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Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 06.12.2005
Aktenzeichen: 8 Sa 310/05
Rechtsgebiete: KSchG, DB Vermittlung TV
Vorschriften:
KSchG § 1 | |
DB Vermittlung TV §§ 19 ff. |
LANDESARBEITSGERICHT SACHSEN-ANHALT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Aktenzeichen: 8 Sa 310/05
Verkündet am: 06.12.2005
In dem Rechtsstreit
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter und die ehrenamtliche Richterin als Beisitzer für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des ArbG Halle vom 04.02.2005 - 6 Ca 1023/04 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche noch durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 22.03.2004 aufgelöst wurde.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer verhaltensbedingten, hilfsweise personenbedingten Kündigung der Beklagten.
Die am 21.06.1959 geborene, verwitwete Klägerin steht seit 1976 in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern. Die Rechtsbeziehungen der Parteien bestimmen sich nach dem Arbeitsvertrag vom 11.09.2001 (Bl. 7 - 11 d. A.). Darin ist vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag für die Arbeitnehmer der Beklagten (DB Vermittlung TV) richtet.
Die Klägerin bewohnt mit zwei Söhnen ein Einfamilienhaus in A. bei E. Bis zum 31.03.1997 war sie bei der D. AG, Dienstleistungszentrum Gastronomie, als Wirtschafterin/Verkäuferin beschäftigt. Ihr letzter Beschäftigungsort war für die Dauer weniger Wochen N. gewesen, 60 km von ihrem Wohnort entfernt. Nach dem Wegfall des dortigen Arbeitsplatzes wurde die Klägerin zum 01.04.1997 als so genannte Mitarbeiterin zur beruflichen Neuorientierung in das Dienstleistungszentrum Arbeit (DZA) der D. AG versetzt. Von dort gelangte sie zum 01.08.2001 zu der Beklagten, die seinerzeit als D. Arbeit GmbH firmierte. Die Klägerin war dort mit 50 % der kollektivrechtlich auf 32 Wochenstunden reduzierten Arbeitszeit teilzeitbeschäftigt (§ 4 DB Vermittlung TV) und erhielt zuletzt eine Brutto-Monats-Vergütung in Höhe von 708,65 € zuzüglich einer persönlichen Zulage in Höhe von 73,21 €.
Gegenstand des Arbeitsverhältnisses ist in Ermangelung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten nach §§ 19 ff. DB Vermittlung TV die dauerhafte Vermittlung eines Arbeitsplatzes außerhalb der Beklagten, vorrangig innerhalb des DB Konzerns. Nach den auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifverträgen des DB Konzerns kann der Klägerin grundsätzlich nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Gemäß § 9 Abs. 5 DB Vermittlung TV gilt dies unter anderem dann nicht, wenn ein Arbeitnehmer die Vermittlung zu einem anderen Unternehmen ablehnt, indem er ein zumutbares Arbeitsvertragsangebot nicht annimmt. § 26 Abs. 1 Satz 1 DB Vermittlung TV bestimmt, dass die Ablehnung der Übernahme einer zumutbaren Tätigkeit bei einem anderen Unternehmen einen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellt. Gemäß § 22 Abs. 2 DB Vermittlung TV ist der Arbeitnehmer verpflichtet, ein zumutbares Angebot zu einer solchen Beschäftigung in einem Unternehmen des DB Konzerns anzunehmen. Zumutbar ist gemäß § 23 DB Vermittlung TV eine Beschäftigung, wenn der Arbeitnehmer sie nach seiner Befähigung, Ausbildung und Eignung ausführen kann. Gemäß Absatz 2 der Bestimmung sind dem Arbeitnehmer "grundsätzlich ... auch längere Wegezeiten, ein Wohnortwechsel und eine Beschäftigung unterhalb des bisherigen Qualifikationsniveaus zuzumuten". Absatz 3 bestimmt, dass eine Beschäftigung gleichwertig ist, wenn sie der bisherigen Beschäftigung entspricht oder derselben oder der nächst niedrigeren Anforderungsgruppe zugeordnet ist. Die Anforderungsgruppen sind auszugsweise wie folgt festgelegt:
...
Anforderungsgruppe 3
Arbeitnehmer in Tätigkeiten, deren Ausübung eine abgeschlossene Berufsausbildung mit einer Regelausbildungsdauer von mehr als 2 1/2 Jahren voraussetzt.
Anforderungsgruppe 4
Arbeitnehmer mit in einfacher, schematischer oder mechanischer Tätigkeit, die keine Berufsausbildung mit einer Regelausbildungsdauer von mehr als 2 1/2 Jahren erfordert.
Anforderungsgruppe 5
ungelernte Arbeitnehmer.
§ 24 enthält Regelungen über die Zumutbarkeit einer Entgeltminderung, § 25 Regelungen über Ausgleiche von längeren Wegezeiten und Umzugskosten.
Am 13.01.2004 übermittelte die Beklagte der Klägerin ein Arbeitsvertragsangebot der D. GmbH als Gebäude-/Verkehrsmittelreinigerin entsprechend Lohngruppe A 3 des Entgelttarifvertrages der D. GmbH mit dem Arbeitsort N.. Der Stundenlohn sollte 5,61 € brutto zuzüglich etwaiger Nacht-, Sonn- und Feiertagszugschläge betragen (Bl. 51 bis 54 d. A.). Zugleich wurde die Klägerin auf ihr zustehende Ausgleichszahlungen und Mobilitätshilfen hingewiesen, so unter anderem auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von 2.556,46 € für den Verlust der Fahrvergünstigung und weitere Nachteile. Zugleich legte die Beklagte der Klägerin einen Aufhebungsvertrag vor und wies sie darauf hin, dass es sich um eine zumutbare Beschäftigung im Sinne des DB Vermittlung TV handele, deren Ablehnung eine Kündigung nach sich ziehen könne. Mit Schreiben vom 27.01.2004 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie das Angebot ablehne. Sie machte geltend, dass ihr gerichtlich die Pflegschaft für ihre an Demenz erkrankte Mutter übertragen worden sei und sie die Mutter nach deren Entlassung aus dem Krankenhaus zu sich nach Hause aufnehmen wolle. Unter Berücksichtigung der Wegezeiten seien ihre Ausbleibezeiten bei einer Tätigkeit in N. zu lang und die Fahrtkosten zu hoch. Weiter verwies die Klägerin auf gesundheitliche Einschränkungen, die der Beklagten aus ihrer Personalakte bekannt seien, und bemerkte, dass die vorgesehenen Arbeitsaufgaben bei der D. GmbH für ihren Gesundheitszustand "bestimmt nicht förderlich" seien.
Die Beklagte unterrichte daraufhin den bereits zuvor gemäß § 27 Abs. 1 DB Vermittlung TV über das Arbeitsplatzangebot informierten Betriebsrat gemäß 27 § Abs. 3 DB Vermittlung TV von der Ablehnung des Vermittlungsangebotes durch die Klägerin. Der Betriebsrat erhob innerhalb der tarifvertraglich vorgesehen Frist keine Bedenken gegen das Angebot. Hierüber informierte die Beklagte die Klägerin in einem weiteren Gespräch am 04.03.2004. Zugleich übergab sie der Klägerin eine Abmahnung, in der es auszugsweise heißt:
...und weisen Sie darauf hin, dass Sie, falls Sie den Arbeitsplatz nicht unverzüglich annehmen, mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen (bis hin zur außerordentlichen Kündigung) rechnen müssen. Ihr Verhalten erfüllt die Voraussetzungen eines unentschuldigten Fernbleibens vom Arbeitsplatz.
Vorsorglich wird Ihnen hiermit zugleich das Arbeitsvertragsangebot vom 13.01.2004 als Gebäude-/Verkehrsmittelreiniger bei D. GmbH, Niederlassung Thüringen nochmals unterbreitet.
Wir räumen Ihnen eine Überlegungsfrist bis zum 09.03.2004 zur Annahme des Angebotes ein.
Sollten Sie innerhalb dieses Zeitraums nicht verbindlich erklären, dass Sie dieses Angebot annehmen, werden wir nach derzeitigem Stand gehalten sein, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu erklären."
Mit Schreiben vom 09.03.2004 teilte die Klägerin mit, dass sie das Angebot aus den bereits genannten Gründen ablehne.
Die Beklagte hörte unter dem 12.03.2004 den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist aus verhaltensbedingten, hilfsweise personenbedingten Gründen an (Bl. 63 - 67 d. A.). Der Betriebsrat widersprach am 17.03.2004 der beabsichtigten ordentlichen Kündigung und erhob gegen die hilfsweise außerordentliche Kündigung Bedenken. Wegen der Begründung wird auf Bl. 13 bis 14 d. A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 22.03.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich sowie hilfsweise außerordentlich zum 31.10.2004.
Mit ihrer am 02.04.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung und macht geltend, dass das Arbeitsvertragsangebot bei der D. GmbH unzumutbar gewesen sei. Sie sei aus gesundheitlichen Gründen zu der vorgesehenen Tätigkeit nicht geeignet, da sie an einer degenerativen Veränderung im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule mit Schädigung der Bandscheibe sowie an einem beidseitigen Carpaltunnelsyndrom leide. Auch sei das Angebot der Beklagten weder gleichwertig mit ihrer bisherigen Tätigkeit, die unstreitig der Anforderungsgruppe 3 zugeordnet ist, noch entspreche es der nächst niedrigeren Anforderungsgruppe 4, sondern lediglich der Anforderungsgruppe 5 (ungelernte Arbeitnehmer). Schließlich sei ihr die Annahme des Angebotes unzumutbar, weil sie ihre Mutter betreuen müsse und weder einen Umzug noch die langen Fahrtzeiten damit vereinbaren könne.
Demgegenüber hat die Beklagte geltend gemacht, dass der Klägerin das Arbeitsplatzangebot zumutbar gewesen sei. Das Angebot habe den Voraussetzungen der Anforderungsgruppe 4 entsprochen. Die Klägerin sei für die vorgesehene Tätigkeit gesundheitlich geeignet gewesen und wäre von der D. GmbH jedenfalls nur "leidensgerecht" eingesetzt worden. Ausweislich einer betriebsärztlichen Begutachtung ihres Gesundheitszustandes vom 26.06.2003 (Dr. Z.) sei sie für Tätigkeiten mit durchschnittlichen Anforderungen (TP 3) und mit einfachen Anforderungen (TP 4) mit Ausnahme einer Nachtdiensttätigkeit geeignet (Bl. 109 d. A.). Unstreitig war das Gutachten nach allgemeiner Einwilligung der Klägerin, aber ohne ihre konkrete Kenntnis auf der Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Dr. L. vom 05.11.2002 gefertigt worden. Weiterhin hat die Beklagte die Auffassung vertreten, dass persönliche Gründe, die die Klägerin an einem Umzug oder an einer mit längeren Fahrtzeiten verbundenen Tätigkeit hinderten, unbeachtlich seien. Hilfsweise hat die Beklagte die Kündigung auf personenbedingte Gründe gestützt.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 04.02.2005, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin das Arbeitsangebot zumutbar gewesen sei. Die Begutachtung ihres Gesundheitszustandes habe die Eignung bestätigt. Die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Arbeitsort sei ebenfalls zumutbar. Das Angebot entspreche der Anforderungsgruppe 4 und halte sich damit im Rahmen des tariflich Gebotenen. Die Ablehnung des Angebots stelle eine Vertragspflichtverletzung dar, die eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertige. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung beteiligt worden.
Gegen das ihr am 02.05.2005 zugestellte Urteil wendet sich die am 27.05.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und am 24.06.2005 begründete Berufung der Klägerin. Darin macht sie weiter insbesondere geltend, dass das Arbeitsvertragsangebot unzumutbar gewesen sei. Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 04.02.2005 - 6 Ca 1023/04 - abzuändern und
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 22.03.3004, zugegangen am 22.03.2004, nicht aufgelöst worden ist,
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die hilfsweise außerordentliche Kündigung vom 22.03.2004, zugegangen am 22.03.2004, nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts.
Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Beteiligten wird auf ihre in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze nebst beigefügten Anlagen sowie ihre Protokollerklärungen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 22.03.2004 hat das Arbeitsverhältnis weder als ordentliche noch als außerordentliche Kündigung mit Ablauf des 31.10.2004 aufgelöst. Die ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 KSchG unwirksam, da weder Gründe im Verhalten noch in der Person der Klägerin, noch dringende betriebliche Erfordernisse die Kündigung rechtfertigen. Demgemäß fehlt es auch an einem wichtigen Grund für die vorsorgliche außerordentliche Kündigung.
1. Die Beklagte hat die Gründe nicht auf dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG gestützt. Auch den bei ihr bestehenden Betriebsrat hat sie gemäß § 102 BetrVG nicht über solche Gründe unterrichtet, sondern die Kündigung allein mit verhaltensbedingten bzw. personenbedingten Gründen gerechtfertigt. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung sind angesichts der Pflichtenlage im Arbeitsverhältnis, wie sie durch den DB Vermittlung TV geprägt ist, auch sonst nicht ersichtlich.
2. Die Kündigung ist auch nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin sozial gerechtfertigt. Die Ablehnung des Angebots, mit der D. GmbH ein Arbeitsverhältnis als Gebäude-/Verkehrsmittelreinigerin einzugehen, stellt keinen schuldhaften Verstoß gegen die Vertragspflichten der Klägerin dar.
a) Ein schuldhafter Vertragspflichtverstoß scheidet bereits im Hinblick auf die berechtigten Zweifel der Klägerin aus, für die angebotene Tätigkeit gesundheitlich geeignet zu sein.
aa) Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Angebot zumutbar ist, muss berücksichtigt werden, dass der Arbeitnehmer mit der Annahme des Angebotes endgültig und dauerhaft rechtlich bindend ein neues Arbeitsverhältnis mit neuem Pflichtenkreis eingeht. Ein probeweiser Einsatz etwa mit der Möglichkeit der Rückkehr in die bisherige Vertragslage ist nicht möglich. Nimmt der Arbeitnehmer das Angebot an, ist er gebunden und unwiderruflich verpflichtet, die neuen vertraglichen Aufgaben zu erfüllen. Der Arbeitnehmer ist daher auf eine sorgfältige und hinreichend sichere Prüfung angewiesen, ob er für die neue Tätigkeit geeignet ist. Bestehen berechtigte Zweifel daran, wird man ihm im Falle einer Ablehnung des Angebots nicht den Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung machen können.
bb) So liegt es hier. Die Klägerin hatte aufgrund ihres Gesundheitszustandes berechtigte Zweifel an ihrer Eignung für eine Tätigkeit als Gebäude-/Verkehrsmittelreinigerin. Diese waren nicht ausgeräumt. Die Ablehnung des Angebots unter diesen Umständen begründet nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht den Vorwurf einer schuldhaften Vertragspflichtverletzung. Die Klägerin musste nicht "die Katze im Sack kaufen".
Die Klägerin hatte zuletzt bis zum Jahr 1997 als Wirtschafterin/Verkäuferin in der Kantine gearbeitet. Sie leidet seit Jahren unter einer degenerativen Veränderung im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule mit Schädigung der Bandscheiben sowie an einem beidseitigen Carpaltunnelsyndrom. Ausweislich der schriftlichen Auskunft ihres behandelnden Arztes Dr. Müller vom 01.10.2004 (Bl. 125 d. A.) haben sich die Symptome zum Teil verschlechtert. Bereits in der bahnärztlichen Untersuchung vom 05.11.2002 erfüllte die Klägerin die Anforderungen der Tauglichkeitsstufen TP 3 und TP 4 nur eingeschränkt (keine Nachtschichttätigkeit; keine Tätigkeit in Höhen und auf Gerüsten). Wie sich die angebotene Tätigkeit im Einzelnen darstellte, war für die Klägerin nicht ersichtlich. Ein Eignungs- und Anforderungsprofil hat die Beklagte erst im Laufe des Rechtsstreits vorgelegt. Die Beklagte hat die von der Klägerin geäußerten gesundheitlichen Bedenken nicht zum Anlass genommen, die Klägerin erneut arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Sie hat sich darauf beschränkt, die über ein Jahr alte ärztliche Untersuchung vom 05.11.2002, die zudem Eignungsbeschränkung auswies, zur Grundlage einer nach Aktenlage erstellten Begutachtung des Dr. Z. vom 26.06.2003 zu machen. Auch Dr. Z. lag das letztgültige Anforderungs- und Eignungsprofil für die in Aussicht genommene Tätigkeit nicht vor.
Unter den genannten Umständen war die Klägerin nicht verpflichtet, blindlings in den Vertragsschluss einzuwilligen. Die Beklagte hätte hier die Möglichkeit einer erneuten ärztlichen Begutachtung aufgrund einer körperlichen Untersuchung einräumen müssen, um die berechtigten Zweifel an der gesundheitlichen Eignung auszuräumen. Hinzu tritt, dass die Beklagte mit ihrem Vorgehen offenbar gegen ihre eigenen Richtlinien verstieß. Das von der Klägerin vorgelegte "Ablaufschema 'Entscheidung nach Aktenlage'", Stand 02/2003 der DB Gesundheits-Service sieht ausdrücklich eine erneute Vorstellung vor, wenn bei einem zur Vermittlung anstehenden Mitarbeiter lediglich ein medizinisches Gutachten vorliegt, das älter als drei Monate ist (Bl. 127 d. A.). Hierzu hat die Beklagte im Rechtsstreit nicht substantiiert Stellung genommen.
b) Unabhängig von Vorstehendem war es für die Klägerin auch aufgrund ihrer sonstigen persönlichen Umstände nicht zuzumuten, das Arbeitsvertragsangebot für eine Tätigkeit in N. anzunehmen. Von ihrem Wohnort in A. bei E. benötigt die Klägerin bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unstreitig zwischen 3 1/2 und 5 Stunden für die Hin- und Rückfahrt zum Arbeitsort in N.. Mit dem Pkw benötigt sie für Hin- und Rückfahrt ca. 2,5 Stunden. Die Fahrtkosten für öffentliche Verkehrsmittel sind mit ca. 200,00 € im Monat zu veranschlagen, bei privater Pkw-Nutzung mit 720,00 € pro Monat (0,30 €/km). Die Klägerin hätte eine einmalige Ausgleichszahlung unter anderem für den Verlust der ihr früher bis zum Jahre 1997 zustehenden Fahrvergünstigung bei der DB erhalten. Bei einer Teilzeittätigkeit von 4 Stunden pro Tag und einem Nettoverdienst von ca. 630,00 € und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin gerichtlich zur Betreuerin ihrer an Demenz erkrankten Mutter bestellt ist und diese in ihre Privatwohnung aufgenommen hat , erscheint das Angebot im konkreten Fall unzumutbar. Die Klägerin war auf die Beibehaltung einer Teilzeittätigkeit mit zeitlich überschaubarem Aufwand und darüber hinaus ortsgebunden war, erscheint das Angebot im konkreten Fall unzumutbar.
Gemäß § 23 Abs. 2 DB Vermittlung TV sind dem Arbeitnehmer "grundsätzlich" auch längere Wegezeiten, ein Wohnortwechsel und eine Beschäftigung unterhalb des bisherigen Qualifikationsniveaus zuzumuten. Der Ausdruck "grundsätzlich" im Tarifvertrag macht deutlich, dass es von dem Grundsatz auch Ausnahmen gibt. Der DB Vermittlung TV begründet keine Pflicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrages, der den Arbeitnehmer ungeachtet von persönlichen Umständen und Hinderungsgründen und ohne Rücksicht auf das Verhältnis von Arbeitszeit und Wegezeit zu einer Beschäftigung an jedwedem beliebigen Ort verpflichtet. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass § 25 sowohl für verlängerte tägliche Wegezeiten als auch für einen etwaigen Umzug Ausgleichsregelungen vorsieht. Ob daher vom Arbeitnehmer die mit einem anderen Arbeitsort verbundenen finanziellen Belastungen überhaupt geltend gemacht werden können, erscheint fraglich. In Betracht wird es allerdings kommen, wenn die zusätzlichen Aufwendungen für den Arbeitnehmer den gesamten Verdienst aufzehren, wie es im vorliegenden Falle bei Zurücklegung der Wegstrecke mit einem Pkw der Fall wäre. Die finanziellen Ausgleichsregelungen des DB Vermittlung TV stehen jedoch der Geltendmachung sonstiger Gründe nicht entgegen, die einen Wechsel des Arbeitsortes ausnahmsweise für den Arbeitnehmer unzumutbar machen. Solche Gründe liegen hier vor. Die Klägerin war bei der Beklagten teilzeitbeschäftigt. Dies wird ihrer Erziehungs- und Betreuungspflicht als verwitwete Mutter von zwei Kindern geschuldet gewesen sein. Im Zeitpunkt des Vertragsangebots der Beklagten war die Klägerin zwar nicht mehr wegen der Betreuung und Erziehung minderjähriger Kinder, wohl aber wegen der Betreuung und Pflege ihrer an Demenz erkrankten Mutter zeitlich und örtlich gebunden. Ihr war unter diesen Umständen weder eine arbeitstägliche Abwesenheit von 7,5 bis 9 Stunden zuzumuten, wie sie mit dem Arbeitsort N. bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verbunden gewesen wäre, noch war ihr ein Umzug nach N. zuzumuten. Dies hätte zugleich eine Verfügung über ihre Mutter und deren gewohnte Umgebung nebst medizinischer Betreuung bedeutet. Bei einem so weit reichenden Eingriff in die persönlichen Belange der Klägerin und ihrer Mutter erscheint dem Berufungsgericht unter den besonderen Umständen des Falles das Vertragsangebot der Beklagten auch aus diesem Grund als unzumutbar.
3. Es bestehen auch keine Gründe in der Person der Klägerin. Die Beklagte trägt vor, dass das Verhalten der Klägerin darauf schließen lasse, dass sie grundsätzlich nicht mehr bereit und in der Lage sei, einer arbeitsvertraglichen Tätigkeit nachzugehen. Dafür fehlen hinreichende Anhaltspunkte. So könnte die Klägerin durchaus im Raum E. geeignete Tätigkeiten verrichten und müsste ein entsprechendes Angebot der Beklagten annehmen. Dass ein solches Angebot von vorn herein ausgeschlossen wäre, hat die Beklagte nicht dargelegt. Der Umstand, dass die Klägerin wegen ihrer besonderen persönlichen Situation räumlich und teilweise auch gesundheitlich nur eingeschränkt einsetzbar ist, rechtfertigt unter Berücksichtigung des wechselseitigen Pflichtengefüges, wie es der DB Vermittlung TV begründet, eine personenbedingte Kündigung nicht.
4. Fehlt es nach alledem an einem sozial rechtfertigenden Grund für eine ordentliche Kündigung, scheidet ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung ohne weiteres ebenfalls aus.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestanden nicht.
Ende der Entscheidung
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