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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 03.04.2009
Aktenzeichen: 9 Sa 695/08
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG, KSchG, ZPO, SGB IX


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
BetrVG § 102
BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 3
BetrVG § 102 Abs. 2 Satz 1
BetrVG § 111
BetrVG § 111 S. 3 Nr. 1
BetrVG § 112
BetrVG § 112 Abs. 1 S. 1
KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 1
KSchG § 1 Abs. 5
KSchG § 1 Abs. 5 Satz 2
KSchG § 17
KSchG § 17 Abs. 1
KSchG § 17 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 234
SGB IX § 85
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 25.09.2008, Az.: 2 Ca 893/08 wird kostenpflichtig zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der von der Beklagten mit Schreiben vom 30.06.2008 ausgesprochenen ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum 31.12.2008. Von einer wiederholenden Darstellung des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird abgesehen und stattdessen gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 25.09.2008, Az.: 2 Ca 893/08 (Bl. 55 ff. d. A.). Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die mit Schreiben der Beklagten vom 30.06.08 ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 31.12.08 enden wird. 2. Festzustellen, dass auch keine sonstigen Beendigungstatbestände vorliegen, sondern das Arbeitsverhältnis der Parteien zu unveränderten Bedingungen über den 31.12.08 hinaus fortbestehen wird. Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen. Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und soweit für das Berufungsverfahren noch von Interesse zur Begründung zusammengefasst ausgeführt: Die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in diesem Betrieb entgegenstünden, bedingt. Dies gelte unabhängig davon, ob zwischen der Beklagten und dem bei ihr bestehenden Betriebsrat ein wirksamer Interessenausgleich mit Namensliste zustande gekommen sei. Unstreitig entfalle nämlich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger. Der Kläger habe den Sachvortrag der Beklagten nicht bestritten, wonach zukünftig im Betrieb keine Transportkarren mehr eingesetzt werden sollen. Auch unter dem Gesichtspunkt fehlerhafter Sozialauswahl ergebe sich keine Unwirksamkeit der Kündigung. Der Kläger sei mit keinem anderen Arbeitnehmer vergleichbar. In Bezug auf zwei Akkordarbeiter habe der Kläger im Verhandlungstermin persönlich klar gestellt, dass er deren Tätigkeiten nicht ausüben könne. Die Kündigung sei auch nicht nach § 102 BetrVG unwirksam. Ebenso wenig scheitere ihre Wirksamkeit unter dem Gesichtspunkt fehlender Anzeige nach § 17 KSchG. Da der Kläger bestritten habe, dass überhaupt eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorgelegen habe, habe er auch die Voraussetzungen des § 17 KSchG in Abrede gestellt. Das genannte Urteil ist dem Kläger am 23.10.2008 zugestellt worden. Mit einem am 21.11.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger unter Vorlage des Entwurfs einer Berufungsschrift beantragt, ihm für die Durchführung des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Mit Beschluss vom 23.01.2009 ist dem Kläger unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten für die beabsichtigte Durchführung des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Mit dem am 02.02.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger unter gleichzeitiger Begründung seines Rechtsmittels Berufung eingelegt und beantragt, ihm wegen der Nichteinhaltung der Berufungsfrist und wegen der Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 115 ff. d. A.), im Wesentlichen geltend: Die Beklagte habe betriebsbedingte Kündigungsgründe nicht ausreichend vorgetragen. Wenn sie darauf verweise, die Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers als innerbetrieblicher Transportfahrer mit einem Handkarren sei aufgrund eines Umzugs des Unternehmens zum 01.09.2008 entfallen, fehle es an einem substantiierten Sachvortrag dazu, welche konkreten Tätigkeiten in welchem zeitlichen Umfang bislang vom Kläger ausgeübt worden seien und inwiefern diese Tätigkeiten künftig von anderen Arbeitnehmern ohne überobligationsmäßige Belastung übernommen werden könnten. Die Beklagte habe auch nicht substantiiert dargelegt, wann und durch wen die behauptete unternehmerische Entscheidung getroffen worden sein solle, dass künftig kein innerbetrieblicher Transportfahrer im Betrieb der Beklagten eingesetzt werde bzw. dass der innerbetriebliche Transport nicht mehr durch Handkarren erfolge. Die diesbezüglichen Behauptungen der Beklagten seien zu bestreiten. Soweit sich die Beklagte auf den Abschluss eines Interessenausgleichs i. S. d. § 112 BetrVG mit der Folge der Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG berufe, bestreite er, dass überhaupt eine Betriebsänderung vorgelegen habe und dass überhaupt zwischen den Betriebsparteien tatsächlich ein Interessenausgleich geschlossen worden sei. Die Kündigung sei ferner auch unter dem Gesichtpunkt fehlerhafter Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG rechtsunwirksam. Die Beklagte sei unzutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit anderen Arbeitnehmern nicht vergleichbar sei. Eine Vergleichbarkeit bestehe vielmehr hinsichtlich der Akkordarbeiter H. und B.. Die von diesem ausgeübten Tätigkeiten könnten ihm - dem Kläger - kraft Direktionsrecht übertragen werden. Soweit im Protokoll der erstinstanzlichen Kammerverhandlung vom 25.09.2008 festgehalten sei, dass der Kläger auf Frage des Vorsitzenden erklärt habe, er könne diese Akkordtätigkeit nicht ausführen, habe der Kläger infolge der hochgradigen Schwerbehinderung den Inhalt der an ihn gerichteten Frage nicht einmal im Ansatz verstanden und habe lediglich völlig verunsichert und fragend den Kopf geschüttelt. Die Kündigung sei auch nach § 102 BetrVG rechtsunwirksam. Die Beklagte habe erstinstanzlich nicht mitgeteilt, wann dem Betriebsrat das vermeintliche Anhörungsschreiben vom 23.06.2008 zugegangen sei, noch ob, wann und mit welchem Inhalt der Betriebsrat hierzu Stellung genommen habe. Ebenso fehle Sachvortrag der Beklagten dazu, dass zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung am 30.06.2008 bereits eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorgelegen habe. Ebenso werde zulässiger Weise bestritten, dass die Beklagte ihrer Anzeigepflicht nach § 17 KSchG nachgekommen sei. Der Kläger beantragt,

ihm wegen der Nichteinhaltung der Berufungsfrist und wegen der Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 25.09.2008, Az.: 2 Ca 893/08 abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die mit Schreiben der Beklagten vom 30.06.2008 ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 31.12.2008 aufgelöst worden ist. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Sie tritt der Berufung nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 04.03.2009, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 160 ff. d. A.), der Berufung und dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen. Sie vertritt die Auffassung zu ihren Gunsten greife die gesetzliche Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung nach § 1 Abs. 5 KSchG. Der Interessenausgleich und auch der Sozialplan seien am 25.02./17.03.2008 sowohl von der Geschäftsführung, als auch von sämtlichen Betriebsratsmitgliedern unterschrieben worden. Es habe auch eine Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG vorgelegen. Von insgesamt 62 beschäftigten Arbeitnehmern seien 12 Arbeitsverhältnisse gekündigt worden. Auch tatsächlich sei ein Bedarf für die Beschäftigung des Klägers entfallen. Die von ihm ausgeübte Tätigkeit als innerbetrieblicher Transportfahrer mittels Handkarren sei nach dem Umzug in neue Betriebsräume entfallen. An der neuen Produktionsstätte sei der Produktionsprozess mit der Folge kurzer Transportwege organisiert. Die vom Kläger bis zum Umzug benutzten Transportkarren würden nicht mehr eingesetzt. Vielmehr hätten 15 Arbeitnehmer einen Gabelstaplerführerschein erworben, um den innerbetrieblichen Transport nunmehr selbst zu erledigen. Sie sei zutreffend auch davon ausgegangen, dass keine mit dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen gewesen seien. Dies gelte erst Recht in Anwendung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs der "groben Fehlerhaftigkeit" i. S. d. § 1 Abs. 5 KSchG. Soweit der Kläger zwei Akkordarbeiter als vergleichbar in Bezug nehme, sei dies unzutreffend. Tatsächlich sei nur noch einer dieser Akkordarbeiter beschäftigt gewesen, während das Arbeitsverhältnis des anderen Akkordarbeiters ebenfalls gekündigt und auch beendet worden sei. Die Tätigkeit als Akkordarbeiter erfordere wegen der Unfallgefahr an den Pressen einen hohen Aufwand an Konzentration, Fingerfertigkeit und schneller Reaktion. Der Kläger habe zutreffender Weise erstinstanzlich die Frage des Gerichts, ob er die Tätigkeit eines Akkordarbeiters ausüben könne, verneint. Der Kläger sei auch behinderungsbedingt nicht in der Lage, eine derartige Tätigkeit auszuüben. So sei es ihm sogar medizinisch untersagt, ein Stapler oder einen Elektrokarren zu führen. Der Betriebsrat sei zu der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden. Dem Betriebsratsvorsitzenden sei am Morgen des 22.06.2008 ein Anhörungsschreiben übergeben worden. Am 25.06.2008 habe der Betriebsrat eine abschließende Stellungnahme dergestalt abgegeben, dass der Betriebsrat der Kündigung nicht widerspreche. Auch ein Verstoß gegen § 17 KSchG läge nicht vor. Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Berufungskammer hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 03.04.2009, auf den Bezug genommen (Bl. 205 d. A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 03.04.2009 (Bl. 207 ff. d. A.) verwiesen. Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft. Die Berufung wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Dem Kläger war antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die zunächst versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Beantragt der Rechtsmittelführer innerhalb der Berufungsfrist ihm für eine beabsichtigtes Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, dann ist er bis zur Entscheidung über den Antrag als unverschuldet verhindert anzusehen, das Rechtsmittel wirksam einzulegen und zu begründen (vgl. etwa LAG Rheinland-Pfalz 4.6.2004 -3 Sa 186/04- NZA-RR 2005, 123; Schwab, in Schwab/Weth, ArbGG, 2. Aufl., § 66 Rz. 50 mwN.). Nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe hat der Kläger die versäumten Prozesshandlungen innerhalb der Frist des § 234 ZPO nachgeholt. II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

Die streitgegenständliche Kündigung ist rechtswirksam. Sie ist aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Auch sonstige Unwirksamkeitsgründe liegen nicht vor. 1. Im vorliegenden Fall greift zugunsten der Beklagten die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 KSchG. Demnach besteht eine Vermutung dafür, dass die streitgegenständliche Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Dem Kläger ist es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen.

a) Zwischen der Beklagten und dem bei ihr bestehenden Betriebsrat ist wirksam ein Interessenausgleich mit Namensliste im Sinne des § 1 Ab. 5 KSchG zustande gekommen.

Es lag eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG vor. Die Beklagte hat dargelegt, dass von 62 Arbeitnehmern 12 Arbeitnehmer entlassen wurden. Nach § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG liegt eine Betriebsänderung u.a. auch bei einer Einschränkung des Betriebs vor. Eine solche kann außer durch die Einschränkung sächlicher Betriebsmittel auch durch einen erheblichen Personalabbau erfolgen. Richtschnur für die Erheblichkeit des Personalabbaus sind dabei die Zahlen und Prozentangaben gem. § 17 Abs. 1 KSchG mit der Maßgabe, dass von dem Personalabbau zumindest 5 % der Belegschaft des Betriebs betroffen sein müssen (vgl. nur BAG 28.3.2006 -1 ABR 5/05- EzA § 111 BetrVG 2001 Nr. 1). Der sich nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG ergebende Wert ist vorliegend überschritten, da ein Personalabbau von mehr als 10 % der Arbeitnehmer stattfinden sollte und auch tatsächlich realisiert wurde. Dafür dass ein derartiger Personalabbau beabsichtigt war spricht nicht nur der Inhalt des Interessenausgleichs, sondern zudem auch das von der Beklagten in Kopie vorgelegte Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 25.3.2008 (Bl. 188 d.A.), demzufolge auch die zuständige Agentur für Arbeit von einer anzeigepflichtigen Massenentlassung ausgeht. Schließlich hat auch die Zeugin W. glaubhaft bekundet, dass in Vollzug des Interessenausgleichs insgesamt 12 Arbeitnehmer entlassen wurden. Die Zeugin hat den Sachverhalt sicher und widerspruchsfrei geschildert und war auch nach ihrem persönlichen Eindruck auf die Berufungskammer glaubwürdig.

Der Interessenausgleich vom 25.2./17.3.2008 ist auch wirksam zustande gekommen. Die Beklagte hat den Interessenausgleich im Verhandlungstermin vom 3.4.2009 im Original vorgelegt (Bl. 216 ff. d.A.). Dieser trägt die Unterschriften sämtlicher Betriebsratsmitglieder und die der Geschäftsleitung (§ 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Die Tatsache, dass der Interessenausgleich von allen Mitgliedern des Betriebsrats unterschrieben ist, wurde auch durch die Aussage des als Zeugen vernommenen Betriebsratsvorsitzenden bestätigt. Auch dieser Zeuge ist glaubwürdig. Er hat die Modalitäten der Unterschriftsleistung im Einzelnen und widerspruchsfrei geschildert.

Der genannte Interessenausgleich enthält auch eine von den Unterschriften gedeckte Namensliste, in welcher u.a. der Kläger als zu kündigender Arbeitnehmer benannt ist. Das Schriftformerfordernis des § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG bezieht sich auch auf die Namensliste. Ausreichend ist insoweit, dass Interessenausgleich und Namensliste eine unterzeichnete Urkundeneinheit bilden, was z.B. zu bejahen ist, wenn sich dies aus fortlaufender Paginierung, einheitlicher grafischer Gestaltung und inhaltlichem Zusammenhang des Textes zweifelsfrei ergibt (BAG 7.5.1998 - 2 AZR 55/98- EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 6). So liegen die Dinge hier. Die Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer ist bei einheitlicher grafischer Gestaltung und fortlaufender Paginierung in den Textzusammenhang eingebettet. Dem entspricht es, dass auch der als Zeuge vernommene Betriebsratsvorsitzende zweifelsfrei bestätigt hat, dass die Auflistung im Interessenausgleich der mit dem Betriebsrat erzielten Einigung entspricht.

b) Folge der namentlichen Nennung des Klägers in der Liste zu kündigender Arbeitnehmer im Interessenausgleich ist gemäß § 1 Abs. 5 KSchG, dass eine gesetzliche Vermutung dafür besteht, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Diese Regelung bedingt nicht nur eine Beweislastumkehr, sondern ihr folgend auch eine Verschiebung der Darlegungslast. Es ist Sache des Arbeitnehmers, durch substantiierten Tatsachenvortrag darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass keine dringenden betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung vorliegen (BAG 7.5.1998 - 2 AZR 536/97- EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 5; KR-KSchG/Griebeling, 8. Aufl., § 1 KSchG Rz. 703 f. mwN.).

Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag des Klägers nicht. Dieser hat vielmehr lediglich bestritten, dass dringende betriebliche Erfordernisse bestünden, so insbesondere, dass das Bedürfnis für einen gesonderten innerbetrieblichen Transportfahrer mittels Handkarren entfallen sein soll. Dies genügt der Darlegungslast nicht. Erforderlich ist nämlich, dass ein substantiierter Tatsachenvortrag gehalten wird, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel zieht, sondern ausschließt (BAG 7.5.1998, aaO.). 2. Die Kündigung ist auch nicht nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG unter dem Gesichtspunkt fehlerhafter Sozialauswahl sozial ungerechtfertigt. Aufgrund des wirksamen Interessenausgleichs konnte dabei gem. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit hin überprüft werden. Dieser Prüfungsmaßstab bezieht sich dabei nicht nur auf die Gewichtung einzelner Auswahlkriterien, sondern auch auf die Bildung des auswahlrelevanten Personenkreises (vgl. BAG 3.4.2008 -2 AZR 879/06- EzA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 15) und damit auch auf die Nichteinbeziehung anderer Arbeitnehmer wegen fehlender Vergleichbarkeit (KR-KSchG/Griebeling, aaO., Rz. 703 h mwN.). Eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl liegt vor, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt (BAG 3.4.2008, aaO.).

Der Kläger macht geltend, er sei mit zwei Arbeitnehmern vergleichbar, die bei der Beklagten als Akkordarbeiter an Maschinen eingesetzt werden (Herr H. und Herr B., rügt also, dass die Beklagte unzutreffend von einer Nichtvergleichbarkeit des Klägers mit anderen Arbeitnehmern ausgegangen sei. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass gerichtsbekannt ist, dass dem Mitarbeiter H. ebenfalls gekündigt wurde und das Arbeitsverhältnis in dem diesbezüglichen Kündigungsschutzrechtsstreit durch einen vor dem Landesarbeitsgericht geschlossenen Vergleich aufgrund dieser Kündigung beendet worden ist. Soweit der Kläger eine Vergleichbarkeit mit dem Mitarbeiter B. reklamiert, ist die Nichteinbeziehung dieses Mitarbeiters in die soziale Auswahl nicht zu beanstanden.

Die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erstreckt sich innerhalb eines Betriebs nur auf die Arbeitnehmer, die miteinander vergleichbar sind. Dabei bestimmt sich der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer auf Grund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. An einer Vergleichbarkeit fehlt es jedoch, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig im Rahmen des Direktionsrechts auf den anderen Arbeitsplatz umsetzen oder versetzen kann (vgl. etwa BAG 18.10.2006 -2 AZR 676/05- EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr 73).

Neben der rechtlichen Möglichkeit der Um- bzw. Versetzbarkeit setzt damit eine Vergleichbarkeit im Rahmen der Sozialauswahl voraus, dass die Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer tatsächlich ausgeübten Tätigkeit austauschbar sind. Für diese Annahme bietet der Sachvortrag des insoweit nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG darlegungspflichtigen Klägers keine ausreichenden Anhaltspunkte. Der Kläger hat ausweislich des Protokolls der Sitzung des Arbeitsgerichts vom 25.9.2008 zum Ausdruck gebracht, er könne die Tätigkeiten der genannten Akkordarbeiter nicht ausführen. Unstreitig ist zudem, dass der Kläger diese Tätigkeiten bisher nicht ausgeführt hat, sondern lediglich mit den wesentlich einfacheren manuellen Transporttätigkeiten betraut war. Aus dem Bescheid des Integrationsamtes vom 30.6.2008 ergibt sich zudem, dass im Rahmen des Zustimmungsverfahrens ein anderer behindertengerechter Arbeitsplatz nicht aufgezeigt werden konnte. Die Beklagte hat zudem -insoweit vom Kläger nicht bestritten- dargelegt, dass es dem Kläger ärztlicherseits untersagt ist, einen Stapler oder einen Elektrokarren zu führen, wobei sie im Rahmen der Betriebsratsanhörung und des Antrags an das Integrationsamt auf auftretende Anfälle mit Nicht-Ansprechbarkeit bis hin zu einer quasi Bewusstlosigkeit hinwies, was den Einsatz an laufenden Maschinen ausschließt. Angesichts dieser Umstände hätte es dem Kläger oblegen, im einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen es ungeachtet der bestehenden Beeinträchtigungen und der fehlenden Erfahrungen im Bereich der Akkordarbeit möglich gewesen sein soll, ihn in diesem Bereich einzusetzen. Jedenfalls war es unter Berücksichtigung der genannten Umstände, kein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler, von einer Nichtvergleichbarkeit des Klägers mit dem Mitarbeiter B. auszugehen.

3. Die Kündigung ist auch nicht aus sonstigen Gründen rechtsunwirksam.

a) Die nach § 85 SGB IX erforderliche Zustimmung des Integratiomsamtes lag in Form des Bescheides vom 30.6.2008 (Bl. 24 d.A.) vor.

b) Die Kündigung ist auch nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG rechtsunwirksam. Die Beklagte hat den Betriebsrat schriftlich gemäß Schreiben vom 23.6.2008 nebst Anlagen vollständig unterrichtet. Neben Angabe der beabsichtigten Kündigung, der maßgeblichen Kündigungsfrist, den persönlichen Daten des Klägers enthält die Anhörung auch eine Darstellung des Kündigungsgrundes und Angaben zur Sozialauswahl. Die Beklagte hat damit den Betriebsrat ordnungsgemäß unterrichtet. Das genannte Anhörungsschreiben ist dem Betriebsrat auch zugegangen. Der insoweit vernommene Zeuge S. hat glaubhaft bekundet, dass der Betriebsrat das Anhörungsschreiben erhalten hat. Er hat ebenso bekundet, dass der angekreuzte Passus "Betriebsrat widerspricht nicht" von ihm als Betriebsratsvorsitzenden unter dem 25.06.2008 unterschrieben wurde und dies die Stellungnahme des Betriebsrats ist. Damit lag eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vor, so dass die Beklagte die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht mehr abzuwarten brauchte.

c) Die Kündigung ist auch nicht wegen Verstoßes gegen die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam. Die Beklagte hat -insoweit vom Kläger nicht bestritten- und unter Vorlage des Schreibens der Agentur für Arbeit K. vom 25.3.2008 dargelegt, dass die in Vollzug des Interessenausgleichs vollzogenen Entlassungen -bis auf die des Klägers- bis 30.3.2008 vollzogen waren. Die Kündigung des Klägers erfolgte erst unter dem 30.6.2008, ohne dass zu diesem Zeitpunkt unter Berücksichtigung der 30-Tagesfrist des § 17 Abs. 1 KSchG erneut die Voraussetzungen für die Erstattung einer Massenentlassungsanzeige vorlagen.

III. Die Berufung des Klägers war daher mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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