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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 11 Sa 522/07
Rechtsgebiete: BDSG


Vorschriften:

BDSG § 6 b
1. Es bleibt dahingestellt, ob nach der Neufassung des § 6 b BDSG eine verdeckte Videoüberwachung von Arbeitnehmern in Verkaufsräumen ausnahmsweise im Rahmen einer Interessenabwägung und Beachtung einer notwehrähnlichen Situation gerechtfertigt sein kann.

2. Ein Verstoß gegen § 6 b BDSG führt in einem Kündigungsschutzrechtsstreit nicht zu einem Vortragsverbot des Arbeitgebers betreffend Tatsachen, die mittelbar durch Auswertung einer unter Verstoß gegen § 6 b BDSG hergestellten Videoaufzeichnung erlangt worden sind. Bestreitet der Arbeitnehmer diese Tatsachen nicht, so sind sie nach dem im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatz als unstreitiger Tatsachenvortrag zu berücksichtigen (entgegen OLG Karlsruhe 25.02.2000 - 10 U 221/99).


LANDESARBEITSGERICHT SACHSEN-ANHALT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 11 Sa 522/07

Verkündet am: 15.04.2008

In dem Rechtsstreit

wegen Kündigung

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 15. April 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter und die ehrenamtliche Richterin als Beisitzer für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt vom 29.08.2007 - 3 Ca 431/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Die Klägerin war seit 00.00.1994 als Verkäuferin/Kassiererin für den Beklagten in der Filiale B. aufgrund des Arbeitsvertrages vom 00.00.1994 (Bl. 6 d.A.) tätig. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 00.00.2007 (Bl. 8 d.A.) außerordentlich zum 00.00.2007. Die Klägerin hat in der Klagschrift die Vertretungsmacht der das Kündigungsschreiben unterzeichnenden Verkaufsleiterin, Frau P. dahingehend gerügt, dass dem Kündigungsschreiben keine Originalvollmacht beigefügt gewesen sei.

Der Kündigung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beklagte hatte in der Filiale B. , nachdem es dort - nach seiner Behauptung

- insbesondere von November 2006 bis Februar 2007 zu erheblichen Inventurdifferenzen gekommen war, im Zeitraum vom 17. März bis 23. März 2007 eine Überwachungskamera angebracht, die auch den Kassenbereich erfasst hat. Die Klägerin wie auch die weiteren Mitarbeiter der Filiale B. wurden hierüber nicht informiert. Allerdings befindet sich

- schon seit Jahren - eine Hinweistafel (Bl. 37 d.A.) im Verkaufsraum, die u.a. auf den Einsatz von Kameras hinweist. Tatsächlich hat jedoch in der Vergangenheit ein regelmäßiger Einsatz von Kameras - mit Ausnahme von kurzfristigen Detektiveinsätzen - nicht stattgefunden.

Bei Auswertung der Videoaufzeichnung bemerkte die Verkaufsleiterin, dass die Klägerin nach Dienstschluss am 23.03.2007 einen sog. Personaleinkauf tätigte. Frau P. überprüfte daraufhin den diesen Einkauf dokumentierenden Kassenstreifen und stellte dabei fest, dass die Klägerin - unstreitig - Waren im Wert von über 60,00 EUR (überwiegend Süßwaren) erworben hatte und dabei einen Teil des Kaufpreises in Höhe von 36,00 EUR mit produktbezogenen Gutscheinen, die nur beim Erwerb des dort bezeichneten Produktes - hier elektrische Zahnbürste Oral B, weitere Oral B-Produkte und Pampers Windelpaket - eingelöst werden dürfen, beglichen hatte. In dem sich anschließenden Personalgespräch am 02.04.2007 entgegnete die Klägerin auf den Vorhalt, sie habe die insgesamt sieben Gutscheine für die tatsächlich erworbenen Waren nicht einlösen dürfen, dem Beklagten sei hierdurch doch kein Schaden entstanden. Hierfür könne man nach so langer Betriebszugehörigkeit doch nicht entlassen werden.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei aufgrund der rechtswidrig erfolgten Videoüberwachung gehindert, den hier vorgebrachten Kündigungsgrund im Rechtsstreit zu verwerten.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 02.04.2007 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Einlösung von insgesamt sieben produktbezogenen Gutscheinen für Waren, die eindeutig nicht dem auf dem Gutschein genannten Produkt zuzuordnen seien, stelle einen derart schwerwiegenden Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten dar, dass auch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Er sei auch nicht gehindert, die mittelbar durch die Videoüberwachung gewonnen Erkenntnisse im Rechtsstreit zu verwerten. Die Videoüberwachung sei im Hinblick auf den in der Filiale befindlichen Aushang datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden. Jedenfalls sei der Beklagte im Hinblick auf die - nach seiner Behauptung - extrem hohen Inventurdifferenzen berechtigt gewesen, auch eine heimliche Videoüberwachung zu veranlassen, da in der Vergangenheit durchgeführte Detektiveinsätze und Testkäufe - so hat der Beklagte weiter behauptet - zur Klärung vorangegangener Inventurdifferenzen keinen Erfolg erbracht haben.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 29.08.2007 die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis zu Recht außerordentlich gekündigt. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB seien gegeben. Nach dem von der Klägerin nicht bestrittenen Sachverhalt sei davon auszugehen, dass diese vorsätzlich zur Begleichung der Kaufpreisforderung Gutscheine eingesetzt habe, die nicht für den Erwerb der tatsächlich gekauften Produkte vorgesehen seien. Der Beklagte sei wegen der hohen Inventurdifferenzen auch berechtigt gewesen, diese über die Videoaufzeichnung gewonnenen Erkenntnisse im Prozess zu verwerten. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Bl. 55 - 62 d.A. verwiesen.

Gegen dieses, ihr am 13.09.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.10.2007 Berufung eingelegt und diese am 13.11.2007 begründet.

Mit ihrem Rechtsmittel verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich weiter. Sie vertritt insbesondere die Auffassung, der Beklagte sei gehindert den Kündigungsvorwurf im Rechtsstreit vorzutragen, weil die Videoüberwachung rechtswidrig erfolgt sei. Der im Verkaufsraum ausgehängte Hinweis auf eine Videoüberwachung entspreche nicht den Vorgaben des § 6 b BDSG, weil in der Vergangenheit eine Videoüberwachung nicht stattgefunden habe. Dies sei den Mitarbeitern bekannt gewesen. Der Beklagte hätte daher vor Installierung der Kamera auf die konkrete Überwachung hinweisen müssen.

Im Übrigen sei die außerordentliche Kündigung aber auch in der Sache unbegründet. Bei dem Beklagten bestehe ein schwer zu durchschauendes, sich ständig änderndes Gutscheinsystem. Sie habe daher versehentlich die neben der subventionierten Ware am Regal angebrachten Gutscheine entnommen und an der Kasse zum Ausgleich des Kaufpreises vorgelegt. Diese Handlung sei im Übrigen auch von der, den Kassiervorgang vornehmenden Kollegin E. nicht beanstandet worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt vom 29.08.2007 abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 02.04.2007 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Er vertritt insbesondere die Auffassung, die Videoüberwachung sei im Hinblick auf die angebrachte Hinweistafel gemäß § 6 b BDSG zu Recht erfolgt. Im Übrigen sei er auch aufgrund der behaupteten massiven Inventurdifferenzen berechtigt gewesen, eine heimliche Videoaufnahme für einen eng begrenzten Zeitraum vorzunehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die an sich statthafte (§§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG) und auch im Übrigen zulässige (§ 66 Abs. 1 ArbGG) Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage zu Recht abgewiesen.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird durch die streitbefangene außerordentliche Kündigung vom 02.04.2007 fristlos aufgelöst. Dieser Kündigung kommt Rechtswirksamkeit zu.

I.

Der Rechtswirksamkeit der Kündigung steht nicht § 174 BGB entgegen, wonach eine Kündigung aus formalen Gründen dann unwirksam ist, wenn diese ohne Vorlage einer Originalvollmachtsurkunde durch einen Vertreter ausgesprochen wird und der Kündigungsempfänger die Kündigung unverzüglich zurückweist. Die Voraussetzungen dieser Norm sind vorliegend nicht gegeben. Es fehlt bereits an einer unverzüglichen Rüge im vorstehend genannten Sinne. Auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.

Im Übrigen hat die Klägerin auch nicht die von dem Beklagten behauptete Vorlage einer Originalvollmacht - wie auf dem Kündigungsschreiben vermerkt - hinreichend substantiiert bestritten. Darüber hinaus hat der Beklagte gemäß § 174 Satz 2 BGB die Vollmacht der unterzeichnenden Verkaufsleiterin P. bekannt gemacht. Ein entsprechender Hinweis findet sich in Ziffer 2. des Arbeitsvertrages der Parteien.

II.

Die Rechtswirksamkeit der Kündigung scheitert weiterhin nicht an § 180 BGB, wonach ein ohne Vertretungsmacht vorgenommenes einseitiges Rechtsgeschäft unwirksam ist. Anhaltspunkte dafür, dass der unterzeichnenden Verkaufsleiterin P. tatsächlich keine Vertretungsmacht zum Ausspruch von Kündigungen zustand, sind von der Klägerin nicht dargetan worden. Selbst wenn dem Kündigungsschreiben eine Vollmachtsurkunde lediglich in Kopie beigefügt worden wäre, so hätte dies keine Indizwirkung dahin, dass der Unterzeichnerin tatsächlich keine Vertretungsmacht zum Ausspruch von Kündigungen erteilt worden ist. Die Beifügung einer Vollmachtsurkunde in Kopie spricht vielmehr - bezogen auf § 180 BGB - dafür, dass eine derartige Vertretungsmacht tatsächlich bestanden hat.

III.

Die außerordentliche Kündigung verstößt weiter nicht gegen § 626 Abs. 1 BGB. Danach kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 27.04.2006 - 2 AZR 415/05) sind die Voraussetzung dieser Bestimmung in einem zweistufigen Verfahren zu prüfen. Erforderlich ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes an sich (1. Stufe) sowie darüber hinaus eine zu Lasten des gekündigten Arbeitnehmers ausgehende umfassende Interessenabwägung (2. Stufe).

1.

Nach Auffassung der Kammer liegt für die streitgegenständliche Kündigung ein wichtiger Grund im vorstehend genannten Sinne vor. Nach ebenfalls ständiger Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 11.12.2003 - 2 AZR 36/03) stellen vorsätzliche Vermögensschädigungen des Arbeitgebers, ohne dass es auf den Umfang der Vermögensschädigung ankommt, einen wichtigen Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung dar. Dies gilt auch dann, wenn der kündigungsauslösende Sachverhalt sich außerhalb der Arbeitszeit zugetragen hat, aber einen Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweist (ErfK/Müller-Glöge, 8. Aufl. § 626 BGB Rz. 83; BAG 20.09.1984 - 2 AZR 233/83 betreffend eine Diebstahlshandlung eines Arbeitnehmers bei der konzernangehörigen Schwestergesellschaft seines Arbeitgebers).

a)

Entgegen der Auffassung der Klägerin weist der "Personaleinkauf" nach Dienstschluss einen derartigen Bezug zu ihren arbeitsvertraglichen Pflichten, zu denen insbesondere zählt, das Vermögen des Arbeitgebers nicht vorsätzlich zu schädigen (§ 241 Abs. 2 BGB), auf. Es macht insoweit keinen Unterschied, ob der Arbeitgeber während der Arbeitszeit oder aber "bei Gelegenheit" im Anschluss an den Arbeitseinsatz geschädigt wird. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn der "private" Einkauf im unmittelbaren Anschluss an den Arbeitseinsatz in der Filiale erfolgt, in der der Arbeitnehmer die geschuldeten Dienste zu erbringen hat.

b)

Die Klägerin hat im Rahmen dieses Personaleinkaufes das Vermögen des Beklagten geschädigt. Ihre erstinstanzlich geäußerte Auffassung, es sei dem Beklagten kein Schaden entstanden, ist nicht zutreffend. Nach dem unstreitigen Sachverhalt sind die zur Begleichung des Kaufpreises verwendeten Gutscheine produktbezogen. Der Hersteller des Produktes erstattet daher dem in Zahlung nehmenden Einzelhändler den auf dem Gutschein aufgedruckten Betrag nur, wenn auch das dort subventionierte Produkt gekauft worden ist. Gerade dies ist hier unstreitig nicht der Fall. Dem Beklagten ist es daher bei Meidung strafrechtlicher Konsequenzen (Betrug - § 263 StGB) verwehrt, nach Kenntnis des Vorfalls die Gutscheine bei den ausgebenden Herstellerfirmen in Zahlung zu geben.

c)

Dieser Vermögensschaden ist von der Klägerin objektiv verursacht worden. Die Klägerin bestreitet nicht hinreichend substantiiert, dass sie die Gutscheine tatsächlich zur Begleichung des Kaufpreises hingegeben hat. Ihr Vorbringen, "es mag sein", sie habe die Gutscheine hingegeben, stellt im Hinblick auf den weiteren Geschehensablauf, nämlich die unstreitige Verrechnung der Gutscheine beim Kassiervorgang, kein substantiiertes Bestreiten i.S.d. § 138 Abs. 2 ZPO dar. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin - ebenfalls unstreitig - im Laufe des nachfolgenden Personalgespräches die Hingabe der Gutscheine nicht in Abrede gestellt hat.

d)

Die Klägerin hat die Vermögensschädigung auch vorsätzlich herbeigeführt. Nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung (§ 286 ZPO) steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin die Gutscheine in Kenntnis der Tatsache, dass diese für die eingekauften Waren nicht eingelöst werden dürfen, beim Kassiervorgang hingegeben hat. Ihr (erstmaliges) Vorbringen in der Berufungserwiderung, sie habe die Gutscheine "versehentlich" hingegeben, vermag die Kammer nicht als hinreichend substantiiertes Bestreiten anzusehen. Vielmehr ist nach dem Gesamtvorbringen der Parteien einschließlich der ergänzenden Erörterung im Termin am 15.04.2008 davon auszugehen, dass die Klägerin in Kenntnis der Nichtverwertbarkeit der Gutscheine diese zur Einlösung gebracht hat. Hierfür sprechen sämtliche von den Parteien weiter vorgetragenen tatsächlichen Umstände: Die Klägerin verfügt über eine fast 13-jährige Betriebszugehörigkeit bei dem Beklagten. Bereits aus diesem Umstand allein spricht sehr vieles dafür, dass der Klägerin, die selbst regelmäßig Kassiervorgänge vorgenommen hat, die Tatsache, dass produktbezogene Gutscheine auch nur beim Kauf dieses Produktes eingelöst werden dürfen, bekannt war. Inwiefern die Klägerin dennoch - gutgläubig - davon ausgehen konnte, sie könne Gutscheine für Zahnbürsten bzw. Babywindelpakete zur Bezahlung ihres überwiegend Süßwaren betreffenden Einkaufs verwenden, ist ihrem Sachvortrag nicht zu entnehmen. Auch eine entsprechende Nachfrage im Termin am 15.04.2008 hat keine weitere Aufklärung gebracht. Die Klägerin hat vielmehr eingeräumt, dass die Gutscheine sich jeweils an den Regalen befinden, in denen auch die subventionierte Ware ausgelegt ist. Weiter zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin nicht lediglich einen Gutschein bei der Bezahlung zur Einlösung gebracht hat, sondern insgesamt sieben Gutscheine von ihr vorgelegt worden sind. Nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung ist die Kammer auch im Hinblick auf die relativ hohe Anzahl dieser Gutscheine davon überzeugt, dass eine "versehentliche" Verwendung von Gutscheinen betreffend Zahnbürsten und Windeln in diesem Umfang zur Begleichung ihres Einkaufs gerade wegen der Erfahrung der Klägerin beim Abkassieren ausgeschlossen werden kann. Angesichts dieser Gesamtumstände geht die Kammer davon aus, dass die "innere Tatsache" einer vorsätzlichen Handlung als unstreitig anzusehen ist.

Der Annahme eines Vorsatzes steht nicht entgegen, dass nach Behauptung der Klägerin ihre Kollegin E. die Coupons unbeanstandet entgegengenommen hat. Dabei kann dahinstehen, ob die - ebenfalls außerordentlich gekündigte - Kollegin mit der Klägerin kollusiv zusammengewirkt hat. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Mitarbeiterin E. "gutgläubig" war, so würde dies nichts an einer vorsätzlichen Täuschung des Beklagten ändern. Da Frau E. insoweit als Vertreter des Beklagten anzusehen ist, würde die Täuschung auch ihm gegenüber wirken. Aus dem Verhalten der Frau E. konnte die Klägerin im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen auch nicht in Vorsatz ausschließender Weise den Schluss ziehen, die Einlösung der offensichtlich nicht für die verwendeten Produkte geeigneten Gutscheine werde von dem Beklagten akzeptiert. Die Klägerin hat nicht in Abrede gestellt, dass Gutscheine, die ein bestimmtes Produkt aufweisen, auch nur für dieses Produkt zur Einlösung gebracht werden dürfen. Gerade im Hinblick auf ihre langjährige Tätigkeit auch beim Kassieren in der Filiale in B. konnte die Klägerin daher nicht davon ausgehen, die Entgegennahme von offensichtlich für die gekauften Produkte nicht verwertbaren Gutscheine durch eine Kollegin bedeute eine dem Beklagten zurechenbare Zustimmung zu dieser Zahlungsweise.

Letztendlich können im Rahmen des § 286 ZPO die Äußerungen der Klägerin im Personalgespräch sowie der Umstand nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin - nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts - erstinstanzlich den Kündigungsvorwurf nicht bestritten hatte.

Nach alledem liegt ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung der Klägerin vor.

2.

Auch die auf der 2. Stufe vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Klägerin aus.

a)

Der Beklagte war im Rahmen des Ultima-ratio-Prinzips nicht verpflichtet, vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung zunächst das Fehlverhalten der Klägerin mit dem "milderen" Mittel einer Abmahnung zu sanktionieren. Eine solche war im vorliegenden Fall entbehrlich. Zwar ist der Arbeitgeber grundsätzlich bei steuerbarem Fehlverhalten des Arbeitnehmers verpflichtet, vor Ausspruch einer Beendigungskündigung das Fehlverhalten zunächst abzumahnen. Eine Abmahnung ist jedoch dann entbehrlich, wenn wegen der Schwere des Verstoßes der Arbeitnehmer nicht schutzwürdig damit rechnen konnte, der Arbeitgeber werde das Fehlverhalten nicht unmittelbar zum Anlass einer Kündigung nehmen (BAG 12.01.2006 - 2 AZR 179/05). Danach entfällt das Erfordernis einer Abmahnung bei vorsätzlichen Vermögenspflichtverletzungen. Ein verständiger Arbeitnehmer kann nicht damit rechnen, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten ohne unmittelbaren Ausspruch einer Kündigung hinnimmt (BAG 11.12.2003 - 2 AZR 36/03).

b)

Weiterhin überwiegt im Rahmen einer Interessenabwägung (im engeren Sinne) das Interesse des Arbeitgebers an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse der Klägerin an einer Fortsetzung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 BGB am 30.09.2007. Für die Klägerin spricht zwar deren lange Betriebszugehörigkeit sowie die Tatsache, dass vorangegangene Störungen des Arbeitsverhältnisses nach dem sich bietenden Sachverhalt nicht vorgelegen haben. Dennoch überwiegt das Interesse des Beklagten einer sofortigen Beendigung. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien ist die Klägerin auch mit Aufgaben als Kassiererin zu beschäftigen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin je nach Schichtplanung ohne Aufsicht durch weitere Mitarbeiter allein in der Filiale des Beklagten tätig ist. All dies macht es dem Beklagten unzumutbar eine Mitarbeiterin, die - wenn auch im Rahmen eines Personaleinkaufs - eine im Zusammenhang mit dem Kassierbetrieb stehende vorsätzliche Vermögensschädigung des Beklagten in Höhe von rund 30,00 EUR herbeigeführt hat, noch für weitere rund 6 Monate zu beschäftigen.

3.

Der Beklagte ist nicht gehindert den Kündigungsgrund, nämlich das vorsätzliche unberechtigte Einlösen von Gutscheinen zur Begleichung eines Personaleinkaufs, prozessual zu verwerten. Ein Vortragsverwertungsverbot (nicht Beweisverwertungsverbot) der mittelbar durch eine Videoüberwachung gewonnenen Erkenntnisse besteht im vorliegenden Fall nicht.

a)

Dabei kann im Ergebnis dahinstehen, ob die vorgenommene Videoüberwachung durch § 6 b BDSG gerechtfertigt ist. Die Kammer hat hieran allerdings nicht unerhebliche Zweifel im Hinblick darauf, dass der auf eine Videoüberwachung hinweisende Aushang in der Filiale B. über Jahre hinweg nicht den Tatsachen entsprochen hat und dies (fehlende Videoüberwachung) den Mitarbeitern bekannt war.

b)

Weiter kann dahinstehen, wenn man die Rechtmäßigkeit der Videoüberwachung nach § 6 b BDSG verneint, ob die heimliche Videoüberwachung ausnahmsweise im Rahmen einer Interessenabwägung unter Beachtung einer notwehrähnlichen Situation gerechtfertigt war (hierzu BAG 27.03.2003 - 2 AZR 51/02 - zur Rechtslage vor Neufassung des § 6 b BDSG).

c)

Nach Auffassung der Kammer besteht, auch wenn man davon ausgeht, dass die Videoüberwachung in der Filiale B. rechtswidrig erfolgt ist, kein Vortragsverwertungsverbot für den Beklagten hinsichtlich der mittelbar aus der Videoüberwachung gewonnenen kündigungsrelevanten Erkenntnisse, die letztendlich auf der Auswertung des Kassenstreifens beruhen. Die Kammer schließt sich hierbei der insbesondere von Heinemann (MDR 2001, 137, 142) und im Anschluss daran von Greger (Zöller/Greger ZPO 26. Aufl. § 138 Rz. 3 und § 286 Rz. 15 b) vertretenen Auffassung an, wonach auch unter Verletzung des Persönlichkeitsrechtes gewonnene Erkenntnisse zulässigerweise im Zivilprozess vorgetragen werden können. Der Zivilprozess wird durch den sog. Beibringungsgrundsatz geprägt, d.h. die Parteien bestimmen den Umfang des Tatsachenstoffs, den das Gericht zu prüfen hat. Stellen die Parteien Tatsachenstoff - auch wider besseres Wissens - unstreitig, so ist das Gericht hieran gebunden. Diese Grundsätze stehen einem auf juristischen Wertungen beruhenden Ausschluss von nicht bestrittenem Tatsachenvortrag entgegen. Ausfluss der Parteimaxime ist es gerade, dass es den Parteien frei steht, im Rahmen der prozessualen Wahrheitspflicht Tatsachenvortrag zu bestreiten oder aber diesen durch ausdrückliches Zugeständnis bzw. Nichtbestreiten als unstreitig für die Entscheidungsfindung zu stellen. Dem Schutz des Persönlichkeitsrechts der betroffenen Prozesspartei wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass diese auch unter Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht berechtigt ist, den widerrechtlich erlangten Tatsachenvortrag zu bestreiten, sodass die zu den Beweisverwertungsverboten entwickelten Grundsätze letztendlich zur Anwendung kommen. Macht die Partei hiervon keinen Gebrauch, so bedarf es zum Schutz ihres Persönlichkeitsrechtes nicht des Ausschlusses des von der Partei ausdrücklich oder durch Nichtbestreiten eingeräumten Sachvortrages (a.A. OLG Karlsruhe 25.02.2000 - 10 U 221/99).

Jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem es um die sog. Fernwirkung von rechtswidrig erlangtem Tatsachenstoff geht, lässt sich auch unter Abwägung der verfassungsrechtlichen Positionen (Art. 2 Abs. 1 GG - Persönlichkeitsrecht/Art. 103 Abs. 1 GG - Gewährung rechtlichen Gehörs) ein überwiegendes Interesse der durch die rechtswidrige Tatsachenerlangung belasteten Partei, diesen unbestrittenen Tatsachenstoff im Rechtsstreit "auszublenden", nicht bejahen.

IV.

Der Beklagte hat auch die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten. Der kündigungsauslösende Sachverhalt ereignete sich am 23.03.2007. Die außerordentliche Kündigung datiert vom 02.04.2007. Ein späterer Zugang der Kündigung ist von der Klägerin nicht behauptet worden. Die Kündigung wahrt daher die vorstehend genannte Ausschlussfrist.

V.

Nach alledem konnte das Rechtsmittel der Klägerin keinen Erfolg haben.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

C.

Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war für die Klägerin die Revision gegen diese Entscheidung zuzulassen. Den entscheidungserheblichen Rechtsfragen zur Verwertung von Tatsachenstoff, der mittelbar durch eine heimliche Videoüberwachung gewonnen worden ist, kommt grundsätzliche Bedeutung zu (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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