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Gericht: Landesarbeitsgericht Saarland
Urteil verkündet am 12.01.2000
Aktenzeichen: 1 Sa 79/99
Rechtsgebiete: BGB, EntfzG, RTV, EFZG, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

BGB § 134
EntfzG § 12
EntfzG § 4 Abs. 4
EntfzG § 4 Abs. 1
RTV § 13
RTV § 13 Ziffer 1
EFZG § 12
EFZG § 4 Abs. 2
EFZG § 4 Abs. 1
EFZG § 4 Abs. 1 S. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ArbGG § 9 Abs. 5
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 72 Abs. 2
ArbGG § 72 a Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 3 Nr. 1
Gemäß der Unabdingbarkeitsregelung des § 12 EntfzG kann nur im Falle des § 4 Abs. 4 EntfzG (Bemessungsgrundlage) durch Tarifvertrag zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden, nicht im Falle des § 4 Abs. 1 EntfzG (prozentuale Höhe). § 13 RTV Steine und Erden-Saarland enthält eine eigenständige Regelung über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Sie weicht von der gesetzlichen Regelung insoweit ab, als sie für die ersten fünf krankheitsbedingten Ausfalltage die Entgeltfortzahlung auf 80 % des Arbeitsentgelts begrenzt. Sie verstößt damit gegen höherrangiges Recht und ist daher nichtig (§ 134 BGB). Die Beeinflussung der Entgelthöhe wird lediglich durch die unterschiedliche Bemessungsgrundlage zugelassen, nicht auch durch eine unterschiedliche prozentuale Höhe der Entgeltfortzahlung. Höherrangiges Gesetzesrecht kann dem Tarifvertrag nicht nur vorgehen, sondern auch nachfolgen.
LANDESARBEITSGERICHT SAARLAND Im Namen des Volkes ! URTEIL

- 1 Sa 79/99 -

Verkündet am 12. Januar 2000

In dem Rechtsstreit

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Saarland auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2000

durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Degel als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Meßner und Lattwein als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neunkirchen vom 2.7.1999 -3 Ca 480/99- wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Wege der Leistungsklage um die Wirksamkeit einer Tarifnorm nach Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes EFZG durch das am 1.1.1999 in Kraft getretene Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte (Korrekturgesetz).

Der Kläger ist als gewerblicher Arbeitnehmer (Dreher) bei der Beklagten, die in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft ein Baustoffwerk betreibt, seit 18.02.1976 mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. 3.500,-- DM beschäftigt.

Die Parteien sind beiderseitig tarifgebunden. Zwischen ihnen gilt der Rahmentarifvertrag für die Industriebetriebe Steine und Erden im Saarland vom 29.8.1996, gültig ab 1.10.1996 (Bl. 23 - 55 d. A.). Im Hinblick auf die am 1.10.1996 eingetretene Änderung des EFZG wurde § 13 Ziffer 1 RTV durch Vereinbarung der Tarifvertragsparteien vom 27./30.5.1997 mit Wirkung zum 1.6.1997 wie folgt geändert:

"Krankheit und Betriebsunfall

Krankheit

Wird der gewerbliche Arbeitnehmer durch Krankheit arbeitsunfähig, beträgt bei jeder Erkrankung für die ersten 5 krankheitsbedingten Ausfalltage die Entgeltfortzahlung entsprechend der gesetzlichen Regelung 80 % des Arbeitsentgelts und für die restliche Zeit der Arbeitsunfähigkeit (ab dem 6. krankheitsbedingten Ausfalltag bis zur Dauer von 6 Wochen) 100 % des Arbeitsentgelts, wobei abweichend vom Lohnausfallprinzip des § 4 Abs. 1 und 2 EFZG als regelmäßige Arbeitszeit pro Krankheitstag (das sind Arbeitstage und auf Arbeitstage entfallende Feiertage) 7,6 Stunden bei der Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts zugrunde zu legen sind.

a. Wird der Angestellte durch Krankheit arbeitsunfähig, beträgt bei jeder Erkrankung für die ersten 5 krankheitsbedingten Ausfalltage die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entsprechend der gesetzlichen Regelung 80 % des Arbeitsentgelts und für die restliche Zeit der Arbeitsunfähigkeit (ab dem 6. krankheitsbedingten Ausfalltag) bis zur Dauer von 6 Wochen 100 % des Arbeitsentgelts.

Im Übrigen gelten für alle Arbeitnehmer die gesetzlichen Bestimmungen des am 1.10.1996 in Kraft getretenen EFZG.

Diese Neuregelung tritt am 1.6.1997 in Kraft und kann mit einer Frist von 4 Monaten zum Jahresende, erstmalig am 31.12.1998, gekündigt werden.""

Im Abrechnungszeitraum Januar 1999 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf der Basis des § 13 RTV für 4 Arbeitstage in Höhe von 80 %, das sind 531,11 DM brutto.

Mit außergerichtlichem Schreiben vom 10.3.1999 wandte sich daraufhin die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt an die Beklagte und begehrte für den Kläger einen Differenzbetrag in Höhe von 132,79 DM brutto mit der Begründung, dass aufgrund der gesetzlichen Änderung im EFZG die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ab dem 1.1.1999 100 % betrage (Bl. 5 d. A.). Nachdem die Beklagte dies mit außergerichtlichem Schreiben vom 12.3.1999 unter Hinweis auf den sich immer noch in Kraft befindenden Rahmentarifvertrag abgelehnt hatte (Bl. 4 d. A.), begehrte der Kläger diesen Differenzbetrag mit dem vorliegenden Rechtsstreit.

Er trug hierzu vor, § 13 RTV sei nichtig, da diese Vorschrift gegen höherrangiges Recht, nämlich gegen § 4 Abs. 1 EFZG in der Fassung des Korrekturgesetzes verstoße. Demzufolge richte sich die Entgeltfortzahlungsverpflichtung der Beklagten nach dem in § 4 Abs. 1 EFZG normierten gesetzlichen Anspruch. Dieser aber sehe Entgeltfortzahlung für den Entgeltfortzahlungszeitraum in Höhe von 100 % vor.

Der Kläger beantragte daher,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger den Betrag in Höhe von 132,79 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich darauf ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Sie trug vor, § 13 Ziffer 1 RTV in seiner vorliegenden Form sei nach wie vor gültig. Hierbei hätten die Tarifvertragsparteien zwar der am 1.10.1996 durch das Beschäftigungsförderungsgesetz eingetretenen Änderung des EFZG Rechnung getragen, insgesamt aber eine konstitutive Regel geschaffen. Der Regelungsinhalt dieser Tarifnorm bewege sich im Rahmen des § 4 Abs. 4 EFZG und bleibe durch § 12 EFZG daher unberührt.

Nur der 6-Wochen-Zeitraum und der generelle Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei nicht tarifdispositiv. Schon die alte Tarifregelung ab 1.10.1996 sei vom Lohnausfallprinzip abgewichen durch Festlegung einer eigenen Bemessungsgrundlage. Die tarifdisponible Abkehr vom Lohnausfallprinzip führe zwangsläufig dazu, dass sich die prozentuale Höhe der Entgeltfortzahlung senkt. Die dem Tarifvertrag unterliegenden Arbeitnehmer erhielten ab 1.1.1999 lediglich noch 96,7 % des Vergütungsausfalls gezahlt. Bemessungsgrundlage der Entgeltfortzahlung sei somit auch die prozentuale Höhe.

Eine andere Auslegung greife in unzulässigerweise in die Tarifautonomie, zu deren grundlegenden Rechten die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle gehöre, ein.

Wenn man jedoch hierzu eine andere Auffassung vertrete, sei § 13 Ziffer 1 RTV als eine die gewerblichen Arbeitnehmer lediglich begünstigende Tarifnorm zu qualifizieren. Zulässigerweise müsse man nämlich den Günstigkeitsvergleich auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Tarifnorm beziehen.

Bezogen auf die Gesetzeslage in dem Zeitpunkt der Vereinbarung des § 13 Ziffer 1 RTV sei diese Tarifnorm aber unstreitig als die die tarifunterworfenen gewerblichen Arbeitnehmer gegenüber der gesetzlichen Anspruchslage begünstigende Regelung anzusehen.

Selbst wenn man den Günstigkeitsvergleich auf die Gesetzeslage im Zeitpunkt des Entstehens des Entgeltfortzahlungsanspruchs, d. h. auf die Zeit nach dem 1.1.1999 und damit auf die durch das Korrekturgesetz geänderte Rechtslage beziehe, verbleibe es bei diesem Ergebnis.

Im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs sei nämlich ein sogenannter Sachgruppenvergleich durchzuführen. Danach seien in den Vergleich alle Normen des Tarifvertrages, die in einem inneren Zusammenhang mit den zu vergleichenden Regelungen stünden, insbesondere denselben Gegenstand beträfen oder aber bei denen die Verkehrsanschauung eine einheitliche Betrachtung gebiete, einzubeziehen.

Gleichgültig, ob man den Sachgruppenvergleich auf Entgeltfortzahlung, Löhne, insbesondere Zuschläge, Akkord, Prämienentlohnung, Urlaub, Freistellung von der Arbeit sowie Arbeitsausfall gewerblicher Arbeitnehmer durch Witterungseinflüsse erstrecke (§§ 5, 6, 11, 12, 15 RTV), komme man in jedem Fall dazu, dass bei der gebotenen Gesamtbetrachtung die Vereinbarung vom 27./30. Mai 1997 günstiger auch nach dem 1.1.1999 für die betroffenen Arbeitnehmer als die jeweiligen durch den Gesetzgeber normierten Mindestarbeitsbedingungen sei. Deutlich werde dies bei einem Vergleich mit den Regelungen über Urlaub, Urlaubsgeld und Freistellung von der Arbeit im Verhältnis zu den durch das Bundesurlaubsgesetz normierten Mindestarbeitsbedingungen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 2.7.1999, 3 Ca 480/99, der Klage stattgegeben.

Es hat die Berufung nicht ausdrücklich im Urteilstenor zugelassen, sondern lediglich unter der Rechtsmittelbelehrung ausgeführt: "Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten Berufung eingelegt werden".

Es hat im Wesentlichen folgendes ausgeführt: § 13 Ziffer 1 RTV verstoße gegen höherrangiges Recht, nämlich gegen § 4 Abs. 1 EFZG, und sei daher nichtig. Dem Kläger stünde daher auch der Differenzbetrag zu.

Durch das seit 1.1.1999 geltende Korrekturgesetz sei der vor dem 1.10.1996 geltende Rechtszustand zurückgeführt worden. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG werde dem Arbeitnehmer das ihm zustehende Arbeitsentgelt fortgezahlt. Nur im Falle des § 4 Abs. 4 EFZG - abweichende Regelung der Bemessungsgrundlage - könne durch Tarifvertrag von den gesetzlichen Vorschriften zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden. Die Regelung des § 13 Ziffer 1 RTV sei daher gemäß § 134 BGB rechtsunwirksam. Bei der Höhe der Entgeltfortzahlung handele es sich um einen anderen Regelungsbereich als den in § 4 Abs. 4 EFZG genannten. § 4 Abs. 1 EFZG verstoße nicht gegen den Grundsatz der Tarifautonomie, da diese Vorschriften nicht in die grundsätzlichen Betätigungsbefugnisse der Tarifvertragsparteien eingreife.

§ 13 Ziffer 1 RTV sei keine gegenüber der gesetzlichen Neuregelung des § 4 Abs. 1 EFZG die gewerblichen Arbeitnehmer begünstigende Tarifnorm. Höherrangiges Gesetzesrecht könne dem Tarifvertrag zeitlich vorgehen aber auch nachfolgen. Hier sei ein normativer Günstigkeitsvergleich nicht nur auf den Zeitpunkt der Vereinbarung der Tarifnorm vorzunehmen, sondern auch zum Zeitpunkt 1.1.1999. Danach ergebe sich in der Regelung des § 13 Ziffer 1 RTV eine für gewerbliche Arbeitnehmer ungünstigere Regelung.

Dieses Urteil wurde der Beklagten und Berufungsklägerin am 15.7.1999 zugestellt. Die Berufungsschrift ging am 16.8.1999 bei Gericht ein und die Berufungsgründung nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.10.1999 am 15.10.1999.

Die Beklagte führt im Wesentlichen folgendes aus:

Das Arbeitsgericht habe ungenau differenziert zwischen einseitig zwingenden Bestimmungen des EFZG und den tarifdispositiven Regelungen der §§ 4 Abs. 1, 1 a und 3 EFZG. Dies habe zu der fehlerhaften Rechtsauffassung geführt, dass zwischen § 13 RTV und § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG ein normativer Günstigkeitsvergleich vorzunehmen sei, da § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG einseitig zwingendes Recht sei. Dies sei jedoch nicht der Fall.

Unter Zugrundelegung eines Günstigkeitsvergleichs nach Sachgruppen sei § 13 RTV günstiger als der neu gefasste § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG. Dies gelte zunächst für den Zeitpunkt des Abschlusses der Tarifnorm. Ein erneuter Günstigkeitsvergleich zum 1.1.1999 sei nicht notwendig gewesen, da dies nur gelte bei einer Kollision zwischen einseitig zwingenden Gesetzes- und Tarifnormen, nicht jedoch bei tarifdispositiven Normen. Der Gesetzgeber habe lediglich die Bemessungsgrundlage zweimal neu geregelt. Zuletzt sei er zu Gunsten der Arbeitgeber von der Regelung des Lohnausfallprinzips abgewichen. Das für Überstunden gezahlte Entgelt einschließlich etwaiger Zuschläge bleibe nach § 4 Abs. 1 a EFZG n. F. außer Betracht.

Aber auch ein erneuter Günstigkeitsvergleich zwischen § 13 RTV und den Regelungen des Korrekturgesetzes zum 1.1.1999 führe zu keinem für den Arbeitnehmer ungünstigen Ergebnis. Bei einer gebotenen Gesamtbetrachtung von § 13 RTV mit den weiteren Bestimmungen des RTV sei das Ergebnis für die betroffenen Arbeitnehmer stets günstiger als die jeweiligen durch den Gesetzgeber normierten Mindestarbeitsbedingungen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Neunkirchen vom 2.7.1999, 3 Ca 480/99, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung abzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, bei der in § 4 Abs. 1 EFZG geregelten Höhe der Entgeltfortzahlung von nunmehr 100 % handele es sich um eine einseitig zwingende Norm. Damit von der Tarifdispositivität der Höhe der Entgeltfortzahlung ausgegangen werden könne, müsse diese unter dem Begriff "Bemessungsgrundlage" im Sinne des § 4 Abs. 4 EFZG zu subsumieren sein. Dies sei jedoch nicht der Fall. Bei der generellen Höhe der Entgeltfortzahlung handele es sich um einen anderen Regelungsbereich, der wegen der in § 12 normierten Unabdingbarkeit grundsätzlich nicht verschlechtert, sondern nur verbessert werden dürfe.

Dafür spreche auch die Gesetzeslogik. Falls der Begriff der Bemessungsgrundlage auch die Höhe der Entgeltfortzahlung betreffe, werde dieser Begriff sinnentleert.

Mit der Gesetzesänderung zum 1.1.1999 sei ein erneuter Günstigkeitsvergleich anzustellen gewesen. Selbst bei einem Sachgruppengünstigkeitsvergleich stelle sich § 4 EFZG n. F. als die gegenüber der Regelung des § 13 Ziffer 1 RTV günstigere Norm dar.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht dem Kläger einen Anspruch auf 100 %ige Entgeltfortzahlung für die 4 Arbeitstage, an denen er im Januar 1999 arbeitsunfähig erkrankt war, zuerkannt.

Die hiergegen in der Berufungsinstanz erneut vorgebrachten Einwände sind rechtlich nicht überzeugend.

I.

Die Statthaftigkeit der Berufung scheitert nicht daran, dass das Arbeitsgericht sie nicht im Tenor mitaufgenommen und verkündet hat, sondern sie lediglich in der Rechtsmittelbelehrung zum Ausdruck gebracht hat.

Nach § 64 Abs. 2 ArbGG kann in Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Streitigkeiten - eine solche ist hier angesichts der Zahlungsklage gegeben - die Berufung nur eingelegt werden, wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist oder der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,-- DM übersteigt.

Die Klageforderung beträgt hier lediglich 132,79 DM.

Zuzulassen ist die Berufung u. a., wenn die Rechtssache a) grundsätzliche Bedeutung hat, b) sie Rechtsstreitigkeiten betrifft über die Auslegung eines Tarifvertrages, dessen Geltungsbereich sich über den Bereich des Arbeitsgerichts hinaus erstreckt (vgl. § 64 Abs. 3 Ziff. 1, 2 b ArbGG).

Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die letztere bedarf keiner weiteren Erörterung. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist dann anzunehmen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von einer klärungsfähigen und klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt und diese Klärung entweder von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit berührt (so BAG 5.12.1979, AP Nr. 1 zu § 72 a ArbGG 1979 Grundsatz).

Davon kann hier ausgegangen werden. Es stellt sich die Frage nach der Gültigkeit von § 13 RTV, ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles. Die Rechtsfrage ist für den Rechtsstreit auch entscheidungserheblich. Sie ist auch klärungsbedürftig, da sie von Instanzengerichten wohl noch nicht entschieden wurde. Sie ist auch von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung. Sie ist über den konkreten Einzelfall hinaus von rechtlichem Interesse.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass bezüglich der Berufung eine geringere Ranghöhe besteht als dies bei der Zulassung der Revision der Fall ist. Ob das Arbeitsgericht beide Zulassungsgründe oder nur einen und wenn ja, welchen herangezogen hat, kann dahingestellt bleiben.

Problematisch ist lediglich die Tatsache, dass die Berufungszulassung nicht im Tenor, ja noch nicht einmal in den Entscheidungsgründen erwähnt ist, sondern lediglich in der Rechtsmittelbelehrung.

Grundsätzlich sollte die Zulassungsentscheidung in den Tenor des arbeitsgerichtlichen Urteils im Interesse von Rechtsmittelklarheit und Rechtssicherheit aufgenommen werden. Die Zulassung der Berufung nur in den Entscheidungsgründen sei generell nicht ausreichend (so BAG 19.8.1986, AP Nr. 20 zu § 319 ZPO; 25.6.1986, NZA 1987, 179).

Schon gar nicht sollte dies gelten, wenn in der Rechtsmittelbelehrung auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, Berufung einzulegen (BAG 1.4.1982, AP Nr. 4 zu § 64 ArbGG 1979; BAG 10.12.1986, AP Nr. 3 zu § 566 ZPO; LAG Hamm 20.4.1988, NZA 1989, 154).

"Die Formulierung der Rechtsmittelbelehrung des Arbeitsgerichts gemäß § 9 Abs. 5 ArbGG ist nicht identisch mit dem Ausspruch, die Berufung werde zugelassen. Vielmehr verweist die Formulierung ersichtlich nur auf die eventuelle Möglichkeit, an sich gegebene Rechtsmittel einzulegen, und auf die hierbei zu beachtenden Formalien. Die Rechtsmittelbelehrung ist zwar Bestandteil der Entscheidung, stellt aber selbst keine Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG dar, die allein in Betracht kommen würde", so BAG B. v. 1.4.1982 in AP Nr. 4 zu § 64 ArbGG 1979 unter Berufung auf Grunsky, ArbGG 4. Aufl. § 9 Rn. 28 u. BAG 25, 9 (10).

Dies sieht die jüngste Rechtsprechung des BAG jedoch zu Recht anders. Im Beschluss vom 12.11.1998 (EzA § 72 ArbGG 1979 Nr. 24) führt das Gericht aus, dass die Zulassung der Berufung in den nicht verkündeten Entscheidungsgründen wirksam ist, ohne dass es darauf ankommt, ob die Verkündung nur versehentlich unterblieben ist. Ausgangslage hierfür war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15.1.1992 (NZA 1992, 383 ff.), das den Ausschluss jeglicher Korrekturmöglichkeit für den Fall einer versehentlich unterbliebenen Verkündung der Zulassungsentscheidung nicht mehr mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der fairen Verfahrensgestaltung vereinbar angesehen hat.

Der 6. Senat des BAG sieht auch keinen Unterschied darin, ob die Zulassung der Berufung in den Entscheidungsgründen oder in der Rechtsmittelbelehrung des nur von dem Vorsitzenden unterzeichneten, vollständig abgefassten Urteils erfolgte. Nach § 9 Abs. 5 S. 1 ArbGG muss die Rechtsmittelbelehrung in der Entscheidung enthalten sein. Dies ist sie dann, wenn sie von dem erkennenden Gericht unterschrieben ist, so BAG B. v. 11.12.1998 aaO.; vgl. hierzu zustimmend auch Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG 3. Aufl. § 64 Rn. 31 m. w. N.; GK-ArbGG/Stahlhacke § 64 Rnrn. 63, 63 b; Grunsky, ArbGG 7. Aufl. § 72 Rn. 23.

II.

Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Klage ist als begründet anzusehen.

Rechtlich korrekt hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers für den Lohnzeitraum Januar 1999 sich nach § 4 Abs. 1 EFZG richtet, da § 13 Ziffer 1 RTV wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht, nämlich § 4 Abs. 1 EFZG, nichtig ist.

Nach § 4 Abs. 1 EFZG in der bis zum 30.9.1996 geltenden Fassung erhielt der gewerbliche Arbeitnehmer "für den in § 3 Abs. 1 EFZG bezeichneten Zeitraum das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortgezahlt". Ausgenommen hiervon waren "Leistungen für Aufwendungen des Arbeitnehmers soweit der Anspruch auf sie im Falle der Arbeitsfähigkeit davon abhing, dass dem Arbeitnehmer entsprechende Aufwendungen tatsächlich entstanden waren und dem Arbeitnehmer solche Aufwendungen während der Arbeitsunfähigkeit nicht entstanden".

Nach § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG in der nach dem arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz ab dem 1.10.1996 geltenden Fassung betrug "die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den in § 3 Abs. 1 bezeichneten Zeitraum 80 v. H. des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgeltes".

Durch das insoweit seit dem 1.1.1999 geltende Korrekturgesetz wurde § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG auf den insoweit vor dem 1.10.1996 geltenden Rechtszustand zurückgeführt. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG in der Fassung des Korrekturgesetzes erhält der Arbeitnehmer "für den in § 3 Abs. 1 bezeichneten Zeitraum das ihm bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehende Arbeitsentgelt fortgezahlt".

Begründung für die Gesetzesänderung nach der wieder alle Arbeitnehmer für den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum volle Entgeltzahlung im Falle krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erhalten, ist, dass die Absenkung der gesetzlichen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sozialpolitisch problematisch sei, da unmittelbar betroffen nur diejenigen Arbeitnehmer seien, für die keine Tarifbindung bestehe oder für die Tarif- oder Arbeitsverträge keine volle Entgeltfortzahlung gewährleisteten, so die korrekten Ausführungen des Arbeitsgerichts.

Da es auch nach erneuter Gesetzesänderung bei der Unabdingbarkeitsregelung in § 12 EFZG verblieben ist, nach der nur im Falle des § 4 Abs. 4 EFZG durch Tarifvertrag von den Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden kann, ist mit Inkrafttreten des Gesetzes zum 1.1.1999 § 13 Ziffer 1 RTV unwirksam geworden.

§ 4 Abs. 4 S. 1 EFZG besagt, dass durch Tarifvertrag eine von den Absätzen 1, 1a und 3 abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts festgelegt werden kann. Die Norm spricht also nur von der Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts, nicht aber von der Höhe an sich. Diese wurde vom Gesetzgeber zum 1.10.1996 auf 80 % reduziert und zum 1.1.1999 wieder auf die ursprünglichen 100 % erhöht (vgl. Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, § 4 EFZG Rn. 2, 4).

Hiervon durften die Tarifvertragsparteien aufgrund der Schranke des § 12 EFZG zu ungunsten der Arbeitnehmer nicht abweichen, was jedoch im Ergebnis nachträglich geschehen ist.

Mit dem Arbeitsgericht und den Parteien ist davon auszugehen, dass § 13 RTV eine eigenständige Regelung über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall darstellt. Sie weicht u. a. insofern von der gesetzlichen Regelung ab, dass sie für die ersten 5 krankheitsbedingten Ausfalltage die Entgeltfortzahlung entsprechend der damaligen gesetzlichen Regelung nur 80 % des Arbeitsentgelts zu zahlen sind bei Zugrundelegung einer regelmäßigen Arbeitszeit von 7,6 Stunden pro Krankheitstag.

Die Beklagte verkennt, dass es sich bei der Höhe der Entgeltfortzahlung um einen anderen Regelungsbereich als den in § 4 Abs. 4 EFZG genannten handelt, der lediglich von der Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts spricht (so auch ErfK. zum Arbeitsrecht/Dörner, § 4 EFZG Rn. 48, 62 m. w. N.).

Die Bemessungsgrundlage wird insbesondere in Absatz 1 a näher geregelt, aber auch in Absatz 1 bezüglich der "regelmäßigen Arbeitszeit" und in Absatz 3 für "verkürzte Arbeitszeiten". Der Grundsatz des § 3 EFZG als solcher darf jedoch nicht angetastet werden. § 4 Abs. 4 EFZG schafft nur für die "Bemessungsgrundlage" tarifdispositives Recht, nicht für die prozentuale Höhe an sich.

Mit der Zielsetzung des neuen Entgeltfortzahlungsgesetzes ist es nicht vereinbar, die Höhe der Entgeltfortzahlung generell zu reduzieren, etwa ganz oder zeitweilig statt 100 % nur 90 % des Arbeitsentgelts fortzuzahlen (so auch Geyer/Knorr/Krasney aaO. § 4 EFZG Rn. 58).

Zulässig ist es aber, einzelne Entgeltbestandteile, insbesondere zusätzliche Leistungen des Arbeitgebers wie Prämien oder sonstige Zuschläge, von der Berücksichtigung auszunehmen, ohne dadurch den Grundsatz der Entgeltfortzahlung zu verletzen. Könnte weiterhin die prozentuale Höhe der Entgeltfortzahlung bis auf 80 % reduziert werden, wäre der diesbezügliche Streit in den letzten Jahren durch das Korrekturgesetz nicht beendet und damit dessen Zweck verfehlt. Es wollte die volle Entgeltfortzahlung für den gesamten Zeitraum von 6 Wochen wieder für alle Arbeitnehmer einführen.

Dass durch die Änderungsmöglichkeiten bei der Bemessungsgrundlage keine echte volle Entgeltfortzahlung mehr zu leisten ist, ist ein Zugeständnis des Gesetzgebers an die Arbeitgeber, das schon zum 1.10.1996 gemacht wurde. Die Beeinflussung der Entgelthöhe wird jedoch lediglich durch die Bemessungsgrundlage zugelassen, nicht auch bei der prozentualen Höhe der Entgeltfortzahlung. Darauf stellt die Beklagte in ihrer Argumentation nicht genügend ab. Natürlich lässt sich auch hierdurch eine Verringerung der Entgeltfortzahlung erreichen, doch ist diese nur über den Weg der Bemessungsgrundlage tarifdispositiv.

Zu Recht hat der Kläger ausgeführt, dass der Begriff der Bemessungsgrundlage sinnentleert würde, wenn er sich auch auf die prozentuale Höhe der Lohnfortzahlung bezöge. Die Gesetzeslogik spricht somit dafür, dass die Tarifdisposition des § 4 Abs. 4 EFZG sich nur auf die sogenannte Bemessungsgrundlage bezieht. Sie beinhaltet alle einzelnen Bestandteile, aus denen sich der Geldfaktor zusammensetzt. Nur er ist tarifdispositiv, nicht die prozentuale Höhe der auf einer bestimmten Berechnungsgrundlage basierenden Entgeltfortzahlung. Dies hat das Arbeitsgericht richtig erkannt.

Daher ist auch ein normativer Günstigkeitsvergleich zwischen § 13 RTV und § 4 Abs. 4 S. 1 EFZG zu ziehen (vgl. BAG U. v. 25.9.1987, NZA 1988, 358). Dieser ist nicht nur zum Zeitpunkt der Schaffung der Tarifnorm zu ziehen, sondern auch zum 1.1.1999, seit dem die neue Gesetzesnorm gilt. Höherrangiges Gesetzesrecht kann dem Tarifvertrag nicht nur vorgehen, sondern auch nachfolgen (vgl. ErfK-Schaub, TVG, § 1 Rn. 163).

Die Beklagte irrt, wenn sie vorträgt, der neue gesetzgeberische Eingriff habe einen Teil betroffen, der ohnehin tarifdispositiv gewesen sei und daher ein erneuter Günstigkeitsvergleich nicht vorzunehmen sei. Nur die Berechnungsgrundslage blieb weiterhin dispositiv und nicht die generelle Höhe der Entgeltfortzahlung.

Es ist daher durchaus Aufgabe der Tarifvertragsparteien, worauf die Beklagte hinweist, im Verhandlungswege sich neu zu einigen, wenn man glaubt, durch die gesetzliche Änderung sei das gesamte Regelungsgefüge des RTV gestört worden.

Unstreitig enthält § 13 Ziffer 1 S. 1, 1. Hs. RTV eine gegenüber der neuen Gesetzeslage (§ 4 Abs. 1 EFZG) ungünstigere Regelung. Die nach der gesetzlichen Neuregelung im Bereich von Überstunden vorgenommene Kürzung findet sich bei einer tarifvertraglichen Regelarbeitszeit von 38 Wochenstunden im Berechnungsfaktor 7,6 Stunden wieder. Die Nichtberechnung sonstiger Zuwendungen, wie in § 4 Abs. 1 EFZG genannt, ergibt sich aus der im vorletzten Absatz der Ziffer a vorgenommenen Inbezugnahme der gesetzlichen Regelung.

Die Tarifnorm ist deshalb wegen Gesetzesverstoßes (§ 134 BGB) als rechtsunwirksam anzusehen mit der Folge, dass der Kläger - wie von ihm geltend gemacht - gemäß § 4 Abs. 1 EFZG n. F. Anspruch auf 100 %ige Entgeltfortzahlung hat. Der Klage war daher antragsgemäß stattzugeben.

Selbst wenn man jedoch einen Sachgruppengünstigkeitsvergleich anstellt, fällt das Ergebnis nicht anders aus. In den Vergleich sind die Normen des Tarifvertrages einzubeziehen, die in einem inneren Zusammenhang mit den zu vergleichenden Regelungen stehen und nicht alle übrigen, wie die Beklagte es tut (freiwillige Entlohnung, Urlaub, Freistellung usw.). Dies heißt, dass lediglich die Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu vergleichen sind. Danach stellt sich auch dann § 4 EFZG n. F. als die für die Arbeitnehmer günstigere Norm dar, da § 13 Ziffer 1 RTV für die ersten 5 Krankheitstage nur einen Anspruch auf 80 % des gesetzlichen Arbeitsentgelts gewährt.

Nach allem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die vorliegende Rechtsfrage ist zwar von grundsätzlicher Bedeutung, diese bezieht sich jedoch nur auf den Bezirk des Landesarbeitsgerichts Saarland. Es geht lediglich um eine Rechtsnorm, die sich nur auf den Bereich des Saarlandes erstreckt. Damit kann die Rechtsfrage durch das Landesarbeitsgericht abschließend entschieden werden, weshalb die Revisionszulassung zu versagen war (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG 3. Aufl. § 72 Rn. 16 m. w. N.; GK-ArbGG/Ascheid § 72 Rn. 24 m. w. N.).

Ende der Entscheidung

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