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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 06.09.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 350/06
Rechtsgebiete: MTV-Azubi, BGB, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

MTV-Azubi § 22
MTV-Azubi § 22 Abs. 1 letzter Satz
MTV-Azubi § 23 Abs. 1
BGB § 247
ArbGG §§ 64 ff.
ZPO §§ 512 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 9 Sa 350/06

Entscheidung vom 06.09.2006

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 20.03.2006, Az. 8 Ca 2986/05 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Leistung von Schadensersatz.

Der am 04.10.1973 geborene Kläger begann bei der Beklagten im Juli 1990 eine Berufsausbildung, für die eine Dauer von 3 1/2 Jahren vorgesehen war. Auf das Ausbildungsverhältnis war der Manteltarifvertrag für Auszubildende vom 06.12.1974 in der jeweils geltenden Fassung (im Folgenden: MTV-Azubi) anwendbar.

Aufgrund einer Einstellungsuntersuchung war der Beklagten bekannt, dass der Kläger an Morbus Crohn litt. Aus gesundheitlichen Gründen bestand er den praktischen Teil der Prüfung sowie eine spätere Wiederholungsprüfung nicht. In der Folgezeit wurde das Ausbildungsverhältnis von den Prozessparteien weitergeführt; die zweite praktische Wiederholungsprüfung war für den 26.06.1995 vorgesehen.

Am 07.06.1995 führte der Kläger mit Frau X., einer Mitarbeiterin der Beklagten, ein Gespräch, in dessen Verlauf ihm Frau X. mitteilte, dass er - unabhängig vom Bestehen der Prüfung - nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen werde.

Nachdem der Kläger diese Information dem damaligen Betriebsratsvorsitzenden, Herrn W. weitergegeben und gleichzeitig sein Interesse an einer Beschäftigung bei der Beklagten bekundet hatte, nahm der Betriebsratsvorsitzende Kontakt mit der Beklagten auf. Hierbei wurde festgestellt, dass die Beklagte - entgegen § 22 Abs. 1 letzter Satz MTV-Azubi - das Unterbleiben einer Übernahme des Klägers in ein Arbeitsverhältnis nicht drei Monate vor dem voraussichtlichen Ende der Ausbildungszeit schriftlich mitgeteilt hatte.

Die Beklagte übergab am 12. oder 13.06.1995 dem Kläger daher ein Angebot zur Aufhebung des Ausbildungsverhältnisses, das der Kläger - nach Rücksprache mit seinen Eltern - am 14.06.1995 unterzeichnete. Der hieraus resultierende Aufhebungsvertrag hat folgenden Wortlaut:

"1. Eine Übernahme nach dem Ablegen der Prüfung (2. Wiederholungsprüfung) im Juni 1995 erfolgt nicht, weder befristet noch unbefristet.

2. Zum Ausgleich für die nicht erfolgte schriftliche Mitteilung über die Nichtübernahme innerhalb der 3-Monatsfrist gemäß § 22 Manteltarifvertrag für Auszubildende erhält Hr. A., ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, eine einmalige Zahlung in Höhe eines Monatslohns der Lohngruppe 4 BMT-G II. Diese Ausgleichszahlung erfolgt nach Ablauf der Klagefrist. Wenn rechtliche Schritte nach der Auszahlung gegen diese Vereinbarung eingeleitet werden, können die C. die Ausgleichszahlung zurückfordern.

3. Hr. A. verzichtet auf alle Ansprüche aus dem Ausbildungsverhältnis, insbesondere auf Ansprüche, die sich aus der unterlassenen schriftlichen Mitteilung gemäß § 22 Manteltarifvertrag für Auszubildende ergeben.

4. Die Zahlung gilt für den Fall, dass Hr. A. die Prüfung besteht. Im Falle eines weiteren Nichtbestehens endet das Ausbildungsverhältnis ohne Übernahme und ohne Ausgleichszahlung.

5. Hr. A. verpflichtet sich aus Gründen des betrieblichen Friedens, Stillschweigen über diese Regelung gegenüber Kollegen und betrieblichen Mitarbeitern zu wahren."

Am 26.06.1995 bestand der Kläger die zweite Wiederholungsprüfung und war anschließend arbeitslos. Vom 14.08.1995 bis 31.08.1995 stand er in einem Arbeitsverhältnis bei der Firma V.

Auf seinen Antrag vom 08.09.1995 bezog er ab dem 27.11.1996 Erwerbsunfähigkeitsrente, wobei Rentenbeginn, ohne Berücksichtigung von Übergangsgeld, Verletztengeld usw., der 01.03.1996 gewesen wäre.

Mit seiner am 23.12.2005 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen eingegangen Klage hat der Kläger einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte geltend gemacht.

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte habe ihn vor Abschluss des Aufhebungsvertrages pflichtwidrig nicht darüber unterrichtet, dass er gemäß dem Versicherungsverlauf bei der Zusatzversorgungskasse der U. lediglich 57 Beitragsmonate erreicht habe und im Falle des Erreichens von 60 Versicherungsmonaten, im Falle der Erwerbsunfähigkeit einen Rentenanspruch gegen die T. erworben hätte. Im Falle einer entsprechenden Belehrung hätte er vom Abschluss des Aufhebungsvertrages abgesehen, auf einer mindestens drei Monate andauernden Weiterbeschäftigung bestanden und hätte so einen unverfallbaren zusätzlichen Rentenanspruch erworben. Monatlich würde sich die sich entsprechende Rente auf einen Betrag in Höhe von 10,76 EUR belaufen. Für die Zeit vom November 1996 bis Ende des Jahres 2005 hätte er mithin zusätzliche Renteneinahmen in Höhe von insgesamt 1.173,92 EUR gehabt.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz in Höhe einer monatlich zu zahlenden Rente ab dem 27.11.1996 entsprechend einer Rente gemäß der Satzung der T. - Körperschaft des öffentlichen Rechts - aufgrund der erbrachten Umlagemonate sowie einer Zurechnungszeit gemäß der Satzung der T. zu zahlen,

2. hilfsweise an den Kläger

a) 1.173,92 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

und

b) Rente in Höhe von 10,76 EUR, beginnend mit dem 10.01.2006 monatlich zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat ausgeführt, während des Gespräches vom 07.06.1995 habe der Kläger nach dem Hinweis, dass er nicht in ein Arbeitsverhältnis übernommen werde erklärt, er schaue sich jetzt schon nach einem neuen Arbeitsplatz um und würde im Anschluss an die Prüfung seinen Resturlaub nehmen. Vor Abschluss des Aufhebungsvertrages sei es seine eigene Aufgabe gewesen, sich über die rentenrechtlichen Folgen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu informieren. So hätte er ohne weiteres bei der T. nachfragen können, unter welchen Voraussetzungen ihm eine unverfallbare Anwartschaft bei der Zusatzversorgung erwachse. Im Übrigen sei der geltend gemachte Schadensersatzanspruch verjährt.

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen hat mit Urteil vom 20.03.2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung dieser Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch nicht zu, da die Beklagte vor Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht verpflichtet gewesen sei, über dessen rentenrechtliche Auswirkungen zu belehren. Darüber hinaus sei ein etwaiger Schadensersatzanspruch auch verjährt. Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe wird auf Seite 4 ff. des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen (= Bl. 60 ff. d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger, dem die Entscheidung des Arbeitsgerichts am 30.03.2006 zugestellt worden ist, hat am 25.04.2006 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 06.06.2006 sein Rechtsmittel begründet nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich 06.06.2006 verlängert worden war.

Der Kläger macht geltend, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes hätten im vorliegenden Fall besondere Aufklärungspflichten auf Seiten der Beklagten vor Abschluss des Aufhebungsvertrages bestanden. Die Initiative zum Abschluss der Vereinbarung sei nämlich von der Beklagten ausgegangen und für diese habe sich angesichts der bekannten Erkrankung des Klägers auch der Eintritt des Versorgungsfalles bereits abgezeichnet. Eine Verjährung des Schadensersatzanspruches sei unter Beachtung von Art. 229 EGBGB, § 6 Abs. 4 ausgeschlossen, zumal die zehnjährige Verjährungsfrist nach dieser gesetzlichen Regelung erst mit dem 01.01.2002 begonnen habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 06.06.2006 (Bl. 78 ff. d. A.) und 12.07.2006 (Bl. 99 f. d. A.) verwiesen.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz in Höhe einer monatlich zu zahlenden Rente ab dem 27.11.1996 entsprechend einer Rente gemäß der Satzung der T. - Körperschaft des öffentlichen Rechts - aufgrund der erbrachten Umlagemonate sowie einer Zurechnungszeit gemäß der Satzung der T. zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die Ansprüche des Klägers seien verjährt und im Übrigen habe er auch einen klaren Verzicht unterschrieben, so dass er an die nicht angefochtene Vereinbarung in dem Aufhebungsvertrag vom 14.06.1995 gebunden sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 10.07.2006 (Bl. 96 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gem. §§ 64 ff. ArbGG, 512 ff. ZPO zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Die vom Kläger beantragte Feststellung war nicht zu treffen, da die Beklagte nicht verpflichtet ist, an den Kläger Schadensersatz in Höhe einer monatlich ab dem 27.11.1996 zu zahlenden Rente entsprechend einer Rente gemäß der Satzung der T., aufgrund der erbrachten Umlagemonate sowie einer Zurechnungszeit gemäß der Satzung der T., zu zahlen. Ein dahingehender Schadensersatzanspruch ergibt sich auch nicht aus positiver Vertragsverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) im Zusammenhang mit einer unterlassenen Aufklärung des Klägers durch die Beklagte über die Auswirkungen des Aufhebungsvertrages vom 14.06.1995 auf die Zusatzversorgung des Klägers. Ein Arbeitgeber ist zwar nicht ohne weiteres verpflichtet, Arbeitnehmer unaufgefordert über die Auswirkungen einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses für ihre betriebliche Altersversorgung zu unterrichten. Hinweis- und Aufklärungspflichten können sich aber aus den besonderen Umständen des Einzelfalles nach einer umfassenden Interessenabwägung ergeben. Die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits sind dabei zu beachten. Gesteigerte Hinweispflichten können den Arbeitgeber vor allem dann treffen, wenn ein Aufhebungsvertrag auf seine Initiative und in seinem Interesse zustande kommt. Durch das Angebot eines Aufhebungsvertrages kann der Arbeitgeber den Eindruck erwecken, er werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen und atypischen Versorgungsrisiken aussetzen. Allerdings dürfen hierbei die vertraglichen Schutz- und Fürsorgepflichten nicht überspannt werden. Jeder Vertragspartner hat grundsätzlich selbst für die Wahrnehmung seiner Interessen zu sorgen (vgl. BAG, Urteil vom 23.09.2003 - 3 AZR 658/02 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrVGm. w. N.).

Im vorliegenden Fall kann allerdings dahingestellt bleiben, ob die Beklagte vor Abschluss des Aufhebungsvertrages gegen etwaige Aufklärungspflichten, die sich unter Beachtung der oben genannten Rechtsprechung ergeben könnten, verstoßen hat. Denn es fehlt an einer Kausalität zwischen der vom Kläger behaupteten Pflichtverletzung und dem geltendgemachten Schaden. Wenn unterstellt wird, dass der Kläger durch eine mindestens dreimonatige weitere Beschäftigung bei der Beklagten für den Fall der Erwerbsunfähigkeit zusätzliche Rentenansprüche gegenüber der T. erworben hätte und durch das Unterbleiben einer Weiterbeschäftigung über den Juni 1995 hinaus diese Rentenansprüche nicht realisiert werden können, so beruht dieser Nachteil nicht auf einer Verletzung der Aufklärungspflicht seitens der Beklagten. Dies gilt weiter selbst für den Fall, dass der Kläger im Falle einer umfassenden Aufklärung über die rentenrechtlichen Folgen des Aufhebungsvertrages diesen nicht geschlossen hätte. Denn auch dann wäre es zu der aus Sicht des Klägers notwendigen Weiterbeschäftigung für die Dauer von mindestens drei Monaten nicht gekommen. Vielmehr hätte das Arbeitsverhältnis durch die Teilnahme an der zweiten Wiederholungsprüfung und die Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses, ohne Rücksicht auf einen Prüfungserfolg, so oder so sein Ende gefunden. Nach § 23 Abs. 1 MTV-Azubi endet das Berufsausbildungsverhältnis mit dem Ablauf der Ausbildungszeit. Besteht der Auszubildende vor Ablauf der Ausbildungszeit die Abschlussprüfung, endet das Berufsausbildungsverhältnis mit Bestehen dieser Prüfung. Besteht der Auszubildende die Abschlussprüfung nicht, verlängert sich das Berufsausbildungsverhältnis auf sein Verlangen bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung, höchstens um ein Jahr. Da im vorliegenden Fall sogar der tariflich vorgesehene einjährige Verlängerungszeitraum seit dem erstmaligen Nichtbestehen der Abschlussprüfung bereits überschritten war, war das Ausbildungsverhältnis auf jeden Fall nach dem Ablegen der zweiten Wiederholungsprüfung beendet.

Ein Anspruch des Klägers auf die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis besteht nicht. Weder dem Berufsbildungsgesetz noch dem MTV-Azubi in der für 1995 geltenden Fassung ist ein dahingehender Anspruch zu entnehmen. Die Beklagte hat die beabsichtigte Nichtübernahme des Klägers auch bereits in dem Gespräch, das dieser am 07.06.1995 mit Frau X. führte, unstreitig mitgeteilt.

Mithin stand bereits zu diesem Zeitpunkt fest, dass nach dem Ablegen der Wiederholungsprüfung keine versicherungsrechtlichen Beitragsmonate durch den Kläger mehr erworben werden konnten. Auch wenn der Aufhebungsvertrag nicht geschlossen worden wäre, hätte das Ausbildungsverhältnis zu diesem Zeitpunkt geendet. Inhalt und Modalitäten des Aufhebungsvertrages waren mithin unerheblich für die Rentennachteile, die der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit geltend macht.

Nach alledem bedurfte es auch nicht der Klärung, ob die Beklagte vor Abschluss des Aufhebungsvertrages tatsächlich gegen Aufklärungspflichten verstoßen hat und ob ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers verjährt ist. Vielmehr war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO aus den oben genannten Gründen bereits zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision fehlte es an der Beachtung von § 72 Abs. 2 ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass.

Ende der Entscheidung

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