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Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 14.03.2007
Aktenzeichen: 3 Sa 477/04
Rechtsgebiete: InsO, SGB X


Vorschriften:

InsO § 53
InsO § 55 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 60
InsO § 60 Abs. 1 S. 1
InsO § 61 Abs. 1 S. 1
InsO § 108 Abs. 1 S. 1
InsO § 113 Abs. 1 S. 1
InsO § 208 Abs. 1 S. 1
InsO § 209 Abs. 1
SGB X § 115 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT SACHSEN-ANHALT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 3 Sa 477/04

Verkündet am: 14. März 2007

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter und Fr als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 16.04.2004 - Az.: 7 Ca 3257/03 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt vom Insolvenzverwalter Zahlung der Differenz zwischen erhaltenem Arbeitslosengeld und beanspruchtem Verzugslohn für die Dauer der Kündigungsfrist von November 2002 bis Januar 2003 in rechnerisch an sich unstreitiger Höhe von insgesamt 5.152,44 Euro.

Der Kläger war bei der Schuldnerin als Vertriebsleiter beschäftigt. Die Schuldnerin beschäftigte am Vertriebsstandort in etwa 30 und im Betrieb in Hettstedt etwa 50 Arbeitnehmer. Am 01.06.2002 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Insolvenzverwalter führte den gesamten Betrieb zunächst fort und zahlte die Löhne und Gehälter bis einschließlich Oktober 2002.

Mit Schreiben vom 28.10.2002 kündigte der Beklagte im Rahmen der Kündigung der Arbeitnehmer in auch das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31.01.2003 und stellte den Kläger wie die anderen Gelsenkirchener Arbeitnehmer gleichzeitig von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Der Beklagte zahlte den freigestellten Arbeitnehmern während der Kündigungsfrist kein Arbeitsentgelt. Der Kläger erhielt wie die anderen gekündigten Arbeitnehmer in der Kündigungsfrist Arbeitslosengeld.

Der Beklagte führte den Betrieb in mit den verbliebenen etwa 50 Arbeitnehmern fort. Der Beklagte zahlte diesen die Löhne und Gehälter. Er befriedigte auch die Lieferanten usw. Anfang 2003 übertrug er das operative Geschäft in auf die Eifelwerk-Gruppe. Am 12.07.2003 zeigte der Beklagte Masseunzulänglichkeit an.

Der Kläger macht geltend, der Beklagte schulde ihm die Differenz zwischen dem erhaltenen Arbeitslosengeld und den ihm zustehendem Gehalt für die Kündigungsfrist von November 2002 bis Januar 2003 in rechnerisch an sich unstreitiger Höhe von insgesamt 5.152,44 Euro. Der Beklagte meint, der Kläger habe keinen Anspruch.

Mit Urteil vom 16.04.2004, auf das zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht Halle - Az.: 7 Ca 3257/03 - die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe Blatt 81 bis 84 der Akten.

Gegen dieses ihm am 01.07.2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 19.07.2004 eingelegte und am 27.08.2004 begründete Berufung des Klägers. Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er macht insbesondere geltend, der Beklagte sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet. Die Pflichtverletzung des Beklagten bestehe darin, dass er es schuldhaft unterlassen habe, die bereits im Februar 2003 fällig gestellten Differenzlohnansprüche des Klägers fristgerecht zu begleichen. Bei pflichtgemäßer Auszahlung zum Zeitpunkt der Fälligkeit wäre dem Kläger kein Schaden entstanden, weil zu dem Zeitpunkt noch keine Masseunzulänglichkeit bestanden habe bzw. hat. Wegen der Einzelheiten der Berufungsbegründung wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 25.08.2004 (Bl. 98 bis 119 d. A.).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 16.04.2004 - 7 Ca 3257/03 - abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 5.152,44 Euro netto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.03.2003 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil u. a. nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 04.10.2004, auf die Bezug genommen wird (Bl. 106 bis 119 d. A.).

Auch wegen des zweitinstanzlichen Vortrages der Parteien im Übrigen wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist nicht begründet.

1. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 61 I 1 InsO.

Gemäß § 61 I 1 InsO ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadensersatz verpflichtet, wenn eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann.

Allerdings ist die Klageforderung, die unstreitig aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann, eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Beklagten begründet worden ist. Der Kläger hat ungeachtet der einseitigen Freistellung durch den Beklagten Anspruch auf Zahlung seines Arbeitsentgeltes für die Kündigungsfrist aus Annahmeverzug des Beklagten (§§ 615, 293 ff BGB) soweit der Anspruch nicht gemäß § 115 I SGB X auf die Bundesagentur übergegangen ist, also auf Zahlung der Differenz zwischen erhaltenem Arbeitslosengeld und der vertraglich geschuldeten Vergütung. Diese Forderung des Klägers ist auch eine Masseverbindlichkeit. Darauf, dass der Beklagte die Arbeitsleistung des Klägers nicht in Anspruch genommen hat, kommt es nicht an. Wie sich aus der 2. Alt. des § 55 I Nr. 2 InsO i. V. m. § 108 I 1 InsO ergibt, genügt es, wenn der Vertrag nach den insolvenzrechtlichen Regeln mit Erfüllungsverpflichtung zugunsten der Masse erhalten bleibt, auch wenn der Insolvenzverwalter den Vertrag nicht für die Masse "aktiviert", indem er i. S. d. 1. Alt. von § 55 I Nr. 2 InsO "Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt". In beiden Fällen ist die der Leistungspflicht des Gläubigers entsprechende Gegenleistung aus der Masse zu erbringen (vgl. BAG vom 23.02.2005 - Az.: 10 AZR 602/03). Die Masseverbindlichkeit, die unstreitig aus der Masse nicht voll erfüllt werden kann, ist schließlich zwar auch durch Rechtshandlung des Beklagten begründet worden, nämlich durch das Absehen von der gemäß § 113 I 1 InsO erst möglichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, das der Begründung einer neuen Verbindlichkeit gleichzustellen ist. Der Beklagte ist aber gleichwohl nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Es kann dahinstehen, ob die Begründung dieser Verbindlichkeit durch den Beklagten pflichtwidrig war und er deshalb an sich Schadensersatz schuldet. Selbst wenn dies unterstellt wird, kann der Kläger keinen Ausfallschaden geltend machen. Denn der Insolvenzverwalter haftet gemäß § 61 I 1 InsO jedenfalls nur auf das negative Interesse (vgl. BAG vom 19.01.2006 - Az.: 6 AZR 600/04). Der Kläger ist also so zu stellen, wie er ohne diese die Masseverbindlichkeit begründende Handlung, das Auslassen der Kündigungsmöglichkeit zum 30.09.2002, stünde. In diesem Fall hätte der Beklagte das Arbeitsverhältnis gemäß § 113 I 1 InsO zum 30.09.2002 gekündigt. Der Kläger hätte dann ab Oktober bzw. November 2002 auch nur Arbeitslosengeld erhalten. Einen weitergehenden Schaden hat der Kläger nicht geltend gemacht.

2. Der Beklagte haftet auf den Differenzlohn auch nicht gemäß § 60 I 1 InsO. Gemäß § 60 I 1 InsO ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der InsO obliegen. Auch die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage sind nicht erfüllt. Der Beklagte hat keine Pflicht aus der InsO schuldhaft verletzt.

Dem Beklagten oblag zwar gemäß § 53 InsO die Pflicht, die Entgeltforderung des Klägers als sonstige Masseverbindlichkeit vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigen. Der Insolvenzverwalter hat Masseverbindlichkeiten zu begleichen, sobald Fälligkeit eingetreten ist. Die Forderung des Klägers war hier spätestens fällig Ende Januar 2003. Der Beklagte hat diese ihm obliegende Pflicht aber nicht schuldhaft verletzt.

Der Beklagte war unstreitig nicht in der Lage, alle fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten vollständig zu erfüllen. Er hatte deshalb nur die Alternative, entweder gemäß § 208 I 1 InsO Masseunzulänglichkeit anzuzeigen oder alle fälligen Verbindlichkeiten anteilig zu erfüllen. Nimmt man an, der Beklagte habe Masseunzulänglichkeit anzeigen müssen, hätte diese Pflichtverletzung nur zur Folge, dass der Kläger so zu stellen wäre, als hätte der Beklagte die Masseunzulänglichkeit angezeigt. Denn auch § 60 InsO gewährt nur einen Anspruch auf das negative Interesse (vgl. BGH a. a. O. Rz. 40). Der Kläger hat für diesen Fall nicht dargelegt, ob überhaupt und wenn ja in welcher Höhe er bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit unter Berücksichtigung der Rangordnung des § 209 I InsO Zahlungen erhalten hätte.

Der Beklagte war nicht verpflichtet, die Forderung des Klägers anteilig zu befriedigen. Der Kläger hat nicht dargelegt, ein Betrag in welcher Höhe auf ihn bei anteiliger Befriedigung aller entfallen wäre. Schon von daher gesehen kann die Klage auch nicht teilweise Erfolg haben.

Davon abgesehen war der Beklagte zur anteiligen Befriedigung nicht verpflichtet. Ein Verschulden trifft ihn insoweit nicht. Zwar hat der BGH a. a. O. (Rz. 31) erkannt, dass bei Vorhandensein mehrer fälliger und einredefreier Masseschulden der Insolvenzverwalter angesichts des Gleichranges der Massegläubiger verpflichtet ist, diese nur anteilig zu befriedigen, sofern er momentan zur vollständigen Bezahlung nicht in der Lage sei. Verstoße er hiergegen, hafte der Insolvenzverwalter einem benachteiligten Massegläubiger in Höhe des Betrages, der auf ihn bei anteiliger Befriedigung entfallen wäre. Das trifft zu für die anteilige Befriedigung mehrerer Lieferanten usw. Das gilt aber nicht im Fall der Betriebsfortführung wie hier für die Konkurrenz von Lieferantenforderungen und Lohnforderungen beschäftigter Arbeitnehmer einerseits und Verzugslohnansprüchen freigestellter Arbeitnehmer andererseits, wenn diesen während der Freistellung Arbeitslosengeld gewährt wird. Zwar sind diese Forderungen nach Vorstehendem gleichrangig. Gleichwohl ist es nicht schuldhaft, wenn der Insolvenzverwalter im Interesse der Fortführung eines Betriebes nur die Lieferantenforderungen und die Forderungen beschäftigter Arbeitnehmer erfüllt, sofern die Masse für die Befriedigung aller fälligen Verbindlichkeiten nicht ausreicht. Denn die Fortführung eines Betriebes und seine übertragende Sanierung erscheinen unmöglich, wenn die Lieferanten und die tatsächlich weiterbeschäftigten Arbeitnehmer nicht vollumfänglich befriedigt werden und nur eine Quote auf ihre Forderungen erhalten. Zu Recht meint der Beklagte, dass die im insolventen Unternehmen tatsächlich weiterbeschäftigten Arbeitnehmer sich mit anteiligen Lohnzahlungen nicht zufrieden geben und das Unternehmen schnellstmöglich verlassen würden. Auch die nur anteilig bezahlten Lieferanten würden ihre laufenden Leistungen flugs einstellen, wodurch die weitere Bearbeitung von Aufträgen unmöglich wäre. Es ist deshalb nicht schuldhaft, wenn der Beklagte die Forderungen der Lieferanten und der tatsächlich weiterbeschäftigten Arbeitnehmer vollständig erfüllt hat, während die Forderungen der gekündigten und freigestellten Arbeitnehmer zurückgestellt wurden. Anderenfalls wären die Unternehmensfortführung und die verbliebenen Arbeitsplätze jedenfalls gefährdet gewesen, wenn der Beklagte die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes notwendigen Arbeitnehmer und Lieferanten nicht vollumfänglich hätte befriedigen können. Eine schuldhafte Pflichtverletzung liegt mithin nicht vor.

3. Der Beklagte haftet schließlich für diese Masseverbindlichkeit (vgl. §§ 108 I 1, 55 I 2 2. Alt. InsO) nicht persönlich. Eine persönliche Haftungsübernahme setzt voraus, dass der Insolvenzverwalter klar zum Ausdruck bringt, er wolle eine über die gesetzliche Haftung hinausgehende Einstandspflicht, etwa im Wege des Schuldbeitritts oder eines Garantieversprechens übernehmen (vgl. BGH vom 06.05.2004, Az.: IX ZR 48/03). Das lässt sich dem (auch nicht unter Beweis gestellten) Vortrag des Klägers nicht entnehmen. Der Vortrag des Klägers kann nur so verstanden werden, dass der Beklagte ihm gegenüber im Anschluss an die Betriebsversammlung vom 28.10.2002 die Auffassung geäußert hat, der Differenzlohn werde als Masseverbindlichkeit erfüllbar sein. Dass der Beklagte für die Erfüllung persönlich garantieren wollte, ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel mithin nicht gegeben.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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