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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 13.11.2006
Aktenzeichen: 7 Sa 1029/05
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BGB, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 518
ZPO § 519
BGB § 626 Abs. 1
KSchG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 7 Sa 1029/05

Entscheidung vom 13.11.2006

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 21.08.2003 - 4 Ca 3959/02 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Revisonsverfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfweise ordentlichen Arbeitgeberkündigung, die auf den Vorwurf des unerlaubten privaten Surfens im Internet während der Arbeitszeit und insbesondere auf den Zugriff auf pornografische Seiten gestützt wird.

Hinsichtlich des unstreitigen Tatbestandes des erstinstanzlichen Rechtszuges wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 2 bis 4 des Urteils des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12.07.2004 - 7 Sa 1243/03 - (= Bl. 350 - 352 d. A.) Bezug genommen.

Hinsichtlich des streitigen Sachvortrages des Klägers im erstinstanzlichen Rechtszug wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 4, 5 dieses Urteils (Bl. 352, 353 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20.12.2002 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Chemikant weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich des streitigen Sachvortrages der Beklagten im erstinstanzlichen Rechtszug wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 5, 6 des Urteils des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12.07.2004 (a.a.O. = Bl. 353, 354 d. A.) Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Verfahrensgangs und der erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 21.08.2003 - 4 Ca 3959/02 - wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 6, 7 des Urteils des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12.07.2004 (a.a.O. = Bl. 354, 355 d. A.) Bezug genommen.

Hinsichtlich des streitigen Sachvortrages der Beklagten im daraufhin von ihr angestrengten Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz - 7 Sa 1243/03 - wird auf Seite 7, 8 des Urteils des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12.07.2004 (= Bl. 355, 356 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte hat beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 21.08.2003 mit dem Az.: 4 Ca 3959/02 wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich des streitigen Sachvortrages des Klägers im Berufungsverfahren wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 8 des Urteils des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12.07.2004 (= Bl. 356 d. A.) Bezug genommen.

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat daraufhin durch Urteil vom 12.07.2004 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 21.08.2003 - 4 Ca 3959/02 - auf ihre Kosten zurückgewiesen und die Revision gegen dieses Urteil zugelassen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen dieses Urteils wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Blatt 350 bis 365 der Akte Bezug genommen.

Auf die daraufhin von der Beklagten eingelegte Revision hat das Bundesarbeitsgericht durch Urteil vom 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12.07.2004 - 7 Sa 1243/03 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen dieses Urteils wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Blatt 373 bis 383 der Akte Bezug genommen.

Die Beklagte wiederholt ihr tatsächliches Vorbringen in beiden Rechtszügen und hebt im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 07.07.2005 hervor, dass nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ein an sich zur außerordentlichen Kündigung bzw. ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund gegeben sei. Auch die Interessenabwägung müsse zugunsten der Beklagten enden. Zu berücksichtigen sei, dass der Kläger zwar lediglich zugestanden habe, insgesamt fünf bis fünfeinhalb Stunden privat im Internet gesurft zu haben, tatsächlich habe er aber von dem Rechner des Schichtführerzimmers D 309 und D 311 insgesamt 18 Stunden und 36 Minuten privat auf das Internet zugegriffen, davon 4 Stunden und 53 Minuten auf Seiten mit pornografischen Inhalten. Tatsächlich habe der Kläger allein in den Schichten am 03. und 16.10., in denen er alleine die Schicht geführt habe, insgesamt 3 Stunden und 58 Minuten im Internet gesurft und dies vorwiegend auf erotischen und pornografischen Seiten. Dabei seien 40 Videoclips heruntergeladen worden. Gleiches gelte für den 02.11., die Nachtschicht vom 06. auf den 07.11., vom 09. auf den 10.11. und den 12.11.. In dieser Zeit seien insgesamt 425 Videoclips von Webseiten mit pornografischem Inhalt heruntergeladen worden. Im Hinblick auf die dem Kläger zustehenden Pausen sei es ausgeschlossen, dass die Privatnutzung ausschließlich während dieser Zeiten erfolgt sei. Durch sein Verhalten habe der Kläger seine Überwachungsaufgaben vernachlässigt und damit gegen die Sicherheitsbestimmungen der Beklagten verstoßen. Die Sicherheit der Anlage, der in ihr und im gesamten Werk tätigen Mitarbeiter, der Menschen in der Nachbarschaft und der Umwelt hänge von der Aufmerksamkeit des jeweils Aufsichtsführenden ab. Er sei für die sichere Produktion im an ihn delegierten Aufgabenbereich verantwortlich. Auch habe er gegen seine Aufsichts- und Vorbildfunktion gegenüber den Mitarbeitern des Betriebes verstoßen. Die Mitarbeiter seien, während der Kläger im Schichtführerzimmer gesurft habe, unbeaufsichtigt gewesen. Er habe in dieser Zeit nicht wissen können, ob Überwachung und Präsenz in der Messwarte im erforderlichen Maß wahrgenommen würden. Der entstandene Schaden sei hinsichtlich der zusätzlich entstandenen Kosten auf 234,13 € zu beziffern. Hinsichtlich der Arbeitszeit, in der er seine Arbeitskraft der Beklagten vorenthalten habe, komme ein Betrag von 20,74 € pro Stunde hinzu. Des Weiteren habe das erhebliche Risiko einer Vireninfektion der Rechner und des Netzwerks der Beklagten bestanden. Schließlich könne ein Nutzer wie der Kläger mit dem Rechner der Beklagten bei derartigen Webseiten zurückverfolgt werden; die Beklagte bekenne sich zudem in ihren Grundwerten und Leitlinien zu einem Verhalten, das Pornografie ausschließe. Das Verhalten des Klägers begründe in hohem Maße die Gefahr einer Rufschädigung des Arbeitgebers.

Der Bereich, in dem der Kläger tätig gewesen sei, verfüge über vier Rechner, die keinem bestimmten Mitarbeiter namentlich zugeordnet gewesen seien, und zwar die Rechner im Schichtführerzimmer und der Messwarte von D 309 und D 311. Die Auswertung habe ergeben, dass von diesen Rechnern aus das Internet in großem Umfang privat genutzt worden sei. Die Ermittlungen hätten sich deshalb zunächst gegen alle Mitarbeiter gerichtet, die Zugriff auf diese Rechner hätten nehmen können. Nachdem die Logfiles aller vier Rechner ausgewertet worden seien, habe sich der Verdacht gegen den Kläger sowie einen weiteren Mitarbeiter gerichtet, da insbesondere während ihrer Schichten auf bestimmte Internetseiten zugegriffen worden sei, sowie gegen einen anderen Mitarbeiter, der in einem Schäferhundverein tätig gewesen sei, aufgrund der aufgerufenen Seiten, die sich mit diesem Thema befassen. Da sich weder aus Anwesenheitszeiten noch aus dem Inhalt der aufgerufenen Seiten weitere Rückschlüsse hätten ziehen lassen, hätten die Ermittlungen gegen weitere Personen nicht konkretisiert werden können.

Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird auf ihre Schriftsätze vom 07.02.2006 (Bl. 399 - 409 d. A.), 02.03.2006 (Bl. 449 - 452 d. A.), sowie vom 09.10.2006 (Bl. 466 - 468 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 21.08.2003 mit dem Az.: 4 Ca 3959/02 wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, die ausgesprochenen Kündigungen seien auch unter Beachtung der inzwischen vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätze unbegründet. Vom zeitlichen Ausmaß her habe er nicht mehr, als von ihm eingeräumt, privat im Internet gesurft; dies sei im Übrigen im Wesentlichen während der Pausenzeiten geschehen. Weitere Zeiten insoweit könne er nicht einräumen; die fraglichen vier Rechner seien auch zahlreichen anderen Personen jederzeit zugänglich. Er habe seine Arbeitspflicht entgegen der Darstellung der Beklagten nicht verletzt. Denn sein Aufgabenbereich als Erstmann mit der verantwortlichen Aufsicht umfasse die Eintragung der Arbeitsstunden der im Bau D 309 eingesetzten Mitarbeiter, die erforderlichen Eintragungen im SAP-System am PC und deren Kontrolle, die erforderlichen Eingaben im Perganonprogramm am PC, die alle sechs Stunden von Mitarbeitern entnommenen Proben habe er zu kontrollieren bzw. zu überwachen und schließlich habe er pro Schicht etwa drei Rundgänge im gesamten Arbeitsbereich vorzunehmen. Soweit über den genannten Routineablauf hinaus Schwierigkeiten oder Probleme entstünden, oder der Kläger aus irgendwie gearteten Gründen an einer Stelle benötigt werde, werde er bei Bedarf über die vorhandene Lautsprecheranlage, die auch deutlich im Schichtzimmer zu hören sei, aufgerufen. Bis auf die Rundgänge, die Probenkontrollen sowie bei Ausrufen würden die Arbeiten überwiegend vom Kläger als Erstmann im Schichtführerzimmer vorgenommen. Die Kontroll- und Überwachungsaufgaben bei der Beklagten im routinemäßigen Ablauf seien zeitlich festgelegt. So würden beispielsweise Materialproben alle sechs Stunden durch Mitarbeiter vorgenommen und durch Mitglieder der Schichtführung kontrolliert; auch die Rundgänge würden in regelmäßigen Abständen im routinemäßigen Ablauf vorgenommen, so dass letztendlich etwa drei pro Schicht erfolgten. Ein irgendwie gearteter Arbeitsanfall hinsichtlich des Klägers habe für die Zeiträume, in denen er die Zugriffe im Internet getätigt habe, nicht bestanden. Zu den genannten Zeitpunkten sei es insgesamt in der X-Fabrik sehr ruhig gewesen, so dass über die routinemäßigen Arbeiten hinaus keine gesonderten Arbeiten oder Aufgaben für den Kläger angefallen seien. Im Übrigen habe die Beklagte Kenntnis davon gehabt, dass viele Mitarbeiter im Unternehmen das Internet privat nutzen. Dies sei auch vollumfänglich von der Beklagten geduldet worden. Der im Mai/Juni 2002 freigeschaltete Internetzugang im hier streitgegenständlichen Bereich sei für die Mitarbeiter in diesem Produktionsbereich zur ordnungsgemäßen Ausführung ihrer Arbeitsaufgaben nicht erforderlich. Auch andere Mitarbeiter hätten in Abwesenheit des Klägers in erheblichem Umfang Zugriff auf das Internet rein privater Natur vorgenommen. Tatsächlich seien Ermittlungen wegen privatem Internetsurfen oder Zugriff auf pornografische oder erotische Seiten nur gegen zwei weitere Mitarbeiter von insgesamt 24 Mitarbeitern in diesem Bereich vorgenommen worden, die eine Abmahnung erhalten hätten. Auch dies zeige, dass die Beklagte eine private Nutzung des Internets durch Mitarbeiter gekannt und anstandslos geduldet habe. Dass die Grenzen zwischen erlaubter und nicht erlaubter Privatnutzung den Mitarbeitern nicht klar gewesen seien, ergebe sich auch aus der Betriebsratsstellungnahme vom 20.12.2002. Ein ausdrückliches Verbot pornografischer Inhalte existiere bei der Beklagten im Übrigen im Hinblick auf andere Medien nicht; so sei es beispielsweise nicht verboten, Zeitschriften mit entsprechenden Inhalten mitzubringen und innerhalb des Werkes zu betrachten.

Im Hinblick auf die langjährige beanstandungsfreie Beschäftigungsdauer überwiege das Interesse des Klägers das der Beklagten. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass bei dem Mitarbeiter W. festgestellt worden sei, dass dieser im Zimmer D 309 sieben Stunden und sieben Minuten das Internet genutzt habe; dabei habe es sich zum überwiegenden Teil um erotische, jedoch nicht pornografische Inhalte gehandelt. Bei dem Mitarbeiter V. sei eine Privatnutzung von vier Stunden und 19 Minuten festgestellt worden, weil ihm die Internetseiten zugeordnet worden seien, die mit seinem Hobby, nämlich Schäferhunden, zusammenhing.

Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Klägers wird auf seine Schriftsätze vom 09.01.2006 (Bl. 422 - 431 d. A.), 01.03.2006 (Bl. 441 - 444 d. A.) sowie vom 28.04.2006 (Bl. 456 - 458 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 13.11.2006.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung der Beklagten ist auch nach der durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 07.07.2005 (2 AZR 581/04) erfolgten Aufhebung der Entscheidung der Kammer vom 12.07.2004 - 7 Sa 1243/03 - unbegründet.

Denn die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB, § 1 KSchG sind vorliegend nicht gegeben.

Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabes insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 9 bis 11 (dort bis zum vorletzten Absatz = Bl. 357 - 359 d. A.) des Urteils vom 12.07.2004 - 7 Sa 1243/03 - Bezug genommen. Im Hinblick auf die Revisionsentscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - sowie die weitere Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27.04.2006 - 2 AZR 386/05 - geht die Kammer insoweit von folgendem aus:

Der Kläger hat erheblich gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er in dem von ihm eingeräumten zeitlichen Ausmaß von fünf bis fünfeinhalb Stunden auch während der Arbeitszeit privat im Internet gesurft hat und dabei insbesondere Seiten mit pornografischem Inhalt aufgerufen und pornografische Videoclips angeschaut hat. Aufgrund der Revisionsentscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 07.07.2005 (a.a.O.) ist vorliegend davon auszugehen, dass selbst dann, wenn Unklarheiten über die Grenzen zwischen erlaubter und nicht erlaubter Internetnutzung bestanden haben sollten, wovon die Kammer ausgegangen ist, gleichwohl der Kläger davon hätte ausgehen müssen, dass eine derart exzessive Privatnutzung insbesondere im Hinblick auf pornografische Seiten während der Arbeitszeit nicht vom Arbeitgeber hingenommen wird, so dass ein an sich zur außerordentlichen Kündigung und erst recht ein Grund für eine verhaltensbedingte Arbeitgeberkündigung gegeben ist, ohne dass es einer vorherigen Abmahnung bedurft hätte. Bereits insoweit ist also ein an sich zur außerordentlichen Kündigung geeigneter Umstand gegeben. Zu berücksichtigen ist insoweit zudem die vom BAG im Urteil vom 27.04.2006 (2 AZR 386/05) als eher abstrakte Gefahr der Rufschädigung bezeichnete Gefahr, dass allein die Befassung mit pornografischen Darstellungen die Möglichkeit einer Rückverfolgung an den Nutzer mit sich bringt und damit den Eindruck erwecken kann, die Beklagte befasse sich statt mit ihren Produktionsaufgaben beispielsweise mit Pornografie. Zudem stellen die vom Kläger angesehenen Seiten pornografischen Inhalts sowie die Videoclips auch eine konkrete, als zusätzlichen Pflichtverstoß zu wertende Pflichtverletzung dar. Auch bestand durch das Verhalten des Klägers die konkrete Gefahr einer möglichen Vireninfizierung. Schließlich ist davon auszugehen, dass der Beklagten auch ein Schaden in Höhe von 102,74 € dadurch entstanden ist, weil sie zum fraglichen Zeitraum offensichtlich nicht über eine sogenannte Flatrate verfügte. Von einem höheren Schaden kann insoweit deshalb nicht ausgegangen werden, weil keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Kläger in einem längeren als von ihm eingeräumten Zeitraum privat internetgesurft hat. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass in den beiden Schichtführerzimmern insgesamt vier PCŽs zur Verfügung stehen, die von zahlreichen Arbeitnehmern benutzt werden. Die Beklagte hat insoweit bei drei Arbeitnehmern Zuordnungen vorgenommen, offenbar aufgrund deren jeweiliger Einlassungen, weil diese eingeräumt hatten, privat die PCŽs genutzt zu haben. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass sie hinsichtlich der weiteren 21 Arbeitnehmern nicht in der Lage war, Zuordnungen hinsichtlich der offensichtlich in erheblichem zeitlichem Ausmaß erfolgten Privatnutzung vorzunehmen. Die Beklagte ist offensichtlich so vorgegangen, dass sie, nachdem der Kläger das Anschauen erotischer und pornografischer Seiten eingeräumt hatte, ihm im Wesentlichen die von anderen nicht eingeräumten Nutzungen mit entsprechenden Inhalten zugeordnet hat. Damit steht aber keinesfalls fest, dass der Kläger tatsächlich insoweit der "User" war, denn es ist z. B. keineswegs ausgeschlossen, dass auch ein Arbeitnehmer, der sich für Schäferhunde interessiert, entsprechende Seiten aufruft.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann vorliegend auch nicht davon ausgegangen werden, dass die private Nutzung des Internets durch den Kläger die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung beeinträchtigt hat. Das ist bei der privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit zwar im Normalfall ohne Weiteres der Fall; der Arbeitnehmer verletzt dann grundsätzlich seine Hauptleistungspflicht zur Arbeit. Dennoch hat der Kläger aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles, insbesondere seiner Schichtführertätigkeit, seiner Arbeitspflicht unabhängig von möglichen Pausenzeiten nicht ganz erheblich verletzt. Auch wenn man unter derartigen Umständen davon ausgeht, dass es nicht zur Darlegungslast der Beklagten gehört, dann im einzelnen vorzutragen, ob und inwieweit auch die Arbeitsleistung des Klägers unter seinen Privatbeschäftigungen während der Dienstzeit gelitten hat, muss vorliegend berücksichtigt werden, dass der Kläger im weiteren Berufungsverfahren vor der Kammer im Einzelnen dargelegt hat, wie sich seine Arbeitsverpflichtung in den fraglichen Zeiträumen im Einzelnen gestaltet hat und dass er dieser Arbeitsverpflichtung vollumfänglich nachgekommen ist. Er hat insbesondere im Schriftsatz vom 09.01.2006 im Einzelnen dargelegt, worin seien Arbeitspflicht als Erstmann mit der verantwortlichen Aufsicht bestand; dies ist im Tatbestand der vorliegenden Entscheidung wiedergegeben. Die Beklagte hat dem lediglich entgegengehalten, dass der Aufgabenschwerpunkt des Aufsichtsführenden in der Messwarte und im Betrieb liege, vor allem dann, wenn er alleine sei. In einem Störfallbetrieb könne nicht geduldet werden, dass sich der Aufsichtsführende darauf verlasse, dass eine Störung rechtzeitig von dem Anlagenfahrer erkannt werde, dem es dann aber obliege, den Aufsichtsführenden telefonisch oder per Rufanlage aus seinen virtuellen Erlebnissen zurück in die Realität zu holen. Diese Darlegung reicht nicht aus, um davon auszugehen, dass der Kläger tatsächlich seine Verpflichtung zur Arbeitsleistung im Rahmen der ihm von der Beklagten zugewiesenen Aufgaben nach Qualität, Quantität und/oder Arbeitstempo vernachlässigt hat. Es wäre insoweit Sache der Beklagten gewesen, im Hinblick auf diesen Tatsachenvortrag des Klägers zu erläutern, inwieweit er tatsächlich seine Arbeitspflicht - wie an sich im Normalfall - verletzt hat. Das wäre auch erforderlich gewesen, denn für den Sachvortrag des Klägers spricht, dass offenbar, wie sich am unstreitigen Fehlen von Ermahnungen oder Abmahnungen insoweit ergibt, sein Surfen im Internet, ebenso wie das seiner Arbeitskollegen, was an sich ungewöhnlich ist, niemandem aufgefallen ist.

Im Rahmen der abschließend durchzuführenden Interessenabwägung ist im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB entscheidend, ob der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar war.

Dies ist nach Auffassung der Kammer vorliegend zu bejahen.

Zugunsten der Beklagten ist das erhebliche zeitliche Ausmaß der vom Kläger eingeräumten Privatnutzung zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die zuvor dargestellten Kosten. Zugunsten der Beklagten ist auch zu berücksichtigen, dass sie sich der konkreten Gefahr ausgesetzt sah, in der Öffentlichkeit in ein problematisches Licht gesetzt zu werden. Des Weiteren hat er das Internet nicht für unverfängliche private Zwecke genutzt, sondern sich mit pornografischen Bildern und Videos während der Arbeitszeit versorgt.

Diese Umstände bzw. das Gewicht dieser Umstände werden aber dadurch relativiert, dass zum einen bei der Beklagten erhebliche Unklarheit bzw. Unsicherheit darüber bestand, inwieweit eine Privatnutzung Internet erlaubt bzw. nicht erlaubt ist. Dies belegt eindrucksvoll die vierseitige Stellungnahme des Betriebsrats der Beklagten vom 19.12.2002 (Bl. 13 - 16 d. A.) in der deutlich hervorgehoben wird, dass im Betrieb nicht klar war, dass der Arbeitgeber das Surfen im Internet zu privaten Zwecken nicht duldet, sondern vielmehr die allgemeine Auffassung herrschte, dass ein solches Surfen geduldet wird, so lange die Mitarbeiter die betrieblichen Belange nicht vernachlässigen. Jeder Mitarbeiter des Betriebes sei davon ausgegangen, dass man von Seiten der Betriebsleitung darauf aufmerksam gemacht werde, wenn diese der Meinung sei, die private Internetnutzung solle eingeschränkt oder eingestellt werden. Hinsichtlich der entstandenen Kosten kommt hinzu, dass vorliegend unklar ist und auch von der Beklagten selbst nicht behauptet wird, dass dem Kläger bewusst war, dass durch sein Verhalten der Beklagten irgendwelche Kosten entstehen würden. Im Hinblick auf die weite Verbreitung von Flatrates ist dies eher ungewöhnlich.

Die Berücksichtigung dieser Umstände zugunsten der Beklagten wird zwar nicht durch den Gleichbehandlungsgrundsatz ausgeschlossen; dieser Grundsatz gilt im Kündigungsschutzrecht nicht. Allerdings muss im Rahmen der Interessenabwägung bei der Gewichtung der jeweils maßgeblichen Umstände die Art und Weise, wie ein Arbeitgeber mit vergleichbaren Fällen umgeht, Berücksichtigung finden (Gedanke der sogenannten herausgreifenden Kündigung; Selbstbindung des Arbeitgebers). Vorliegend hat die Beklagte vorgetragen, dass von den vier fraglichen Rechnern in erheblichem Umfang im Internet privat gesurft worden ist, dass ihr aber eine Zuordnung lediglich zu drei betroffenen Arbeitnehmern möglich war. Zwei dieser drei Arbeitnehmer haben eine Abmahnung erhalten; lediglich der Kläger, insbesondere weil er pornografische Seiten aufgerufen hatte, eine außerordentliche und vorsorglich eine ordentliche Kündigung. Auch die beiden anderen betroffenen Arbeitnehmer haben in erheblichem Umfang nach den Feststellungen der Beklagten privat das Internet genutzt; das gerade dafür anders als im vorliegenden Fall keine zusätzlichen Kosten entstanden sind, hat die Beklagte selbst nicht behauptet. Sie hat also in zwei Fällen das Verhalten der Arbeitnehmer zwar nicht hingenommen, aber doch lediglich mit einer Abmahnung geahndet. Dies schließt die Berücksichtigung der hier maßgeblichen Umstände zugunsten der Beklagten im Rahmen der Interessenabwägung vorliegend zwar nicht aus, relativiert aber das Gewicht des Fehlverhaltens des Klägers erheblich. Es ist, wie die Beklagte im gesamten schriftsätzlichen Vorbringen auch deutlich hervorgehoben hat, gerade der Umstand, dass der Kläger insbesondere pornografische Seiten aufgerufen hat, diese zur Kündigung veranlassen. Hätte der Kläger sich mit anderen Internetseiten befasst, wäre es folglich wohl nicht zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses gekommen.

Zugunsten des Klägers ist die sehr lange Beschäftigungsdauer seit dem 03.01.1985 zu berücksichtigen, die offenbar völlig beanstandungsfrei bis zum Zeitpunkt der Kündigung verlaufen ist, des Weiteren sind zu seinen Gunsten die Unterhaltspflichten für zwei Kinder zu berücksichtigen. Die Kammer konnte zudem vorliegend nicht davon ausgehen, dass der Kläger in erheblichem Umfang seine Arbeitspflicht vernachlässigt hat.

Insgesamt überwiegt deshalb das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist das der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist rechtsunwirksam.

Zwar ist aufgrund der zuvor dargestellten Grundsätze ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund gegeben; auch insoweit endet aber die abschließend durchzuführende Interessenabwägung mit dem Maßstab, ob das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das des Klägers an seiner Weiterbeschäftigung überwiegt, zugunsten des Klägers.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Ende der Entscheidung

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