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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 07.11.2007
Aktenzeichen: 8 Sa 461/07
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
BGB § 626 Abs. 1
KSchG § 15 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 20.04.2007 Az.: 3 Ca 2734/06, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen.

Der am 02.04.1952 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 27.02.1984 als Maschinenführer - Kreisschere - beschäftigt. Er ist Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats.

Der Kläger erschien ab dem 04.12.2006 nicht mehr zur Arbeit. Grund hierfür war der Umstand, dass er am 03.12.2006 eine sechsmonatige Haftstrafe antrat, die das Landgericht Kaiserslautern am 24.08.2005 gegen ihn wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verhängt hatte. Die Beklagte erfuhr von der Inhaftierung des Klägers erst am 05.12.2006.

Mit Schreiben vom 15.12.2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, nachdem der Betriebsrat zuvor seine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erklärt hatte.

Mit Beschluss des Landgerichts Mainz vom 23.01.2007 wurde die Aussetzung der Vollstreckung einer gegen den Kläger, ebenfalls wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verhängten neunmonatigen Freiheitsstrafe widerrufen. Hiervon erfuhr die Beklagte in der Güteverhandlung vom 30.01.2007. Sie kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis erneut fristlos mit Schreiben vom 05.02.2007. Auch hinsichtlich dieser Kündigung hatte der Betriebsrat zuvor seine Zustimmung erteilt.

Gegen die beiden außerordentlichen Kündigungen richtet sich die vom Kläger am 29.12.2006 eingereichte und - bezüglich der Kündigung vom 05.02.2007 - am 13.02.2007 erweiterte Klage.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche, arbeitgeberseitige Kündigung vom 15.12.2006 zum gleichen Tage gekündigt worden ist, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus fortgesetzt wird,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 05.02.2007 zum gleichen Tage sein Ende findet, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus fortgesetzt wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 20.04.2007 (Bl. 87 - 95 d.A.).

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 20.04.2007 stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 9 - 15 dieses Urteils (= Bl. 95 - 101 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 21.06.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.07.2007 Berufung eingelegt und diese am 20.08.2007 begründet.

Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht sei bei seiner Entscheidung von einer kürzeren als der tatsächlich zu erwartenden Haftdauer ausgegangen und habe die erstinstanzlich vorgetragenen, durch die Inhaftierung des Klägers verursachten Betriebsablaufstörungen nicht angemessen berücksichtigt. Überdies komme es in Ansehung der zu erwartenden Haftdauer nicht mehr auf das Ausmaß der Betriebsablaufstörungen an. Es könne nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass der Kläger nach Verbüßung von zwei Drittel der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe aus der Haft entlassen werde. Darüber hinaus habe man aus der Belegschaft erfahren, dass der Kläger voraussichtlich erst im Februar 2009 die Haftanstalt werde verlassen können. Offenbar bestünden also noch weitere Strafen von mindestens zehn Monaten aus anderen Verfahren, zu denen sich der Kläger bislang nicht geäußert habe. Bei Kündigungsausspruch sei sie - die Beklagte - daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund mehrerer Verurteilungen auf absehbare Zeit nicht an seinen Arbeitsplatz werde zurückkehren können. Bereits die haftbedingte Ungewissheit über den Zeitpunkt der Rückkehr des Klägers an seinen Arbeitsplatz führe zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen. Wie bereits erstinstanzlich vorgetragen, habe der Ausfall des Klägers auch tatsächlich zu erheblichen Beeinträchtigungen geführt. So sei es in den Monaten Dezember 2006 bis Februar 2007 in einer Vielzahl von Fällen zu einer Überschreitung der geplanten Liefertermine um bis zu 13 Tage gekommen. Diese Verspätungen hätten auch logistische Probleme und höhere Kosten verursacht. Es sei auch bei den Mitarbeitern zu Prämienverlusten gekommen, weil Personal von anderen Maschinen habe abgezogen und eingearbeitet werden müssen, so dass die Ausbringungsmenge geringer gewesen sei als üblich.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Beklagten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 20.08.2007 (Bl. 128 - 138 d.A.) verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und bestreitet die von der Beklagten behaupteten betrieblichen Beeinträchtigungen. Hinsichtlich der zu erwartenden Dauer seiner Inhaftierung hat der Kläger ein Haftverlaufsprotokoll der Justizvollzugsanstalt K vom 20.06.2007 zu den Akten gereicht, hinsichtlich dessen Inhalts auf Bl. 157 d.A. Bezug genommen wird.

Zur Darstellung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 12.10.2007 (Bl. 150 - 156 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

II. Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch keine der streitbefangenen außerordentlichen Kündigungen aufgelöst worden.

Ein den Ausspruch einer fristlosen Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt - ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles - (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d.h. ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.

Die Beklagte stützt beide außerordentlichen Kündigungen auf den Umstand, dass der Kläger in Folge seiner Inhaftierung für einen längeren Zeitraum an der Erfüllung seiner Arbeitspflicht gehindert ist. Diesbezüglich ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Verbüßung einer längeren Strafhaft an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Im Streitfall ergibt sich aus dem vom Kläger selbst vorgelegten Haftverlaufsprotokoll vom 20.06.2007, dass er - wie von der Beklagten behauptet - nach derzeitigem Stand, ohne Berücksichtigung der Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung, erst am 07.02.2009 aus der Haft entlassen wird. Es liegt daher ein Sachverhalt vor, der grundsätzlich geeignet sein kann, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen.

Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht dabei stets betont, dass auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen sei und dass es entscheidend darauf ankomme, in welchem Umfang dem Arbeitgeber die Hinnahme der Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers zumutbar sei und wie sie sich im Betrieb konkret nachteilig auswirke. In diesem Zusammenhang ist u.a. auch von Bedeutung, ob für den Arbeitgeber zumutbare Überbrückungsmöglichkeiten bestehen, wobei allerdings dem Arbeitgeber zur Überbrückung des Ausfalls des Arbeitnehmers geringere Anstrengungen und Belastungen zuzumuten sind als bei einer krankheitsbedingten Kündigung (BAG vom 09.03.1995 - 2 AZR 497/94 - AP Nr. 123 zu § 626 BGB; BAG vom 15.11.1984 - 2 AZR 613/83 - AP Nr. 87 zu § 626 BGB).

Bei Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalles ergibt sich vorliegend, dass die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB nicht erfüllt sind. Dies gilt auch dann, wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, dass es in Folge der Inhaftierung des Klägers im Zeitraum Dezember 2006 bis Februar 2007 in einer Vielzahl von Fällen zu einer nicht unerheblichen Überschreitung von Lieferterminen gekommen ist, wodurch u.a. auch höhere Kosten verursacht wurden, und dass die Abwesenheit des Klägers auch zu Prämienverlusten anderer Mitarbeiter geführt hat. Diesbezüglich kann zunächst nicht unberücksichtigt bleiben, dass die von der Beklagten geschilderten betrieblichen Beeinträchtigungen, wenn auch in der Regel jeweils für einen wesentlich kürzeren Zeitraum, auch bereits bei jeder mehrwöchigen krankheitsbedingten Abwesenheit des Klägers oder anderer Arbeitnehmer eintreten könnten. Entscheidend fällt jedoch ins Gewicht, dass für die Beklagte durchaus zumutbare Überbrückungsmöglichkeiten bestanden und auch weiterhin bestehen. Unstreitig konnte die Beklagte, nachdem sie sich anfangs mit der Umsetzung von Mitarbeitern behalf, den Ausfall des Klägers bereits im Februar 2007 im Wege der befristeten Einstellung eines Arbeitnehmers kompensieren, wobei die Befristung nach Behauptung der Beklagten bis zur rechtkräftigen Entscheidung über die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen erfolgte. Nach dem unbestrittenen Vorbringen des Klägers stellte sich seine Tätigkeit als Maschinenführer als diejenige eines angelernten Produktionsmitarbeiters dar. Die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt sind nicht so, dass für derartige Arbeitsplätze nur dann Bewerber vorhanden sind, wenn ihnen eine unbefristete Stelle angeboten wird. Soweit ersichtlich hatte die Beklagte auch keinerlei Schwierigkeiten, die Stelle des Klägers befristet zu besetzen. Deshalb ist nicht ersichtlich, warum es der Beklagten nicht möglich gewesen sein sollte, den Arbeitsplatz des Klägers für diesen - für die Zeit nach dessen Haftentlassung - freizuhalten. Auch in rechtlicher Hinsicht bestehen diesbezüglich keinerlei Probleme, denn die Vertretung eines an der Arbeitsleistung verhinderten Arbeitnehmers ist als Befristungsgrund allgemein anerkannt. Es bestand daher von vornherein keine Notwendigkeit, den Arbeitsplatz des Klägers auf Dauer anderweitig zu besetzen.

Darüber hinaus ergibt sich die Unwirksamkeit der streitbefangenen außerordentlichen Kündigungen jedenfalls aus dem Ergebnis der im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB durchzuführenden Interessenabwägung. Zwar sind zugunsten der Beklagten die von ihr vorgetragenen, allerdings auf einen Zeitraum von ca. drei Monaten begrenzten betrieblichen Beeinträchtigungen (Überschreitung von Lieferterminen, höhere Kosten, Prämienverluste anderer Mitarbeiter) ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass sie für eine erhebliche Zeit daran gehindert ist, ihr Direktionsrecht gegenüber dem Kläger auszuüben. Demgegenüber sind jedoch zugunsten des Klägers dessen Betriebszugehörigkeit von über 22 Jahren bei Kündigungsausspruch sowie dessen fortgeschrittenes Lebensalter von seinerzeit 54 Jahren zu berücksichtigen. Darüber hinaus kann nicht unbeachtet bleiben, dass die Beklagte an den Kläger während der Dauer seiner Inhaftierung keinerlei Lohn- oder Lohnersatzleistungen zu erbringen hat. Letztlich bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nach Beendigung der Strafhaft weitere Störungen des Arbeitsverhältnisses zu befürchten sind. Insgesamt überwiegt daher das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deutlich gegenüber dem Interesse der Beklagten an dessen Beendigung.

Entgegen der Ansicht der Beklagten bildet vorliegend nicht bereits der Umstand, dass es für sie bei Kündigungsausspruch in Ermangelung näherer Informationen völlig ungewiss war, wie lange der Kläger inhaftiert sein wird und wann er an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Es ist zwar in der Rechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung anerkannt, dass die völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit gleichzustellen ist. Dies gilt jedoch nur dann, wenn in absehbarer Zeit mit einer anderen - als der negativen - Prognose nicht gerechnet werden kann. Als absehbare Zeit gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Zeitraum von bis zu 24 Monaten (BAG vom 29.04.1999 - 2 AZR 431/98 - AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall einer haftbedingten Unmöglichkeit, die vertragliche geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ergibt sich, dass die Beklagte keine der beiden außerordentlichen Kündigungen auf die bloße Ungewissheit über den Zeitpunkt der Haftentlassung des Klägers stützen kann. Es kann nämlich keinesfalls davon ausgegangen werden, dass die Beklagte bei Kündigungsausspruch damit rechnen musste, auch in den nächsten 24 Monaten bleibe völlig ungewiss, ob und wann der Kläger seine Arbeitsleistung wieder erbringen kann.

Offen bleiben kann, ob die Inhaftierung des Klägers geeignet war, den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung zu rechtfertigen. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs Mitglied des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrats war, konnte sein Arbeitsverhältnis nämlich nach § 15 Abs. 1 KSchG nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB gekündigt werden.

III. Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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