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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 04.04.2007
Aktenzeichen: 8 Sa 949/06
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 8 Sa 949/06

Entscheidung vom 04.04.2007

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 04.10.2006, AZ: 6 Ca 1161/06, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die am 15.06.1951 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit dem 04.01.1993 als Keramikarbeiterin beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in der Regel mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Die Beklagte erteilte der Klägerin mit Schreiben vom 18.03.1998 eine Abmahnung. Eine weitere Abmahnung erhielt die Klägerin mit Schreiben der Beklagten vom 12.08.2004. Wegen des Inhalts der beiden Abmahnungen wird auf Blatt 31 - 33 d. A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 31.05.2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.10.2006. Gegen diese Kündigung richtet sich die von der Klägerin am 20.06.2006 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage.

Die Klägerin hat erstinstanzlich u. a. vorgetragen, entgegen den Behauptungen der Beklagten habe sie am 03.05.2006 nicht gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen. Soweit an dem betreffenden Tag Fliesen produziert worden seien, die Fehler (Druckstreifen) aufgewiesen hätten, so sei das nicht ihr - der Klägerin - anzulasten. Es sei nicht einmal erkennbar, wie sie der von der Beklagten behaupteten angeblichen Überwachungspflicht überhaupt hätte nachkommen sollen. Hierzu hätte sie nämlich jeweils ihren Arbeitsplatz, den Siebdruck, verlassen und am Förderband nach vorne laufen müssen, um den Walzendruck zu überwachen. Indessen schulde sie arbeitsvertraglich keineswegs die Tätigkeit einer Keramikarbeiterin und zugleich einer Glasiererin. Grundsätzlich habe der jeweilige Glasierer Stundenproben zu entnehmen. Dies sei jedoch in der betreffenden Schicht nicht geschehen. Hintergrund sei gewesen, dass der seinerzeit als Glasierer eingesetzte Arbeitnehmer in der betreffenden Zeit anderweitigen Anweisungen der Beklagten habe nachkommen müssen. Es könne nicht angehen, ihr die Verantwortung für arbeitgeberseitiges Missmanagement aufzubürden. Insbesondere sei es unhaltbar, ihr neben ihrer Tätigkeit im Siebdruck auch noch die Aufgaben der Glasierer zu übertragen, um diese wiederum mit anderen Arbeiten betrauen zu können. Die ihr mit Schreiben vom 18.03.1998 erteilte Abmahnung sei nicht gerechtfertigt. Sie habe seinerzeit den Fehler im Walzendruck entdeckt und vorschriftsmäßig gehandelt, indem sie das Band angehalten und den zuständigen Glasierer informiert habe. Dieser habe sodann den zuständigen Vorarbeiter herbeigeholt. Bei der sich anschließenden Fehlersuche habe man sodann das Band mehrmals anlaufen lassen, wodurch wiederum mehrere Platten mit Druckfehlern produziert worden seien. Auch die Abmahnung vom 05.08.2004 sei nicht gerechtfertigt. Selbst wenn während der betreffenden Arbeitsschicht tatsächlich Druckfehler aufgetreten sein sollten, so sei dies nicht ihr - der Klägerin - vorzuwerfen. Die Beleuchtung am Arbeitsplatz sei zur Erkennung minimaler Farbunterschiede ungeeignet. So seien die behaupteten Streifen weder von ihr noch von dem zuständigen Glasierer entdeckt worden. Letztlich sei auch zu berücksichtigen, dass ihre Leistung derjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer entspreche. Keinesfalls produziere sie mehr Bruch als andere Arbeitnehmer.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 31.05.2006 nicht aufgelöst worden ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin im Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 1. zu den im Arbeitsvertrag vom 17.12.1992 geregelten Arbeitsbedingungen als Keramikarbeiterin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag vorläufig weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die streitbefangene ordentliche Kündigung sei gerechtfertigt, weil die Klägerin ständig gegen ihre Überwachungspflichten verstoßen habe. Am 03.05.2006 sei sie zum Drucken an der Glasierlinie 2 eingeteilt gewesen. In der Schicht von 06:00 Uhr bis 14:00 Uhr habe sie die Aufgabe gehabt, die Fliesen zu bedrucken und gleichzeitig die Qualität des Walzendrucks zu überwachen. Dies habe die Klägerin nicht ordnungsgemäß erledigt, so dass 750 qm des betreffenden Produktes mit einem Druckstreifen produziert worden seien. Dieser Streifen hätte der Klägerin bei sorgfältiger Kontrolle der Produktion auffallen müssen. Die Behauptung der Klägerin, der Glasierer habe keine Stundenproben entnommen, werde bestritten. Um ihren Überwachungspflichten nachkommen zu können, habe die Klägerin allenfalls eine Entfernung von fünf bis zehn Metern (Entfernung zwischen Siebdruck und Walzendruck) zurücklegen müssen. Die Klägerin sei auch durch die Schreiben vom 18.03.1998 und vom 12.08.2004 einschlägig abgemahnt. In der Nachtschicht vom 18. auf den 19.03.1998 sei es u. a. die Pflicht der Klägerin gewesen, den Walzendruck von Zeit zu Zeit zu überprüfen. Dieser Pflicht sei sie nicht ausreichend nachgekommen, was daran festgestellt worden sei, dass Fliesen produziert worden seien, welche gravierende Druckfehler aufgezeigt hätten. Es möge sein, dass der Klägerin das Auftreten von Druckfehlern irgendwann aufgefallen sei; allerdings ergebe sich aus dem Umstand, dass ein wirtschaftlicher Schaden von ca. 1.500,00 DM verursacht worden sei, dass dies zu einem sehr späten Zeitpunkt stattgefunden haben müsse. Soweit die Klägerin hinsichtlich der Abmahnung vom 12.08.2004 behaupte, ihr Arbeitsplatz sei unzulänglich beleuchtet, so sei dies eine reine Schutzbehauptung. Der Arbeitsplatz sei optimal beleuchtet und eine Kontrolle könne ohne Weiteres stattfinden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 04.10.2006 stattgegeben. Wegen der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 - 10 dieses Urteils (= Bl. 79 - 82 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 10.11.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am Montag, dem 11.12.2006 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihr mit Beschluss vom 09.01.2007 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 01.02.2007 begründet.

Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, entgegen der vom Arbeitsgericht im erstinstanzlichen Urteil vertretenen Ansicht seien die Fehlleistungen der Klägerin für sie - die Beklagte - nicht mehr hinnehmbar. Die Pflichtverletzungen der Klägerin lägen auch außerhalb der ihr noch zuzubilligenden Toleranzgrenze. Die durchschnittliche Fehlproduktion, d. h. der sog. "Bruch" habe sich im Jahr 2005 auf 44 qm pro Arbeitsschicht und im Jahr 2006 auf 50 qm pro Arbeitsschicht belaufen. Die Klägerin habe hingegen allein am 03.05.2006 750 qm an Bruch produziert. Durch die in der Abmahnung vom 12.08.2004 gerügte Fehlleistung der Klägerin sei ein Bruch von 500 qm entstanden, durch den in der Abmahnung vom 18.03.1998 beschriebenen Vorfall ein Bruch von 95 qm. Aus all dem ergebe sich, dass die Schlechtleistung der Klägerin weit überdurchschnittlich sei. Es könne daher keinen Zweifel daran geben, dass sich die Schlechtleistungen der Klägerin deutlich außerhalb der Toleranzgrenzen bewegten. Die Kündigung sei daher auch nach Durchführung der Interessenabwägung sachlich begründet und wirksam.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt in Erwiderung auf das Berufungsvorbringen der Beklagten im Wesentlichen vor, die Berechnungen der Beklagten seien unzutreffend. Überdies lasse sich aus dem vorgetragenen Zahlenmaterial keineswegs herleiten, dass sie - die Klägerin - überdurchschnittlichen "Bruch" produziert habe. Ein Vergleich zwischen monatlichen Durchschnittswerten und tatsächlichen täglichen Werten verbiete sich insoweit und sei keineswegs aussagekräftig.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sowie auf die von den Parteien im Berufungsverfahren zu den Akten gereichten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage vielmehr zu Recht stattgegeben.

Die Kündigungsschutzklage ist begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitbefangene ordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden. Die Kündigung erweist sich als sozial ungerechtfertigt und somit als rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1, 2 KSchG).

Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine vertragswidrige Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis geeignet, wobei regelmäßig Verschulden erforderlich ist; die Leistungsstörung muss dem Arbeitnehmer in der Regel vorwerfbar sein. Auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen sind geeignet, eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen. Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die zu erbringende Arbeitsleistung im Vertrag nicht näher beschrieben, so richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers (vgl. BAG v. 11.12.2003 - 2 AZR 667/02).

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die streitbefangene ordentliche Kündigung als sozial ungerechtfertigt. Pflichtverletzungen bzw. Schlechtleistungen der Klägerin, die den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung rechtfertigen könnten, lassen sich aus dem Sachvortrag der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht herleiten.

Es kann bereits nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin am 03.05.2006 eine ihr obliegende Überwachungspflicht schuldhaft verletzt bzw. vernachlässigt hat. Die Klägerin war während der betreffenden Arbeitsschicht unstreitig - entsprechend dem Inhalt ihres Arbeitsvertrages - als Keramikarbeiterin am Arbeitsplatz "Siebdruck" eingesetzt. Zwar oblag ihr darüber hinaus unter Zugrundelegung des Vorbringens der Beklagten zugleich auch die Überwachung der Qualität des Walzendrucks. Die Beklagte war nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages vom 17.12.1992 (Bl. 7 d. A.) zweifellos auch berechtigt, der Klägerin eine solche Überwachungstätigkeit zuzuweisen. Es ist indessen nicht erkennbar, ob und insbesondere in welchem Umfang es der Klägerin überhaupt möglich war, der betreffenden Überwachungstätigkeit bei gleichzeitiger Ausführung ihrer Arbeiten am Siebdruck überhaupt nachzukommen. Die Klägerin weist in diesem Zusammenhang zutreffend auf den von der Beklagten nicht bestrittenen Umstand hin, dass sie ihren Arbeitsplatz am Siebdruck verlassen musste, um den Walzendruck überwachen zu können . Nach Angaben der Beklagten beläuft sich die Entfernung zwischen den beiden Arbeitsstellen "Siebdruck" und "Walzendruck" auf immerhin fünf bis zehn Meter. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, in welchen zeitlichen Abständen die Klägerin ihren Arbeitsplatz am Siebsruck hätte verlassen sollen bzw. müssen, um den Walzendruck zu überwachen. Diesbezügliche arbeitgeberseitige Vorgaben bzw. Anweisungen hat die Beklagte nicht dargetan. Ebensowenig ist für das Berufungsgericht erkennbar, in welchem Umfang bzw. in welcher Intensität für die Klägerin eine Überwachung des Walzendrucks möglich war, ohne dabei die ihr obliegende Tätigkeit am Siebdruck zu vernachlässigen. Eine schuldhafte Verletzung der Arbeitspflicht bzw. eine Schlechtleistung seitens der Klägerin ist somit letztlich insgesamt nicht feststellbar. Keineswegs kann auch davon ausgegangen werden, dass die Fehlproduktion vom 03.05.2006 auf einer fehlenden Überwachung des Walzendrucks durch die Klägerin beruht. Insoweit oblag nämlich - dies ist zwischen den Parteien unstreitig - dem bei der Beklagten als Glasierer tätigen Mitarbeiter die Vornahme sog. Stundenproben, was einer Verantwortlichkeit der Klägerin für die Entstehung des behaupteten Schadens ebenfalls entgegensteht.

Auf die mit Schreiben vom 18.03.1998 und vom 12.08.2004 abgemahnten Vorfälle kann die Kündigung nicht mehr mit Erfolg gestützt werden. Abgemahnte Leistungs- und Verhaltensmängel behalten nur dann kündigungsrechtliche Bedeutung, wenn später weitere erhebliche Umstände eintreten oder bekannt werden. Mit der Abmahnung verzichtet der Arbeitgeber konkludent auf ein Kündigungsrecht wegen der Gründe, die Gegenstand der Abmahnung gewesen sind. Im Streitfall hat sich die Klägerin nach Erteilung der beiden Abmahnungen - soweit ersichtlich - keine weiteren einschlägigen Pflichtverletzungen mehr zu schulden kommen lassen. Insbesondere lässt sich ein Fehlverhalten der Klägerin am 03.05.2006 - wie bereits ausgeführt - nicht feststellen. Die Berechtigung bzw. inhaltliche Richtigkeit der beiden Abmahnungsschreiben ist daher für die Frage der Wirksamkeit der streitbefangenen Kündigung letztlich ohne Belang. Das Berufungsgericht erlaubt sich lediglich den Hinweis, dass jedenfalls hinsichtlich der Berechtigung der Abmahnung vom 18.03.1998 in Ansehung des diesbezüglichen Vorbringens der Klägerin (Schriftsatz vom 20.09.2006, dort Seite 5 = Bl. 43 d. A.), welchem die Beklagte nicht entgegengetreten ist, erhebliche Bedenken bestehen.

Auch der Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin (Klageantrag zu 2.) ist begründet. Da die Klägerin mit ihrem Klageantrag zu 1. obsiegt und überwiegende schutzwerte Interessen der Beklagten, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstehen könnten, nicht gegeben sind, hat diese einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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