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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 26.10.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 476/07
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, ZPO, BAT


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 69 Abs. 2
BGB § 626
BGB § 626 Abs. 2
ZPO § 519
ZPO § 520
BAT § 54
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung des A. gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 30. Mai 2007 - 4 Ca 49/07 - wird auf Kosten des A. zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlich fristlosen Kündigung.

Die 1962 geborene, geschiedene und alleinerziehende Klägerin wurde seit 01. Oktober 2000 als Sachbearbeiterin bei der Z. im Bereich Beschaffung eingesetzt. Das Arbeitsverhältnis unterlag den Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages.

Zum 01. Dezember 2002 wurde die Klägerin zum A. versetzt und mit der Tätigkeit einer Sachbearbeiterin befasst.

Wegen einer unter dem 28. November 2005 ausgesprochenen Änderungskündigung ist ein Verfahren beim Arbeitsgericht Mainz anhängig.

Die Klägerin war seit Februar 2006 bis 05. Dezember 2006 durchgehend arbeitsunfähig.

Am 07. Dezember 2006 trat sie ihren Dienst wieder an.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2006 (Blatt 3 ff. d. A.) wurde der Klägerin gegenüber eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen schwerer Störung des Betriebsfriedens ausgesprochen.

Die Kündigung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin am 07. Dezember 2006 ein Schriftstück mit dienstlichen Weisungen zerrissen und sich geweigert habe, dieses entgegenzunehmen. Hierbei sei es um ein Kontaktaufnahmeverbot sowie ein Verbot des Betretens des fünften Stockwerks des Polizeipräsidiums gegangen; desweiteren wurde darauf abgestellt, dass die Klägerin am 07. Dezember 2006 ihre Arbeit eigenmächtig zwischen 11.30 und 12.00 Uhr beendet habe, sowie am 08. Dezember 2006 im Gespräch mit dem Y. ein respektloses und provozierendes Verhalten gezeigt habe. Ferner habe sie einer dienstlichen Weisung, die Behörde zu verlassen, am 08. Dezember 2006 keine Folge geleistet, ebenso wenig einem anschließend ausgesprochenen Hausverbot.

Mit ihrer am 05. Januar 2007 zum Arbeitsgericht erhobenen Klage hat sich die Klägerin gegen die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung gewandt.

Zu den erstinstanzlich geäußerten Ansichten sowie zu den Klageanträge wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 30. Mai 2007 - 4 Ca 49/07 - gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat im vorerwähnten Urteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 15. Dezember 2006 nicht aufgelöst worden ist. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es habe kein wichtiger Grund vorgelegen. Soweit das A. ein kritikwürdiges Verhalten vor Ende Februar 2006 geschildert habe, müsse dies wegen § 626 Abs. 2 BGB außer Acht gelassen werden. Der missglückte Gesprächsversuch mit Herrn X. am 14. November 2006 stelle keinen wichtigen Grund dar. Gleiches gelte für das Verhalten der Klägerin am 07. und 08. Dezember 2006. Die Klägerin sei psychisch erkrankt gewesen. Der Hinweis auf ein früheres Fehlverhalten könne bei einem psychisch kranken Menschen Überreaktion hervorrufen. Im übrigen sei die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Die Klägerin sei 44 Jahre alt und alleinerziehend. Sie hätte Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Das A. hätte eine Umsetzung oder Versetzung versuchen müssen. Im übrigen wäre eine Abmahnung auszusprechen gewesen.

Hinsichtlich der weiteren Entscheidungsgründe wird auf das vorbezeichnete Urteil (Seite 4 bis 6 = Bl. 91 bis 93 d. A.) Bezug genommen.

Gegen das dem A. am 20. Juni 2007 zugestellte Urteil richtet sich dessen am 17. Juli 2007 eingegangene und am 17. August 2007 begründete Berufung.

Das A. bringt zweitinstanzlich weiter vor:

Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zum Verhalten der Klägerin am 07. und 08. Dezember 2006 seien widersprüchlich, weil es zum einen dem Grunde nach einen wichtigen Grund bejahe und diesen jedoch aufgrund der psychischen Erkrankung verneine. Eine Erkrankung könnte allenfalls bei der Interesseabwägung eine Rolle spielen. Außerdem habe die Klägerin nach Ansicht der Ärzte ihre Arbeitsfähigkeit wieder erlangt gehabt (W.). Den Ärzten seien die Vorfälle im Februar 2006, auch die innerhalb des A., bekannt gewesen. Der Klägerin habe bei Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit klar sein müssen, dass sich das A. schützend vor die vom "stalking" der Klägerin betroffenen Mitarbeiter stelle. Das Verhalten der Klägerin gegenüber den Mitarbeitern V. und X. habe eine strafrechtliche Relevanz aufgewiesen. Von einer Anzeige sei nur wegen der festgestellten Erkrankung der Klägerin Abstand genommen worden. Die Klägerin habe auch am 14. November 2006 wiederum versucht, mit Herrn X. Kontakt aufzunehmen. Dass sie dies auf Anraten der Ärzte getan habe, sei zu bestreiten. Das Verhalten am 07. und 08. Dezember 2006 stelle einen wichtigen Grund dar; auch das Zuwiderhandeln gegen das erteilte Hausverbot.

Das Amtsgericht Mainz beabsichtige zudem, einen Strafbefehl zu erlassen.

Das Arbeitsgericht habe auch übersehen, dass die fristlose Kündigung auch auf das eigenmächtige Verlassen des Arbeitsplatzes gestützt würde. Das Verhalten der Klägerin könne auch nicht als Spontanreaktion gewertet werden. Die Interessenabwägung habe nicht berücksichtigt, dass sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbessert habe. Eine Umsetzung oder Versetzung der Klägerin käme nicht in Betracht, da solche Maßnahmen durch die U. begrenzt seien. Eine Versetzung in eine andere A. sei nicht möglich.

Hinsichtlich der weiteren Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des A. vom 16. August 2007 (Bl. 118 bis 126 d. A.) sowie die späteren Ergänzungen im Schriftsatz vom 18. Oktober 2007 Bezug genommen.

Das A. beantragt zweitinstanzlich,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 30. Mai 2007, Az. 4 Ca 49/07, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat zweitinstanzlich,

Zurückweisung der Berufung

beantragt und erwidert,

entscheidend sei, dass sie - die Klägerin - nicht nur am 07. und 08. Dezember 2006 psychisch krank gewesen sei und dieser Zustand bis heute anhielte. Die zum Gegenstand der Kündigung gemachte Verhaltensweise der Klägerin müsse in diesem Licht gesehen werden. Hinzu käme der individuell-zwischenmenschliche Einschlag in Bezug auf die beiden X. und V., zu denen die Klägerin keinen Kontakt mehr habe aufnehmen sollen. Die erstinstanzlich erwähnten Verbote seien etwas grob und ungeschickt präsentiert worden. Im übrigen sei sie - die Klägerin - an einer Versetzung nach C-Stadt interessiert gewesen.

Aus der Bescheinigung von T. vom 13. September 2007 ginge hervor, dass die Klägerin seit 2005 an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose leide.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbeantwortung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 11. September 2007 (Bl. 142 bis 145 d. A.) sowie den vom 17. September 2007 (Bl. 146 d. A.) und sämtliche Unterlagen Bezug genommen. Zugleich wird auf die Feststellungen der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts vom 26. Oktober 2007 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Rechtsmittel der Berufung des A. ist gemäß § 64 Abs. 1 ArbGG statthaft. Die Berufung ist gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt, sowie begründet worden. Sie ist insgesamt zulässig.

II.

Das Arbeitsgericht hat dem angefochtenen Judikat vom 30. Mai 2007 - 4 Ca 49/07 - im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 15. Dezember 2006 beendet worden ist.

1.

Nach Auffassung der Berufungskammer fehlt es für die an sich für eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich geeigneten Kündigungsgründe zumindest an den rechtlich nötigen Verschulden der Klägerin.

Verhaltensbedingte Gründe bilden nämlich nur dann einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB bzw. § 54 Bundesangestelltentarifvertrag (BAT), wenn der Gekündigte nicht nur objektiv, sondern auch rechtswidrig und schuldhaft seine Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnis verletzt hat (vgl. BAG, Urteil vom 25. April 1991 - 2 AZR 624/90 - = EzA § 626 nf BGB Nr. 140; KR-Fischermeier, 6. Auflage, § 626 BGB Rz. 139 m. w. N.; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16. November 2006 - 1 Sa 153/06 - sowie Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 10. Juli 2007 - 3 Sa 186/07 -).

Im vorliegenden Fall ist es dem A. nicht gelungen, ausreichende Umstände darzutun, die ein für die zum Gegenstand der Kündigung gemachten Gründe nötiges Verschulden der Klägerin erkennen lassen. Zwar wurde von der Berufung nochmals betont, dass die Klägerin bei ihrem Arbeitsantritt nach langer Erkrankung - von Februar 2006 bis 05. Dezember 2006 - vom S. für uneingeschränkt dienstfähig erklärt worden war, jedoch musste es sich aufgrund der zum Gegenstand der Kündigung gemachten Reaktionen der Klägerin für den Leiter der A. nach Auffassung der Berufungskammer geradezu aufdrängen, dass die Verhaltensweise der Klägerin - Zerreißen eines Schriftstücks mit dem Inhalt eines Kontaktaufnahmeverbots zu X. und V. und Verbots des Betretens der fünften Stockwerks des A., das eigenmächtige Verlassen des Arbeitsplatzes am 07. Dezember 2006 und vor allem das respektlose und provozierende Verhalten am 08. Dezember 2006 - jede Steuerungsfähigkeit der Klägerin vermissen ließ und ein Rückfall in das alte Krankheitsmuster gegeben war.

Auch wenn dem Leiter der A. sicher eine Fürsorgepflicht gegenüber den durch "stalking" attackierten X. und V. oblag und er diese auch ernsthaft wahrnehmen wollte, ändert dies nichts an sich aufdrängenden Zweifel an den Aussagen des S. zu einer endgültigen Gesundung der Klägerin.

Die Summe der ungebührlichen Verhaltensweisen der Klägerin zeigt den deutlichen Verlust der Steuerungsfähigkeit und lässt damit keine Feststellungen zu dem rechtlich geforderten Verschulden bei verhaltensbedingten Gründen zu.

Insoweit stellt sich die Gestaltungserklärung des A. als Überreaktion dar.

Ohne, dass es rechtlich darauf ankommt, zeigt auch die tatsächliche Entwicklung des Krankheitsbildes der Klägerin, dass diese ausweislich der fachärztlichen Bescheinigung vom 13. September 2007 an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose sicherlich schon seit 2005 leidet.

2.

Auf die von der Berufung im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung weiter thematisierte Frage zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen der Klägerin und einer Unmöglichkeit einer Umsetzung oder Versetzung kommt es, auch, wenn dies grundsätzlich berücksichtigungsfähige Faktoren im Rahmen einer Interessenabwägung sind, nicht mehr entscheidungserheblich an.

III.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG keine Notwendigkeit.

Ende der Entscheidung

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