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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 23.08.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 431/06
Rechtsgebiete: BGB, ArbG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 134
BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
ArbG §§ 64 ff.
ZPO §§ 513 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 9 Sa 431/06

Entscheidung vom 23.08.2006 Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 21.03.2006, Az. 5 Ca 2161/05, wird kostenpflichtig zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer fristlosen und hilfsweise ordentlich ausgesprochenen Kündigung. Der am 01.07.1947 geborene Kläger, der verheiratet ist und drei unterhaltsberechtigte Kinder hat, war seit dem 13.12.1999 bei dem Beklagten, der mit in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmern einen Arbeitnehmerverleihbetrieb unterhält, als Produktionshelfer gegen Zahlung eines monatlichen Arbeitsentgeltes in Höhe von durchschnittlich 1.800,00 EUR brutto beschäftigt. Dem Beschäftigungsverhältnis lag der schriftliche Arbeitsvertrag vom 13.12.1999 (Bl. 3 f. d. A.) zugrunde. Neben dem Kläger waren im Betrieb des Beklagten auch die Tochter des Klägers und sein damaliger Schwiegersohn, Herr X. beschäftigt. Am 17.08.2005 waren der Kläger und Herr X. bei der Firma W. als Leiharbeitnehmer eingesetzt. Während der Arbeit gewann der Kläger den Eindruck, dass sich sein Schwiegersohn beim Schichtleiter über ihn beschwert habe. Nach Arbeitsende lauerte er daher Herrn X. gegen 06:10 Uhr vor der Tür von dessen Privatwohnung auf und versetzte ihm Faustschläge in das Gesicht, woraufhin Herr X. zu Boden ging. Anschließend trat der Kläger mit seinen festen Arbeitsschuhen gegen den Kopf des am Boden Liegenden. Herr X. erlitt hierdurch eine schwere Gehirnerschütterung, Schürfwunden, Hämatome und Prellungen. Nachdem die Firma W. von diesem Vorgang Kenntnis erhielt, erklärte sie mit dem an den Beklagten gerichteten Schreiben vom 05.09.2005 (Bl. 16 d. A.), sie erteile den beiden an der Auseinandersetzung beteiligten Arbeitnehmern ein Hausverbot. Mit Schreiben vom 06.09.2005 (Bl. 6 d. A.), das dem Kläger am 07.09.2005 zuging, hat der Beklagte das Beschäftigungsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich gekündigt. Mit seiner am 21.09.2005 beim Arbeitsgericht Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - eingegangen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die ausgesprochene Kündigung sei unwirksam. Wegen des erstinstanzlichen Sachvortrages beider Parteien wird auf die Zusammenfassung auf Seite 4 f. des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 21.03.2006 (S. 3 f. = Bl. 36 f. d. A.) Bezug genommen. Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 06.09.2005 weder fristlos noch ordentlich beendet wird, sondern fortbesteht. Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen. Der Kläger ist mit Urteil des Amtsgerichts V. vom 26.01.2006 (Az. 2070 Js 55872/05. 2 Ds) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt worden. Das Opfer der Straftat hat sein Arbeitsverhältnis beim Beklagten gekündigt und ist an einen dem Kläger unbekannten Ort verzogen. Das Arbeitsgericht hat die Strafakte zu Beweiszwecken beigezogen. Sodann hat das Arbeitsgericht mit Urteil vom 21.03.2006 (Bl. 34 ff. d. A.) die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die rechtlichen Voraussetzungen nach § 626 Abs. 1 BGB für eine fristlose Kündigung seien im vorliegenden Fall erfüllt. Der Kläger habe am 17.08.2005 seinen ehemaligen Schwiegersohn körperlich schwer verletzt. Bei dem tätlichen Angriff habe es sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht um ein lediglich privates Fehlverhalten außerhalb der betrieblichen Sphäre gehandelt, zumal der ehemalige Schwiegersohn des Klägers dessen Arbeitskollege gewesen sei, so dass sich die Streitigkeit auf den Betriebsfrieden des Beklagten ausgewirkt habe. Der ernstlichen Störung des Betriebsfriedens stehe im Übrigen auch nicht entgegen, dass der ehemalige Schwiegersohn des Klägers zwischenzeitlich nicht mehr bei dem Beklagten tätig sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichtes wird auf Seite 5 ff. des Urteils vom 21.03.2006 (= Bl. 38 ff. d. A.) verwiesen. Der Kläger, dem die Entscheidung des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - am 05.05.2006 zugestellt worden ist, hat am 02.06.2006 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 05.07.2006 sein Rechtsmittel begründet. Der Kläger macht geltend,

bei der Straftat habe es sich um einen Ausnahmefall gehandelt. Zu berücksichtigten sei, dass der 57 Jahre alte, verheiratete Kläger türkischer Staatsangehöriger sei und es sich bei dem "Opfer" um den damaligen türkischen Schwiegersohn des Klägers handle. Zum Zeitpunkt der Tat hätten die Tochter des Klägers und deren Ehemann getrennt gelebt und es sei bereits das Scheidungsverfahren gelaufen. Zwischen den Eheleuten habe es eine erbitterte Auseinandersetzung um die Kinder gegeben, bei der es auch zu körperlichen Übergriffen seitens des Schwiegersohnes gegenüber der Tochter des Klägers gekommen sei. Der Kläger habe im Betrieb der Firma W. beobachtet, wie der Schwiegersohn sich an einen Vorgesetzten gewandt habe, mit diesem geredet habe und anschließend sei er, der Kläger, an einen anderen Arbeitsplatz versetzt worden. Die Straftat sei nicht zu Lasten des Arbeitgebers und auch nicht in der Betriebssphäre ausgeübt worden, so dass keine Auswirkung auf den Betriebsfrieden gegeben sei. Eine solche Auswirkung sei auch deshalb ausgeschlossen, weil der Schwiegersohn des Klägers das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt habe und weggezogen sei. Im Übrigen hätte für den Beklagten die Möglichkeit bestanden, die beiden Arbeitskollegen in verschiedenen Schichten einzusetzen. Außerdem sei zu rügen, dass das Arbeitsgericht keine Interessenabwägung vorgenommen habe. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 05.07.2006 (Bl. 66 ff. d. A.) und 21.08.2006 (Bl. 85 f. d. A.) Bezug genommen. Der Kläger beantragt,

das erstinstanzliche Urteil vom 21.03.2006, zugestellt am 05.05.2006, aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 06.09.2005 weder fristlos noch ordentlich beendet wird, sondern fortbesteht. Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Der Beklagte führt aus, der Kläger habe seinen ehemaligen Schwiegersohn am 17.08.2005 in brutaler Weise schwer verletzt. Er habe schon früher seine Tochter und auch den Schwiegersohn in unerträglicher Weise innerhalb des Unternehmens "gejagt" und immer wieder betont, dass er den Tod seines Schwiegersohnes und auch seiner Tochter in Kauf nehmen würde. Ursächlich für den tätlichen Angriff des Klägers sei ein Vorfall im Unternehmen des Beklagten, wobei der Kläger sich nicht veranlasst sah, seinen Schwiegersohn zur Rede zu stellen, sondern wortlos anzugreifen und ihn schwer zu verletzen. Hieraus folge ein Zusammenhang zwischen der tätlichen Auseinandersetzung und dem Betrieb des Beklagten. Eine konkrete Auswirkung des Vorfalls auf das Arbeitsverhältnis ergebe sich auch daraus, dass es für den Schwiegersohn des Klägers nicht mehr möglich gewesen sei, sein Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Da darüber hinaus die Firma W. beiden Arbeitnehmern ein Hausverbot erteilt habe und für den Kläger als Produktionshelfer eine andere Arbeitsstelle beim Beklagten nicht vorhanden gewesen sei, habe das Arbeitsverhältnis fristlos beendet werden müssen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 14.07.2006 (Bl. 76 ff. d. A.) verwiesen. Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gem. §§ 64 ff. ArbG, 513 ff. ZPO zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wurde durch die außerordentliche Kündigung vom 06.09.2005 fristlos zum 07.09.2005 beendet. Die von dem Beklagten erklärte außerordentliche Kündigung ist nicht nach §§ 626 Abs. 1, 134 BGB nichtig. Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die rechtliche Überprüfung nach § 626 Abs. 1 BGB erfolgt zweistufig: Zum einen muss ein Grund vorliegen, der - ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles - überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen der Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips, zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. DLW/Dörner, 5. Auflage, D, Randziffer 662 m. w. N.). Der tätliche Angriff auf einen Arbeitskollegen ist ein an sich geeigneter Sachverhalt, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Denn es handelt sich hierbei um eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Der Arbeitgeber ist nicht nur allen Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt sind, sondern hat auch ein eigenes Interesse daran, dass die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch tätliche Auseinadersetzungen beeinträchtigt wird und nicht durch Verletzungen Arbeitskräfte ausfallen (vgl. BAG, Urteil vom 24.10.1996 - 2 AZR 900/95 = ZTR 1997, 139; DLW/Dörner a. a. o., Randziffer 702 m. w. N.). Ein tätlicher Angriff auf einen Arbeitskollegen hat mithin auch Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis, wenn er - wie vorliegend - außerhalb des dem Arbeitnehmer zugewiesenen örtlichen oder räumlichen Arbeitsplatzes erfolgt; dies ergibt sich aus der Zugehörigkeit beider Arbeitnehmer zu dem Betrieb desselben Arbeitgebers. Ob die Auswirkungen allerdings so gravierend sind, dass sie die sofortige Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigen, ist im Rahmen der zweiten Prüfungsstufe anhand der Einzelfallumstände zu entscheiden. Im vorliegenden Fall lässt die im Rahmen der zweiten Prüfungsstufe unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände durchzuführende Interessenabwägung ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkennen. Der Kläger gehört dem Betrieb des Beklagten zwar bereits nahezu sechs Jahre an, er hat als ungelernter Arbeiter im Alter von 58 Jahren allenfalls geringe Aussichten, einen neuen Arbeitsplatz zu finden und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirkt sich nicht nur auf ihn nachteilig aus, sondern auch auf seine Ehefrau und drei minderjährige Kinder. Hingegen kann nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, dass - wie vom Kläger behauptet - der ehemalige Schwiegersohn die Tochter des Klägers tätlich angegriffen haben soll. Zum einen stellt der Kläger diesen tätlichen Angriff nicht konkret dar und mangels zeitlicher Angaben ist auch nicht erkennbar, dass es sich bei der von ihm begangen Körperverletzung tatsächlich um eine Reaktion auf ein vorausgegangenes Fehlverhalten seines Schwiegersohnes handelt. Die für die Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses sprechenden sozialen Gesichtspunkte treten nach Überzeugung der Berufungskammer gegenüber dem Beendigungsinteresse des Beklagten zurück; dieses Interesse resultiert aus folgenden Umständen: Der tätliche Angriff des Klägers erfolgte im Wesentlichen zwar außerhalb des betrieblichen Arbeitsbereiches, nämlich vor der Privatwohnung des Herrn X.; nichtsdestotrotz hatte dieser Angriff ganz erhebliche Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis des Klägers und den Betrieb des Beklagten. Der Kläger war nämlich zusammen mit dem angegriffen Arbeitskollegen von dem Beklagten an die Firma W. verliehen worden. Nach Bekanntwerden des Vorfalles sprach die Firma W. gegenüber beiden Arbeitnehmern ein schriftliches Hausverbot aus (vgl. Bl. 16 d. A.). Soweit der Kläger dieses Schreiben als Gefälligkeit der Firma W. gegenüber der Beklagten bezeichnet hat, entbehrt diese Wertung jeglicher konkreter Anhaltspunkte. Infolge des Hausverbotes war es dem Beklagten nicht mehr möglich, den Kläger als ungelernten Produktionshelfer bei der Firma W. einzusetzen. Andere konkrete Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen nach Angaben des Beklagten nicht. Soweit der Kläger dem widersprach, vermochte er seinerseits keine nachvollziehbaren Beschäftigungsmöglichkeiten darzutun. Der tätliche Angriff des Klägers stand auch im engen Zusammenhang zur Arbeitstätigkeit für den Beklagten. Nach seinen eigenen Angaben hatte der Kläger gesehen, dass Herr X. mit einem Vorgesetzten sprach, woraufhin dem Kläger ein anderer Arbeitsplatz bei der Firma W. zugewiesen wurde. Dies nahm der Kläger zum Anlass, Herrn X. später vor seiner Wohnung aufzulauern und ihn tätlich anzugreifen. Der Kläger hat hierdurch den Betriebsfrieden bei dem Beklagten in schwerwiegender Weise gestört. Nicht nur dass er seinen Arbeitskollegen mit großer Brutalität attackierte - dies gipfelte in Tritten mit seinen festen Arbeitsschuhen gegen den Kopf des am Boden liegenden Herrn X.. Vielmehr führte dieses Verhalten des Klägers auch dazu, dass Herr X. von sich aus seinen Arbeitsplatz bei dem Beklagten aufgab und an einen dem Kläger unbekannten Ort verzog. Der Kläger hat mithin durch sein Verhalten das Ausscheiden des verängstigten Arbeitskollegen verursacht und hierdurch in die vom Beklagten gewählte personelle Zusammensetzung der Belegschaft eingegriffen. Angesichts dieser Gesamtumstände kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger in der Vergangenheit schon einmal seine Tochter oder seinen Schwiegersohn im Betrieb "gejagt" hat. Vielmehr war dem Beklagten nicht zuzumuten, den Kläger auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist (§ 622 Abs. 2 Nr. 3; drei Monate zum Ende eines Kalendermonats) weiterzubeschäftigen. Der Kläger hat dies durch sein Fehlverhalten selbst unmöglich gemacht. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist eingehalten. Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Für die Zulassung der Revision fehlte es unter Berücksichtigung von § 72 Abs. 2 ArbG an einem gesetzlich begründeten Anlass.

Ende der Entscheidung

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