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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 13.11.2001
Aktenzeichen: 8 Sa 544/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 123
BGB § 138
Ein notarielles Schuldanerkenntnis, das unter Inaussichtstellung einer "internen" Regelung (ohne Strafanzeige) sowie genauerer Prüfung der Höhe des Schadens zustande kommt und den Schuldner irreversibel zur Zahlung von Schadenserstz in einer Höhe verpflichtet, die den aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte bei Vertragsschluss abschätzbaren Schadensbetrag deutlich übersteigt, kann gem. § 138 BGB sittenwidrig und damit nichtig sein.
Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 Sa 544/00

verkündet am: 13. November 2001

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 14. August 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Quecke als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des ArbG Halle vom 06.06.2000 - 10 Ca 5168/99 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines notariellen Schuldanerkenntnisses, das die Klägerin zugunsten der Beklagten nach Aufdeckung von manipulierten Warenretouren abgegeben hat.

Die 1969 geborene Klägerin, ein Kind, geschieden und allein erziehend, war vom 15.07.1996 - 31.10.1998 auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 10.05.1996 bei der Beklagten, die eine Baumarktkette betreibt, als Verkäuferin/Kassiererin beschäftigt. Nach anderweitiger Einarbeitung war sie etwa ab Mitte Oktober 1996 in dem neu eröffneten Baumarkt der Beklagten in tätig, wo sie während der Eröffnungsphase an den Außenkassen und anschließend etwa weitere 3 Monate ausschließlich an der Hauptkasse eingesetzt wurde.

In der Folgezeit wies die Beklagte die Klägerin und weitere Kolleginnen in die Tätigkeit am Informationsstand als Info-Mitarbeiterinnen ein. Dort waren u.a. Warenretouren von Kunden zu bearbeiten. Der Stand war in jeder Schicht mit 2 Mitarbeiterinnen besetzt. Nach den Geschäftsbedingungen der Beklagten hatten die Kunden ein befristetes Rückgaberecht. Bei Rückgabe der Ware füllte der Kunde oder die Info-Mitarbeiterin einen Retourenbeleg aus (mit Kundenadresse), an den der Kassenbon oder ein anderer Umsatzbeleg geheftet wurde. Anschließend erhielt der Kunde den gezahlten Kaufpreis zurückerstattet. Retouren bis 100,00 DM konnte die Info-Mitarbeiterin gemeinsam mit einer Kassenaufsichtsperson entgegennehmen, Retouren über 100,00 DM waren von der Marktleitung nach Inaugenscheinnahme der Ware zu genehmigen. In der Praxis wurden die Retouren teils telefonisch genehmigt, teils im Nachhinein ohne Kontrolle abgezeichnet. Eine Überprüfung durch die Marktleitung, die im fraglichen Zeitraum wechselte, fand nicht statt. Die zurückgegebene Ware wurde jeweils unmittelbar wieder dem Verkauf zugeführt.

Nach Einweisung waren die Klägerin und ihre Kolleginnen zunächst nur bei Abwesenheit der beiden hauptamtlichen Info-Mitarbeiterinnen am Informationsstand tätig. Später wechselte die Klägerin ständig von der Kasse zum Informationsstand, insbesondere in Stoßzeiten als zusätzliche Hilfe. In der weiteren Folge war sie neben der Kassiertätigkeit auch zeitweilig allein am Informationsstand eingesetzt, so in Pausen sowie in Urlaubs- und sonstigen Vertretungsfällen. In der Zeit vom 23.03. - 30.04.1998 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Das Arbeitsverhältnis endete nach ärztlicher Empfehlung in beiderseitigem Einvernehmen aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung mit dem 31.10.1998. In der Zeit vom 13. -31.10.1998 befand sich die Klägerin in Kur.

Am 05.11.1998 stellte die Beklagte durch ihren Revisor, den Zeugen fest, dass die Klägerin in den Monaten August und September 1998 eine Reihe von Retourenmanipulationen über einen Gesamtbetrag in Höhe von ca. 6.800,00 DM vorgenommen hatte. Eine stichprobenartig nur auf höhere Beträge ausgerichtete Prüfung des Zeitraums September 1997 - Oktober 1998 ergab nach einer Aufstellung der Beklagten Gesamtmanipulationen in Höhe von 9.895,34 DM (Bl. 62 -64 d.A.), welche im Wesentlichen unstreitig sind.

Die Beklagte bestellte die Klägerin zu einem Gespräch am 19.11.1998. Auf Seiten der Beklagten nahmen daran teil der Zeuge (Revisor), der Zeuge (Leiter Revision) und der Zeuge (Distriktmanager). Das Gespräch dauerte etwa 30 - 60 Minuten und verlief in ruhiger Atmosphäre. Die Zeugen konfrontierten die Klägerin mit ihren Ermittlungen. Nach anfänglichem kurzen Leugnen und Vorlage einiger Belege räumte die Klägerin ein, im Zeitraum von September 1997 - September 1998 Retouren fingiert zu haben, indem sie z.B. erfundene Kundennamen in die Belege eingetragen und daran im Baumarkt von Kunden zurückgelassene Kassenbons geheftet habe. Die entsprechenden Geldbeträge der angeblich zurückgegebenen Ware habe sie der Kasse entnommen. Einzelheiten des Gesprächsverlaufs sind zwischen den Parteien streitig. Am Ende gab die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten ein handschriftliches Schuldanerkenntnis über den Betrag von 80.000,00 DM ab. Noch während des Gespräches stellte der Zeuge Kontakt zu dem Büro einer ortsansässigen Notarin, der Zeugin her. Über wechselseitige Telefaxe wurde ein notarielles Schuldanerkenntnis über 80.000,00 DM vorbereitet. Anschließend führen die Zeugen mit der Klägerin im Wagen des Zeugen zur Notarin, wo die Klägerin nach Belehrung durch die Notarin im Beisein der Zeugen und ein notarielles Schuldanerkenntnis über 80.000,00 DM abgab (Bl. 11 - 12 d.A.). Das handschriftliche Schuldanerkenntnis vernichtete die Notarin anschließend.

Am 02.12.1998 begab sich die Klägerin in die anwaltliche Beratung ihrer Prozessbevollmächtigten. Am 07.12.1998 erhielt sie von der Beklagten eine Zahlungsaufforderung über den Betrag von 80.000,00 DM zuzüglich Notarkosten. Am selben Tag erstattete die Klägerin Selbstanzeige bei der Polizei. In ihrer Vernehmung gab sie an, dass sie mit der Selbstanzeige eine genaue Aufklärung des wahren Ausmaßes ihrer Manipulationen bezwecke. Die Beklagte habe ihr eine genaue Prüfung versprochen, nach Eingang der Rechnung sei damit aber nicht mehr zu rechnen. Der Schaden könne allenfalls 30.000,00 - 40.000,00 DM betragen haben, genau wisse sie das nicht mehr. Auf das Vernehmungsprotokoll vom 07.12.1998 (Bl. 125 - 131 d.A.) wird Bezug genommen.

Bereits zuvor hatte der Zeuge für die Beklagte Strafanzeige erstattet. Auf die Protokolle seiner Vernehmungen vom 20.11. und 22.12.1998 wird gleichfalls Bezug genommen (Bl. 132-138 d.A.). Wegen der von der Beklagten aufgelisteten Retourenmanipulationen über knapp 10.000,00 DM erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Klägerin, die nachfolgend zu ihrer Verurteilung führte.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 15.02.1999 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Anfechtung des notariellen Schuldanerkenntnisses wegen Drohung. Weiter wies sie auf das Missverhältnis zwischen dem anerkannten Schuldbetrag ~ und den erhobenen Vorwürfen hin.

Mit ihrer am 06.12.1999 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin festzustellen, dass das mit notarieller Urkunde Nr. 2660/98 der Notarin vom 19.11.1998 abgegebene Schuldanerkenntnis der Klägerin nichtig ist und die Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde unzulässig ist.

Sie hat vorgetragen, im Gespräch vom 19.11.1998 hätten die Mitarbeiter der Beklagten geäußert, dass man doch auf die Hinzuziehung der Polizei verzichten und die Angelegenheit intern klären könne. Wenn die Klägerin jedoch nicht zu einem Eingeständnis bereit sei, müsse man die Polizei rufen. Daraufhin habe sie eingestanden, im Zeitraum September 1997-September 1998 Warenretouren manipuliert zu haben. Auf Frage nach der Höhe der widerrechtlich entnommenen Beträge habe sie sich zu einer Schätzung außer Stande gesehen. Sodann sei sie aufgefordert worden, ein Schuldanerkenntnis abzugeben. Auf den Vorhalt, ob es sich um einen Betrag von 80.000,00 DM oder 90.000,00 DM handeln könne, habe sie eingeräumt, dass es sich um 80.000,00 DM handeln könne. Anschließend habe man ihr den Text des Schuldanerkenntnisses diktiert. Sie habe den Betrag von 80.000,00 DM gewählt, weil es der niedrigere der genannten gewesen sei und der Zeuge angegeben habe, dass der tatsächlich entstandene Schuldbetrag noch konkret durch eine innerbetriebliche Prüfung festgestellt werde. Im Büro der Notarin habe diese die Klägerin zunächst allein sprechen wollen. Das sei von den Zeugen und abgelehnt worden.

Die Klägerin hält das notarielle Schuldanerkenntnis aus den vorgenannten Gründen für sittenwidrig, da die Beklagte unter Ausbeutung einer Zwangslage der Klägerin sich Leistungen habe versprechen lassen, die in grobem Missverhältnis zu der erkennbaren Höhe des geschuldeten Betrages standen.

Demgegenüber hat die Beklagte Klageabweisung beantragt. Sie hält das notarielle Schuldanerkenntnis für wirksam. Die Klägerin habe den Schuldbetrag auf Befragen angegeben und in 2 Schuldanerkenntnissen bestätigt. Ihre Erklärung sei ohne Druck und Zwang zustande gekommen, sie hätte jederzeit aufstehen und gehen können. Die Drohung mit einer Strafanzeige, welche die Abgabe eines Schuldanerkenntnisses bezwecke, sei dann nicht rechtswidrig, wenn sie auf Wiedergutmachung ziele und ein Zusammenhang zwischen Straftat und Schaden bestehe. Zudem sei die Klägerin durch die Notarin belehrt worden. Auch für Sittenwidrigkeit bestehe kein Anhaltspunkt, da sich die Klägerin ohne Druck und Zwang nur zur Wiedergutmachung des Schadens verpflichtet habe. Schließlich verweist die Beklagte darauf, dass im Baumarkt in, in den Jahren 1997 und 1998 jeweils negative Inventurergebnisse von über 350.000,00 DM, nach dem Ausscheiden der Klägerin für das Jahr 1999 aber nur noch 212.750,00 DM angefallen seien.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 06.06.2000, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, der Klage entsprochen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das notarielle Schuldanerkenntnis sittenwidrig zustande gekommen sei, da die Beklagte die Klägerin unter Ausnutzung ihrer Zwangslage und Unerfahrenheit zur Anerkennung eines Betrages veranlasst habe, der außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liege. Insbesondere habe die Beklagte der Klägerin verschwiegen, dass nach ihren bisherigen Ermittlungen der Schadensbetrag bei lediglich knapp 10.000,00 DM gelegen habe.

Gegen das ihr am 24.07.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 17.08.2000 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Fristverlängerung bis zum 13.10.2000 - am 13.10.2000 begründet.

Sie hält die Klage im Hinblick auf das notarielle Schuldanerkenntnis, das der endgültigen Streitbeilegung gedient habe, für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet. Das Schuldanerkenntnis sei nicht sittenwidrig zustande gekommen. Eine solche Feststellung könne allenfalls auf Tatsachen gegründet werden, nicht aber darauf, dass die Verursachung eines Schadens in der anerkannten Höhe "unwahrscheinlich" sei.

Im Übrigen habe die Beklagte damit rechnen müssen, dass es sich bei dem von ihr nach kurzer Prüfung festgestellten Schaden nur um die "Spitze des Eisberges" gehandelt habe. So habe die Klägerin in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 07.12.1998 den von ihr verursachten Schaden immerhin selbst auf "höchstens 30.000,00 - 40.000,00 DM" beziffert. Auch ansonsten gelangte man mit überschlägigen Hochrechnungen aus unstreitigen Tatsachen oder Angaben der Klägerin zu einem bei 80.000,00 DM liegenden Schaden. Auch bei Betrachtung des Gesamtvolumens an Retouren im Markt in der Zeit von Januar 1997 - Oktober 1998 und dem in dieser Zeit von der Klägerin abgewickelten Anteil sei der Betrag plausibel.

Im Übrigen bestreitet die Beklagte, dass der Klägerin in dem Gespräch vom 19.11.1998 der Betrag von 80.000,00 DM genannt oder vorgegeben worden sei. Die Klägerin habe vielmehr von sich aus - ohne Nennung einer Summe durch die Mitarbeiter der Beklagten - eingeräumt, über 18 Monate hinweg einen Gesamtschaden von 80.000,00 DM verursacht zu haben. Auch hätten die Mitarbeiter nicht in Aussicht gestellt, im Falle eines Schuldanerkenntnisses von einer Strafanzeige Abstand zu nehmen. Schließlich hätten sie der Notarin nicht verweigert, mit der Klägerin unter 4 Augen zu sprechen. Die Klägerin sei im Beisein ihrer Mitarbeiter von der Notarin ordnungsgemäß belehrt worden.

Die Beklagte beantragt,

dass am 06.06.2000 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Halle - 10 Ca 5168/99 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie behauptet, ein Mitarbeiter der Beklagten habe bereits vor dem 19.11.1998 bei der Notarin um die Beurkundung eines Schuldanerkenntnisses nachgesucht. Dabei habe der Mitarbeiter einen für die bisherige Praxis der Notarin ungewöhnlich hohen Betrag genannt. Im Übrigen hält die Klägerin an ihrer Darstellung des Gesprächsverlaufs am 19.11.1998 fest und macht weiterhin geltend, dass das Schuldanerkenntnis sittenwidrig zustande gekommen und daher unwirksam sei.

In der Berufungsinstanz hat die Beklagte vorgetragen, dass bei ihr eine Vertrauensschadenversicherung bestehe, die im Falle der Straftat eines Mitarbeiters bei notariellem Schuldanerkenntnis und Strafanzeige den anerkannten Betrag abdecke.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in 2. Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie ihre Protokollerklärungen verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen und der Zeugin sowie der Klägerin als Partei. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokollniederschriften der Verhandlungen vom 22.05. und 14.08.2001 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das mit notarieller Urkunde Nr. 2660/98 der Notarin vom 19.11.1998 abgegebene Schuldanerkenntnis der Klägerin nichtig und die Zwangsvollstreckung aus dieser Urkunde unzulässig ist. Die Berufung der Beklagten war demgemäß zurückzuweisen.

A)

Die Klage ist zulässig.

I.

Das auf Feststellung der Unzulässigkeit einer Zwangsvollstreckung aus dem notariellen Schuldanerkenntnis gerichtete Rechtsbegehren ist als Vollstreckungsabwehrklage gemäß §§ 767, 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ohne weiteres zulässig. Gemäß § 797 Abs. 4 ZPO finden dabei die Bestimmungen des § 767 Abs. 2 ZPO keine Anwendung mit der Folge, dass alle Einwendungen gegen den Anspruch vorgebracht werden können.

II.

Für die darüber hinaus begehrte Feststellung, dass das notarielle Schuldanerkenntnis nichtig sei, liegt das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse vor. Denn die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO beseitigt allein die Vollstreckbarkeit des Titels und führt damit nicht zur rechtskräftigen Bejahung oder Verneinung des titulierten Anspruchs. Letzteres erreicht erst die Feststellungsklage (BGH MDR 85, 138; BGH NJW 97, 2330, 2331, Zöller-Greger ZPO, 22. Aufl., § 256 Rdnr. 8 b; Zöller-Hergeth aaO, § 767 Rdnr. 5).

III.

Im Übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit der Klage keine Bedenken. Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung vom 13.10.2000 sowie erneut im Schriftsatz vom 09.10.2001 geltend macht, dass die Klägerin in Ziffer 2 des notariellen Schuldanerkenntnisses auf die Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage sowie auf eine sonstige prozessuale Geltendmachung von Ansprüchen und Einwendungen verzichtet habe, ist darauf zu verweisen, dass die Rechtswirksamkeit dieses notariellen Schuldanerkenntnisses und damit auch seiner Ziffer 2 gerade in Streit stehen.

B)

Die Klage ist begründet. Das notarielle Schuldanerkenntnis der Klägerin vom 19.11.1998 ist auf sittenwidrige Weise zustande gekommen und daher gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde ist damit unzulässig.

I.

Nach § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Zu berücksichtigen sind hier nicht nur der objektive Gehalt des Rechtsgeschäfts, sondern auch die Umstände, die zu seiner Vornahme geführt haben, sowie die Absichten und Motive der Parteien (BGH NJW-RR 1998, S. 50). Bei einer Verpflichtung, die die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners weit übersteigt, kommt Sittenwidrigkeit in Betracht, wenn zusätzliche, dem Gläubiger zurechenbare Umstände zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragsparteien führen. Solche Belastungen können sich insbesondere daraus ergeben, dass der Gläubiger die Geschäftsunerfahrenheit oder eine seelische Zwangslage des Schuldners ausnutzt oder ihn auf andere Weise in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt (BAG Urteil vom 22.10.1998 - 8 AZR 457/97 - = NZA T999, 417, 419; BGH NJVV 1997, 1980). Hierbei ist weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich, es genügt vielmehr, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt; dem steht es gleich, wenn er sich bewusst oder grob fahrlässig der Kenntnis der erheblichen Tatsachen verschließt, insbesondere der Einsicht, dass der andere Teil den Vertrag nur aus Mangel an Urteilsvermögen oder wegen erheblicher Willensschwäche eingegangen ist (BGH Urteil vom 19.01.2001 V ZR 437/99 = NJW 2001, 1127 m.w.N.). Ein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kann den Schluss auf die bewusste oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstands rechtfertigen (BGH aaO).

II.

Die Beklagte hat das notarielle Schuldanerkenntnis unter Ausnutzung einer Zwangslage der Klägerin sowie ihres mangelnden Urteilsvermögens und ihrer Willensschwäche erlangt. Das Anerkenntnis verpflichtete die Klägerin zur Zahlung eines Betrages, der in seiner Höhe außer Verhältnis zu dem im Zeitpunkt des Rechtsgeschäfts festgestellten oder aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Annahmen berechneten Schaden stand und zudem die finanzielle Leistungsfähigkeit der Klägerin weit überstieg. Zugleich schnitt es zusammen mit der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung der Klägerin jeden rechtlichen Schutz ab. Unter diesen Umständen ist das Schuldanerkenntnis auch angesichts der Verpflichtung der Klägerin, den der Beklagten auf strafbare Weise zugefügten Schaden auszugleichen, als sittenwidrig anzusehen.

1.

Bei Abgabe des Schuldanerkenntnisses bestanden auf Seiten der Klägerin kommulativ eine erhebliche seelische Zwangslage und Willensschwäche sowie mangelndes Urteilsvermögen.

a)

Ein gerade überführter Straftäter befindet sich im Allgemeinen angesichts seines Opfers, das er über einen längeren Zeitraum hintergangen hat, naturgemäß in einer besonders unangenehmen Lage: Schuld und Schamgefühle stellen sich ein, die Fassade der Unbescholtenheit ist weggebrochen. Der Täter steht außerhalb der Rechtsgemeinschaft und ihm droht Gesichtsverlust, insbesondere auch in der persönlichen und privaten Umgebung. Daneben besteht vor allem Angst: Vor dem Verlust von Ruf und Ansehen, davor dass die Familie von der Verfehlung erfährt und wie sie reagiert, aber auch Angst vor Strafanzeige und Strafverfolgung sowie vor drohenden Regressansprüchen. Schuld, Scham und Angst erzeugen eine seelische Verfassung, die für eine weitreichende, unwiderrufliche und die persönliche Leistungsfähigkeit weit übersteigende rechtsgeschäftliche Willensbildung schon allgemein denkbar ungünstig ist. Sollen die rechtsgeschäftlichen Erklärungen dann noch dazu dienen, die Schuld zu tilgen und den Schaden wieder gutzumachen, wird der in solcher Lage befindliche Straftäter typischerweise bis zur Kritiklosigkeit für eine entsprechende Willensbildung offen sein. Sie kommt seinem dringenden Bedürfnis entgegen, die Sache möglichst ohne großes Aufsehen "aus der Welt zu schaffen" und seine Schuld abzutragen.

Wie aus den Medien und auch aus der Gerichtspraxis bekannt ist, wird im von Vermögensdelikten stark heimgesuchten Einzelhandel diese typische Lage des gerade mit seiner Überführung konfrontierten Straftäters häufig ausgenutzt, um Regressansprüche durchzusetzen. Das ist legitim, soweit es der Wiedergutmachung berechtigter Schadensersatzansprüche dient. Es verstößt aber gegen die guten Sitten, wenn die Willenseinschränkung und Urteilsschwäche des Täters dazu ausgenutzt wird, überhöhte oder auch nur zweifelhafte und unwahrscheinliche Ansprüche in einer Weise durchzusetzen, die den Betroffenen endgültig und unwiderruflich bindet. So liegen die Dinge hier.

b)

Am 19.11.1998 konfrontierten zwei Revisoren und ein Bezirksleiter der Beklagten die Klägerin mit der Aufdeckung ihrer Straftaten. Nach kurzer Zeit gestand die Klägerin ihre Verfehlungen ein und gab zu, von September 1997 bis September 1998 Warenretouren manipuliert zu haben. Nach 30- bis 60minütigem Gespräch fertigte die Klägerin auf Veranlassung der Mitarbeiter der Beklagten ein Schuldanerkenntnis über 80.000,00 DM, während gleichzeitig über wechselseitige Telefaxe mit dem Büro der Notarin dessen notarielle Beurkundung abgestimmt wurde. Unmittelbar anschließend begaben sich die Mitarbeiter mit der Klägerin - im Pkw des Bezirksleiters - zur Notarin, wo das Schuldanerkenntnis sodann notariell beurkundet wurde. Damit befand €ich die Klägerin ohne jede Unterbrechung durchgehend in der oben geschilderten Situation der eingeschränkten Willensfreiheit und Urteilsfähigkeit. Dass sie "jederzeit hätte gehen können", wie die Beklagte vorbringt, ist unerheblich; es bestand gerade keine körperliche, sondern eine seelische Zwangslage. Auch der Umstand, dass die Klägerin am 19.11.1998 nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten stand, milderte die Zwangslage nicht in ausschlaggebender Weise: Der seelische Druck, dem sie bei ihrer Überführung ausgesetzt war, bestand gerade auch unabhängig von der Befürchtung gekündigt zu werden. Hätte am 19.11.1998 noch ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden, wäre dessen Auflösung auch bei geringfügigeren Verfehlungen selbstverständlich gewesen.

Die dichte, durch die ständige Konfrontation mit 3 Mitarbeitern der Beklagten verstärkte Zwangslage der Klägerin riss weder auf der Fahrt zur Notarin noch vor der Notarin selbst ab. Zwar belehrte die Notarin die Klägerin ausweislich der notariellen Urkunde über Bedeutung und Tragweite dieser Erklärung eingehend. Unstreitig geschah dies alles jedoch im steten Beisein der Mitarbeiter der Beklagten, ein Gespräch unter 4 Augen zwischen der Klägerin und der Notarin fand nicht statt. Zwar hat die Notarin in ihrer Vernehmung als Zeugin bekundet, der Klägerin ein entsprechendes Angebot gemacht zu haben; auch sei sie durchaus in der Lage, einer solchen entsprechenden Bitte der Klägerin gegenüber den Mitarbeitern der Beklagten Geltung zu verschaffen. Tatsächlich kam es aber nicht zu einer solchen Bitte. Dies macht augenscheinlich deutlich, in welch geführter Lage die Klägerin sich befand, und steht in Einklang mit der von der Notarin aus ihrer Notariatspraxis wiedergegebenen Erfahrung, dass es sich bei den betroffenen Personen in der Regel nicht um starke Persönlichkeiten handelt, sondern diese vielmehr fremdgesteuert sind und ihre Taten in fremdem Interesse begangen haben. Dies ist, wie noch zu zeigen sein wird, bei der Klägerin in besonderem Maße der Fall. Soweit die Notarin angibt, aus der häufigen Praxis der Beurkundung von Schuldanerkenntnissen dieser Art ein Gespür dafür entwickelt zu haben, ob jemand unter Druck gesetzt und fremdgesteuert oder freiwillig handelt, mag dies zutreffen. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die eingangs geschilderte Zwangslage der Klägerin, die in allen ihren Bestandteilen und durchgehend fortbestanden hat, angesichts der Notarin plötzlich geendet hätte. Die Notarin hat auch keine besonderen Bestrebungen von ihrer Seite geschildert, die Klägerin um ein 4-Augengespräch zu bitten, sondern nur ausgeführt, dass die Klägerin selbst nicht darum gebeten hat. Entsprechende Bestrebungen der Notarin werden auch deshalb unterblieben sein, weil dies der typischen Interessenlage bei Beurkundung des Schuldanerkenntnisses widersprochen hätte:

Eigentlicher Auftraggeber der Notarin war nicht die Klägerin, sondern die Beklagte, die den Termin erbeten, den Inhalt des Anerkenntnisses diktiert und letztlich wohl auch die Notarin bezahlt hat. Hierfür spricht zumindest der Umstand, dass die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 27.11.1998 nicht nur zur Zahlung des anerkannten Betrages von 80.000,00 DM aufforderte, sondern auch zur Zahlung der Notariatskosten in Höhe von 233,16 DM (obwohl sich die Klägerin gemäß Ziffer 6 des notariellen Schuldanerkenntnisses zur Tragung dieser Kosten verpflichtet hatte). Bei der so gestalteten Interessenlage wäre es ungewöhnlich, wenn die Notarin über die Prüfung der Geschäftsfähigkeit der Klägerin sowie sonstige auffällige Anhaltspunkte hinaus der Frage einer bei der Klägerin bestehenden Zwangslage näher nachgegangen wäre.

c)

Hat somit für die Klägerin am 19.11.1998 ohne jede Unterbrechung bis zur notariellen Beurkundung die eingangs geschilderte typische Zwangslage bestanden, so steht zur Überzeugung des Berufungsgerichts bei Würdigung aller Umstände - des Sachverhaltes, der in mehreren Verhandlungen zu Tage getretenen Persönlichkeit der Klägerin sowie der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass es sich bei der Klägerin in geradezu exemplarischer Weise um eine leicht beeinflussbare und fremd bestimmbare Persönlichkeit handelt, die konkret in dieser Lage den Geschehensablauf nicht mehr in nennenswertem Maße durch eigene Willensentschließung beeinflussen konnte. Die damals 29-jährige Klägerin war nach der Trennung von ihrem Mann allein erziehend. Nach einer mehrwöchigen Kurmaßnahme wegen seelisch-nervlicher Belastungen im Oktober 1998 nahm sie Beruhigungsmittel ein. Ob sie auch am 19.11.1998 diese Mittel genommen hatte, konnte die Klägerin nicht mehr sagen. Während der gesamten Verhandlung machte die Klägerin auf das Berufungsgericht den Eindruck einer wenig energischen, eher lethargischen Persönlichkeit, die das Verfahren über sich ergehen ließ. Das gilt insbesondere auch für ihre Parteivernehmung, in der sie äußerte, sich bei der Ladung zu dem Gespräch vom 19.11.1998 nichts gedacht zu haben und überrascht gewesen zu sein, dass man ihr Vorhaltungen mache. Es gilt des Weiteren für die von ihr verübten Straftaten selbst, die - ungeachtet der enormen Versäumnisse der Marktleitung in der Kontrolle der Retouren - von Naivität und leichtfertigem Vertrauen in ihre Nichtentdeckung geprägt waren. Dafür spricht weiterhin, dass die Klägerin stets angab (so auch in der Vernehmung vor der Polizei), die Manipulationen fremdbestimmt vor allem im Interesse ihres Bruders vorgenommen zu haben, der sich als Arbeitsloser selbstständig machen wollte und deshalb erhöhten Geldbedarf hatte. Dies steht auch im Einklang mit der Erfahrung der Notarin aus ihrer Notariatspraxis, dass die betroffenen Persönlichkeiten zu Fremdbestimmung neigen. Es steht schließlich auch in Einklang mit den Aussagen der Zeuge und die übereinstimmend bekundeten, am Ende des Gesprächs vom 19.11.1998 überrascht gewesen zu sein, auf welch leichte und konfliktfreie Weise die Klägerin zur Abgabe des Schuldanerkenntnisses veranlasst werden konnte. Der Zeuge hat zudem ausgesagt, dass die Klägerin in dem Gespräch "mit den Nerven am Ende" gewesen sei und geweint hätte (Seite 5 und 6 des Sitzungsprotokolls vom 22.05.2001 = Bl. 199, 200 d.A.).

2.

Die Beklagte hat zur Erlangung des notariellen Schuldanerkenntnisses die Fremdbestimmbarkeit und seelische Zwangslage der Klägerin nicht nur ausgenutzt, sondern gezielt herbeigeführt und verstärkt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass sich die Beklagte nicht etwa spontan am 19.11.1998 zur notariellen Beurkundung des Schuldanerkenntnisses entschloss, sondern einer ihrer Mitarbeiter sich bereits vor dem 19.11.1998 bei der Notarin um einen Termin zur Beurkundung in den Geschäftsräumen des Baumarktes bemüht und dabei einen für die Praxis der Notarin ungewöhnlich hohen Schuldbetrag genannt hat. Damit stellt sich die Beurkundung des Schuldanerkenntnisses durch die Klägerin in zeitlich engem Zusammenhang mit ihrer Überführung in dem vorausgegangenen Gespräch als geplantes und gezieltes Vorgehen der Beklagten dar. Weiterhin steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Mitarbeiter der Beklagten der Klägerin im Gespräch vom 19.11.1998 in Aussicht stellten, dass man die Angelegenheit "unter uns", d.h. ohne Strafanzeige regeln könne und dass der genaue Schadensbetrag, den die Klägerin zu tragen hätte, ohnehin noch ermittelt würde. Schließlich ist die Kammer auch davon überzeugt, dass der Betrag von 80.000,00 DM der Klägerin von Seiten der Mitarbeiter "ins Blaue hinein" benannt worden ist und von ihr - als dem geringeren Betrag im Vergleich zu den alternativ benannten 90.000,00 DM sowie im Hinblick auf die noch ausstehende genaue Schadensermittlung - akzeptiert wurde. Das Gericht folgt in allen diesen Punkten nicht den Aussagen der Zeugen und sondern dem Vortrag der Klägerin, den sie in ihrer Parteivernehmung bestätigt hat.

a)

Die Notarin hat in ihrer Vernehmung angegeben, dass ein Mitarbeiter der Beklagten bereits einige Tage vor dem 19.11.1998 wegen eines Beurkundungstermins angefragt habe. Dieser sollte in einem Baumarkt stattfinden, da dort ein Besprechungstermin mit einer Mitarbeiterin anberaumt gewesen sei. Es sei dabei auch von einem Betrag die Rede gewesen, der im Vergleich zu den sonst durchaus häufig in ihrer Praxis vorkommenden Schuldanerkenntnissen hoch gewesen sei. Es müsse sich dabei um den Vorgang der Klägerin gehandelt haben, da es sich um einen Baumarkt der Beklagten gehandelt habe und sie sich daran erinnern könne, dass die ihr benannte Mitarbeiterin den gleichen Vornamen wie ihre eigene Tochter hatte. Angesichts dieser Aussage dürfte ein Irrtum der Zeugin über den Geschehensablauf, also sowohl über die vorherige Kontaktaufnahme selbst als auch über die Identität des Beurkundungsfalles, ausscheiden. Die Beklagte hat den entsprechenden Vortrag der Klägerin demgemäß auch erst besonders spät, nämlich mit Schriftsatz vom 17.05.2001 bestritten, obwohl sich ein sofortiges Bestreiten aufgedrängt hätte. Soweit die Beklagte nach Schluss der mündlichen Verhandlung hierzu mit Schriftsatz vom 09.10.2001 weiter vorträgt, bietet ihr verspätetes Vorbringen keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, zumal die Beklagte bereits ausgiebig Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vertrages gehabt hat (vgl. Hinweis im Sitzungsprotokoll vom 22.05.2001, dort S. 2 = Bl. 196 d.A.).

b)

Die Kammer folgt bei der Feststellung des Gesprächsablaufs vom 19.11.1998 ebenfalls dem Vortrag der Klägerin.

Die Klägerin hat von Beginn des Rechtsstreits an sowie bereits zuvor in ihren polizeilichen Vernehmungen und schließlich auch in ihrer Parteivernehmung stets im Wesentlichen unverändert angeführt, dass ihr im Gespräch vom 19.11.1998 in Aussicht gestellt worden sei, die Angelegenheit "unter uns" zu regeln und den genauen Schadensbetrag noch festzustellen. Sie habe sich trotz mehrfachen Insistierens ihrer Gesprächspartner nicht in der Lage gesehen, den Schadensbetrag abzuschätzen, und erst auf die weitere Frage, ob er etwa bei 80.000,00 DM oder eher bei 90.000,00 DM liege, den niedrigeren Betrag gewählt. Dies sei im Hinblick auf die zugesicherte nähere Prüfung des tatsächlichen Schadens geschehen. Die Zeugen und haben den Gesprächsablauf demgegenüber in diesen Punkten konträr anders wiedergegeben: Der Klägerin sei unmissverständlich gesagt worden, dass die Sache in jedem Fall zur Anzeige gelange; eine genauere Feststellung des Schadensbetrages sei nicht in Aussicht gestellt worden; die Klägerin habe den Betrag von 80.000,00 DM von sich aus und auf bloßes Befragen nach der Höhe benannt.

Die Kammer hat bei ihrer Überzeugungsbildung berücksichtigt, dass die Klägerin als Partei unmittelbar vom Ausgang des Rechtsstreits betroffen ist, und dies in existenzieller Weise. Die Kammer hat ferner im Auge behalten, dass die Klägerin in erheblichem Ausmaß der Beklagten durch strafbare Manipulationen Schaden zugefügt und damit ein wenig vertrauenswürdiges Verhalten offenbart hat. Gleichwohl ist die Kammer aufgrund der besonderen Anhaltspunkte und Umstände des Falles zu der Überzeugung gelangt, dass der von der Klägerin und nicht der von den Zeugen geschilderte Ablauf des Gesprächs vom 19.11.1998 der Wahrheit entspricht.

Zunächst war zu berücksichtigen, dass der Vortrag der Klägerin in 1. Instanz von der Beklagten nicht bestritten worden ist. Erst nachdem die Beklagte in 1. Instanz unterlegen war, änderte sie ihren Sachvortrag. Die Klägerin ihrerseits hat ihnen Sachvortrag demgegenüber weder, vorprozessual noch im Prozess verändert, ohne ihn dabei etwa nur stereotyp zu wiederholen. Für den Vortrag der Klägerin spricht weiter die Lebenserfahrung: Es ist naheliegend, dass ein Straftäter zum Eingeständnis seiner Tat sowie der Schadenshöhe dadurch bewegt werden soll, dass ihm eine rein "interne" Klärung der Angelegenheit für den Fall des Geständnisses in Aussicht gestellt und eine genauere Überprüfung der Schadenshöhe angekündigt wird. Die Zeugin hat aus ihrer Notariatspraxis über entsprechende Erfahrungen berichtet. Demgegenüber widerspricht es der Lebenserfahrung, dass die Klägerin von sich aus ohne Not oder ohne Veranlassung durch konkrete Vorgaben einen Schadensbetrag von 80.000,00 DM genannt hätte, nachdem ihr Belege über nur vergleichsweise geringfügige Vorfälle vorgelegt worden waren. Dies hätte im Übrigen auch eine zumindest überschlägige Berechnung erfordert, zu der die Klägerin nach dem Eindruck, den sie allgemein auf die Kammer machte, in der besonderen Situation vom 19.11.1998 nicht in der Lage gewesen sein dürfte.

Für die Glaubhaftigkeit der Darstellung der Klägerin spricht ferner, dass darin der Gesprächsablauf keineswegs einseitig zu ihren Gunsten überzeichnet erscheint. Von Anfang an gab sie zu, den ihr genannten Betrag von 80.000,00 DM ohne besonderen Druck, jedoch auf konkrete Benennung hin unter den oben geschilderten Umständen bestätigt zu haben, nachdem sie sich zu einer eigenständigen Bezifferung außer Stande gesehen hatte. Weiter bestätigte sie, dass das Gespräch in ruhiger Atmosphäre verlaufen sei. Ein solches Aussageverhalten spricht auch für die Glaubwürdigkeit der Klägerin in dieser Frage, ebenso wie schließlich ihre Selbstanzeige bei der Polizei, mit der sie sich eine Aufklärung des von ihr tatsächlich verursachten Schadens erhoffte.

Demgegenüber überzeugten die Aussagen der Zeugen und die Kammer nicht. Sie stehen, wie bereits ausgeführt, inhaltlich im Widerspruch zur Lebenserfahrung. Es lässt sich aus ihnen nicht ersehen, warum die Klägerin einen Schadensbetrag in Höhe von 80.000,00 DM genannt haben sollte. An diesem entscheidenden Punkt wirken ihre Schilderungen, jeweils zusammenhanglos und unnatürlich. Das steht beim Zeugen im Gegensatz zu den ansonsten durchaus ausladenden Ausführungen, die allerdings selten konkret auf die gestellte Frage antworteten. Der Zeuge machte hingegen in seinem Aussageverhalten auf die Kammer einen eher angestrengten und angespannten Eindruck; er wirkte nicht so, als ob er nur mit der gebührenden Konzentration einen Sachverhalt aus der Erinnerung wiedergebe. Häufig fragte er rückversichernd nach, wie eine Frage gemeint gewesen sei. Der Zeuge schließlich gelangte trotz mehrfacher Bemühungen des Gerichts zunächst überhaupt nicht zu einer zusammenhängenden Schilderung des Gesprächsablaufs, sondern blieb im Vorfeld stecken.

Die Zielgerichtetheit, mit der die Zeugen das Gespräch bis einschließlich zur notariellen Beurkundung des Schuldanerkenntnisses betrieben, spricht weiterhin indiziell für die Darstellung der Klägerin, dass die Zeugen mit der Verlockung eines Verzichts auf Strafanzeige und einer späteren genauen Schadensfeststellung vorgegangen sind. Es kam für die Zeugen - insbesondere im Hinblick auf die Vertrauensschadenversicherung - offenbar nur auf das Ergebnis, nämlich den anerkannten Schadensbetrag an. Nach ihrer eigenen Aussage spielte es in dem Gespräch keinerlei Rolle, ob der Schaden tatsächlich in der fraglichen Höhe (oder vielleicht höher) bestand und ob und wie die arbeitslose, alleinstehende und einem Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Klägerin den Schadensbetrag jemals sollte erstatten können. Auch spielte es keine Rolle, ob das Geld etwa noch bei der Klägerin vorhanden gewesen ist und von ihr hätte zurückgezahlt werden können.

Besonders gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugen sprach nach Auffassung der Kammer, dass sie übereinstimmend angaben, keinerlei Hochrechnungen des denkbaren Schadens vorgenommen zu haben und sich an den Schadensumfang, wie er sich am 19.11.1998 darstellte, nicht einmal in etwa erinnern zu können. Demgemäß habe man auch keine Hochrechnung des Schadens angestellt. Dies ist bei Fachleuten aus der Revision bzw. einem Bezirksleiter, zu deren beruflichen Aufgaben der selbstverständliche Umgang mit Zahlen sowie die Anstellung gerade solcher Berechnungen gehört, unglaubhaft. Es steht zudem in Widerspruch dazu, dass auch nachfolgend keine nähere Prüfung des Schadensumfangs vorgenommen worden ist. Dies lässt darauf schließen, dass der von der Klägerin anerkannte Schuldbetrag offenbar als "in jeder Hinsicht ausreichend" angesehen wurde, was wiederum ohne eine seriöse Abschätzung des denkbaren Ausmaßes des verursachten Schadens ausgeschlossen erscheint. Schließlich spricht auch die Aussage der Notarin, dass ihr bereits einige Tage vor dem 19.11.1998 ein ungewöhnlich hoher Betrag für das zu beurkundende Schuldanerkenntnis benannt worden sei, gegen die Bekundungen der Zeugen; es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie als maßgeblich für die Aufklärung des Vorfalls Verantwortliche von dieser vorausgegangenen Kontaktaufnahme keine Kenntnis gehabt haben sollen.

Nach alledem war die Kammer von der Wahrheit der klägerischen Sachdarstellung überzeugt.

3.

Angesichts der Schädigung durch die Klägerin war es legitim, dass sich die Beklagte unter Ausnutzung der besonderen Situation - quasi im Handstreich - den Ersatz des Schadens in einem vollstreckbaren Schuldtitel versprechen ließ. Da sie naturgemäß über die Höhe des Schadens in Unkenntnis war, durfte sie den Schaden auch im Wege einer Hochrechnung auf der Basis ihrer Feststellungen und der Einlassungen der Klägerin ermitteln. Sie durfte die Lage der Klägerin aber auch in Anbetracht ihrer eigenen legitimen Interessen nicht dazu ausnutzen, sich in unwiderruflicher Weise zweifelhafte, auf keiner nachvollziehbaren Basis ermittelte Ansprüche zu sichern.

a)

Die Beklagte hat die Zwangslage und Willensschwäche der Klägerin jedoch dazu ausgenutzt, sich einen Schuldbetrag anerkennen zu lassen, der sowohl von dem ermittelten Schaden als auch von dem anhand der Angaben der Klägerin hochgerechneten Schaden deutlich zu Gunsten der Beklagten abwich. Festgestellt hatte die Beklagte nach ihrem Vorbringen für die Monate August und September 1998 einen Schaden in Höhe von ca. 6.800,00 DM. Da die Klägerin eingeräumt hat, Manipulationen etwa über die Dauer eines Jahres getätigt zu haben, hätte eine Hochrechnung auf diesen Zeitraum zu einem Schadensbetrag von gut 40.000,00 DM führen können. Die Mitarbeiter der Beklagten haben nach den Feststellungen der Kammer die Lage der Klägerin aber dazu ausgenutzt, sich einen deutlich höheren Schuldbetrag versprechen zu lassen. Sie taten das nach eigenen Angaben ohne jede Hochrechnung, also ins Blaue hinein. Eine Hochrechnung anhand der bekannten Tatsachen hätte die Unverhältnismäßigkeit des Betrages zu Tage treten lassen. Für die Beklagte und ihre Mitarbeiter konnte es angesichts der bestehenden Vertrauensschadenversicherung allerdings nur recht sein, dass der Betrag so hoch wie möglich lag. Die Zeugen gaben dabei selbst an, über die Höhe des Betrages überrascht gewesen zu sein. Da sie ihn der Klägerin aber selbst "in den Mund gelegt" und ihr zugleich zugesichert haben, den tatsächlichen Schaden noch genau zu ermitteln, durften sie die Lage der Klägerin nicht dazu ausnutzen, von ihr ein notarielles Schuldanerkenntnis über diesen Betrag zu verlangen. Die Bestätigung des Betrages durch die Klägerin entlastet die Beklagte unter den gegebenen Umständen gerade nicht. Die Beklagte kann sich deshalb auch nicht darauf berufen, dass ihr noch weniger als der Klägerin am 19.11.1998 die Höhe des von der Klägerin verursachten Schadens bekannt gewesen ist.

b)

Auf die Frage, ob der von der Klägerin verursachte Schaden tatsächlich den anerkannten Betrag unterschritt, kommt es damit gerade nicht an. Maßgeblich ist, dass die Beklagte die Situation am 19.11.1998 ausgenutzt hat, um sich von der Klägerin einen aus damaliger Sicht ungerechtfertigt hohen Schuldbetrag unwiderruflich und endgültig anerkennen zu lassen. Im Übrigen spricht alles dafür, dass der anerkannte Schuldbetrag den von der Klägerin tatsächlich verursachten Schaden deutlich überschreitet. Bis zum heutigen Tage hat die Beklagte konkret einen Schaden in Höhe von lediglich knapp 10.000,00 DM festgestellt. Dies geschah bei einer Stichprobenprüfung des von der Klägerin angegebenen Zeitraums (September 1997 - September 1998, bei der die Beklagte sich auf die höchsten Beträge konzentrierte. Danach erscheint ausgeschlossen, dass ein Schadensbetrag von 80.000,00 DM auch nur annähernd erreicht wird. Die Hochrechnungen der Beklagten, die sie im Laufe des Berufungsrechtszuges angestellt hat, überzeugen demgegenüber nicht. Bezogen auf den von der Klägerin eingeräumten Zeitraum von September 1997 - September 1998 müsste die Klägerin danach nahezu 90 % der von ihr insgesamt abgewickelten Retouren manipuliert haben; das erscheint praktisch ausgeschlossen. Soweit die Beklagte schließlich den Rückgang ihrer Inventurdefizite nach Ausscheiden der Klägerin anführt, dürften hierfür eher andere Gründe eine Rolle spielen. Zum einen steht ein Rückgang des jährlichen Defizits von weit über 100.000,00 DM nach dem Ausscheiden der Klägerin ohnehin außer Verhältnis zu einem von ihr denkbarerweise in einem Kalenderjahr verursachten Schaden. Zum anderen dürften Umstände wie Anlaufschwierigkeiten nach der Neueröffnung des Marktes, mehrfacher Wechsel der Marktleitung und Einhaltung der eigenen Kontrollmechanismen die wahrscheinlicheren Ursachen für den Rückgang des Defizits darstellen.

C)

Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolgen des § 97 ZPO zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG lagen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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