Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 09.07.2002
Aktenzeichen: 8 Sa 847/01
Rechtsgebiete: TV DB AG, EStG


Vorschriften:

TV DB AG § 20 Zulagen
EStG § 4 Abs. 5 S. 1
EStG § 4 Abs. 5 S. 2
EStG § 4 Abs. 5 S. 3
Werden auswärtig wohnenden Arbeitnehmern für die Ableistung von Bereitschaftszeiten ortsnahe Unterkünfte zur Verfügung gestellt, handelt es sich bei den dort anfallenden Ruhezeiten ungeachtet der rechtlichen Einordnung als Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst nicht um Zeiten der "beruflich bedingten Abwesenheit von der Wohnung" i.S.v. § 20 (2) S. 1 ZTV, § 4 Abs. 5 Nr. 5 S. 3 EStG, deren Dauer für die Höhe der Verpflegungspauschale bei Einsatzwechseltätigkeit maßgeblich ist.

In diesem Fall bildet die betriebsnahe Unterkunft der auswärtigen Arbeitnehmer die "Wohnung" i.S.d. vorgenannten Bestimmungen.


Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 Sa 847/01

verkündet am: 09. Juli 2002

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 09.07.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Quecke als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Hinze und Altekrüger als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des ArbG Magdeburg vom 10.10.2002 - 12 Ca 2098/01 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die tarifgebundenen Parteien streiten um die Berechnung der Höhe einer Verpflegungspauschale für s.g. Einsatzwechseltätigkeit gemäß § 20 des Zulagen-Tarifvertrages für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Deutschen Bahn AG (im Folgenden: ZTV) bei Dienst in Form von Einsatzbereitschaft.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Mitarbeiter beschäftigt. Er beginnt und beendet seine Arbeit regelmäßig auf dem Betriebsgelände in Stendal, wo er sich umzieht, wäscht, Geräte annimmt und abgibt sowie seine täglichen Arbeitsaufträge erhält. Die wesentliche Arbeitsleistung erbringt er gemäß dem Arbeitsanfall an den jeweiligen Streckenabschnitten im Netzbezirk. Etwa einmal im Monat leistet der Kläger für eine Woche Bereitschaft. Die hierzu eingeteilten Mitarbeiter müssen sich für außerhalb der Arbeitszeit auftretende Störungen zum Einsatz bereit halten. Hierbei müssen sie binnen 45 Minuten am Einsatzort sein bzw. eine "Eingreifzeit" von 30 Minuten einhalten. Während die in Stendal und näherer Umgebung wohnenden Kollegen die Bereitschaft von ihrer Wohnung aus leisten, stellt die Beklagte dem Kläger, der in Haldensleben wohnt (75 Minuten Fahrtzeit zum Betriebsgelände nach Stendal), sowie weiteren Kollegen in vergleichbarer Lage für die Bereitschaftszeiten kostenlose Unterkünfte in Stendal, zuletzt auf dem Betriebsgelände, zur Verfügung.

Für die Ableistung der Bereitschaft zahlt die Beklagte an ihre Mitarbeiter eine Rufbereitschaftszulage gemäß § 18 ZTV i.H.v. ca. 400,00 - 500,00 DM pro Monat. Außerdem gewährt sie für die jeweiligen Einsätze - sowohl in der regulären Arbeitszeit als auch in der Bereitschaftszeit - bei Erreichen der entsprechenden Abwesenheitszeiten eine Verpflegungspauschale gemäß § 20 ZTV. § 20 ZTV lautet auszugsweise:

"Einsatzwechseltätigkeit

(1) Der Arbeitnehmer, der an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten eingesetzt wird (Einsatzwechseltätigkeit, z.B. Gleisbauarbeiter, Bau-, Montagearbeiter), erhält eine Verpflegungspauschale.

(2) Für die Höhe der Verpflegungspauschale ist allein die Dauer der beruflich bedingten Abwesenheit von der Wohnung am jeweiligen Kalendertag maßgebend.

Ist der Arbeitnehmer an einem Kalendertag mehrmals auswärts eingesetzt, sind die Abwesenheitszeiten an diesem Kalendertag zusammenzurechnen.

Sofern die Einsatzwechseltätigkeit nach 16.00 Uhr begonnen und vor 8.00 Uhr des nachfolgenden Kalendertages beendet wird, ohne dass eine Übernachtung stattfindet, wird die Einsatzwechseltätigkeit mit der gesamten Abwesenheitsdauer dem Kalendertag der überwiegenden Arbeitszeit zugerechnet.

(3) Die Pauschale für Verpflegungsmehraufwand beträgt für jeden Kalendertag

a) bei einer Abwesenheit von weniger als 14 Stunden, aber mindestens 8 Stunden: 8,00 DM,

b) bei einer Abwesenheit von weniger als 24 Stunden, aber mindestens 14 Stunden: 12,00 DM,

c) bei einer Abwesenheit von 24 Stunden: 19,00 DM.

Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Tätigkeit des Klägers als Mitarbeiter Einsatzwechseltätigkeit im Tarifsinne darstellt. Der Kläger macht jedoch geltend, dass zur Berechnung der Höhe der Verpflegungspauschale bei Bereitschaft gemäß § 20 (2) Satz 1 ZTV sämtliche Zeiten der Abwesenheit von der Wohnung maßgebend seien. Das seien in seinem Fall wegen der gesonderten Unterbringung die Zeiten der Abwesenheit von seiner Privatwohnung in Haldensieben und damit die gesamten Bereitschaftszeiten. Die Beklagte meint dagegen, dass bei Bereitschaft nur die einsatzbedingten Zeiten der Abwesenheit des Klägers von seiner Unterkunft in Stendal zu berücksichtigen seien.

Mit Schreiben vom 22.01.2001 (Bl. 20 d.A.) forderte der Kläger die Beklagte zur Erfüllung seiner "tariflichen Ansprüche lt. Zulagen-TV der Arbeitnehmer der DB AG § 20 zur Zahlung der Einsatzwechseltätigkeit" auf. Dem Schreiben beigefügt waren die "Erfassungsbelege für die Ausbleibezeiten Bau-/Ilnstandhaltungspersonal" der Monate Juli 2000 - Februar 2001, aus denen jeweils am rechten Rand die vom Kläger begehrte - rechnerisch unstreitige - Nachzahlung ersichtlich ist (Bl. 21 - 28 d.A.).

Mit seiner am 03.05.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger diese Ansprüche weiter (1.043,00 DM = 533,28 €). Mit Klageerweiterung vom 16.08.2001 über 314,00 DM (= 160,55 €) für die Monate März - Mai 2001, der Beklagten zugestellt am 22.08.2001, hat der Kläger die Klage auf den insgesamt rechnerisch unstreitigen Betrag von 693,83 € erhöht.

Mit Urteil vom 10.10.2001, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Gegen das am 26.10.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, den 26.11.2001 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 30.01.2002 begründet. Er wiederholt und vertieft seine Argumentation dafür, dass bei Bereitschaft sämtliche Abwesenheitszeiten von seiner Privatwohnung gemäß § 20 (2) Satz 1 ZTV für die Berechnung der Höhe der Verpflegungspauschale maßgebend seien. Bei seinen in Stendal und Umgebung wohnenden Kollegen sei hierfür ebenfalls die Abwesenheitszeit von ihren Privatwohnungen maßgebend. Da die Bereitschaft für ihn - bedingt durch die Entfernung seines Wohnsitzes - eine wesentlich höhere Abwesenheit von seiner Privatwohnung mit sich bringe, müsse dies auch bei der Berechnung der Verpflegungspauschale berücksichtigt werden. Die zur Verfügung gestellte Unterkunft könne dagegen nicht als seine "Wohnung" i.S.v. § 20 (2) Satz 1 ZTV angesehen werden, zumal sie nicht sein Lebensmittelpunkt sei. Schließlich meint der Kläger, dass die Bereitschaft wegen der starken Beschränkung der Bewegungsfreiheit aufgrund der vorgegebenen kurzen Eingreifzeit rechtlich nicht als Rufbereitschaft, sondern als s.g. Bereitschaftsdienst zu qualifizieren sei, der nach der Rechtsprechung der EUGH Arbeitszeit darstelle. Deshalb sei die gesamte Bereitschaftszeit als Tätigkeitszeit i.S.v. § 20 ZTV einzuordnen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 10.10.2001 - 12 Ca 2098/01 -

1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger restlichen Verpflegungsmehraufwand für die Monate Juli 2000 - Februar 2001 in Höhe von 533,28 € (1.043,00 DM) nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz gemäß § 1 DÜG seit 11.05.2001 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger restlichen Verpflegungsmehraufwand für die Monate März - Mai 2001 in Höhe von 160,55 € (314,00 DM) nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz gemäß § 1 DÜG seit 23.08.2001 zu zahlen;

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere Verpflegungspauschale gemäß § 20 ZTV im streitbefangenen Zeitraum. Die Beklagte hat die Verpflegungspauschale für Bereitschaftszeiten zutreffend berechnet.

Ist zur Gewährleistung von Einsatzbereitschaft eine betriebsnahe Unterbringung auswärtiger Arbeitnehmer erforderlich, handelt es sich bei den dort anfallenden Ruhezeiten ungeachtet der rechtlichen Qualifizierung der Leistung als Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst (BAG vom 19.12.1991 - 6 AZR 592/89 -, DB 92, 1992; BAG vom 24.10.2000 - 9 AZR 634/99 -, NZA 2001, 449) nicht um Zeiten "der beruflich bedingten Abwesenheit von der Wohnung" i.S.v. § 20 (2) Satz 1 ZTV, deren Dauer für die Höhe der Verpflegungspauschale bei Einsatzwechseltätigkeit maßgebend ist. Bei betriebsnaher Unterbringung auswärtiger Arbeitnehmer bildet diese vielmehr die "Wohnung" i.S.v. § 20 (2) Satz 1 ZTV, auf die zur Berechnung der Abwesenheitszeiten für die Höhe der Verpflegungspauschale abzustellen ist. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrages.

1.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG vom 20.04.1994 - 10 AZR 276/93 -, AP Nr. 11 zu §§ 22, 23 BAT-Zulagen m.w.N.). Verwendet ein Tarifvertrag Gesetzesbegriffe, so haben diese im Zweifel dieselbe Bedeutung, die sie auch im gesetzlichen Zusammenhang haben, sofern die Tarifvertragsparteien nicht einen abweichenden Inhalt des Begriffs zum Ausdruck bringen (Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rz. 390 f.).

2.

Die in § 20 ZTV geregelte Verpflegungspauschale knüpft an die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 13,16 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG an. § 4 Nr. 5 Satz 1 - 3 EStG hat folgenden Wortlaut:

(5) Die folgenden Betriebsausgaben dürfen den Gewinn nicht mindern:

...

5. Mehraufwendungen für die Verpflegung des Steuerpflichtigen, soweit in den folgenden Sätzen nichts anderes bestimmt ist. Wird der Steuerpflichtige vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten betrieblichen Tätigkeit entfernt betrieblich tätig, ist für jeden Kalendertag, an dem der Steuerpflichtige wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt

a) 24 Stunden abwesend ist, ein Pauschbetrag von 46,00 Deutsche Mark (24,00 €),

b) weniger als 24 Stunden, aber mindestens 14 Stunden abwesend ist, ein Pauschbetrag von 20 Deutsche Mark (12,00 €),

c) weniger als 14 Stunden, aber mindestens 8 Stunden abwesend ist, ein Pauschbetrag von 10 Deutsche Mark (6,00 €)

abzuziehen; eine Tätigkeit, die nach 16.00 Uhr begonnen und vor 8.00 Uhr des nachfolgenden Kalendertages beendet wird, ohne dass eine Übernachtung stattfindet, ist mit der gesamten Abwesenheitsdauer dem Kalendertag der überwiegenden Abwesenheit zuzurechnen. Wird der Steuerpflichtige bei seiner individuellen betrieblichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig, gilt Satz 2 entsprechend; dabei ist allein die Dauer der Abwesenheit von der Wohnung maßgebend.

§ 20 gewährt eine Verpflegungspauschale im Rahmen dieser steuerlichen Freigrenzen. Die Klageforderung ist demgemäß auch nicht auf einen "Bruttobetrag gerichtet. Wortwahl und Aufbau der Norm orientieren sich ersichtlich an der steuerrechtlichen Vorschrift. Eine Auslegung der Tarifnorm ohne Rücksicht auf den steuerrechtlichen Hintergrund erscheint aus diesem Grund sowie auch wegen des sonst erforderlichen lohnbuchhalterischen Aufwandes zur Ermittlung der ggf. anfallenden Lohnsteuer ausgeschlossen.

3.

Die Tätigkeit des Klägers als Mitarbeiter Oberleitung stellt Einsatzwechseltätigkeit i.S.v. § 20 (1) ZTV dar. Der Begriff wurde von der finanzgerichtlichen Rechtsprechung entwickelt (vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 20. Aufl., § 3 Abc, Stichwort: "Einsatzwechseltätigkeit" sowie § 9 Rz. 124) und 1996 in § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 3 EStG legal definiert. Er findet sich außerdem z.B. in Abschnitt 37 Abs. 5 zu § 9 EStG der Lohnsteuerrichtlinien 1999. Danach liegt Einsatzwechseltätigkeit vorbei Arbeitnehmern, die bei ihrer individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig werden. Bei einer räumlichen Ausdehnung des Tätigkeitsbereichs über mehrere politische Gemeinden und einer Arbeitsleistung von mehr als 80 % außerhalb des Betriebes an ständig wechselnden Orten in diesem Umkreis, sind beispielsweise diese Voraussetzungen erfüllt (so BFH vom 15.05.1984 VI R 6/92 BFHE 174, 169; BFH vom 04.08.1994 IV R 92/93 BFH/NV 1995, 24 - 28). Die Tätigkeit eines Mitarbeiters fällt hierunter, wovon auch beide Parteien ausgehen (ebenso für gleichliegende Sachverhalte LAG Sachsen-Anhalt vom 05.07.2001 - 7 Sa 71/01 - rk. und ArbG Leipzig vom 14.09.2000 - 14 Ca 4891/00 -). Auch die von den Tarifvertragsparteien in § 20 angeführten Beispiele (Gleisbauarbeiter, Bau-, Montagearbeiter) entsprechen insoweit dem Tätigkeitsbild eines Mitarbeiters Oberleitung im Netzbezirk.

4.

An der Einordnung als Einsatzwechseltätigkeit ändert sich auch nichts, wenn die Tätigkeit in Form von Bereitschaft (Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst) erbracht wird und auswärtige Arbeitnehmer hierfür in betriebsnahen Unterkünften untergebracht sind. Die Tätigkeit behält in diesem Fall ihren Charakter als Einsatzwechseltätigkeit im tariflichen wie auch im steuerrechtlichen Sinn, da hier nicht die Ruhezeiten in den Unterkünften, sondern allein die Einsatzzeiten die "individuellen betrieblichen Tätigkeiten" i.S.v. § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 3 EStG darstellen. Die Einsatzzeiten werden auch im Bereitschaftsdienst an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten erbracht. Auf diese Steuer- und tarifrechtliche Unterscheidung ist die neuere Rechtsprechung des EuGH, wonach Zeiten des Bereitschaftsdienstes Arbeitszeiten im Sinne der europäischen Arbeitszeitrichtlinie sein können (EuGH vom 03.10.2000 - C - 303/98, NZA 2000, 1227 ff.), ohne Einfluss. Denn es geht hier nicht um den von der Arbeitszeitrichtlinie (RL 89/391 EWG und RL 93/104 EWG) intendierten Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer, sondern um die Erfassung von steuerlich relevantem Mehraufwand.

5.

Die Einordnung des Bereitschaftsdienstes bei betriebsnaher Unterbringung der Arbeitnehmer als Einsatzwechseltätigkeit hat somit zur Folge, dass die Ruhezeiten nicht zu den Zeiten des Einsatzes an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten im tarif- und steuerrechtlichen Sinne zählen; anderenfalls verlöre der Bereitschaftsdienst seinen Charakter als Einsatzwechseltätigkeit. Daraus folgt zugleich, dass für die Höhe der Verpflegungspauschale in diesen Fällen nicht mehr auf die Dauer der Abwesenheit des Arbeitnehmers von seinem Wohnsitz abzustellen ist, sondern die Dauer der Abwesenheit von der betriebsnahen Unterkunft maßgebend ist. Diese bildet hier die "Wohnung" i.S.d. § 20 (2) ZTV bzw. § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 3 HS 2 EStG. Nur eine solche Auslegung wird dem Zweck der steuerlichen Privilegierung des erfassten Mehraufwandes gerecht und steht mit den einkommenssteuerrechtlichen Vorschriften in Einklang.

Der Grund für die abweichende Behandlung von Verpflegungskosten bei regelmäßiger Arbeitsstätte gegenüber Verpflegungskosten bei Einsatzwechseltätigkeit (wie auch - bei regelmäßiger Arbeitsstätte - im Falle einer vorübergehenden Tätigkeit, die mit Abwesenheit von Betrieb und Wohnung verbunden ist) liegt darin, dass hier der Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit hat, an einem festen Punkt für seine Verpflegung vorzusorgen. Ein Arbeitnehmer mit regelmäßiger Arbeitsstätte hat dagegen die Möglichkeit, die Höhe seiner Verpflegungskosten weitgehend selbst zu bestimmen (BFH vom 20.11.1987 VI R 6/86 BFHE 152, 232). Auf die Ruhezeiten während des Bereitschaftsdienstes, die der Arbeitnehmer immer am selben Ort verbringt, treffen die genannten Gründe für die steuerliche Privilegierung einer vorübergehender auswärtigen Tätigkeit oder Einsatzwechseltätigkeit gerade nicht zu. Aus diesem Grund können Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsleistung im Betrieb erbringen, auch dann keinen Verpflegungsmehraufwand steuerlich geltend machen, wenn die Arbeitszeit 8 Stunden erreicht oder überschreitet.

Die Einordnung der betriebsnahen Unterkunft als "Wohnung" i.S.v. § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 3 HS 2 EStG steht auch mit den sonstigen steuerrechtlichen Vorschriften in Einklang. Das Einkommenssteuergesetz verbindet steuerliche Tatbestände in einer Vielzahl von Fällen mit dem Begriff "Wohnung", ohne ihn jedoch zu definieren. In § 9 Abs. 1 Nr. 4 werden beispielsweise Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einkommensmindernd berücksichtigt. Rechtsprechung und Finanzverwaltung verstehen unter dem Begriff der Wohnung das Heim, von dem aus der Arbeitnehmer sich zur Arbeitsstätte begibt. Hierfür genügt jede Art von abgeschlossener Unterkunft; unerheblich ist grundsätzlich, ob es sich um einen Erst- oder Zweitwohnsitz oder um den Lebensmittelpunkt handelt. Insbesondere kann der Steuerpflichtige über eine Vielzahl von Wohnungen verfügen. Auf den Lebensmittelpunkt kommt es nur in besonderen Fallgestaltungen für die Absetzungsfähigkeit von Fahrtkosten und doppelter Haushaltsführung an; für die Frage eines Verpflegungsmehraufwandes ist er ohne Bedeutung.

Aus alledem ergibt sich, dass beim Kläger ein steuerlich privilegierter Mehraufwand durch die betriebsnahe Unterbringung nicht anfällt. Vielmehr bildet die betriebsnahe Unterkunft die für die Ermittlung des Verpflegungsmehraufwandes maßgebliche "Wohnung" im steuerrechtlichen Sinne. Hiervon ausgehend hat die Beklagte die Verpflegungspauschale gemäß § 20 ZTV ordnungsgemäß ermittelt und gezahlt.

6.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

Zurück