Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 12.11.1998
Aktenzeichen: 8 Sa 570/98
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, TV AngaöS, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 64 Abs. 6
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO §§ 511 ff.
ZPO § 543 Abs. 1
BGB §§ 293 ff.
BGB § 296
BGB § 323
BGB § 615
BGB § 611
TV AngaöS § 11 a
TV AngaöS § 11 a Satz 1
TV AngaöS § 12
TV AngaöS § 13 Abs. 1
TV AngaöS § 13 Abs. 1 Satz 2
ArbGG §§ 64 ff.
ArbGG § 72 Abs. 2
ArbGG § 72 Abs. 2 Ziffer 1
ArbGG § 72 a Abs. 1 Ziffer 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 22.04.1998, Az.: 1 Ca 2/98 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 12.047,40 DM festgesetzt.

II. Der Kläger hat die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand: Die Parteien streiten unter anderem um die Zahlung von Arbeitsvergütung.

Der Kläger ist seit dem 07.06.1990 bei dem beklagten Landkreis als Tierarzt auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 07.06.1990 beschäftigt. Die Parteien vereinbarten arbeitsvertraglich die Geltung der Vorschriften des Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe (im folgenden: TV AngaöS).

Der Kläger wurde für den Beklagten innerhalb eines ihm zugewiesenen Untersuchungsbezirkes sowie als Mitarbeiter des Beschauamtes in Kenn tätig.

Der Beklagte entschloss sich, das Beschauamt in K zum 31.12.1997 zu schließen und erklärte gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 11.12.1997 eine ordentliche Änderungskündigung zum 31.03.1998. Dabei bot er dem Kläger an, das Arbeitsverhältnis mit der Maßgabe fortzusetzen, dass die bisherigen Tätigkeiten und Funktionen des Klägers im Beschauamt in K ab dem 01.04.1998 entfallen. Während der Zeit ab dem 01.01.1998 arbeitete der Kläger nicht mehr in dem Beschauamt K und bezog lediglich noch Vergütung für seine Arbeitstätigkeit innerhalb des zugewiesenen Untersuchungsbezirkes und im Zerlegebetrieb der Fa. Q in K .

Mit seiner am 02.01.1998 beim Arbeitsgericht Trier eingereichten und später erweiterten Klage hat sich der Kläger gegen die ordentliche Änderungskündigung vom 11.12.1997 gewandt und darüber hinaus die Zahlung von restlicher Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.1998 geltend gemacht.

Wegen des erstinstanzlichen Sachvortrages beider Parteien wird auf die zusammenfassende Darstellung im Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteiles vom 22.04.1998 (dort S. 3 ff. = Bl. 60 ff. d.A.) gemäß §§ 64 Abs. 6, 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Änderungskündigung der Beklagten vom 11.12.1997, dem Kläger am 17.12.1998 zugegangen, unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis über den Ablauf der Kündigungsfrist unverändert fortbesteht;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.007.90 DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 05.02.1998 sowie 2.007,90 DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 05.03.1998 zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, 2.007,90 DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 05.04.1998 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Trier hat mit Urteil vom 22.04.1998 (Bl. 58 ff. d.A.) den Beklagten verurteilt, an den Kläger 1.790,94 DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 05.02.1998 und weitere 1.653,17 DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 05.03.1998 sowie weitere 1.790,94 DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 05.04.1998 zu zahlen; im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung der dem Kläger zuerkannten Zahlungsansprüche hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die entsprechenden Forderungen ergäben sich aus § 615 in Verbindung mit § 611 BGB; ein Arbeitsangebot des Klägers habe sich gemäß § 296 BGB erübrigt, da der Beklagte bei der Kündigung zu erkennen gegeben habe, dass er schon ab dem 01.01.1998 nicht mehr bereit gewesen sei, weitere Arbeitsleistungen des arbeitsbereiten Klägers entgegenzunehmen. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei durch § 11 a Satz 1 TV AngaöS das Betriebsrisiko nicht vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer abgewälzt worden. Die Tarifvertragsparteien seien bei dieser Regelung offensichtlich von der Weiterexistenz eines Schlachthofes ausgegangen. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Tarifregelung auch im Falle der vollständigen und dauerhaften Einstellung des Schlachtbetriebes gelten solle. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsbegründung wird auf S. 6 ff. des arbeitsgerichtlichen Urteiles (= Bl. 63 ff. d.A.) verwiesen.

Der Beklagte hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Trier, welches ihm am 04.05.1998 zugestellt worden ist, am 03.06.1998 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 12.06.1998 sein Rechtsmittel begründet.

Der Beklagte macht geltend,

der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung von Arbeitsvergütung für die Zeit von Januar bis März 1998 aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Annahmeverzuges. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes Trier sei durch § 11 a Satz 1 TV AngaöS das Wirtschafts- und Betriebsrisiko vom Beklagten auf den Kläger auch für den Fall der dauerhaften Einstellung des Schlachtbetriebes verlagert worden. Diese Auffassung stehe in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes in seinem Urteil vom 23.06.1994, in welchem das Bundesarbeitsgericht von einer entsprechenden Verlagerung des Betriebsrisikos durch die inhaltsgleiche Tarifregelung des § 12 des Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der Angestellten in öffentlichen Schlachthöfen (im folgenden: TV AngiöS) ausgegangen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 12.06.1998 (Bl. 78 ff. d.A.) nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die mit Schriftsatz vom 02.06.1998 eingelegte Berufung des Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger führt aus,

im Bereich des TV AngaöS sei es nicht zu einer Verlagerung des Wirtschafts- und Betriebsrisikos auf den Arbeitnehmer gekommen. Eine solche Verlagerung habe lediglich im Bereich außerhalb öffentlicher Schlachthöfe durch die Vorschrift des § 13 Abs. 1 TV AngiöS stattgefunden; eine solche Regelung fehle jedoch in dem TV AngaöS. Fehle aber eine Regelung, die sich gerade mit dem Annahmeverzugsrisiko beschäftige, so könne hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass die Tarifvertragsparteien das Annahmeverzugsrisiko überhaupt nicht regeln wollten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 03.08.1998 (Bl. 104 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nach §§ 64 ff. ArbGG, 511 ff. ZPO zulässig.

Das Rechtsmittel des Beklagten ist auch begründet, da dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung von Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01.01.1998 bis 31.03.1998 in Höhe von insgesamt 12.047,40 DM brutto nebst Zinsen nach §§ 615, 293 ff. BGB zusteht.

Zwar ist bei Arbeitsverhältnissen § 323 BGB nicht uneingeschränkt anwendbar; das heißt im Falle der von keiner Vertragsseite zu vertretenden Unmöglichkeit zur Arbeitsleistung entfällt nicht ohne Weiteres der Gegenanspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung von Arbeitsvergütung. Vielmehr trägt der Arbeitgeber bei Anwendung der §§ 615, 293 ff. BGB das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko; er hat also die Arbeitsvergütung auch dann zu leisten, wenn von ihm nicht verschuldete betriebliche Ursachen oder auch zum Beispiel die durch Auftragsmangel bedingte Betriebseinstellung dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich machen. Von dieser grundsätzlich geltenden Risikoverteilung kann aber durch tarifvertragliche Regelungen abgewichen werden (vgl. BAG, Urt. v. 23.06.1994 - 6 AZR 853/93 = NZA 1995 468 ff.). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem anwendbaren § 11 a Satz 1 TV AngaöS eine solche Abweichung, da durch diese Tarifregelung das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko auf den Arbeitnehmer für den Fall des im Regelfall einem Annahmeverzug zugrunde liegenden Sachverhaltes verlagert wird.

Nach § 11 a Satz 1 TV AngaöS richtet sich nämlich die Arbeitszeit nach dem Arbeitsanfall. Eine Obliegenheit des Arbeitgebers zur Entgegennahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers besteht jedoch lediglich während der Arbeitszeit. Dementsprechend kann ein Annahmeverzug des Arbeitgebers nur entstehen, wenn auf seiner Seite ein entsprechender Arbeitsanfall vorhanden ist. Reduziert sich aber der Arbeitsanfall auf Null, so ist ein Annahmeverzug des Arbeitgebers auf der Grundlage der rechtlich nicht zu beanstandenden Tarifregelung des § 11 a Satz 1 TV AngaöS (vgl. zur Zulässigkeit des inhaltsgleichen § 12 Abs. 1 Satz 1 TV AngaöS BAG, Urt. v. 12.03.1992 - 6 AZR 311/90 = AP Nr. 1 zu§ 4 BeschFG 1985) mithin gänzlich ausgeschlossen (so auch Landesarbeitsgericht Hessen, Urt. v. 30.05.1997 - 13 Sa 1467/96 = Bl. 86 ff. d.A.; Clemens/Scheuring u.a. BAT, Teil-IV, § 11 a TV AngaöS, Erl.).

Soweit das Arbeitsgericht Trier demgegenüber von der herkömmlicherweise grundsätzlich geltenden Verteilung des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos ausgegangen ist, liegt dem eine Unterscheidung hinsichtlich des Anlasses für die Reduzierung des Arbeitsanfalles zugrunde. Das Arbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, § 11 a TV AngaöS gelte nur für jene Fälle, in denen Schwankungen eines generell noch bestehenden Arbeitsanfalles auftreten, nicht aber für den Fall der Betriebsschließung.

Die Berufungskammer vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen, da der Wortlaut des § 11 a Satz 1 TV AngaöS keinen Anhaltspunkt für eine solche Unterscheidung und daher auch keinen Anlass für eine weitergehende Auslegung bietet. § 11 a Satz 1 TV AngaöS ist vielmehr inhaltsgleich mit der Regelung des § 12 TV AngiöS, welche das BAG in seinem Urteil vom 23.06.1994 (Az.: 6 AZR 853/93 a.a.O.), wenn auch im damaligen Rechtsstreit als nicht anwendbar, so doch als geeignet angesehen hat, eine Umverteilung des Betriebsrisikos herbeizuführen. Die Tarifparteien, die im Übrigen § 11 a erst nach der Verkündung des Urteils des Bundesarbeitsgerichtes in den TV AngaöS eingefügt haben, hätten die Möglichkeit gehabt, wenigstens im Rahmen einer Protokollnotiz etwaige Fälle zu benennen, die durch § 11 a TV AngaöS nicht erfasst werden sollen. Da hiervon kein Gebrauch gemacht wurde, ist nach Auffassung der erkennenden Kammer auch im Interesse der Rechtssicherheit die Tarifregelung entsprechend ihrem Wortlaut einschränkungslos anzuwenden.

Darüber hinaus rechtfertigt auch der Einwand des Berufungsbeklagten, § 11 a TV AngaöS enthalte deshalb keine Verlagerung des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos, weil eine Regelung wie in § 13 Abs. 1 Satz 2 TV AngiöS fehle, keine andere Beurteilung. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 TV AngiöS hat der Arbeitgeber die Vergütung für zwei Stunden zu zahlen, wenn der Angestellte nach Aufforderung zur Arbeit erschienen ist und seine Dienste aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grunde nicht oder weniger als zwei Stunden in Anspruch genommen werden. Die Verteilung des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos tritt nämlich bereits durch § 12 TV AngiöS, der mit § 11 a Satz 1 TV AngaöS inhaltsgleich ist, ein und nicht durch § 13 Abs. 1 Satz 2 TV AngiöS. Diese Tarifregelung enthält lediglich eine Ausnahme zu der ansonsten entfallenden Arbeits- und Vergütungspflicht. Es wird nämlich eine Vergütungspflicht für zwei Stunden begründet, wenn der Arbeitnehmer zum Schlachthof gerufen wird und dort letztlich keine oder nur in geringfügigem Umfang Arbeit vorfindet. Die Regelung trifft hingegen keine Aussage darüber, was gelten soll, wenn eine Anforderung der Arbeitskraft durch den Arbeitgeber von vorneherein erst gar nicht vorgenommen wird. Da die Tarifregelung für den speziellen Fall der Anforderung durch den Arbeitgeber der üblichen Betriebsrisikoverteilung entspricht, macht sie nur einen Sinn, wenn diese Risikoverteilung im Übrigen ausgeschlossen ist. Ein solcher Ausschluss kann dann aber nur durch § 12 TV AngiöS bewirkt worden sein; dementsprechend wird er für den Tarifbereich außerhalb öffentlicher Schlachthöfe durch den inhaltsgleichen § 11 a TV AngaöS herbeigeführt.

Nach alledem war das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 22.04.1998 abzuändern und die Klage insgesamt mit der Kostenfolge aus § 91 Abs. 1 ZPO abzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand unter Beachtung von § 72 Abs. 2 ArbGG kein Anlass. Nach Auffassung der Kammer wurden vorliegend die bundesweit geltenden Tarifregelungen lediglich angewandt, nicht jedoch im Sinne von § 72 Abs. 2 Ziffer 1 in Verbindung mit § 72 a Abs. 1 Ziffer 2 ArbGG ausgelegt.

Ende der Entscheidung

Zurück