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Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 13.02.2007
Aktenzeichen: 11 Sa 409/06
Rechtsgebiete: MuSchG, BetrVG, BGB, ArbGG, SGB IX, ZPO


Vorschriften:

MuSchG § 9 Abs. 3
BetrVG § 102
BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 1 S. 3
BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
BGB § 626 Abs. 2 S. 1
ArbGG § 8 Abs. 2
ArbGG § 64
SGB IX § 91
SGB IX § 91 Abs. 2
SGB IX § 91 Abs. 5
ZPO § 256 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT SACHSEN-ANHALT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 11 Sa 409/06

Verkündet am: 13.02.2007

In dem Rechtsstreit

wegen Kündigung, Feststellung und Weiterbeschäftigung

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 13. Februar 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht als Vorsitzenden und die ehrenamtliche Richterin und den ehrenamtlichen Richter als Beisitzer für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 21.06.2006 - 11 (8) (11) Ca 2817/05 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Feststellungsklage (Antrag zu 3.) als unzulässig abgewiesen wird.

II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 21.06.2006 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Klage wird hinsichtlich des Klagantrages zu 3. als unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Die Revision wird für die Klägerin hinsichtlich der Klaganträge zu 1. und 2. zugelassen.

Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigungen.

Die Klägerin war seit 01.09.1991, zuletzt als Verkaufsstellenleiterin nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 14.10.1999 (Bl. 11 - 17 d. A.) bei der Beklagten tätig.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 27.09.2005 (Bl. 20 d. A.) außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31.01.2006 sowie mit weiterem Schreiben vom 27.09.2005 (Bl. 22 d. A.) erneut ordentlich zum 31.01.2006. Die Kündigungen sind der Klägerin am selben Tage zugegangen.

Der Kündigung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin tätigte am 23.07.2005 einen Personalkauf betreffend einen Seidenschal sowie diverse Fleischwaren. Dabei wies sie die ihr unterstellte Kassiererin an, den leicht beschädigten Seidenschal statt zum regulären Preis von € zum Preis von € abzukassieren. Die Fleischwaren, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen war bzw. kurz vor dem Ablauf stand, wurden auf ihre Anweisung hin zum Preis von je € anstelle von bzw. € abkassiert.

Nach den der Klägerin bekannten betrieblichen Anweisungen war sie nicht befugt, Preisnachlässe für den Seidenschal selber anzuordnen. Für Ware mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum bestand die Vorgabe, diese - sofern noch verwertbar - im Wege des Personalverkaufs zur Hälfte des regulären Preises abzugeben.

Die Beklagte stellte darüber hinaus am 25.07.2005 fest, dass die Klägerin Mitarbeiterinnen angewiesen hatte, bei der Erfassung von Obst- und Gemüseartikeln falsche Mengenangaben zu verbuchen.

Die Beklagte führte mit der Klägerin ebenfalls am 25.07.2005 ein Personalgespräch, in dem sie die Klägerin mit den kündigungsrelevanten Vorwürfen konfrontierte. Hinsichtlich des Seidenschals begründete die Klägerin ihr Vorgehen mit der Tatsache, dass dieser beschädigt gewesen sei. Die Reduzierung bei den Fleischwaren beruhe auf der Tatsache, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen gewesen sei. Zu den Vorwürfen betreffend fehlerhafte Ermittlung von Obst- und Gemüsebeständen gab die Klägerin keine Stellungnahme ab.

Nach Beteiligung des in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrates (Informationsschreiben vom 26.07.2005 - Bl. 57 - 61 d.A.), sprach die Beklagte am 26.07.2005 eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung sowie eine weitere ordentliche Kündigung aus. Gegen diese Kündigungen hat sich die Klägerin gerichtlich zur Wehr gesetzt. Sie teilte über ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 08.08.2005 mit, dass bei ihr am selben Tage eine Schwangerschaft festgestellt worden sei (Faxschreiben vom 08.08.2005 - Bl. 62 f.d.A.). Hierzu reichte sie am 12.08.2005 ein ärztliches Attest nach (Bl. 65 d.A.).

Die Beklagte beantragte sodann am 22.08.2005 bei Landesamt für Verbraucherschutz - am selben Tage dort eingegangen - die Zustimmung zu einer erneuten außerordentlichen Kündigung der Klägerin gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG. Die Kündigungen vom 26.07.2005 wurden von ihr im Gütetermin bei dem Arbeitsgericht Magdeburg am 30.08.2005 "zurückgenommen".

Mit Schreiben vom 26.09.2005 - am 27.09.2005 bei der Beklagten eingegangen - informierte der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte darüber, dass die Klägerin nicht mehr dem Schutz des Mutterschutzgesetzes unterfalle.

Die Beklagte beteiligte daraufhin noch am 27.09.2005 den Betriebsrat zu den erneut beabsichtigten außerordentlichen sowie ordentlichen Kündigungen (Informationsschreiben Bl. 70 - 74 d. A.). Entscheidungen im Verfahren nach § 102 BetrVG hat der im Betrieb der Beklagten bestehende Betriebsrat einem Betriebsausschuss übertragen. Der Betriebsrat der Beklagten führte noch am 27.09.2005 eine Sitzung durch, an der sämtliche Betriebsausschussmitglieder teilnahmen (Protokoll Bl. 292 d. A.) und vermerkte anschließend unter anderem auf dem Anhörungsbogen zur außerordentlichen Kündigung: "Der Betriebsrat sieht davon ab, zu der vorgesehenen personellen Einzelmaßnahme Stellung zu nehmen" (Bl. 70 d. A.). Nach Zugang dieser Information ließ die Beklagte die Kündigungsschreiben fertigen und noch am selben Tage per Boten der Klägerin zustellen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, den streitbefangenen Kündigungen komme keine Rechtswirksamkeit zu. Der Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung stehe § 626 Abs. 2 BGB entgegen. Die Beklagte habe nicht innerhalb der zweiwöchigen Ausschlussfrist die hier streitgegenständliche Kündigung ausgesprochen. Zur Wahrung dieser Frist hätte sie unverzüglich nach Mitteilung der Schwangerschaft der Klägerin das Verfahren nach § 9 Abs. 3 MuSchG einleiten müssen. Darüber hinaus verstoße diese Kündigung wie auch die ordentlichen Kündigungen gegen § 102 Abs. 1 BetrVG. Der Betriebsrat sei unvollständig informiert worden. Die Beklagte habe den Betriebsrat nicht über den Inhalt des mit der Klägerin vor Ausspruch der Kündigung am 25.07.2005 geführten Personalgespräches informiert.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.09.2005 nicht aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die weitere ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.09.2005 nicht aufgelöst worden ist,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern dass es über den 31.01.2006 hinaus unverändert fortbesteht,

4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen als Verkaufsstellenleiterin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung stehe nicht § 626 Abs. 2 BGB entgegen. Die dortige Ausschlussfrist sei gewahrt worden. Es sei ausreichend, wenn nach Kenntnis von der Schwangerschaft der Antrag nach § 9 Abs. 3 MuSchG innerhalb von zwei Wochen bei der zuständigen Behörde eingereicht werde.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.06.2006 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche noch durch die weitere ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.09.2005 aufgelöst worden ist, im Übrigen die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits den Parteien anteilig auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung scheitere an § 626 Abs. 2 BGB. Die Beklagte habe die streitgegenständliche Kündigung nicht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung betreffend das Fehlverhalten der Klägerin ausgesprochen. Den ordentlichen Kündigungen müsse die Rechtswirksamkeit wegen Verstoßes gegen § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG versagt werden. Die Beklagte habe den Betriebsrat jeweils über eine beabsichtigte Kündigung zum 31.03.2006 informiert, tatsächlich jedoch Kündigungen zum 31.01.2006 ausgesprochen. Die allgemeine Feststellungsklage habe hingegen der Abweisung unterlegen, da weitere Beendigungstatbestände von der Klägerin nicht dargetan worden seien. Gleiches gelte für den Weiterbeschäftigungsantrag. Ein solcher bestehe entgegen der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts außerhalb des § 102 BetrVG nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Blatt 216 bis Blatt 228 der Akte verwiesen.

Gegen dieses, den Parteien jeweils am 05.07.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.07.2006 und die Klägerin am 28.07.2006 Berufung eingelegt. Die Beklagte hat ihre Berufung am 04.09.2006 begründet. Die Berufungsbegründung der Klägerin ist nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 05.10.2006 am 05.10.2006 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen.

Mit ihren wechselseitigen Rechtsmitteln verfolgen die Parteien ihre erstinstanzlichen Klaganträge weiter.

Die Beklage hält an ihrem Rechtsstandpunkt, ihr stehe im Rahmen des § 626 Abs. 2 BGB nach Kenntniserlangung von der Schwangerschaft der Klägerin eine Frist von zwei Wochen zur Verfügung, um das Verfahren nach § 9 Abs. 3 MuSchG einzuleiten, fest. Auch sei die Betriebsratsanhörung korrekt erfolgt, da die Entscheidung des Betriebsrates am 27.09.2005 durch sämtliche Mitglieder des Betriebsausschusses getragen worden sei. Einer Information über das mit der Klägerin geführte Personalgespräch habe es nicht bedurft, da die Klägerin keine entlastenden Angaben zu den kündigungsrelevanten Vorfällen gemacht habe. Die Betriebsratsanhörung sei hinsichtlich der ordentlichen Kündigungen auch nicht wegen der Divergenz zwischen den mitgeteilten und den in den Kündigungsschreiben enthaltenen Beendigungsterminen rechtsunwirksam. Die Beklagte habe von vornherein eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist aussprechen wollen. Dies sei dem Betriebsrat mitgeteilt worden. Das versehentlich im Kündigungsschreiben aufgenommene Datum 31.01.2006 sei im Wege der Auslegung entsprechend zu korrigieren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 21.06.2006 - 11 (8) (11) Ca 2817/05 - teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen

sowie

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 21.06.2006 teilweise abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern dass es über den 31.01.2006 hinaus unverändert fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen als Verkaufsstellenleiterin weiterzubeschäftigen

sowie

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts Magdeburg soweit dieses der Klage stattgegeben hat und vertritt im Übrigen die Auffassung, aufgrund - unstreitig - weiterer sechs Folgekündigungen, die ebenfalls gerichtlich angegriffen wurden seien, sei auch die allgemeine Feststellungsklage begründet. Darüber hinaus stehe der Klägerin nach den Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung der Klägerin und auch die Berufung der Beklagten sind zulässig. Es handelt sich um das gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthafte Rechtsmittel. Die Berufungen sind form- und fristgerecht eingereicht und auch begründet worden (§ 66 Abs. 1 ArbGG).

B.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Berufung der Klägerin ist hingegen unbegründet.

I.

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.09.2005 fristlos aufgelöst. Demgemäß war das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg teilweise abzuändern und die Klage auch hinsichtlich der Klaganträge zu Ziffer 1. und 2. abzuweisen.

1.

Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB liegen für die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung vom 27.09.2005 vor. Danach kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigendem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 27.04.2006 -2 AZR 415/05) findet eine zweistufige Prüfung statt. Erforderlich ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes an sich (erste Stufe) sowie darüber hinaus eine zu Lasten des Gekündigten ausgehende umfassende Interessenabwägung (zweite Stufe).

a)

Ein wichtiger Grund an sich ist vorliegend gegeben. Ein solcher ist immer dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich Vermögensinteressen des Arbeitgebers schädigt, ohne dass es auf den Umfang des eingetretenen Schadens ankommt (BAG 11.12.2003 - 2 AZR 36/03). Von einer derartigen Vermögensschädigung ist vorliegend nach dem unstreitigen Sachverhalt auszugehen. Die Klägerin hat unter bewusstem Verstoß gegen betriebliche Vorschriften Waren preisreduziert (an sich selbst) abgegeben und dadurch Vermögensinteressen der Beklagten geschädigt.

b)

Auch die auf der zweiten Ebene vorzunehmende umfassende Interessenabwägung geht zu Lasten der Klägerin aus.

aa)

Einer grundsätzlich bei steuerbarem Fehlverhalten vorab auszusprechenden Abmahnung bedurfte es vorliegend nicht. Diese war entbehrlich. Entbehrlich ist eine Abmahnung immer dann, wenn ein verständiger Arbeitnehmer aufgrund der Schwere der Verfehlung nicht damit rechnen durfte, der Arbeitgeber werde das Fehlverhalten nicht unmittelbar zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung nehmen (BAG 12.01.2006 - 2 AZR 179/05). Um eine derartige schwerwiegende Pflichtverletzung handelt es sich bei der hier der Klägerin vorzuwerfenden vorsätzlichen Vermögensschädigung der Beklagten (BAG 11.12.2003 - 2 AZR 36/03).

bb)

Auch die Interessenabwägung im engeren Sinne musste zu Lasten der Klägerin ausgehen. Zu berücksichtigen war zu ihren Gunsten zwar die langjährige Betriebszugehörigkeit. Dem steht jedoch entgegen, dass die Klägerin als Verkaufsstellenleiterin eine besondere Vertrauensstellung innehat. Berücksichtigt man weiter, dass die Klägerin gerade diese, ihr von der Beklagten übertragene herausgehobene Position dazu benutzt hat, Vermögensschädigungen auszuführen, indem sie die ihr unterstellte Kassiererin angewiesen hat, Ware zu reduzierten Preisen abzukassieren, so erscheint es nach Auffassung der Kammer für die Beklagte nicht zumutbar, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist als Verkaufsstellenleiterin weiter zu beschäftigen.

2.

Der Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung steht weiterhin nicht § 626 Abs. 2 BGB entgegen, wonach die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen kann. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Beklagte hat diese Frist eingehalten.

a)

Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass zwischen der Kenntniserlangung von den die Kündigung auslösenden Pflichtverletzungen und dem Zugang der hier streitgegenständlichen Kündigung ein deutlich längerer Zeitraum als zwei Wochen liegt.

b)

Bei der Fristbemessung sind jedoch die durch den Mutterschutz der Klägerin verursachten Besonderheiten zu berücksichtigen. Nach Auffassung der Kammer ist in dem Fall, in dem der Arbeitgeber zunächst innerhalb von zwei Wochen, nachdem er von den kündigungsrelevanten Vorgängen Kenntnis erlangt hat, eine (unwirksame) außerordentliche Kündigung ausspricht, anschließend innerhalb von zwei Wochen nach Information über die Schwangerschaft den Antrag nach § 9 Abs. 3 MuSchG stellt und nach Abschluss des behördlichen Verfahrens unverzüglich die außerordentliche Kündigung ausspricht, der Frist des § 626 Abs. 2 BGB genüge getan. Die Kammer stützt diese Auffassung auf eine Parallelwertung zu § 91 SGB IX. Gemäß § 91 Abs. 2 SGB IX kann die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Menschen innerhalb von zwei Wochen beantragt werden; maßgebend ist der Eingang des Antrags bei dem Integrationsamt. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die insoweit maßgebenden Tatsachen umfassen auch die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung des zu kündigenden Arbeitnehmers an sich (BAG 14.05.1982 - 7 AZR 1221/79). Jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung von den kündigungsrelevanten Pflichtverletzungen - jedoch ohne Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers - eine außerordentliche Kündigung ausspricht, und nach Offenbarung der Schwerbehinderteneigenschaft durch den Arbeitnehmer innerhalb weiterer zwei Wochen das Verfahren bei dem Integrationsamt einleitet, ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB als gewahrt anzusehen (vgl. BAG 02.03.2006 - 2 AZR 46/05 - juris Rz 20). Gemäß § 91 Abs. 5 SGB IX kann der Arbeitgeber nach Abschluss des Verfahrens vor dem Integrationsamt auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB die Kündigung aussprechen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird.

Diese Rechtsgrundsätze sind nach Auffassung der Kammer auch auf den Fall anzuwenden, dass der Arbeitgeber einer Arbeitnehmerin, von deren Schwangerschaft er keine Kenntnis hat, innerhalb von zwei Wochen, nachdem er von den kündigungsauslösenden Vorfällen Kenntnis erlangt hat, außerordentlich kündigt, er sodann nach Information über die Schwangerschaft innerhalb von zwei Wochen die Zustimmung gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG beantragt und nach Abschluss des Verfahrens unverzüglich erneut die außerordentliche Kündigung ausspricht. Die vom Gesetzgeber in § 91 SGB geregelte Situation betreffend einen schwerbehinderten Menschen, dessen Schwerbehinderteneigenschaft dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung nicht bekannt war, ist mit der vorliegenden Situation identisch. Der Arbeitgeber hat in beiden Fällen zunächst - aus seiner Sicht - die Vorschrift des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten. Ihm kann nach rechtsstaatlichen Grundsätzen kein Nachteil daraus erwachsen, dass der Arbeitnehmer im Nachhinein sich auf einen ihm zustehenden Sonderkündigungsschutz zulässigerweise beruft. Die Wertung des Gesetzgebers in § 91 Abs. 2 SGB IX, dass der Arbeitgeber nunmehr innerhalb von zwei Wochen das behördliche Verfahren einleiten muss, lässt sich auf die Situation des § 9 Abs. 3 MuSchG übertragen. In beiden Fällen hängt die Wirksamkeit der Kündigung von einem vorab durchzuführenden behördlichen Verwaltungsverfahren ab.

Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der Arbeitgeber bei einer solchen Konstellation auch nicht unverzüglich, was regelmäßig und auch im vorliegenden Fall zur Annahme einer unterhalb von zwei Wochen liegenden Frist führen würde, die Zustimmung zu beantragen. Einer Übertragung der in § 91 Abs. 5 SGB IX enthaltenen Rechtsgrundsätze auf diese Stufe des Verfahrens steht entgegen, dass sich für den Arbeitgeber nach Kenntnis von der Schwangerschaft eine neue Situation ergibt. Er hat die Rechtslage nunmehr auch unter dem Gesichtspunkt des Sonderkündigungsschutzes (neu) zu bewerten. Angesichts der rechtlich erheblich veränderten Situation ist es sachgerecht, für den Arbeitgeber die vom Gesetzgeber zur Prüfung der Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung eingeräumte Frist von zwei Wochen faktisch erneut anlaufen zu lassen. Dem gegenüber bezieht sich die in § 91 Abs. 5 SGB IX dem Arbeitgeber vorgegebene Frist (unverzüglich) auf eine andere Ausgangssituation. Der Arbeitgeber hat bereits im Vorfeld die Aussichten einer außerordentlichen Kündigung rechtlich und tatsächlich umfassend prüfen können. Ein weiterer Überlegungsbedarf besteht für ihn nach Erteilung der behördlichen Zustimmung mithin nicht mehr.

Bei Beachtung dieser Rechtsgrundsätze hat die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat noch vor Kenntniserlangung von der Schwangerschaft innerhalb von zwei Wochen, nachdem ihr die kündigungsrelevanten Vorfälle zur Kenntnis gelangt sind, die erste außerordentliche Kündigung (26.07.2005) ausgesprochen. Sie hat sodann innerhalb von zwei Wochen nach Information über die Schwangerschaft der Klägerin (08.08.2005/22.08.2005) den Antrag nach § 9 Abs. 3 MuSchG bei der zuständigen Behörde eingereicht. Schlussendlich hat sie nach Abschluss des Verfahrens (Information des Klägervertreters vom 26.09.2005/Eingang 27.09.2005) noch am selben Tage und damit unverzüglich die hier streitbefangene Kündigung ausgesprochen.

3.

Der Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung steht weiterhin nicht § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG entgegen. Danach ist die ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung unwirksam. Der unterlassenen Anhörung steht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 16.09.2004 - 2 AZR 511/03) die nicht ordnungsgemäße Anhörung gleich. Ordnungsgemäß ist die Anhörung des Betriebsrates wiederum dann, wenn dem Betriebsrat die aus der subjektiven Sicht des Arbeitgebers (subjektive Determination) maßgeblichen Kündigungsgründe so umfassend mitgeteilt worden sind, dass sich der Betriebsrat, ohne weitere eigene Nachforschungen anstellen zu müssen, ein abschließendes Bild über den Kündigungsgrund machen kann (BAG 10.11.2005 - 2 AZR 623/04). Im Fall der außerordentlichen Kündigung hat der Betriebsrat Bedenken gegen diese Kündigung unter Angabe der Gründe den Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen schriftlich mitzuteilen (§ 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG). Vor Ablauf dieser Frist ist der Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung berechtigt, wenn der Betriebsrat eine abschließende Stellungnahme zu der beabsichtigten Kündigung abgegeben hat , die auch darin liegen kann, dass der Betriebsrat erklärt, er wolle sich zur Kündigung nicht äußern (BAG 12.03.1987 - 2 AZR 176/86).

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze genügt die von der Beklagten durchgeführte Betriebsratsanhörung den rechtlichen Anforderungen.

a)

Dem Informationsschreiben der Beklagten vom 27.09.2005 (Bl. 70 d. A.) sind die aus Sicht der Beklagten maßgeblichen Kündigungsgründe, nämlich die unter vorsätzlichem Verstoß gegen betriebliche Vorschriften vorgenommenen Preisreduzierungen bei einem Seidenschal und bei Fleischprodukten sowie die Sozialdaten der Klägerin, hinreichend deutlich zu entnehmen. Die Anhörung wird entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht dadurch unvollständig, dass die Beklagte den Betriebsrat nicht über den Inhalt des Personalgespräches am 25.07.2005 informiert hat. Zwar ist der Arbeitgeber gehalten, im Fall einer verhaltensbedingten Kündigung auch entlastende Momente dem Betriebsrat zur Kenntnis zu geben (BAG 31.08.1989 - 2 AZR 453/88). Derartige entlastende Tatsachen haben jedoch nach dem unstreitigen Sachvortrag aus der subjektiven Sicht der Beklagten nicht vorgelegen. Die Beklagte hat zum Inhalt des Personalgespräches - unbestritten - vorgetragen, die Klägerin habe hinsichtlich des Seidenschals geäußert, er sei beschädigt gewesen und die Preisreduzierung für die Fleischprodukte mit dem abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatum begründet. Hierbei handelt es sich um Einlassungen, denen aus Sicht der Beklagten kein entlastender Informationswert zukommt. Für die Beklagte hat sich mithin auch nach dem durchgeführten Personalgespräch an den für sie maßgeblichen Kündigungsgründen in objektiver wie in subjektiver Hinsicht nichts geändert. Dementsprechend war sie auch nicht gehalten, das aus ihrer Sicht für die Kündigungsentscheidung nicht maßgebliche Personalgespräch dem Betriebsrat zur Kenntnis zu geben.

b)

Das Beteiligungsverfahren war bei Ausspruch der Kündigung entgegen der Auffassung der Klägerin auch bereits abgeschlossen. Die Erklärung des Betriebsrates, er gebe keine Stellungnahme ab, ist im vorliegenden Fall als abschließende Stellungnahme zu bewerten.

aa)

Zwar hat der Betriebsrat im vorliegenden Fall nicht ausdrücklich der außerordentlichen Kündigung der Klägerin zugestimmt. Aus den gesamten Umständen heraus lässt sich jedoch seine Erklärung als Abgabe einer abschließenden Stellungnahme werten. Für den Betriebsrat besteht nach dem von der Beklagten überreichten Informationsschreiben die Möglichkeit, dort die Erklärung abzugeben, er sehe von einer Stellungnahme ab oder aber Widerspruchsgründe vorzubringen. Weiter besteht für den Betriebsrat die Möglichkeit, das Informationsschreiben an die Beklagte gar nicht zurückzureichen und weder eine mündliche noch eine schriftliche Stellungnahme zu der Kündigung abzugeben. Vorliegend hat der Betriebsrat nicht nur gegenüber der Beklagten erklärt, er sehe davon ab, eine Stellungnahme abzugeben, sondern er hat darüber hinaus dies auf dem Anhörungsschreiben vermerkt und dasselbe an die Personalverwaltung der Beklagten zurückgereicht. Jedenfalls aus diesem "Zusammenspiel" lässt sich aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers der Erklärungswert ableiten, der Betriebsrat habe die Kündigungsangelegenheit abschließend beraten und entschieden. Vorliegend kommt hinzu, dass die Beklagte den Betriebsrat bereits im Juli 2005 zu einer außerordentlichen Kündigung, gestützt auf denselben Sachverhalt, beteiligt hat und von Seiten des Betriebsrats keine (inhaltliche) Stellungnahme abgegeben worden ist.

bb)

Dieser Bewertung steht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht entgegen, dass am 27.09.2005 nicht ausdrücklich der für Kündigungen zuständige Betriebsausschuss sondern der gesamte Betriebsrat getagt hat. Vorliegend ist nämlich zu berücksichtigen, dass bei der einberufenen Sitzung sämtliche Mitglieder des für die Beschlussfassung zuständigen Betriebsausschusses anwesend waren (vgl. Bl. 290/292 d. A.). Damit ist von einer ordnungsgemäßen Willensbildung des für die Beschlussfassung zuständigen Organs "Betriebsausschuss" auszugehen. Zumindest liegt nicht eine derartig evidente Fehlerhaftigkeit der Willensbildung vor, dass dadurch das Vertrauen des Arbeitgebers auf eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrates als nicht mehr schutzwürdig angesehen werden könnte. Es müsste vielmehr - bei unterstellter Verfahrensfehlerhaftigkeit - bei dem Grundsatz verbleiben, dass der Sphäre des Betriebsrates zuzuordnende Verfahrensfehler nicht zu einer Unwirksamkeit des Anhörungsverfahrens führen (BAG 16.01.2003 - 2 AZR 707/01).

4.

Nach alledem kommt der außerordentlichen Kündigung der Beklagten Rechtswirksamkeit zu. Das Urteil war daher hinsichtlich der gegen die außerordentliche Kündigung gerichteten aber auch denknotwendig hinsichtlich der gegen die ordentlichen Kündigungen gerichteten Kündigungsschutzklagen abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen.

II.

Die Berufung der Klägerin konnte hingegen keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage hinsichtlich der Klaganträge zu Ziffer 3. und 4. abgewiesen.

1.

Die allgemeine Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ist bereits unzulässig. Das erforderliche Rechtsschutzinteresse ist nicht gegeben. Zur Begründung eines über den Kündigungsschutzantrag hinausgehenden Rechtsschutzinteresses ist es erforderlich, dass der klagende Arbeitnehmer Tatsachen vorträgt, aus denen sich zumindest die Möglichkeit weiterer, nicht bereits durch Kündigungsschutzklage erfasster Beendigungstatbestände ergibt (BAG 10.10.2002 - 2 AZR 622/01). Eine derartige Tatsachenlage hat die Klägerin nicht darzulegen vermocht. Sie hat vielmehr in ihrer Berufungsbegründung eingeräumt, dass die weiteren sechs Folgekündigungen von ihr jeweils mittels Kündigungsschutzklage angegriffen worden sind.

2.

Die Berufung konnte auch keinen Erfolg haben soweit die Klägerin vorläufige Weiterbeschäftigung begehrt. Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob außerhalb des § 102 BetrVG ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch besteht. Selbst wenn man dies mit dem Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG GS 27.02.1985 - GS 1/84) bejaht, lägen die Voraussetzungen vorliegend nicht vor. Es fehlt an einem Obsiegen der Klägerin im Kündigungsschutzrechtsstreit. Darüber hinaus würden auch die von der Beklagten ausgesprochenen Folgekündigungen der Zuerkennung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs entgegenstehen (BAG 19.12.1985 - 2 AZR 190/85).

C.

Die Klägerin als unterliegende Partei hat gemäß § 91 ZPO die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen.

D.

Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war wegen grundsätzlicher Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen betreffend die Klaganträge zu Ziffer 1. und 2. für die Klägerin die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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