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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 13.12.2005
Aktenzeichen: 5 Sa 645/05
Rechtsgebiete: ArbGG, MAVO, BetrVG, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
MAVO § 30 Abs. 1 S. 2 a.F.
BetrVG § 102
BetrVG § 102 Abs. 1 S. 2
KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 5 Sa 645/05

Entscheidung vom 13.12.2005

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.05.2005 - 1 Ca 744/05 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.622,95 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 10.02.2005 aufgelöst worden ist. Am 20.12.2004 wurde das Heft Nr. 69 des Bundesgesetzblattes 2004 Teil I ausgegeben. Dort (- S. 3429 ff. -) wurde das Zweite Fallpauschalenänderungsgesetz vom 15.12.2004 bekannt gemacht.

In dem - an die Mitarbeitvertretung gerichteten - Anhörungsschreiben der Beklagten vom 21.01.2005 heißt es u.a.:

"... Aus wirtschaftlichen Gründen und wegen fehlender Auslastung ist beschlossen worden, die Position eines stellvertretenden Pflegedirektors ersatzlos zu streichen und nicht neu zu besetzen. Die Stellenreduktion ist durchführbar, da der stellvertretende Pflegedirektor mittlerweile von seinem Aufgabenspektrum her nicht mehr ausgelastet ist und die noch verbleibenden Tätigkeiten von der Pflegedirektorin mit übernommen bzw. auf nachgeordnete Kräfte verlagert werden können.

Die wirtschaftliche Situation verlangt Kosteneinsparungen ..."

(s. Anhörungsschreiben S. 4 f. = Bl. 55 f. d. A.).

Der Kläger bezog zuletzt eine monatliche Vergütung von insgesamt 4.207,65 EUR (= sozialversicherungspflichtiger Bruttobetrag; s. dazu die Verdienstabrechnungen Bl. 217 f. d. A.).

Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts vom 25.05.2005 - 1 Ca 744/05 - (dort S. 3 ff. = Bl. 82 ff. d. A.). Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 10.02.2005 nicht aufgelöst worden ist.

Gegen das am 15.07.2005 zugestellte Urteil vom 25.05.2005 - 1 Ca 744/05 - hat die Beklagte am 02.08.2005 Berufung eingelegt und diese am 05.10.2005 mit dem Schriftsatz vom 05.10.2005 - innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist (s. dazu den Verlängerungsbeschluss vom 31.08.2005 - 5 Sa 645/05 - Bl. 111 d. A.) - begründet.

Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz vom 05.10.2005 (Bl. 114 ff. d. A.) verwiesen.

Die Beklagte behauptet dort u.a., dass ihre Geschäftsführung nach Beratung mit dem Direktorium im Dezember 2004 unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Bestimmungen des Zweiten Fallpauschalenänderungsgesetzes, die endgültige unternehmerische Entscheidung getroffen habe, die Position eines stellvertretenden Pflegedirektors ersatzlos zu streichen und nicht neu zu besetzen. Die bisherigen Aufgaben des Klägers als stellvertretendem Pflegedirektor seien entweder in 2004 weggefallen oder seien aufgrund der unternehmerischen Entscheidung anderweitig verteilt worden. Dies sei insbesondere deswegen möglich gewesen, weil verschiedene Baumaßnahmen im Krankenhaus im Wesentlichen beendet gewesen seien und dadurch Kapazitäten bei verschiedenen Mitarbeitern/innen frei geworden seien, - nicht zuletzt auch bei der Pflegedirektorin C..

Dazu führt die Beklagte auf den Seiten 4 ff. der Berufungsbegründung jeweils näher aus. Ergänzend äußert sich die Beklagte im Schriftsatz vom 08.12.2005 (Bl. 201 ff. d. A.), worauf ebenfalls verwiesen wird.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.05.2005 - 1 Ca 744/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt nach näherer Maßgabe seiner Ausführungen in der Berufungsbeantwortung vom 09.11.2005 (Bl. 156 ff. d. A.) und im Schriftsatz vom 24.11.2005 (Bl. 179 ff. d. A.), worauf jeweils verwiesen wird, das Urteil des Arbeitsgerichts. Der Kläger macht in der Berufungsbeantwortung u.a. geltend, dass die von der Beklagten behauptete unternehmerische Entscheidung nicht getroffen worden sei. Der Kläger bestreitet, dass vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung vom 10.02.2005 die Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß angehört worden sei.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die hiernach zulässige Berufung erweist sich als unbegründet.

II.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Kündigung vom 10.02.2005 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat. Die Kündigung ist rechtsunwirksam, da sie sozial ungerechtfertigt ist. Die Kündigung ist weder durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Klägers liegen, noch durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb entgegenstehen, bedingt.

1.

Soweit es um das Fehlen eines Kündigungsgrundes, - der in der Person bzw. in dem Verhalten des Klägers liegen könnte -, geht, folgt die Berufungskammer den Gründen des Urteils des Arbeitsgerichts und stellt dies hiermit bezugnehmend gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest.

2.

Dem Arbeitsgericht ist - jedenfalls im Ergebnis - auch darin zu folgen, dass es der Beklagten nicht gelungen ist, ihrer Darlegungslast hinsichtlich des von der Beklagten behaupteten innerbetrieblichen Kündigungsgrundes genügend nachzukommen. Dies ergibt sich vorliegend daraus, dass die Kündigungsbegründung der Beklagten im Kündigungsschutzprozess einer kollektiv-rechtlichen bzw. mitarbeitervertretungsrechtlichen Schranke unterliegt.

a) Nach näherer Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann sich der Arbeitgeber im Prozess nicht auf Kündigungsgründe oder - wie hier - auf für einen Kündigungssachverhalt wesentliche Umstände berufen, die er dem Betriebsrat oder dem Personalrat nicht mitgeteilt hat. Entsprechendes gilt bei Existenz einer Mitarbeitervertretung, wie sie vorliegend unstreitig für den Betrieb der Beklagten nach der Ordnung für Mitarbeitervertretungen (im Bistum Trier; MAVO) gebildet worden ist. Die MAVO sieht insbesondere vor, dass der Dienstgeber der Mitarbeitervertretung, - wenn das zu kündigende Arbeitsverhältnis bereits mindestens sechs Monate bestanden hat -, auch die Gründe der Kündigung darzulegen hat (vgl. § 30 Abs. 1 S. 2 MAVO a.F. = § 34 Abs. 1 S. 2 MAVO n.F. vom 15.12.2004). Insoweit ist es - wie im Rahmen des § 102 BetrVG - anerkanntes Recht, dass die Kündigungsbegründung des Arbeitgebers/Dienstgebers im Kündigungsschutzprozess einer - aus Sinn und Zweck des Mitarbeitervertretungsrechts ableitbaren - Schranke unterliegen kann. Diese mitarbeitervertretungsrechtliche Schranke ist vorliegend gegeben. Wenn überhaupt, dann hat die Beklagte erstmals im Berufungsverfahren Tatsachen vorgetragen, die dem bisherigen - im Anhörungsschreiben vom 21.01.2005 zum Zwecke der Kündigungsbegründung erfolgten - Vorbringen der Beklagten das Gewicht eines kündigungsrechtlich im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG erheblichen Kündigungsgrundes geben können. Vergleicht man dieses - erstmals im Kündigungsschutzprozess, und hier insbesondere im Berufungsverfahren, erfolgte - Vorbringen der Beklagten mit den Angaben zum Kündigungsgrund, wie sie im Anhörungsschreiben vom 21.01.2005 enthalten sind, so ergibt sich, dass das prozessuale Vorbringen der Beklagten über die (bloße) Erläuterung und Ergänzung von - der Mitarbeitervertretung im Schreiben vom 21.01.2005 - bereits mitgeteilter Tatsachen hinaus geht. Zwar ist dem Arbeitgeber/Dienstgeber im Kündigungsschutzprozess die Erläuterung (= Substantiierung und/oder Konkretisierung) der - der Mitarbeitervertretung mitgeteilten - Kündigungsgründe gestattet. Hier beruft sich die Beklagte aber erstmals im Prozess konkret darauf, welche Tätigkeiten des Klägers und der Pflegedirektion entfallen sind; weiter führt sie im Einzelnen zur Umverteilung von bisherigen Aufgaben des Klägers auf andere Arbeitnehmer aus. Derartiges, - d.h. ein konkretes unternehmerisches Konzept -, ist der Mitarbeitervertretung im Anhörungsschreiben vom 21.01.2005 nicht mitgeteilt worden, - so dass es sich bei dem diesbezüglichen Vortrag der Beklagten im Prozess nicht um zulässige erläuternde oder ergänzende Angaben handelt, sondern um ein mitarbeitervertretungsrechtlich unzulässiges Nachschieben eines für den Kündigungsgrund wesentlichen Kündigungssachverhaltes.

b) In einem Fall der vorliegenden Art gehört ein plausibles unternehmerisches Konzept, das zu einem Wegfall des Arbeitsplatzes führt, zu dem für den (betriebsbedingten) Kündigungsgrund wesentlichen Sachverhalt. Ein entsprechendes Konzept hat der Arbeitgeber deswegen schon dem Betriebsrat im Rahmen des § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG mitzuteilen bzw. hier der Mitarbeitervertretung gemäß § 30 Abs. 1 S. 2 MAVO a.F. = § 34 Abs. 1 S. 2 MAVO n. F. darzulegen (vgl. Kleinebrink ArbRB 2003, 88 - 90 - bei III. 1.a) -; die vom BAG zum Anhörungsverfahren gemäß § 102 BetrVG entwickelten Grundsätze sind sinngemäß auch bei der Prüfung der Beteiligung der Mitarbeitervertretung nach den kirchlichen Mitarbeitervertretungsordnungen anzuwenden; LAG Köln vom 18.01.1995 - 8 Sa 1167/94 -; Frey/Coutelle/Beyer Kommentar - Stand Oktober 2002 - MAVO § 30 Rz. 4).

Zwar gehört die Entscheidung des Arbeitgebers, den Personalbestand auf Dauer zu reduzieren, zu den sogenannten unternehmerischen Maßnahmen, die zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen und damit den entsprechenden Beschäftigungsbedarf entfallen lassen können. Vorliegend ist von der - von der Beklagten behaupteten - Entscheidung, den Personalbestand um einen Arbeitsplatz abzubauen (= Stellenreduktion), ausschließlich ein Arbeitnehmer, der Kläger, betroffen. Damit reduziert sich die unternehmerische Entscheidung der Beklagten zum Personal- bzw. Stellenabbau praktisch (nahezu) auf den Kündigungsentschluss. In einem derartigen Fall sind die beiden Unternehmerentscheidungen ohne nähere Konkretisierung nicht voneinander zu unterscheiden, - sie sind annähernd deckungsgleich. Je näher aber die eigentliche Organisationsentscheidung an den Kündigungsentschluss rückt, umso mehr muss der Arbeitgeber durch Tatsachenvortrag verdeutlichen, dass (auf Dauer) ein Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer entfallen ist. Diesbezüglich darf der Arbeitgeber (auch) bereits gegenüber Betriebsrat, Personalrat oder Mitarbeitervertretung nicht nur pauschal vortragen. Auch gegenüber der Mitarbeitervertretung bedarf es der Darlegung einer hinreichenden Prognose der künftigen Arbeitsverteilung und Arbeitserledigung, - es bedarf insbesondere Angaben dazu, wie die bislang - von dem zu kündigenden Arbeitnehmer - erledigten Arbeiten von dem verbliebenen Personal ohne überobligatorische Leistungen erledigt werden können. Dies ist anerkanntes Recht. Die Beklagte hätte sich deswegen im Anhörungsschreiben vom 21.01.2005 in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Frage der Durchführbarkeit der "Stellenreduktion" nicht auf die bloße Behauptung beschränken dürfen, dass der Kläger "mittlerweile von seinem Aufgabenspektrum her nicht mehr ausgelastet" sei und "die noch verbleibenden Tätigkeiten von der Pflegedirektorin mit übernommen bzw. auf nachgeordnete Kräfte verlagert werden" könnten. Vielmehr hätte die Mitarbeitervertretung über den (behaupteten) Rückgang der Auslastung des Klägers und über die konkrete Umverteilung der bisherigen Aufgaben des Klägers näher unterrichtet werden müssen. Auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat - wie sich aus dem Anhörungsschreiben der Beklagten vom 06.07.2005 ("2006") ergibt (s. dort S. 1 unten, 2 - oben -, = Bl. 171 f. d. A.) - das Arbeitsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 25.05.2005 hingewiesen. Die demgemäß notwendige nähere Unterrichtung über das unternehmerische Konzept lässt sich dem Anhörungsschreiben vom 21.01.2005 nicht entnehmen.

c) Soweit die Kündigungsbegründung der Beklagten hiernach mitarbeitvertretungsrechtlich verwertbar ist, reicht diese nicht aus, um damit schlüssig das Vorliegen eines Kündigungsgrundes im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG darzulegen. Wegen der notwendigen Abgrenzung der Unternehmerentscheidung "Personalreduzierung" zur Unternehmerentscheidung "Kündigungsentschluss" ergeben sich alleine aus der im Anhörungsschreiben vom 21.01.2005 enthaltenen Kündigungsbegründung noch keine dringenden betrieblichen Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG entgegenstehen könnten. Im Anhörungsschreiben vom 21.01.2005 ist die dort behauptete Unternehmerentscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und hinsichtlich des Begriffs "Dauer" nicht genügend verdeutlicht worden. An einer derartigen Verdeutlichung bzw. Erklärung bedarf es aber damit die behauptete Unternehmerentscheidung daraufhin überprüft werden kann, ob sie (nicht) offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (s. dazu bereits S. 10 f. der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts, - dort unter Ziffer 1).

Damit erweist sich die Kündigung im Hinblick auf die kollektivrechtliche Schranke für das Vorbringen von Kündigungsgründen im Prozess gemäß § 1 Abs. 1 KSchG als rechtsunwirksam. Dahingestellt bleiben kann, ob sich diese Rechtsfolge selbst dann oder auch dann noch ergibt, wenn die Kündigungsbegründung dieser mitarbeitervertretungsrechtlichen Schranke nicht unterliegen würde.

III.

Die Kosten ihrer erfolglosen Berufung muss gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte tragen. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wurde gemäß den §§ 42 Abs. 4 S. 1 HS 1 und 63 Abs. 2 GKG festgesetzt. Bei der Ermittlung des maßgebenden Arbeitsentgelts hat sich die Berufungskammer an dem Brutto-Vergütungsbetrag orientiert, der sich jeweils aus den Verdienstabrechnungen für die Monate Januar bis März 2005 ergibt.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Das vorliegende Berufungsurteils ist deswegen derzeit mit der Revision nicht anfechtbar. Die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht kann unter den Voraussetzungen des § 72a ArbGG und nach näherer Maßgabe dieser Vorschrift selbständig durch Beschwerde, die beim Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuss-Platz 1, 99084 Erfurt, einzulegen ist, angefochten werden. Darauf wird die Beklagte hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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