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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 16.12.2005
Aktenzeichen: 8 Sa 691/05
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BetrAVG, ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 66 Abs. 6
ZPO § 519
ZPO § 520
ZPO § 540
ZPO § 540 Abs. 1
BetrAVG § 7
BetrAVG § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5
BetrAVG § 17 Abs. 3 Satz 3
BetrAVG § 31
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 8 Sa 691/05

Entscheidung vom 16.12.2006

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.06.2005 - 10 Ca 400/05 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Frage, ob eine dem Kläger gegebene Zusage auf betriebliches Altersruhegeld rechtswirksam widerrufen wurde und in der Folge entsprechende (Nach-)Zahlungsansprüche bestehen.

Der Kläger war bei der Beklagten als Arbeitnehmer beschäftigt und erhielt von ihr bis Oktober 2004 monatliche Zahlungen als Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in Höhe von jeweils 534,36 € brutto. Zum Inhalt der dem Kläger erteilten Zusage vom 20.12.1990, zum Inhalt der Pensionsordnung der Beklagten sowie zur Kündigung der Vereinbarung über die betriebliche Altersversorgung vom 30.11.2004 und den erstinstanzlich gestellten Anträgen wird gemäß §§ 66 Abs. 6 ArbGG, 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.06.2005 - 10 Ca 400/05.

Das Arbeitsgericht hat im vorerwähnten Urteil auf die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der monatlichen Betriebsrente in Höhe von 534,36 € und zur Nachzahlung von 1.603,08 € nebst Zinsen erkannt.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, auf der Basis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 17.06.2003 - 3 AZR 396/02 - sei ein Widerruf des Anspruchs auf betriebliche Altersvorsorgung wegen wirtschaftlicher Notlage seit dem 01.01.1999 schon dem Grunde nach nicht mehr statthaft. Der Sicherungsfall der wirtschaftlichen Notlage in § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG sei durch Art. 91 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung mit Wirkung vom 01.01.1999 ersatzlos gestrichen worden. Der Widerruf der Beklagten könne auch nicht auf den steuerunschädlichen Vorbehalt in Art. 13 der Pensionsordnung gestützt werden, der im Wesentlichen dem sogenannten allgemeinen Mustervorbehalt entspräche; ein solcher wirke nur deklaratorisch und begründe kein eigenständiges Recht zum Widerruf.

Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil (Bl. 70 bis 73 d. A.) Bezug genommen.

Gegen das der Beklagten am 25.07.2005 zustellte Urteil richtet sich deren am 15.08.2005 eingelegte und am 14.09.2005 begründete Berufung.

Die Beklagte bringt zweitinstanzlich weiter vor, das Arbeitsgericht ginge zu Unrecht von einem sogenannten allgemeinen Mustervorbehalt in der Pensionsordnung aus. Die Ausübung des Widerrufsrechts sei einzelvertraglich vereinbart und vom Kläger durch seine Unterschrift auch anerkannt. Der grundrechtlich verankerte Vertrauensschutz in den fortdauernden Bestand der Pensionszusage und den in der anerkannten Pensionsordnung ausdrücklich vereinbarten Widerrufsvorbehalt genieße aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit stets für beide Vertragsparteien, d.h. heißt somit auch zugunsten der Beklagten absoluten Vorrang. Die getroffene Vereinbarung könne nicht mehr von dritter Seite ohne Mitwirkung der Vertragsparteien aufgehoben oder abgeändert werden. Eine andere Auffassung würde die Vertragsfreiheit aushöhlen. Die Beklagte hätte bei anderem Betracht keine Chance, sich bei drohender Insolvenz von nicht mehr tragbaren Pensionsleistungen zu befreien. Es ginge auch nicht um eine Betriebsrente wie bei einem Großkonzern, sondern um eine einzelvertragliche Pensionsvereinbarung. Ein Teil der Mitarbeiter habe einzelvertragliche Rentenzusagen, ein Teil solche durch Kapitalansammlung bei der V.-Versicherung und ein Teil habe auch keine Zusagen (Beweis: Zeugnis U.). Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hätten sich nach der gegebenen Zusage nachhaltig verändert. Durch die Einführung des Euros und die Osterweitung habe sich die Kapitaldecke kleinerer Betriebe stark vermindert und das Preisniveau der Aufträge sei radikal gesunken; kaum realisierbar sei es, kostendeckende Aufträge zu erhalten; die Wirtschaftskrise betreffe insbesondere den gesamten Mittelstand.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 08.09.2005 (Bl. 88 bis 92 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte hat zweitinstanzlich beantragt,

das am 23.06.2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Az.: 10 Ca 400/05 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat

Zurückweisung der Berufung

beantragt und erwidert,

gemäß §§ 7, 31 BetrAVG sei die in der Pensionsordnung enthaltene Widerrufsmöglichkeit unzulässig. Eine Differenzierung nach der Größe der Unternehmen sei in den einschlägigen Regelungen des BetrAVG nicht vorgesehen. Im Übrigen seien die Gründe für den Widerruf nicht ordnungsgemäß dargelegt.

Wegen der Einzelheiten der Berufungsbeantwortung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 13.10.2005 (Bl. 101 bis 102 d. A.) Bezug genommen.

Des Weiteren wird auf die Feststellungen in der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts vom 16.12.2005 (Bl. 105 bis 107 d. A.) sowie den gesamten Akteninhalt mit den vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Rechtsmittel der Berufung der Beklagten ist nach § 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Es ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Es ist somit zulässig.

II.

Das Rechtsmittel der Beklagten ist jedoch nicht begründet.

Das Arbeitsgericht ist im angefochtenen Urteil zu Recht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer monatlichen Betriebsrente in Höhe von 534,36 € erkannt und zur Nachzahlung nebst Zinsen verurteilt. In der Berufungsinstanz ergibt sich keine andere Bewertung des Falles.

Um Wiederholungen zu vermeiden, nimmt die Kammer zunächst §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 540 ZPO auf den diesbezüglich begründenden Teil des angefochtenen Urteils Bezug, stellt dies ausdrücklich fest und sieht hier unter Übernahme der wesentlichen Entscheidungsgründe von einer weiteren Darstellung ab.

Lediglich wegen der Angriffe der Berufung besteht Veranlassung zu folgenden ergänzenden Ausführungen:

1.

Soweit die Berufung zur Berechtigung einer Kündigungsmöglichkeit die Auffassung vertritt, die Ausübung des Widerrufsrechts sei einzelvertraglich vereinbart und vom Kläger durch seine Unterschrift anerkannt, sowie das Arbeitsgericht ginge zu Unrecht von einem sogenannten allgemeinen Mustervorbehalt in der Pensionsordnung aus, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar sieht die Berufung im Ansatz richtig, dass die Gewährung betrieblicher Versorgungsleistungen dem Grundsatz der Vertragsfreiheit unterliegen, jedoch ist zu sehen, dass das Betriebsrentengesetz als Arbeitnehmerschutzgesetz einschränkende Regelungen enthält, die der Arbeitgeber beachten muss, wenn er sich einmal zur Zusage entsprechender Leistungen entschlossen hat und von denen nach § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG auch nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden darf (vgl. Langohr-Plato, Betriebliche Altersversorgung, 3. Auflage, Rz. 19).

Ob im Hinblick auf die einer Mehrheit von Arbeitnehmern gegebene Individualzusage von einer einzelvertraglichen Einheitsregelung oder im Hinblick auf die in Bezug genommene Pensionsordnung von einer Gesamtzusage auszugehen ist, kann offen bleiben, da deren Inhalt am Betriebsrentengesetz (BetrAVG) und den jeweils hierzu ergangenen Rechtssprechungsgrundsätzen des Bundesarbeitsgerichts, insbesondere in der Entscheidung vom 17.06.2003 - 3 AZR 396/02 -, zum Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage zu messen ist. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Durch die Streichung des Sicherungsfalls der wirtschaftlichen Notlage (§ 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG a.F.) besteht das von der Rechtsprechung aus den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage entwickelte Recht zum Widerruf insolvenzgeschützter betrieblicher Versorgungsrechte wegen wirtschaftlicher Notlage nicht mehr. Auch die in Art. 13 der in der Individualzusage vom 20.12.1990 in Bezug genommenen Pensionsordnung ist an dieser Rechtsprechung zu messen. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber nicht mehr ohne einen außergerichtlichen Vergleich mit dem Pensionssicherungsverein und dem Betriebsrentner die Versorgungszusage wegen wirtschaftlicher Notlagen widerrufen kann (vgl. LAG Köln, Urteil vom 26.04.2002 - 4 Sa 93/02 -).

2.

Selbst aber auch dann, wenn man zu den Ausführungen unter Punkt 1. zu einer anderen Auffassung käme, man mithin eine Widerrufsmöglichkeit für die Beklagte bejahte, fehlt es an zivilprozessual ausreichenden Darlegungen, die für die Berufungskammer erkennbar machen, dass der Bestand des Unternehmens wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten gefährdet und die Einstellung der Versorgungsleistungen ein geeignetes Mittel wäre, zur Sanierung der Beklagten beizutragen. Nach dem Stand der Rechtssprechung (vgl. BAG Urteil vom 26.11.1985 - 3 AZR 105/84 - = NZA 1987, 62 L) wäre die wirtschaftliche Notlage durch eine Betriebsanalyse eines Sachverständigen unter Darlegung ihrer Ursachen aufzuzeigen und ein Sanierungsplan zu erstellen gewesen, der eine generelle Lastenverteilung unter Heranziehung sämtlicher Beteiligter vorsieht. Hierzu konnten von der Berufungskammer auch unter Berücksichtigung des erstinstanzlichen Vortrages im Schriftsatz vom 13.04.2005 keine ausreichenden Feststellungen getroffen werden. Dies gilt hinsichtlich der Ausführungen der Beklagten: "Der Widerruf war jedoch aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und nachfolgend dargelegten gravierenden Umsatzeinbrüche unumgänglich," sowie der weiteren Ausführungen im vorerwähnten Schriftsatz, dass es zu einem Personalabbau im Zeitraum von 2001 bis 2005 um ca. 40 Prozent gekommen sei, sowie zu einem Umsatzrückgang von 2001 bis 2005 von 36 % und einem näher dargestellten Verzicht des Geschäftsführers der Beklagten auf die Verzinsung einer gegenüber der Beklagten bestehenden Darlehensforderung, auf Weihnachts- und Urlaubsgeld und Tantiemenansprüche und schließlich auf einen Erlass der kompletten Miete für Werkstatt und Büro. Eine ausreichende Betriebsanalyse kann hierin auch vor der Notwendigkeit der Erstellung eines Sanierungsplanes nicht gesehen werden. Die Berufung macht lediglich allgemeine Ausführungen, wenn sie die auf Veränderungen zwischen dem Abschluss der Zusage und der heutigen wirtschaftlichen Situation der Beklagten abstellt. Der Hinweis der Berufung der zum Zeitpunkt der Zusage gegebene Vollbeschäftigung, auf eine mittlerweile bestehende Arbeitslosenzahl von fünf Millionen, sowie auf Hartz IV, auf die Euro-Einführung, auf eine Verminderung der Kapitaldecke kleinerer Betriebe, die Senkung des Preisniveaus, und Schwierigkeiten bei der Auftragserlangung sowie die generelle Betroffenheit des Mittelstandes sind sicher allgemein politisch zutreffende Gegebenheiten; sie vermögen jedoch nicht die aufgezeigten rechtlichen und zivilprozessualen Anforderungen für einen wirksamen Widerruf der dem Kläger gegebenen Zusage einer betrieblichen Altersversorgung zu begründen.

III.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision sah die Kammer angesichts bestehenden Rechtsprechung und der gegebenen zivilprozessualen Defizite nicht die sich aus § 72 Abs. 2 ArbGG ergebenden Voraussetzungen.

Ende der Entscheidung

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