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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 19.05.2008
Aktenzeichen: 5 Sa 6/08
Rechtsgebiete: BGB, ArbGG, ZPO, BGB


Vorschriften:

BGB § 138
BGB § 138 Abs. 1
BGB § 138 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 518
ZPO § 519
BGB § 612 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 15.11.2007 - 7 Ca 1247/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten noch die Nachzahlung von Lohn verlangen kann.

Der Kläger war vom 01.08.2006 bis zum 31.07.2007 nach seiner Ausbildung, die er nicht zu Ende gebracht hat, bei der Beklagten beschäftigt. Nachdem er die Prüfung nicht abgelegt hatte, fragte er bei der Beklagten nach einer Tätigkeit als Hilfskraft nach. Bei dem Gespräch mit dem zuständigen Sachbearbeiter wurde vereinbart, dass der Kläger auf der Basis eines Stundenlohns von 4,50 € zuzüglich Nachtstundenzuschläge in Höhe von 25 % arbeiten solle. In der Zeit vom 01.08.2006 bis zum 31.07.2007 arbeitete der Kläger 192 Stunden im Monat. Mit der Lohnabrechnung Juni zog die Beklagte dem Kläger 100,00 € netto ab.

Zum Gütetermin vor dem Arbeitsgericht am 18.09.2007 ist die Beklagte nicht erschienen. Daraufhin erging ein klagestattgebendes Versäumnisurteil, das der Beklagten am 24.09.2007 zugestellt worden ist. Mit beim Arbeitsgericht am 26.09.2007 eingegangenem Schriftsatz hat Beklagte dagegen "Widerspruch" eingelegt.

Der Kläger hat vorgetragen,

aufgrund einer Auskunft des Arbeitsamtes betrage der Mindestlohn 6,00 € brutto. Jedenfalls sei ein Bruttolohn von unter 5,69 € sittenwidrig. Die Beklagte müsse daher den Differenzbetrag zwischen der tatsächlich gezahlten Vergütung auf der Basis eines Stundenlohn von 4,50 € zu dem unterstmöglichen Lohn, der nicht sittenwidrig sei, das heißt 5,69 €, nachzahlen.

Der Kläger hat beantragt,

den Einspruch gegen das Versäumnisurteil insoweit zurückzuweisen, als er sich gegen das Urteil richtet in Höhe von 2.741,76 € brutto und 100,00 € netto.

Die Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

der Kläger müsse sich an der getroffenen Vereinbarung bezüglich eines Stundenlohns von 4,50 € festhalten lassen. Die 100,00 € seien deswegen abgezogen worden, weil der Kläger in den Monaten März und April verschiedentlich schlechte Leistungen erbracht habe. So habe er z. B. Kuchen für ein Altersheim zu falschen Kunden geliefert und auch kein Nougat in eine Hörnchenbestellung eingefüllt. Der Gesamtschaden sei dabei weit höher als 100,00 € netto gewesen.

Das Arbeitsgericht Kaiserlautern hat daraufhin durch Urteil vom 15.11.2007 das Versäumnisurteil vom 18.09.2007 mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 2.741,76 € brutto sowie 100,00 € netto zu zahlen. Im Übrigen hat es das Versäumnisurteil aufgehoben. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Blatt 39 bis 45 der Akte Bezug genommen.

Gegen das ihr am 13.12.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 07.01.2008 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 10.03.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholte ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, die Voraussetzungen des § 138 BGB seien vorliegend nicht gegeben. Zwar sei Ausgangspunkt zur Feststellung des Wertes der Arbeitsleistung in der Regel der Tariflohn des jeweiligen Wirtschaftszweiges. Das gelte aber nur dann, wenn in dem Wirtschaftsgebiet üblicherweise der Tariflohn gezahlt werde. Das sei im Wirtschaftsraum, in dem sich die Beklagte befinde, aber nicht der Fall. Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 07.03.2008 (Bl. 61-63 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - 7 Ca 1247/07 - vom 15. November 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, es könne keine Rede davon sein, dass im fraglichen Wirtschaftsraum lediglich Entgelte bis allenfalls 7,50 € brutto inklusive Zuschläge gezahlt würden und dass selbst Bäckergesellen bei vollschichtiger Beschäftigung einschließlich Zulagen allenfalls 8,50 € pro Stunde bezahlt würden. Wie sich aus dem statistischen Monatsheft Dezember 2001 ergebe, habe der durchschnittliche Bruttostundenverdienst für einen Arbeiter im Bäckerhandwerk im Mai 2001 19,45 DM (= 9,94 €) betragen. 2005 habe der Bruttostundenlohn eines männlichen Bäckergesellen 12,42 €, nach Erhebung des Statistischen Bundesamtes 2004 12,19 €, im Mai 2005 12,37 € und im Mai 2006 12,59 € betragen. Ein Stundenlohn von 4,50 € brutto - und daher von nicht einmal der Hälfte des untersten Bruttostundenlohns des entsprechenden Tarifvertrages - wie er hier zwischen den Parteien vereinbart worden sei, erreiche nicht einmal 2/3 des von der Beklagten selbst als üblich angegebenen Stundenlohns von 7,50 € brutto und sei daher ohne Weiteres als wucherisch i. S. d. § 138 BGB anzusehen. Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Klägers wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 11.04.2008 (Bl. 72-75 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 76-82 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 19. Mai 2008.

Entscheidungsgründe:

I. Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Dies gilt jedoch nicht, soweit sich die Beklagte gegen die Verurteilung zur Zahlung von 100,00 € netto wendet. Denn insoweit setzt sich die Berufungsbegründung in keiner Weise mit der Entscheidung des Arbeitsgerichts inhaltlich auseinander, obwohl das Urteil in vollem Umfang angefochten wird. Folglich ist die Berufung insoweit bereits unzulässig.

II. Das Rechtsmittel der Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger von der Beklagten die ausgeurteilten Beträge verlangen kann.

Die Kammer teilt ausdrücklich die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die getroffene Lohnvereinbarung zwischen der Beklagten und dem Kläger gemäß § 138 BGB wegen Lohnwucher rechtsunwirksam ist.

Hinsichtlich des näheren Inhalts des § 138 Abs. 1, 2 BGB wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Darstellung in der angefochtenen Entscheidung (S. 5 = Bl. 42 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass ein Lohn, der mehr als 1/3 unter dem üblichen Tariflohn liegt, als sittenwidriger Lohnwucher anzusehen ist. Auch wenn der Tariflohn mangels Allgemeinverbindlichkeit des Entgelttarifvertrages nicht für die Parteien verbindlich ist, gibt er doch eine Orientierungsgröße für den Marktwert der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Aufgrund des vorliegenden Verstoßes gegen § 138 BGB bleibt der Arbeitsvertrag im Übrigen wirksam; die angemessene Vergütung wird gemäß § 612 Abs. 2 BGB bestimmt. Üblich ist danach diejenige Vergütung, die im Betrieb für eine vergleichbare Tätigkeit oder, sofern eine solche nicht gegeben ist, im gleichen Gewerbe am selben Ort gewährt wird. Besteht für den betroffenen räumlichen und fachlichen Bereich ein Tarifvertrag, so ist regelmäßig die dort geregelte Vergütung auch die übliche Vergütung. Etwas anderes kann dann gelten, wenn entweder für die betreffende Tätigkeit üblicherweise übertarifliche Vergütungen gezahlt werden oder wenn nur wenige Arbeitsvertragsparteien tariflich gebunden sind und üblicherweise eine geringere als die tarifliche Vergütung gezahlt wird (vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 7. Auflage 2008 B Randziff. 368 ff.).

Nach dem einschlägigen Lohn- und Gehaltstarifvertrag zwischen dem Bäckerinnungsverband Südwest und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten vom 01.08.2006 beträgt die tarifliche Vergütung für ungelernte Arbeitskräfte über 18 Jahre 9,00 € (§ 3 Ziff. 7). Daraus folgt, dass eine Lohnvereinbarung unter 6,06 € als sittenwidrig i. S. d. § 138 BGB anzusehen ist. Die zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffene Lohnvereinbarung von 4,50 € plus evtl. Nachtschichtzulagen liegt unter diesem Mindestlohn. Daraus ergibt sich die Berechtigung der Klageforderung; soweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 6, 7 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 43, 44 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat, weil es im Kammertermin mit den Parteien von einer Tarifvergütung von 8,50 € brutto ausgegangen ist, aufgrund einer Teilklagerücknahme des Klägers die Beklagte zur Zahlung eines Stundenlohnes von 5,69 € verurteilt. Da der Kläger die Klage im Berufungsverfahren insoweit nicht mehr erweitert hat, verbleibt es bei der im erstinstanzlichen Urteilstenor ausgeurteilten Bruttosumme.

Das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts. Allein der nicht näher substantiierte Hinweis, dass im Wirtschaftsraum, in dem sich die Beklagte befinde, überwiegend Kleinbetriebe und kleinere mittelständische Backbetriebe existierten, während die Konkurrenz vor allem in Discountern, Supermärkten mit und ohne Backbetrieb bzw. Verpachtung, Franchising- und Filialbetrieben bestehe, die mehrheitlich nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes seien und/oder auch nicht Tarifrecht durch Verweisung anwendeten, rechtfertigt ohne Angabe weiterer konkreter Tatsachen nicht den Schluss, dass im fraglichen Wirtschaftsraum nur wenige Arbeitsvertragsparteien tariflich gebunden sind und üblicherweise eine geringere als die tarifliche Vergütung gezahlt wird.

Auch hinsichtlich des weiteren Streitgegenstandes, der von der Beklagten in Abzug gebrachten 100,00 € netto im Rahmen der Juniabrechnung, folgt die Kammer der Auffassung des Arbeitsgerichts. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 7, 8 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 44.45 d. A.) Bezug genommen. Da sich die Berufungsbegründung damit inhaltlich nicht auseinandersetzt, sind weitere Ausführungen nicht veranlasst.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Ende der Entscheidung

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