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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 10.08.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 218/06
Rechtsgebiete: SGB IX, BGB


Vorschriften:

SGB IX § 81 Abs. 4
SGB IX § 81 Abs. 4 Satz 1
SGB IX § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
SGB IX § 81 Abs. 4 Satz 2
SGB IX § 81 Abs. 4 Satz 3
SGB IX § 84 Abs. 1
BGB §§ 293 ff.
BGB § 296
BGB § 296 Satz 1
BGB § 297
BGB § 280 Abs. 1
BGB § 615
BGB § 615 Satz 1
BGB § 823 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 6 Sa 218/06

Entscheidung vom 10.08.2006

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 27.01.2006 - Az.: 3 Ca 497/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision an das Bundesarbeitsgericht wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin ist bei der Beklagten auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages ab 01.01.1992 als Angestellte beschäftigt und als Masseurin und medizinische Bademeisterin eingesetzt worden.

Die Klägerin hat am 06.11.2001 einen Arbeitsunfall erlitten und ist aufgrund einer Operation an der Schulter seit 04.06.2003 durchgängig arbeitsunfähig und kann ärztlicherseits bestätigt die Tätigkeit als Masseurin und medizinische Bademeisterin nicht mehr ausführen.

Die Klägerin hat sich nach einer fachärztlichen Bescheinigung vom 13.08.2004 und 18.4.2005 bei der Stadtklinik Frankenthal gemeldet, um eine anderweitige Beschäftigung zu erlangen, was sodann mit Schreiben vom 14.06.2004 dem Personalamt der Stadt Frankenthal mitgeteilt worden ist. Eine Bewerbung vom 09.09.2004 auf eine ausgeschriebene Stelle bei der Straßenverkehrsabteilung blieb erfolglos.

Die Klägerin hat am 25.02.2005 gegen die Stadtklinik Frankenthal und die Stadtverwaltung Frankenthal eine Klage erhoben, mit der sie einen Abrechnungs- und Zahlungsanspruch sowie die Beschäftigung erreichen will. Die Klage wurde dann nur noch gegen die beklagte Stadt weitergeführt und im Wesentlichen damit begründet, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, Rücksichtnahme auf die gesundheitliche Beeinträchtigung zu nehmen und einen anderen Tätigkeitsbereich zuzuweisen. Bei Stellenbesetzungen hätte sie als interne Bewerberin mit berücksichtigt werden müssen, was offensichtlich nicht der Fall gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil vom 25.08.2005 den Beschäftigungsantrag der Klägerin ebenso stattgegeben, wie dem Antrag, wonach die Beklagte verpflichtet wird, die Arbeitsvergütung der Klägerin ab Dezember 2004 abzurechnen.

Das diesbezüglich geführte Berufungsverfahren ist durch Urteil im Verfahren 6 Sa 853/05 erledigt.

Die im hiesigen Verfahren zu behandelnden Anträge hat die Klägerin im Wesentlichen damit begründet, dass die Beklagte ihrer Abrechnungsverpflichtung aus dem Teilurteil vom 25.08.2005 nachgekommen sei und die Klägerin verlangte, die sich daraus ergebenden Brutto- bzw. Nettoansprüche für den Zeitraum Dezember 2004 bis einschließlich November 2005 bezüglich der Leistung der Bundesagentur für Arbeit berücksichtigend mit dem neu gefassten Klageantrag in der Fassung vom 17.01.2006.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 24.267,06 brutto = € 13.975,05 netto Arbeitsvergütung für die Zeit von Dezember 2004 bis einschließlich September 2005 abzüglich € 9.287,21 (von der Klägerin erhaltenes Arbeitslosengeld) zu zahlen,

2. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere € 4.652,04 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils € 2.326,02 seit dem 01.11.2005 und 01.12.2005 abzüglich € 1.856,40 (von der Klägerin erhaltenes Arbeitslosengeld) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Dies ist im Wesentlichen damit begründet worden, dass angesichts des Unvermögens der Klägerin, die vertragsgemäße Leistung zu erbringen, ein Anspruch auf Annahmeverzuglohn nicht habe entstehen können.

Das Arbeitsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung vom 27.01.2006 im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Anspruch der Klägerin aus Annahmeverzug der Beklagten ableiten lasse, weil die Klägerin, selbst wenn sie ihre bisherige Arbeitsleistung habe nicht mehr erbringen können, dennoch einen Beschäftigungsanspruch aus § 81 Abs. 4 Satz 2 SGB IX gegen die Beklagte in Anspruch nehmen könne. Die Klägerin hätte in der Straßenverkehrsabteilung Arbeitsleistung erbringen können, da sie insoweit leistungsfähig und leistungsbereit gewesen sei.

Da die Höhe der Anspruchsberechnung nicht erheblich bestritten sei, stünde der Klägerin der geltend gemachte Betrag unter Berücksichtigung der Leistung der Bundesagentur für Arbeit auch zu.

Nach Zustellung des Schlussurteils am 17.02.2006 ist die Berufung der Beklagten am 09.03.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und am 07.04.2006 im Wesentlichen damit begründet worden, dass die Klägerin die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht mehr erbringen könne, weswegen mangels Erfüllbarkeit ein Anspruch aus Annahmeverzugsgesichtspunkten ausscheiden müsse. Auch ein Anspruch auf behindertengerechte Beschäftigung könne nicht zu einem Anspruch auf Annahmeverzugslohn hinsichtlich der ursprünglich geschuldeten Arbeitsleistung führen. Wenn die Beklagte ihren Verpflichtungen aus dem SGB IX nicht ordnungsgemäß nachgekommen wäre, könne allenfalls ein Schadensersatzanspruch zur Debatte stehen, was jedoch ein Verschulden des Arbeitgebers voraussetze, was jedoch im vorliegenden Falle deshalb nicht der Fall sei, weil die Beklagte habe die Klägerin zumutbar nicht beschäftigen können.

Die Stelle in der Straßenverkehrsabteilung erfordere gründliche und vielseitige Fachkenntnisse, Kommunikation und Konfliktfähigkeit, Kenntnisse also, über die die Klägerin nicht verfüge, zumal sie ja auch keinerlei Verwaltungserfahrung besitze.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Schlussurteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der beklagten Stadt kostenfällig zurückzuweisen.

Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Klägerin leistungsbereit und leistungswillig gewesen sei und dies auch der Stadt mitgeteilt habe. Die Beschäftigungsverpflichtung, die die Beklagte getroffen habe, sei zum vertraglichen Inhalt zu einem Anspruch auf Umsetzung erstarkt. Die Beklagte hätte die Klägerin zumindest in der Straßenverkehrsabteilung einsetzen können, zumal sich die Klägerin auf diese Stelle beworben habe. Die Beklagte habe die Klägerin nicht als externe Bewerberin behandeln dürfen, da sie bereits Beschäftigte der beklagten Stadt gewesen sei. Zumindest hätte die Beklagte die Klägerin aufgrund der vorliegenden Schwerbehinderung auf dem zu besetzenden Platz erproben müssen.

Die Klägerin habe ihre Leistungsbereitschaft mitgeteilt und die Beklagte habe die angebotene Leistung nicht angenommen, so dass von Annahmeverzug auszugehen sei.

Auch wenn man eine Begründung aus Annahmeverzug für die geltend gemachte Forderung ablehnen würde, stünde der Klägerin ein Schadensersatzanspruch in der gleichen Höhe zu, weil die beklagte Stadt es zu vertreten habe, dass die Klägerin auf der ausgeschriebenen Stelle in der Straßenverkehrsabteilung nicht eingesetzt worden sei. Die Ausführungen der Beklagten ließen eine von ihr behauptete Unzumutbarkeit der Beschäftigung nicht erkennen, zumal die Klägerin alle Voraussetzungen für die ausgeschriebene Stelle aufweise. Die Beklagte habe zudem eine Reihe weiterer Stellen ausgeschrieben, auf denen die Klägerin hätte eingesetzt werden können, wobei auf die Anlagen zum Schreiben vom 28.04.2006 zur weiteren Darstellung Bezug genommen wird.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Schriftsätze, die im Berufungsverfahren zur Akte gereicht wurden nebst deren Anlagen, ebenso Bezug genommen wie auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 61 bis 68 d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil innerhalb der gesetzlichen Fristen formgerecht eingelegt. Das Rechtsmittel ist aber deshalb nicht erfolgreich, weil das Arbeitsgericht im Ergebnis zu Recht die der Höhe nach unter den Parteien unstreitige Summe der Klägerin zugesprochen hat.

Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Arbeitsentgelt für den geltend gemachten Zeitraum trotz Nichtarbeit folgt nicht aus Annahmeverzugsgesichtspunkten nach § 615 BGB. Nach § 615 Satz 1 BGB hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung (§ 611 BGB) fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät, wobei sich der Annahmeverzug nach den § 293 ff. BGB richtet. § 296 Satz 1 BGB bestimmt, dass der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers diesem einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen hat, was bedeutet, dass der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer geschuldete Leistung hinreichend zu bestimmen und durch Zuweisung eines konkreten bestimmten Arbeitsplatzes zu ermöglichen hat. Dadurch, dass die Beklagte der Klägerin einen solchen Arbeitsplatz nicht zugewiesen hat, resultiert jedoch deshalb kein Annahmeverzug, weil die Voraussetzung des § 297 BGB vorliegen. Ein Verzug auf Seiten des Gläubiges der Arbeitsleistung tritt nicht ein, wenn der Schuldner, der Arbeitnehmer, zur Zeit des Angebotes oder im Falle des § 296 BGB zu der für die Handlung des Arbeitgebers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Dem Arbeitnehmer muss also die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung möglich sein, da sich Unmöglichkeit und Annahmeverzug ausschließen.

Unstreitig unter den Parteien ist es, dass die Klägerin als medizinische Bademeisterin und Masseurin nicht mehr arbeiten kann und dies auf ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung beruht.

Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben schwer behinderte Menschen, die Klägerin ist einem schwer behinderten Mensch gleichgestellt, gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiter entwickeln können. Dieser Anspruch wird dadurch erfüllt, dass der Arbeitgeber die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeit zuweist, was jedoch im vorliegenden Falle angesichts der Beeinträchtigung der Klägerin nicht möglich ist. Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass die Klägerin den Beschäftigungsanspruch verliert, sondern dazu, dass ein Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung entsteht, die nach der maßgeblichen tariflichen Eingruppierung als gleichwertig zu bewerten ist.

Die schuldhafte Nichtzuweisung einer behinderungsgerechten Beschäftigung gibt dem Arbeitnehmer einen Schadenersatzanspruch in Höhe der ihm entgangenen Vergütung nach §§ 280 Abs. 1 BGB, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX.

Dann, wenn der Arbeitnehmer die bisher geschuldeten Vertragstätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen kann, entsteht ein Anspruch gegen den Arbeitgeber auf eine anderweitige Beschäftigung, auch wenn diese evtl. nur im Wege einer entsprechenden Vertragsänderung zu erreichen ist. Nur dann, wenn die Beschäftigung des schwer behinderten Menschen unzumutbar oder nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist, § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX, scheidet ein Schadenersatzanspruch aus.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte für die Klägerin eine behinderungsgerechte Beschäftigung hätte zur Verfügung stellen können, was jedoch im hiesigen Zusammenhang nicht letztendlich geklärt werden muss, weil für eine unzumutbare Weiterbeschäftigung die Beklagte die Darlegungslast trägt, der sie im vorliegenden Fall nicht nachgekommen ist.

Wenn der schwer behinderte Arbeitnehmer die Ansprüche nach § 81 Abs. 4 SGB IX geltend macht, hat er grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen, während der Arbeitgeber die anspruchshindernden Umstände, zu denen die Unzumutbarkeit der Beschäftigung zählen in das Verfahren einzubringen hat. Diese grundsätzliche Ausgestaltung der Darlegungslast gilt nach der Entscheidung des BAG vom 10.05.2005 (Az: 9 AZR 230/04) dann nicht, wenn der Arbeitgeber seine Pflichten zur rechtzeitigen Beteiligung des Integrationsamtes und der Schwerbehindertenvertretung im Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX nicht nachgekommen ist. Nach der eben genannten Vorschrift ist der Arbeitgeber verpflichtet, wenn die personenbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis zur Gefährdung dieses Vertragsverhältnisses führen können, das Integrationsamt und die Schwerbehindertenvertretung einzuschalten. Hierdurch soll nach Lösungen gesucht werden, um Schwierigkeiten rechtzeitig beseitigen zu können, und um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zu erreichen. Die Erfüllung dieser Pflicht soll unter Beteiligung der sachkundigen Stellen gewährleisten, dass alle Möglichkeiten zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fachkundig untersucht und die wirtschaftliche Realisierbarkeit geprüft werden können. Die Klägerin hat die Beklagtenseite frühzeitig im Jahr 2004 darauf aufmerksam gemacht, dass sie an einer Beschäftigung bei der Beklagten trotz der Beeinträchtigung interessiert ist. Damit hätte der Arbeitgeber, die Beklagte also, das Präventionsverfahren einleiten müssen, da die Voraussetzung der §§ 84 Abs. 1 SGB IX erfüllt waren, weil die Klägerin bereits seit 04.06.2003 durchgängig arbeitsunfähig gewesen ist und die ärztlichen Befunde aus dem Jahr 2000 und 2004 vor dem hier interessierenden Zeitraum bei der Beklagten vorlagen.

Die Beklagte hat das Präventionsverfahren nicht eingeleitet, weswegen die erkennende Kammer davon ausgeht, dass der Klägerin der Schadensersatzanspruch in der geltend gemachten Höhe deshalb zusteht, weil die Beklagte schuldhaft die Nichtbeschäftigung der Klägerin herbeigeführt hat. Da die Beklagte dieses Vorverfahren nicht eingeleitet hat, hat sie zugleich verhindert, dass sachkundige Stellen sich mit der Lösung der anstehenden Probleme haben befassen können. Diese Verletzung der auferlegten Aktivrolle, die dem Arbeitgeber bei derartigen Verfahren zukommt, stellt eine Verletzung der dem Arbeitnehmer gegenüber bestehenden Schutzpflicht da, die kausal den geltend gemachten Schaden in zurechenbarer Weise ausgelöst hat.

Der Beklagten sind nach dem vorstehenden als der unterlegenen Partei die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen, §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 ZPO.

Die Kammer hat die Revision an das Bundesarbeitsgericht deshalb zugelassen, weil sie insoweit eine Entscheidung ausmacht, die grundsätzliche Bedeutung hat, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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