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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 20.10.2008
Aktenzeichen: 5 Sa 416/08
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BGB, StPO, KSchG
Vorschriften:
ArbGG § 64 Abs. 1 | |
ArbGG § 64 Abs. 2 | |
ArbGG § 64 Abs. 6 | |
ArbGG § 66 Abs. 1 | |
ZPO § 518 | |
ZPO § 519 | |
BGB § 626 | |
BGB § 626 Abs. 1 | |
StPO § 112 | |
KSchG § 1 Abs. 2 |
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 04.06.2008 - 8 Ca 1658/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen bzw. einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung der Beklagten sein Ende gefunden hat. Der 34jährige Kläger ist seit dem 02.07.1999 bei der Beklagten, zuletzt als Chemiefacharbeiter in Teilzeit mit einem Beschäftigungsgrad von 65,33% beschäftigt und in die Entgeltgruppe E 06 eingruppiert. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Tarifverträge der chemischen Industrie anwendbar. Der Kläger wurde am 12.06.2007 wegen des Verdachts des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln außerhalb des Werksgeländes der Beklagten von der Polizei festgenommen und in die Justizvollzugsanstalt R. verbracht. Wegen dieses Tatverdachts wurden aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts F. vom selben Tag (s. Bl. 61 d. A.) die Spinde des Klägers auf dem Werksgelände der Beklagten von einem Kriminalbeamten durchsucht. Es wurde nichts sichergestellt. Der Beamte teilte im Zusammenhang mit der Durchsuchung mit, die Privatwohnung des Klägers sei in der Nacht zuvor durchsucht worden, es gehe in diesem Fall wohl nicht um "Kleinigkeiten", der Kläger werde dem Haftrichter vorgeführt. In der Woche vom 18. bis 25. Juni 2007 meldete sich der Bruder des Klägers bei dem für diesen zuständigen Betriebsleiter, weiterhin am 04.07.2007 und am 09.07.2007. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers informierte die Beklagte mit Schreiben vom 09.07.2007, dass die Untersuchungshaft des Klägers noch fortdauere und bat um Zurückstellung arbeitsrechtlicher Maßnahmen für die nächsten beiden Wochen. Am 18.07.2007 meldete er sich erneut telefonisch und teilte mit, dass der Haftprüfungstermin bereits stattgefunden habe. In einem Telefonat am 30.07.2007 erklärte er, dass die Beschwerde des Klägers gegen die Aufrechterhaltung des Haftbefehls vom Landgericht F. verworfen worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf den unstreitigen Tatbestand der streitgegenständlichen Entscheidung (Seite 3, 4 = Bl. 131, 132 d. A.) verwiesen. Die Beklagte hat sodann mit Schreiben vom 07.08.2007 (vgl. Bl. 14 d. A.), das dem Kläger am 08.08.2007 zugegangen ist, das Arbeitsverhältnis außerordentlich sowie hilfsweise ordentlich zum 31.10.2007 gekündigt. Am 19.09.2007 wurde das Hauptverfahren in der Strafsache gegen den Kläger eröffnet. Fortsetzungstermine fanden am 08.10.2007 sowie am 29.10.2007 statt. Nach dem ersten Verhandlungstag wurde der Kläger von der weiteren Verbüßung der Untersuchungshaft verschont. Das Strafverfahren hat mit einer Verurteilung des Klägers geendet; der Kläger musste allerdings keine weitere Freiheitsstrafe verbüßen. Der Kläger hat vorgetragen,
es sei der Beklagten aufgrund ihrer Größe und ihres Arbeitsvolumens zuzumuten, einen einfach gestalteten Arbeitsplatz wie den seinen mehr als zwei Monate frei zu halten oder seine Abwesenheit durch Ersatzmaßnahmen aufzufangen. Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Klägers im erstinstanzlichen Rechtszug wird auf Seite 4, 5 der angefochtenen Entscheidung (Bl. 132, 133 d. A.) Bezug genommen. Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.08.2007 nicht beendet ist. Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat vorgetragen,
nach dem Haftprüfungstermin und der erfolglosen Haftbeschwerde sei für sie im Zeitpunkt der Kündigung völlig ungewiss gewesen, ob und wenn ja, wann der Kläger wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehren werde. Im Hinblick auf die Schwere des Tatvorwurfs habe sie davon ausgehen müssen, dass der Kläger noch länger inhaftiert bleiben werde. Sie sei auf unabsehbare Zeit daran gehindert gewesen, ihr Direktionsrecht auszuüben und den Einsatz des Klägers oder etwaiger Vertretungskräfte im Betrieb einzuplanen. Zur weiteren Darstellung des streitigen erstinstanzlichen Sachvortrags der Beklagten wird auf Seite 5, 6 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 133, 134 d. A.) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat daraufhin durch Urteil vom 04.06.2008 - 8 Ca 1658/07 - festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.08.2007 nicht beendet worden ist. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Blatt 130 bis 140 der Akte Bezug genommen. Gegen das ihr am 02.07.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 25.07.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 10.09.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 28.07.2008 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 02.10.2008 einschließlich verlängert worden war. Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, der Kläger sei in der B.-Fabrik der Beklagten als "Anlagenfahrer" (Chemiefacharbeiter) eingesetzt gewesen. Die Planstellenbeschreibung (s. Bl. 176 d. A.) verdeutliche, dass die Tätigkeit eines Anlagenfahrers nicht nur fundierte Fachkenntnisse über die Funktionsweise chemischer Anlagen, die eingesetzten Produkte und den Produktionsprozess voraussetze, sondern in erheblichem Maße handwerkliches Können, die Kenntnis der gesamten Anlage im Detail sowie wegen ihrer herausragenden Bedeutung aller relevanten Sicherheits-, Gesundheits- und Umweltvorschriften. Um etwa einen fertig ausgebildeten Chemikanten nach dreieinhalbjähriger Ausbildungszeit als selbständig arbeitenden Anlagenfahrer in der B.-Fabrik mit allen Routinearbeiten einsetzten zu können, bedürfe es zusätzlich einer betrieblichen Einarbeitungszeit von rund einem Jahr. Ein Werksstudent oder einem Auszubildender könne ein Anlagenfahrer nur von einfachen Tätigkeiten entlasten. Der anderweitige Einsatz von Arbeitnehmern sei für die B.-Fabrik auch mit Kosten verbunden. So werde die Einheit während des Einsatzes von Herrn M. und Herrn B. mit der Ausbildungsvergütung von 806,00 € bzw. dem Bruttomonatsentgelt von 2.594,02 € belastet. Die Schichtführung habe nach der Inhaftierung des Klägers darauf zunächst durch eine Anpassung der Freischichten- bzw. Urlaubsplanung reagiert. Mitarbeiter seien entsprechend gebeten worden, ihre geplanten Freischichten auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Es sei auch mit Mitarbeitern wegen der Verlegung von Urlaub gesprochen worden. Auch hätten der Schichtführer und sein Stellvertreter mehrfach an den Arbeitsplätzen der Anlagenfahrer ausgeholfen, mit der Folge, dass ihre eigentlichen Aufgaben hätten verschoben werden oder liegen bleiben müssen. Aufgrund der im einzelnen durchgeführten Maßnahmen sei es der Einheit gelungen, Produktionsausfälle zu vermeiden. Es sei allerdings ein Glücksfall gewesen, dass im gesamten Zeitraum kein einziger Mitarbeiter der entsprechenden Schicht durch Krankheit ausgefallen sei. Es treffe nicht zu, dass im Kündigungszeitraum keine hinreichenden Indizien für ein fortdauerndes haftbedingtes Fehlen des Klägers auf unabsehbare Zeit gegeben gewesen seien. Hierfür seien objektive Anhaltspunkte gegeben, wie die Zurückweisung einer Haftbeschwerde und fehlende verwertbare Aussagen aus dem Umfeld des Klägers zur weiteren Dauer der Untersuchungshaft. Der Kläger sei - was unstreitig ist - am 16.11.2007 vom Landgericht F. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden, nachdem der Staatsanwalt drei Jahre beantragt habe. Da er sich bereit erklärt habe, sich in einer Entziehungsanstalt behandeln zu lassen, habe die Strafvollstreckung nach den Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes zurückgestellt werden können. Dieser Behandlung unterziehe sich der Kläger seit Juli 2008. Der Beklagten sei weder ein weiteres Verschieben von Freischichten und Urlaub auf spätere Zeiten, noch eine dauerhafte Besetzung mit Werksstudenten - schon aufgrund der begrenzten Dauer der Semesterferien - möglich und zumutbar gewesen. Nichts anderes gelte für den Einsatz von Auszubildenden. Sie sei deshalb berechtigt gewesen, als Nachfolger für den Kläger eine ausgebildete Kraft zu suchen und mit diesen Arbeitsplatz dauerhaft zu besetzen. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu Gunsten der Beklagten auch zu berücksichtigen, dass sie zur Vermeidung von Produktionsausfällen eine deutlich über den 1,25fachen Wert der Mindestschichtstärke hinausgehende Personalreserve vorhalte, die erhebliche Vorhaltekosten verursache. Jedenfalls sei die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung wirksam. Denn ein ruhig und verständig urteilender Arbeitgeber habe aufgrund der bisherigen Haftzeit, der Ungewissheit über ihre weitere Dauer sowie der bisher eingetretenen und zu erwartenden Störungen der Betriebsabläufe die Inhaftierung zum Anlass einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nehmen dürfen. Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 09.09.2008 (Bl. 157-175 d. A.) nebst Anlage (Bl. 176, 177 d. A. ) Bezug genommen. Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 04.06.2008 mit dem AZ: 8 Ca 1658/07 abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen. Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, die Beklagte sei zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs nicht in der Lage gewesen, eine negative Prognose über die voraussichtliche Dauer der Untersuchungshaft und des haftbedingten Fehlens des Klägers zu erstellen. Bereits am 19.09.2007 sei der Haftbefehl gegen den Kläger aufgehoben worden. Seitdem befinde er sich in Freiheit und habe uneingeschränkt arbeiten können. Die von der Beklagten vorgelegte Stellenbeschreibung treffe zwar weitgehend zu, bedeute aber lediglich einen Standart für jeden Mitarbeiter der Beklagten und sei nicht als individualisierte Stellenbeschreibung des Klägers anzusehen. Insbesondere handwerkliches Können werde von jedem Mitarbeiter vorausgesetzt, von dem ganz überwiegenden Teil auch die Kenntnis der gesamten Anlage. Die Mitarbeiterin H. habe eine Einarbeitungszeit nicht benötigt. Sie wäre später ohnehin in dem fraglichen Betrieb eingesetzt worden. Werksstudenten oder Auszubildende müssten für sämtliche Tätigkeiten eingewiesen werden. Weitere Kosten fielen nicht an. Irgendwelche Arbeiten seien durch die Abwesenheit des Klägers nicht liegen geblieben. Die angegebenen Zahlen über die Schichtstärke, von der die Beklagte ausgehe, seien so nicht zutreffend, sodass auch der Hinweis auf die erhebliche Personalreserve nicht zutreffe. Es sei nicht nachvollziehbar, in welchem Umfang sich insgesamt die Arbeitsverhinderung des Klägers im Betrieb negativ ausgewirkt habe. Ein Unterschied zu krankheitsbedingten Ausfällen bestehe nicht. Denn bei der Beklagten gebe es drei Job-Börsen (MAA, SAG, Jobmarket), die alle über eine erhebliche Anzahl von Mitarbeitern verfügten, die zum Teil bereits bezahlt seien oder ohnehin bezahlt würden und allein für Überbrückungsmaßnahmen bereit stünden. Vom Kläger verursachte Betriebsablaufstörungen seien nicht hinreichend dargetan. Letztlich seien hinreichende zumutbare Überbrückungsmöglichkeiten gegeben. Im Rahmen der Interessenabwägung sei die über acht Jahre währende beanstandungsfreie Beschäftigungszeit des Klägers zu berücksichtigen. Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Klägers wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 13.10.2008 (Bl. 193-201 d. A.) Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen. Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 20.10.2008. Entscheidungsgründe:
I. Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II. Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung der Beklagten ebenso rechtsunwirksam ist, wie die von ihr erklärte ordentliche Kündigung.
Die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB sind vorliegend nicht gegeben; die Kammer teilt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass ein wichtiger Grund in diesem Sinne zum Zeitpunkt des Zugangs der außerordentlichen Kündigung nicht bestand.
Hinsichtlich des zutreffenden und vom Arbeitsgericht dargestellten Prüfungsmaßstabes wird zunächst zur Vermeidung von Widerholungen auf Seite 7 der angefochtenen Entscheidung (Bl. 135 d. A.) Bezug genommen.
Zwar ist davon auszugehen, dass die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung für eine nicht unerhebliche Zeit infolge der Verbüßung einer Haft an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 BGB zu begründen (BAG 09.03.1995 AP Nr. 123 zu § 626 BGB = NZA 1995, 777). Bei der Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Arbeitsverhinderung wegen Haft geht es nicht um einen verhaltens-, sondern um einen personenbedingten Kündigungsgrund. Es hängt von der Haftdauer sowie von Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die haftbedingte Nichterfüllung der Arbeitspflicht eine Kündigung rechtfertigt, insbesondere davon, ob für den Arbeitgeber zumutbare Überbrückungsmöglichkeiten bestehen und wie sich die Arbeitsverhinderung konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt, weil sie zur Störung des Betriebsablaufes führt (BAG 15.11.1984 AP Nr. 87 zu § 626 BGB; BAG 09.03.1995 a. a. O.).
Zum Kündigungszeitpunkt befand sich der Kläger seit etwas weniger als zwei Monaten in Untersuchungshaft. Seine Haftbeschwerde war zurückgewiesen worden. Gleichwohl war, auch insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht, eine negative Prognose in dem Sinne, dass aufgrund der im Kündigungszeitpunkt vorliegenden Indizien von einem fortdauernden haftbedingten Fehlen des Klägers auf unabsehbare Zeit ausgegangen werden konnte, noch nicht gerechtfertigt.
Beim haftbedingten Fehlen ist wesentlich, mit einer wie langen Arbeitsverhinderung im Kündigungszeitpunkt zu rechnen ist; generell ist bei der personenbedingten Kündigung das Prognoseprinzip dahin zu betonen, dass geklärt werden muss, ob mit einer Behebung des personenbedingten Umstandes in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Untersuchungshaft setzt nach § 112 StPO voraus, dass der Beschuldigte der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund vorliegt. Auch bei einer - zu Recht - verhängten Untersuchungshaft steht allerdings noch nicht fest, dass diese zum einen fortdauern wird, weil sie beim Wegfall des Haftgrundes sofort zu beenden ist und zum anderen, dass eine weitere Strafhaft nach Beginn der Hauptverhandlung folgen wird. Im Kündigungszeitpunkt war der Kläger noch nicht zwei Monate in Untersuchungshaft. Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft ist noch kein Indiz dafür, dass der Kläger noch erheblich längere Zeit ausfallen werde.
Möglich war bei der Schwere des Tatvorwurfs eine Verurteilung mit Haftdauer, möglich war aber auch eine baldige Freilassung des Klägers. Die Dauer der Arbeitsverhinderung war daher im Kündigungszeitpunkt offen.
In dieser Situation, in der die Rückkehr des Klägers an seinen Arbeitsplatz offen war, bestanden im Kündigungszeitpunkt jedenfalls zumutbare Überbrückungsmöglichkeiten für die Beklagte. Dies habe das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt und begründet; deshalb wird zur Vermeidung von Widerholungen auf Seite 9 bis 11 der angefochtenen Entscheidung (Bl. 137-139 d. A.) Bezug genommen. Die Beklagte befand sich folglich im Kündigungszeitpunkt nicht in einer Zwangslage, in der sie die endgültige Entscheidung treffen musste, den Arbeitsplatz neu zu besetzen und den Ausfall des Klägers zu kompensieren. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung war der Beklagten noch ein weiteres Abwarten der Entwicklung des Strafverfahrens zumutbar. Der Umstand, dass der Zeitpunkt der Rückkehr des Klägers im Kündigungszeitpunkt nicht feststand und die Beklagte daran gehindert war, ihr Direktionsrecht auszuüben und den Einsatz des Klägers einzuplanen, führt im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Überbrückungsmöglichkeiten nicht zu einer anderen Bewertung.
Auch dann, wenn man insoweit anderer Auffassung wäre, scheitert die außerordentliche Kündigung jedenfalls an der stets abschließend vorzunehmenden Interessenabwägung. Zu Gunsten des Klägers ist die mehr als achtjährige, beanstandungsfreie Beschäftigungsdauer bei der Beklagten in erheblichem Maße zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen ist weiter zu seinen Gunsten, dass die von ihm offensichtlich verübten Straftaten in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten standen; in seinen Spinden auf dem Betriebsgelände wurden keine Betäubungsmittel gefunden; auch geht die Beklagte selbst nicht davon aus, dass der Kläger etwa Straftaten im Betrieb, gegebenenfalls während der Arbeitszeit, verübt hat. Des Weiteren hat das Arbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass zu Gunsten des Klägers auch der Gesichtspunkt der vom Gesetzgeber beabsichtigten Resozialisierung zu berücksichtigen ist. Für diese ist es wichtig, dass Straftäter nach ihrer Entlassung in gefestigte Strukturen zurückfinden, die eine gesellschaftliche Wiedereingliederung ermöglichen. Zu diesen Strukturen gehört auch der Arbeitsplatz. Zu Gunsten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass sie, wie ein ruhig und verständig urteilender Arbeitgeber, nicht sofort zum Mittel der Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegriffen hat; zu ihren Gunsten ist weiterhin zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ungewiss war, ob und wann der Kläger an den Arbeitsplatz zurückkehren würde. Auch entspricht es der Lebenserfahrung, dass der Ersatz eines - sei es durch Krankheit, sei es sonst personenbedingt - fehlenden Arbeitsnehmers zu betrieblichen Belastungen führt; andererseits hat die Beklagte selbst nicht behauptet, dass es zu konkreten Betriebsablaufstörungen gekommen ist. Kosten sind nach dem Sachvortrag der Beklagten im erstinstanzlichen Rechtszug gleichfalls nicht angefallen; der Kläger erhielt aufgrund seiner Inhaftierung kein Arbeitsentgelt, sodass darzulegen gewesen wäre, dass die Beklagte Kosten aufwenden musste, die über den Entgeltanspruch des Klägers hinausgingen. Daran fehlt es. Auch wenn zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen ist, dass er den Bestand des Arbeitsverhältnisses durch von ihm verübte Straftaten selbst verschuldet gefährdet hat, führt dies nicht zu einem Überwiegen des Interesses der Beklagten an der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses; aus den dargestellten Gründen überwiegt insoweit das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.
Das gilt selbst dann, wenn man die - vom Kläger substantiiert bestrittene - Behauptung der Beklagten als zutreffend unterstellt, dass sie eine erhebliche Personalreserve vorhält, um Personalausfälle zu überbrücken. Gleichwohl überwiegt das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses .
Die Kammer teilt auch die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die Kündigung schließlich auch nicht als ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt ist. Denn der Beklagten war im Kündigungszeitpunkt ein weiteres Warten zumutbar. Sie war in der Lage, die durch das Fehlen des Klägers verursachten betrieblichen Auswirkungen mit Überbrückungsmaßnahmen auszugleichen.
Auch insoweit endet zudem die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers. Es gelten die zuvor genannten Einzelkriterien, auch wenn insoweit kein so strenger Maßstab anzulegen ist wie bei der außerordentlichen Kündigung, denn vorliegend geht es um die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus. Am Überwiegen des Weiterbeschäftigungsinteresses des Klägers ändert dies nichts.
Das gilt selbst dann, wenn man die - vom Kläger substantiiert bestrittene - Behauptung der Beklagten als zutreffend unterstellt, dass sie eine erhebliche Personalreserve vorhält, um Personalausfälle zu überbrücken. Gleichwohl überwiegt das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses .
Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Sachverhalts.
Die Beklagte hat im Einzelnen aus ihrer Sicht die Tätigkeit des Klägers beschrieben und die Anforderungen an eine Ersatzkraft dargestellt. Sie hat des Weiteren verdeutlicht, wie im fraglichen Bereich vorgegangen worden ist, um den Ausfall des Klägers zu überbrücken. Daraus wird allerdings nicht deutlich, warum der vorliegende Sachverhalt im Wesentlichen anders zu beurteilen sein soll, als der krankheitsbedingte Ausfall eines Arbeitnehmers mit entsprechender ungewisser Gesundheitsprognose. Konkrete betriebliche Ablaufstörungen werden auch insoweit nicht nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiert dargestellt. Dass durch den Ausfall des Klägers Kosten angefallen sein sollen, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Denn bereits das Arbeitsgericht hat bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beklagte durch den Ausfall des Klägers dessen Arbeitsentgelt eingespart hat, sodass darüber hinausgehende zusätzliche Kosten darzulegen gewesen wären, was nicht der Fall ist. Insgesamt macht das Vorbringen der Beklagten deutlich, dass die Beklagte die Auffassung des Arbeitsgerichts, der die Kammer voll inhaltlich folgt, nicht teilt. Da es aber an neuen, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierten Tatsachenbehauptungen fehlt, die z. B. Betriebsablaufstörungen belegen könnten, sind weitere Ausführungen nicht veranlasst. Insoweit hat der Kläger im Übrigen - unwidersprochen - darauf hingewiesen, dass die Beklagte drei Job-Börsen unterhält, die gerade dem Zweck dienen, geeignetes Personal für derartige Ausfälle zu finden.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.
Ende der Entscheidung
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