zur Verfügung stehen, - wobei zu ihrem Aufgabenschwerpunkt gerade auch der Abrechnungsbereich zählte (s. E-Mail, Bl. 251 d.A.). Exakt mit einer Frage aus diesem Bereich hat sich die Klägerin - wie aufgrund der Aussage der Zeugin E. bewiesen ist - an die Zeugin E. gewandt. Mit Rücksicht darauf, kann auch insoweit nicht festgestellt werden, dass für die Klägerin die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens derart erkennbar war, dass sie sich hätte sagen müssen, eine sanktionslose Hinnahme ihres Verhaltens durch den Arbeitgeber, die Beklagte, sei offensichtlich ausgeschlossen.

Die aufgezeigten Umstände (Rücksprache bei W. und E.) lassen das Verhalten der Klägerin derart in einem etwas milderen Licht erscheinen, dass - wäre das Arbeitsverhältnis noch ordentlich kündbar - die Beklagte auf eine vorrangige Abmahnung bzw. auf die Einhaltung der Frist für die ordentliche Kündigung zu verweisen ist. Damit erweist sich die außerordentliche Kündigung als rechtsunwirksam, denn auch wenn man alle von der Beklagten vorgetragenen Umstände in ihrer Gesamtheit würdigt, führt dies nicht zur Feststellung einer Unzumutbarkeit im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Insbesondere kann die Abmahnung vom 09.07.2003 nicht als erfolglos gebliebene einschlägige Abmahnung im o. g. Sinne begriffen werden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Streitwert wurde für die Gerichtsgebühren - wie geschehen - festgesetzt.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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