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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 15.10.2004
Aktenzeichen: 9 Ta 155/04
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BGB, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 11 a Abs. 1
ArbGG § 72 Abs. 2
ArbGG § 78 Satz 1
ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ZPO §§ 567 ff.
BGB § 626
KSchG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 9 Ta 155/04

Verkündet am: 15.10.2004

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 06.05.2004, Az.: 10 Ca 398/04 abgeändert und der Klägerin für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt D. zu den Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwaltes ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die am 05.03.1966 geborene, getrennt lebende Klägerin, die vier unterhaltsberechtigte Kinder hat, war seit dem 01.03.1986 bei der Beklagten, die mit in der Regel 197 Arbeitnehmern in C-Stadt ein SB-Warenhaus betreibt, als Kassiererin mit einer Wochenarbeitszeit von 23 Stunden gegen Zahlung einer monatlichen Arbeitsvergütung in Höhe von 1.136,99 € brutto beschäftigt.

Am 19.01.2004 fand die Klägerin im Kassenbereich einen Pfandgutschein, der einer Kundin gegen Ablieferung von leeren Getränkeflaschen an einem Automaten in dem SB-Warenhaus der Beklagten über einen Pfandbetrag in Höhe von 13,80 € ausgestellt worden war. Pfandgutscheine für abgeliefertes Leergut können von den Kunden unter anderem an der Kasse der Klägerin abgegeben werden und im Falle eines überschießenden Rechnungsbetrages wird der Pfandbetrag in Abzug gebracht.

Die Klägerin sprach nach dem Auffinden des Pfandgutscheines mit ihrer Arbeitskollegin Frau Z, die an diesem Tag ebenfalls als Kassiererin eingesetzt war. Anschließend scannte sie den Pfandgutschein in ihre Kasse ein, entnahm der Kasse 13,80 €, gab Frau Z 5,00 € und behielt den Restbetrag in Höhe von 8,80 € für sich.

Nachdem die Beklagte von dem Vorfall Kenntnis erlangt und die Klägerin hierzu am 22.01.2004 angehört hatte, teilte sie dem bei ihr errichteten Betriebsrat mit Schreiben vom 29.01.2004 mit, sie beabsichtige das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos und vorsorglich fristgerecht zum 31.07.2004 zu kündigen. Der Betriebsrat stimmte der fristlosen Kündigung am 29.01.2004 zu.

Anschließend kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 30.01.2004, das der Klägerin am gleichen Tag zuging, das Beschäftigungsverhältnis fristlos. Für den Monat Januar 2004 zahlte die Beklagte an die Klägerin Arbeitsvergütung in Höhe von 550,00 € netto. Des Weiteren kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 06.02.2004 das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.08.2004.

Mit ihrer am 10.02.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen und später erweiterten Klage hat die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30.01.2004 aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.02.2004 zum 31.08.2004 aufgelöst worden ist,

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Januar 2004 1.136,99 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2004, abzüglich am 04.02.2004 gezahlter 550,00 € zu zahlen,

4. die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Monat Februar 2004 1.136,99 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2004 zu zahlen.

Desweiteren hat die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt D. zu den Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwaltes beantragt.

Das Arbeitsgericht Mainz hat mit Beschluss vom 06.05.2004 den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen und dabei eine hinreichende Aussicht für die Rechtsverfolgung verneint. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht unter anderem ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei durch die fristlose Kündigung zum 30.01.2004 beendet worden, so dass es auf die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 06.02.2004 nicht mehr ankomme und auch Zahlungsansprüche der Klägerin unbegründet seien. Die Klägerin habe sich eine schwerwiegende Vertragsverletzung durch die Entnahme des Geldbetrages aus der Kasse zuschulden kommen lassen und den Straftatbestand der Fundunterschlagung erfüllt.

Die Klägerin hat gegen die ablehnende Entscheidung des Arbeitsgerichts, welche ihr am 10.05.2004 zugestellt worden ist, am 14.05.2004 Beschwerde eingelegt.

Die Klägerin macht geltend, soweit die Beklagte von einem Fehlverhalten ausgegangen sei, hätte diese zunächst mit einer Abmahnung hierauf reagieren müssen. Im Übrigen habe es auch an jeglichen Anweisungen für den Fall des Fundes eines Pfandgutscheines durch eine Kassiererin gefehlt. Im Übrigen bestehe auch keine Wiederholungsgefahr, so dass eine negative Zukunftsprognose nicht zu stellen sei. Eine Interessenabwägung müsse angesichts des Beschäftigungsalters und der Unterhaltsverpflichtungen der Klägerin zu deren Gunsten ausgehen. Eine Fundunterschlagung liege nicht vor, da der von der Klägerin aufgefundene Pfandgutschein herrenlos gewesen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 13.05.2004 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.05.2004 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.136,99 € brutto, abzüglich am 04.02.2004 gezahlter 550,00 € netto zuzüglich Zinsen zu zahlen; im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.

Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der weiteren Einzelheiten der Prozessgeschichte wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nach §§ 78 Satz 1 ArbGG, 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, 567 ff. ZPO zulässig.

Darüber hinaus ist die Beschwerde auch begründet, da die rechtlichen Voraussetzungen gemäß §§ 114 ZPO, 11 a Abs. 1 ArbGG für die erstinstanzliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes erfüllt sind. Demnach ist einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattzugeben, wenn eine Partei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die Beiordnung eines Rechtsanwaltes hat zu erfolgen, wenn die Partei außer Stande ist, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses zu bestreiten und die Gegenpartei durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

1. Aus der vorliegenden Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie den beigefügten Belegen ergibt sich, dass die Klägerin nicht in der Lage war, den Rechtsstreit mit eigenen Mitteln zu finanzieren. Desweiteren folgt hieraus, dass im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach dem derzeitigen Einkommens- und Vermögensstand der Klägerin keine ratenweise Rückzahlung der Prozesskosten an die Staatskasse anzuordnen war.

2. Die Beklagte war durch einen Rechtsanwalt vertreten, so dass die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Anwaltes auf Seiten der Klägerin ebenfalls erfüllt waren.

3. Der Klage fehlte es im Übrigen auch nicht an der hinreichenden Aussicht auf Erfolg.

Hinreichende Erfolgsaussicht für eine Rechtsverfolgung liegt vor, wenn ein Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung für zutreffend oder zumindest vertretbar hält (vgl. Zöller, ZPO, 23. Auflage, § 114 Rdnr. 19). Bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmales der hinreichenden Erfolgsaussicht ist ein Auslegungsmaßstab zu verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht unverhältnismäßig erschwert wird (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.04.2000 - 1 BvR 81/100 = AP Nr. 12 zu § 114 ZPO).

a) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabes war für den Feststellungsantrag, mit dem sich die Klägerin gegen die fristlose Kündigung gewandt hat, von einer hinreichenden Erfolgsaussicht auszugehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist auch die rechtswidrige und schuldhafte Entwendung einer im Eigentum des Arbeitgebers stehenden Sache von geringem Wert an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben. Ob ein solches Verhalten ausreicht, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, hängt von der unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Interessenabwägung ab (vgl. BAG, Urteil vom 17.05.1984 - 2 AZR 3/83 = AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; Urteil vom 11.12.2003 - 2 AZR 36/03 = AP Nr. 179 zu § 626 BGB).

Im vorliegenden Fall liegt nach Auffassung der Beschwerdekammer ein Fehlverhalten der Klägerin vor, das an sich generell geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung zu bilden. Die Klägerin hat nämlich bei ihrer Arbeitstätigkeit durch die Entnahme des ihr nicht zustehenden Pfandbetrages eine andere Person geschädigt. Unabhängig davon, wie dieses Verhalten strafrechtlich zu beurteilen ist, stellt es eine gravierende Pflichtverletzung dar, welche generell zur fristlosen Kündigung berechtigt.

Im Rahmen der Interessenabwägung hält die Beschwerdekammer die Auffassung der Klägerin ihr Fortbeschäftigungsinteresse überwiege gegenüber dem Beendigungsinteresse der Beklagten zwar nicht für zutreffend, aber für vertretbar. In die Interessenabwägung sind nämlich insbesondere auch die achtzehnjährige Beschäftigungszeit der Klägerin, ihr bisher unbeanstandetes Verhalten, die Auswirkungen des Arbeitsplatzverlustes auf die vier unterhaltsberechtigten Kinder sowie die Höhe des bei der Beklagten entstandenen Schadens einzubeziehen. Diese Gesichtspunkte können zwar angesichts des eklatanten Missbrauchs der Vertrauensstellung als Kassiererin nachrangig sein; die gegenteilige Auffassung ist aber nicht abwegig, sondern vertretbar.

Als finanziell minderbemittelte Partei muss der Klägerin daher die gleiche Möglichkeit wie einer bemittelten Partei eingeräumt werden, die Kündigung und hier insbesondere die Interessenabwägung der Beklagten gerichtlich überprüfen zu lassen.

b) Die hinreichende Erfolgsaussicht ist auch insoweit zu bejahen, als sich die Klägerin gegen die ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 06.02.2004 wendet. In diesem Zusammenhang ist im Rahmen des § 1 KSchG ebenfalls eine Interessenabwägung durchzuführen, die - entsprechend obiger Ausführungen - nach vertretbarer Auffassung zugunsten der Klägerin ausgehen könnte.

c) Auch den von der Klägerin geltend gemachten Leistungsanträgen fehlt es nicht an einer hinreichenden Erfolgsaussicht.

Für die eingeklagte Lohnforderung aus dem Monat Januar 2004 folgt dies bereits daraus, dass die Beklagte keinerlei Einwendungen gegen den arbeitsvertraglich vereinbarten Vergütungsanspruch der Klägerin erhoben hat. Das Arbeitsgericht hat dementsprechend die Beklagte zur Nachzahlung auch verurteilt.

Der des Weiteren geltend gemachte Vergütungsanspruch für den Monat Februar 2004 hängt von der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung ab und ist hinsichtlich der Erfolgsaussichten ebenso wie der gegen die Kündigung gerichtete Feststellungsantrag zu beurteilen. Da durch die Geltendmachung des Vergütungsanspruches für Februar 2004 - wegen wirtschaftlicher Identität mit dem Feststellungsantrag - keine zusätzlichen Prozesskosten entstehen, kann auch dahingestellt bleiben, ob eine begüterte Partei zunächst das Ergebnis des Kündigungsstreites abgewartet hätte, bevor sie Vergütung für die Zeit nach Kündigung verlangt.

Nach alledem war der Beschluss des Arbeitsgerichtes Mainz abzuändern.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde fehlte es unter Berücksichtigung von §§ 78 Satz 1, 72 Abs. 2 ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass.

Ende der Entscheidung

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