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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 08.12.2004
Aktenzeichen: 8 Ta 163/04
Rechtsgebiete: RVG, ArbGG, GKG, BGB


Vorschriften:

RVG § 33
RVG § 33 Abs. 3
ArbGG § 12 Abs. 7 Satz 1 a. F.
GKG § 42 Abs. 4 Satz 1 n. F.
BGB § 615 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenzeichen: 8 Ta 163/04

In dem Beschwerdeverfahren

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Quecke ohne mündliche Verhandlung am 08.12.2004 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Rechtsanwalts Meiß gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 20.10.2004 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 29.10.2004 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Der Verfahrenswert beträgt 254,62 €.

Gründe:

I.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen die arbeitsgerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts gemäß § 33 RVG für eine so genannte Freistellungsvereinbarung in einem gerichtlichen Vergleich.

Der im Gütetermin am 27.09.2004 geschlossene Vergleich erledigte einen Kündigungsrechtsstreit über eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 09.08.2004 in der Weise, dass das Arbeitsverhältnis fristgerecht am 31.10.2004 enden werde und die Beklage den Kläger - neben Zahlung einer Abfindung - bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Fortzahlung der Vergütung und unter Anrechnung von Urlaubs- und sonstigen Freistellungsansprüchen von der Arbeitsleistung freistellte.

Das Arbeitsgericht hat bei dem Vergleichswert für die Erledigung des Kündigungsschutzprozesses gemäß § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG a. F. = § 42 Abs. 4 Satz 1 n. F. GKG 1/4 Jahresgehalt (3 x 2.400,00 € = 7.200,00 €) berücksichtigt und für die Freistellungsabrede zusätzlich 1.360,00 € angesetzt, nämlich 50 % der Vergütung für den Zeitraum vom Vergleichsabschluss (27.09.2004) bis zum Ablauf der Kündigungsfrist (31.10.2004).

Demgegenüber meint der Beschwerdeführer, dass die Freistellungsabrede des Vergleichs vom 27.09.2004 auch die zurückliegende Zeit seit Zugang der Kündigung (17.08.2004) und damit insgesamt mindestens zwei Monate betreffe und außerdem mit der vollen Vergütung (also 4.800,00 €) zu bewerten sei, zumal die Abrede auch ohne ausdrückliche Regelung eine Anrechnung von etwa erzieltem Zwischenverdienst nach § 615 Satz 2 BGB ausschließe.

II.

Die statthafte sowie frist- und formgerecht gemäß § 33 Abs. 3 RVG eingelegte Beschwerde ist bei einem Beschwerdewert in Höhe von 254,62 € zulässig.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Freistellung im gerichtlichen Vergleich vom 27.09.2004 hat keinen höheren als den vom Arbeitsgericht festgesetzten Gegenstandswert (1.360,00 €). Wegen des Verbots der Verschlechterung durch die Beschwerde war diese mit der Folge zurückzuweisen, dass es bei dem festgesetzten Wert verbleibt.

1.

Die vereinbarte Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung führt nicht zu einem Vergleichsmehrwert. Der Wert des Vergleichs verbleibt bei dem Wert des durch den Vergleich erledigten Kündigungsschutzrechtsstreits.

Nach allgemeiner Meinung richtet sich der Wert des Vergleichsgegenstandes allein danach, worüber sich die Parteien verglichen haben, und nicht danach, worauf sie sich schließlich geeinigt haben. Das gilt auch, wenn der Wert des Gegenstands, über den gestritten wird, wie hier aufgrund gesetzlicher Regelung der Höhe nach begrenzt ist (§ 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG a. F.= § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG n. F.). Vergleichsgegenstand ist damit nie die vereinbarte Leistung (vgl. Stein/Jonas/Roth § 3 ZPO Rz. 62 m. w. N.). Werden hingegen in dem Vergleich weitere über den Streitgegenstand hinausgehende Regelungen getroffen, so ist der Vergleichswert auf den Gesamtbetrag der Ansprüche festzusetzen, die in dem Vergleich erledigt worden sind (BGH NJW 1964, 1123; Stein/Jonas/Roth a. a. O. m. w. N.). Entscheidend ist somit, ob die im Vergleich getroffenen Regelungen weitere zwischen den Parteien streitige Ansprüche betreffen oder lediglich Kompensationen im Rahmen der vergleichsweisen Regelung über den streitigen rechtshängigen Anspruch darstellen. Für den letzteren Fall regelt dies ausdrücklich und insoweit nur klarstellend der jeweilige zweite Halbsatz von § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG a. F. = § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG n. F., wonach eine Abfindung dem Wert der Bestandsstreitigkeit nicht hinzuzurechnen ist. Was für den Abfindungsbetrag (in beliebiger Höhe!) gilt, gilt somit nach allgemeinen Regeln auch für die Freistellungsabrede als kompensatorische Leistung im Rahmen der Erledigung der Bestandsstreitigkeit. Für die Annahme einer kompensatorischen Leistung in diesem Sinne kommt es auch nicht darauf an, dass die Freistellung - wie hier - für die Zeit nach dem streitigen Beendigungsdatum (09.08.2004) vereinbart wurde (so aber LAG Düsseldorf vom 07.08.1998 - 7 Ta 174/98). Die zeitliche Lage der vereinbarten Freistellung ist für die Unterscheidung zwischen einem Kompensationsgeschäft und einer Regelung über einen unabhängigen Streitpunkt nicht ausschlaggebend.

Die von den Parteien vereinbarte Freistellung unter Fortzahlung der Bezüge stellt bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung hier wie auch in der Regel lediglich eine kompensatorische Gegenleistung des Arbeitgebers im Rahmen der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Es handelt sich um eine Abwicklungsmodalität im unmittelbaren Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dem Arbeitnehmer stand ein Anspruch auf die Freistellung nicht zu, hierüber bestand auch kein Streit. Die wechselseitigen Pflichten der Vertragsparteien bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses standen auch ohne eine Regelung fest und wurden lediglich umgestaltet. Ohne den Zusammenhang mit der Beendigungsregelung wäre eine Freistellungsabrede daher - ebenso wie die Abfindungsabrede - regelmäßig nicht denkbar und aus der hier maßgeblichen Sicht des Arbeitnehmers auch nicht durchsetzbar. Die Freistellungsabrede erledigte daher nicht einen von der Bestandsstreitigkeit unabhängigen Streit der Parteien. Das gilt auch dann, wenn sie dahin auszulegen wäre, dass der Arbeitgeber auf die Anrechnung eines Zwischenverdienstes gemäß 615 Satz 2 BGB verzichtet (im Ergebnis ebenso LAG Köln vom 29.01.2002 - 7 Ta 285/01).

2.

Selbst wenn man aber die Frage übergeht, ob die Freistellungsabrede eine über die erledigte Bestandstreitigkeit hinausgehende Streitfrage erledigt hat, erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Denn der wirtschaftliche Wert der Freistellungsabrede ist jedenfalls nicht höher anzusetzen, als in dem angegriffenen Beschluss des Arbeitsgerichts geschehen.

a)

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers traf die vereinbarte Freistellung lediglich Regelungen für die Zeit vom Vergleichsschluss (27.09.2004) bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (31.10.2004). Eine irgendwie geartete Rückwirkung lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen und wäre auch im Hinblick auf die mit der Freistellung miterledigten Urlaubs- und sonstigen Freistellungsansprüche rechtlich problematisch.

b)

Der Wert der vereinbarten Freistellung unter Fortzahlung der Bezüge ist in keinem Fall höher als mit 50 % der auf die Zeit der Freistellung entfallenden Vergütung anzusetzen. Der Arbeitnehmer erlangt durch die Abrede bezahlte Freizeit. Diese hat einen wirtschaftlichen Wert, der sich in einem prozentualen Vergütungsanteil ausdrücken lässt. Regelmäßig kann der wirtschaftliche Wert der erlangten Freizeit jedoch nur einen Bruchteil der auf diese Zeit entfallenden Vergütung darstellen. In der Rechtssprechung der Landesarbeitsgerichte werden Beträge zwischen 10 und 25 % angenommen (vgl. HWK/Kalb, Arbeitsrechtkommentar, § 12 ArbGG Rz. 26 Stichwort Vergleich m. w. N.; LAG Düsseldorf vom 07.08.1998, 7 Ta 174/98).

Hiervon ist jedoch abzusetzen, was der Arbeitnehmer seinerseits in die Freistellungsabrede einbringt, nämlich die Verrechnung mit Urlaubs- und Freistellungsansprüchen. Dem Akteninhalt wie auch dem Beschwerdevorbringen lassen sich die Höhe und Dauer solcher Urlaubs- und Freistellungsansprüche, die den Wert des Freistellungsanspruchs des Klägers mindern, nicht entnehmen.

Der Beschwerdeführer verweist darauf, dass die Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung den Verzicht des Arbeitgebers auf Anrechnung eines Zwischenverdienstes gemäß § 615 Satz 2 BGB beinhalte und daher wirtschaftlich in Höhe der vollen Vergütung bewertet werden müsse. Das trifft aus mehreren Gründen nicht zu. Zum einen haben die Parteien eine solche Regelung nicht getroffen. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Abrede einer Freistellung von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Bezüge zugleich den Verzicht auf die Anrechnung eines Zwischenverdienstes gemäß § 615 Satz 2 BGB beinhaltet (vgl. im Einzelnen zum Meinungsstand HWK/Krause Arbeitsrecht Kommentar, § 615 BGB Rz. 86 m. w. N.; HWK/Thüsing, Arbeitsrecht Kommentar § 611 BGB Rz. 180 m. w. N.). Einigkeit besteht indessen darüber, dass sich ein Verzicht auf die Anrechnung von Zwischenverdienst nach § 615 Satz 2 BGB allenfalls im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aus einer solchen Abrede gewinnen ließe, sofern der Verzicht nicht ausdrücklich vereinbart wurde. Angesichts des gespaltenen Meinungsbildes und der Herleitung eines etwaigen Verzichtes im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung kann nicht die Rede davon sein, dass die Parteien insoweit eine Streit beilegende Regelung getroffen hätten.

Unabhängig hiervon könnte auch ein ausdrücklicher Verzicht auf die Anrechnung von Zwischenverdienst nicht ohne weiteres mit einer vollen Vergütung für die Dauer der Freistellung bewertet werden (so aber LAG Sachsen-Anhalt vom 22.11.2000 - 1 Ta 133/00). Vielmehr wäre bei der Bemessung des wirtschaftlichen Wertes des Regelungsgegenstandes zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer durch den Verzicht lediglich die Chance auf Erzielung eines anrechnungsfreien Zusatzverdienstes erhielte. Anhaltspunkte dafür, wie hoch die Chance wirtschaftlich im konkreten Falle zu bewerten war, lassen sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.

3.

Nach alledem war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 91 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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