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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 04.12.2001
Aktenzeichen: 1 Sa 392 b/01
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 626
GG Art. 1
GG Art. 2
GG Art. 14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 1 Sa 392 b/01

Verkündet am 04.12.2001

In dem Rechtsstreit pp.

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 04.12.2001 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtliche Richterin ... sowie den ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 12.04.2001 - 2 Ca 2286d/00 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen fristlosen Kündigung sowie über Vergütungsansprüche.

Die Klägerin ist am ...1947 geboren. Bei der Beklagten wurde sie gem. Arbeitsvertrag vom 27.04.1994 (Bl. 32 d. A.) mit Wirkung vom 01.11.1994 als Kassiererin eingestellt. Die Bruttovergütung der Klägerin betrug zuletzt 3.835 DM.

Nachdem in den Jahren seit 1997 bei der Beklagten Inventurdifferenzen mit steigender Tendenz aufgetreten waren, insbesondere für die Warengruppe Mehrweggetränke, installierte die Beklagte in ihrem Getränkemarkt in U. im März 2000 eine Videokamera direkt über der Kasse und der Kassierkraft. Dabei handelte es sich um eine verdeckte Kamera. Eine weitere verdeckte Kamera installierte sie im September 2000 über dem Gang des Getränkemarktes in Richtung der Leergutabgabe der Kunden. Die Auswertungen der Videoaufzeichnungen für den 01., 03., 06., 09. und 13.11.2000 lagen der Beklagten am 20.11.2000 vor. An diesen Tagen hatte die Klägerin dort als Kassiererin gearbeitet und war von der Videokamera gefilmt worden. Am 21.11.2000 wurde die Klägerin von etwa 9.00 bis 15.30 Uhr zur über die auf den Videos aufgezeichneten Vorgänge angehört. Anwesend waren der Personalleiter N., die Mitarbeiterin Sch. aus der Revisionsabteilung, der Mitarbeiter K. aus der Controlling-Abteilung, der Betriebsratsvorsitzende S. und das Betriebsratsmitglied R.. Auf Bitte der Klägerin wurde auch ihr Ehemann, der ebenfalls bei der Beklagten beschäftigt ist, hinzugezogen. Die Beklagte unterrichtete anschließend mit Schreiben vom 21.11.2000 (Bl. 37 d. A.) den Betriebsrat von der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgerechten, Kündigung mit der Begründung "Verdachtskündigung wegen Unterschlagung bzw. Veruntreuung von Firmengeldern an der Getränkemarktkasse". Der Betriebsrat stimmte am 22.11.2000 zu (Bl. 38 d. A.). Mit Schreiben vom 23.11.2000 (Bl. 3 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, vorsorglich fristgerecht. Sie rechnete das Arbeitsverhältnis bis zum 23.11.2000 ab und brachte die bereits gezahlte Sonderzuwendung in Abzug.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Kündigung sei unwirksam. Sie habe nicht Geld unterschlagen oder veruntreut. Gelegentlich sei es vorgekommen, dass Kunden ihr Leergut in einiger Entfernung von dem Kassenhäuschen, außerhalb des von der Videokamera erfassten Bereichs, abgestellt hätten, um andere Besorgungen vorzunehmen. Da sie gewusst habe, dass diese Kunden später das Kassenhäuschen passieren würden, habe sie die Zeit genutzt, um nach Überprüfung des Leerguts einen entsprechenden Getränkebon zu erstellen, diesen einzuscannen und anschließend den entsprechenden Betrag aus der Kasse zu entnehmen. Wenn dann der Kunde immer noch nicht am Kassenhäuschen erschienen sei und andere Arbeit nicht zu verrichten gewesen sei, habe sie häufiger das Kassenhäuschen verlassen, ohne das Geld mitzunehmen. Nach dem Verlassen des Kassenhäuschens habe sie meistens den sehr eng geschnittenen Kittel geöffnet und oft den verrutschten Pullover heruntergezogen. Wenn die Kunden vergessen hätten, den bereits zurechtgelegten Geldbetrag mitzunehmen, habe sie das Kassenhäuschen verlassen, um den Kunden das Geld zu bringen. Sie habe aber nicht Geld in ihre Tasche gesteckt.

Die Videoaufzeichnungen dürften nicht verwendet werden, da durch die Aufnahmen rechtswidrig in ihr Persönlichkeitsrecht eingegriffen worden sei. Sie habe nicht gewusst, dass Kameras installiert worden seien. Die Beklagte hätte die Installation bekannt geben müssen.

Sie bestreite mit Nichtwissen, dass der Betriebsrat vor der Installation zugestimmt habe. Sie bestreite mit Nichtwissen die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats sowie auffällige Inventurdifferenzen im Getränkemarkt U..

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung vom 23.11.2000 der Beklagten noch durch deren fristgemäße Kündigung zum nächst zulässigen Termin aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 6.162 brutto abzüglich DM 302,77 brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 3.835 brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen,

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 3.835 brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen,

5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 3.835 brutto abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von DM 360,71 nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen,

6. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 3.835 brutto abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von DM 1.566,43 netto nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin an den Tagen 01., 03., 06., 09. und 13.11.2000 Gelder unterschlagen habe. Nach der Installation der Videokamera im März habe sie verwertbare Bilder nicht gewinnen können, da die Klägerin jeweils den Sichtbereich der ersten Kamera verlassen habe. Nachdem im September 2000 die zweite Kamera installiert worden sei, habe sie festgestellt, dass die Klägerin sich im Kassenhäuschen stehend vor ihrer Kasse befunden habe. Es habe sich kein Kunde am Kassenhäuschen oder im Gang aufgehalten. Die Klägerin habe einen Getränkebon fiktiv erzeugt, d. h. eine fiktive Summe in die Kasse eingegeben, obwohl Leergut nicht abgegeben worden sei. Der angeforderte Getränkebon sei ausgedruckt worden. Sodann habe die Klägerin den Bon an derselben Kasse eingescannt und den Betrag der Kasse entnommen. Mit diesem Geldbetrag habe sie sodann das Kassenhäuschen verlassen. Das könne durch die direkt über dem Kassenhäuschen installierte Kamera 1 verfolgt werden. Sodann sei die Klägerin mit dem Geld in der Hand auf den Gang des Getränkemarktes gegangen, vorbei an der Leergutabgabe, habe den Kittel geöffnet, den Geldbetrag in ihre Hosentasche getan und sodann den Pullover und den Kittel wieder zurecht gezogen. Auf keiner der aufgenommenen Szenen sei die Klägerin irgendeinem Kunden gefolgt oder habe den Geldbetrag irgendeinem Kunden übergeben. Das könne durch die zweite installierte Kamera verfolgt werden. Dementsprechend habe die Klägerin am 03.11.2000 um 16.41 Uhr einen Getränkebon über 40 DM erzeugt und den Betrag vereinnahmt. Entsprechend sei sie am 06.11.2000 um 16.23 Uhr mit einem Betrag von 12 DM und um 16.33 Uhr mit einem von 48 DM und am 09.11.2000 mit einem 52,80 DM verfahren.

Die Videoaufnahmen seien verwertbar. Eine andere gleich geeignete Möglichkeit, ihren gegen die Klägerin konkretisierten Verdacht bestätigt zu finden, habe die Beklagte nicht gehabt. Eine effektive Überwachung durch Kollegen oder Vorgesetzte sei nicht denkbar. Eine sichtbare Kamera erscheine nicht gleich geeignet im Hinblick auf den Zweck, Beweise für den Verdacht zu gewinnen. Eine sichtbare Kamera biete sich nur dort an, wo es um Abschreckung und nicht um Aufklärung gehe.

Vergütungsansprüche könne die Klägerin nicht mehr verlangen. Auch eine Sonderzuwendung stehe ihr nicht zu.

Das Arbeitsgericht hat nach Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen die Klage abgewiesen und ausgeführt, aus den Videoaufzeichnungen ergebe sich zwingend, dass zumindest der dringende Verdacht bestehe, dass die Klägerin bei mehreren Gelegenheiten Geldbeträge der Beklagten in nicht unerheblicher Höhe zwischen ca. 10 und 50 DM unterschlagen habe. Das Gericht hat sich mit den Videoaufzeichnungen der Tage am 03., 06. und 09.11.2000 auseinander gesetzt. Weiter hat es ausgeführt, die Klägerin habe zu den konkreten Situationen, die auf den Videos wiedergegeben seien, nicht nachvollziehbare Angaben machen können. Daher sei der Verdacht, die Klägerin habe Geld entnommen und eingesteckt, berechtigt. Eine Verwertung der Videoaufzeichnungen sei zulässig, da die Abwägung der beiderseitigen Interessen hier dazu führe, dass dem Schutzinteresse der Beklagten Vorrang einzuräumen gewesen sei. Immerhin habe die Klägerin selbst in der Verhandlung vom 12.04.2001 eingeräumt, dass höhere Inventurdifferenzen im Getränkemarkt U. in der Vergangenheit Gesprächsthema gewesen seien. Durch die verdeckte Observation während der Arbeitszeit sei nicht unverhältnismäßig in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin eingegriffen worden. Die Klägerin sei in einem gewissermaßen öffentlichen Raum tätig. Sie könne nicht damit rechnen, unbeobachtet zu sein und eine wie auch immer geartete Privatsphäre ausleben zu können. Es könne dahinstehen, ob der Betriebsrat vor Installation der Videokamera zugestimmt habe. Er habe diese Maßnahme durch Teilnahme an der Anhörung vom 21.11.2000 und durch seine ausdrückliche Zustimmung zur Kündigung zumindest genehmigt. Auch sei der Betriebsrat durch die Vorführung der Videoaufzeichnungen, die Anhörung vom 21.11.2000, die Übergabe des Auswertungsbogens der Videoaufzeichnungen und den Anhörungsbogen hinreichend gem. § 102 BetrVG unterrichtet. Eine Vergütung für die Zeit nach dem 23.11.2000 stehe der Klägerin nicht zu, desgleichen nicht eine Sonderzuwendung.

Gegen dieses Urteil, das der Klägerin am 18.06.2001 zugestellt worden ist, hat sie am 10.07.2001 mit Fax und am 11.07.2001 im Original Berufung zugleich mit Begründung eingelegt.

Die Klägerin wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt weiter vor, die Videoaufzeichnungen hätten nicht verwertet werden dürfen, da die Vorführung und Verwertung der Aufzeichnungen in unzulässiger Weise das Persönlichkeitsrecht der Klägerin beeinträchtigten. Ihre Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 12.04.2001, dass die Inventurdifferenzen jetzt sogar noch höher ausgefallen seien solle, sei eine Ergänzung ihrer Ausführungen vom 11.04.2001. Danach sei festzuhalten, dass die Inventurdifferenzen jedenfalls nicht auf die Klägerin zurückzuführen seien, da sie seit November 2000 nicht mehr bei der Beklagten gearbeitet habe. Das Videomaterial ergebe zudem nicht den dringenden Verdacht, dass die Klägerin "bei mehreren Gelegenheiten Geldbeträge der Beklagten in nicht unerheblicher Höhe unterschlagen hat". Diese Behauptung weise sie mit Entschiedenheit zurück. Die Interpretationen des Arbeitsgerichts ließen sich nicht durch die Videos belegen, was umso mehr gelte, als die beiden Kameras unstreitig zeitlich nicht synchron gelaufen seien.

Zudem habe das Gericht verkannt, dass ihr die Vergütung bis mindestens 23.11.2001 zustehe. Es sei nicht vertretbar, ihr das Urlaubsentgelt und das Urlaubsgeld in Abzug zu bringen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn - 2 Ca 2286 d/00 - abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung vom 23.11.2000 der Beklagten noch durch deren fristgemäße Kündigung zum nächst zulässigen Termin aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 6.162 brutto abzüglich DM 302,77 brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 3.835 brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen,

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 3.835 brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen,

5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 3.835 brutto abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von DM 360,71 nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen,

6. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 3.835 brutto abzüglich bereits erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von DM 1.566,43 netto nebst 4 % Zinsen seit Klagzustellung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt weiter vor, die Klägerin übersehe, dass das Persönlichkeitsrecht der Klägerin abzuwägen sei gegen das grundgesetzlich geschützte Eigentumsrecht der Beklagten. Sie, die Beklagte, habe seit 1997 im Getränkemarkt U. erhebliche Inventurdifferenzen feststellen müssen. In kurzen Abständen durchgeführte Zwischeninventuren hätten wöchentliche Verluste der Leergutkasse in dreistelliger, Ende 1999 in vierstelliger Höhe aufgewiesen. Das Inventurergebnis für das Geschäftsjahr 2000 betrug allein für den Leergutbereich in der Warengruppe Mehrweggetränke minus 75.381,85 DM. Wegen der ständig zunehmenden Differenzen habe sie bereits Anfang des Jahres im Bereich der Innenrevision systematisch und parallel nach Fehlern im Vereinnahmungssystem gesucht. Auch das firmeneigene geschlossene Warenwirtschaftssystem sei daraufhin überprüft worden, ob eventuell ein simpler Datenbankfehler für die entstandenen Unstimmigkeiten verantwortlich sein könnte. Die Abteilung Controlling/Organisation habe zusätzlich verschiedene Arbeitsabläufe im Getränkebereich auf mögliche Fehlerquellen überprüft. Nachdem in allen diesen Bereichen eine Fehlerquelle habe ausgeschlossen werden können, sei als einzige Ursache ein Mitarbeiterfehlverhalten verblieben. Daher habe sie in Abstimmung mit dem Betriebsrat die Videokamera im März 2000 und sodann eine zweite im September 2000 installiert. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergebe das Videomaterial einen dringenden Tatverdacht. Das Hinterhertragen von Geld sei eine sehr lebensfremde Schutzbehauptung. Dass beide Kameras zeitlich nicht völlig synchron gelaufen seien, sei für die Interpretation der Bilder unschädlich. Die Uhr der über dem Gang installierten Kamera 2 gehe nur geringfügig nach. Es handele sich bei den Videorekordern um zwei unterschiedliche Bautypen, die nicht über eine Funkuhr verfügten. Ihre Taktgeneratoren für die Uhren könnten nicht genau aufeinander abgestimmt werden. Die Geräte liefen mit dreifacher Geschwindigkeit und seien von der Konstruktion her nicht darauf ausgelegt, eine auf die 1/1000 Sekunde genaue Uhrzeit anzuzeigen. Indes grenzten die Sichtbereiche der Kameras fast nahtlos aneinander. Der fließende Übergang einer Person vom Kassenhäuschen (Sichtbereich der Kamera 1) in den Gang und damit in den Sichtbereich der Kamera 2 lasse sich folglich auch schon anhand der Bilder und Bewegungsabläufe nachweisen. Soweit die Klägerin meine, dass sich aus Seite 11 des Urteils ergebe, dass jetzt die Inventurdifferenz noch höher ausgefallen sei, beziehe sie das Wort "jetzt" fälschlicherweise auf das Jahr 2001. Mit den noch höher ausgefallenen Differenzen seien die erst einige Zeit nach der Kündigung der Klägerin ermittelten Zahlen für das Jahr 2000 gemeint. Für die Klägerin, die bis zum 23.11.2000 beschäftigt worden sei, habe das nicht eine entlastende, sondern eine deutliche belastende Wirkung.

Soweit die Klägerin sich gegen die Verrechnung des Novembergehaltes wende, sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin im Juni 2000 ein zusätzliche Urlaubsgeld in Höhe von 1.724,50 DM erhalten habe, was nach § 4 Ziff. 1 der Vereinbarung über die tarifliche Sonderzahlung für Beschäftigte im Einzelhandel von Schleswig-Holstein an das Bestehen des Urlaubsanspruchs gekoppelt sei. Der Urlaub sei nach § 10 Ziff. 4 des Manteltarifvertrages im Austrittsjahr mit 1/12 für jeden vollen Beschäftigungsmonat zu bemessen. Angesichts der fristlosen Kündigung vom 23.11.2000 fehlten der Klägerin zwei volle Beschäftigungsmonate, so dass vom Urlaubsgeld 2/12, entsprechend 287,40 DM, zurückzuzahlen seien. Zudem habe die Klägerin im Jahr 2000 bereits ihren vollen Jahresurlaub in Höhe von 36 Tagen genommen und dafür ihr Entgelt erhalten. Das Entgelt für zuviel genommenen Urlaub könne im Austrittsjahr zurückverlangt werden.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat nicht Erfolg.

1.

Die Klägerin kann nicht Feststellung verlangen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung vom 23.11.2000 aufgelöst worden ist.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, war die Beklagte wegen des dringenden Verdachts der Unterschlagung berechtigt, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu beenden, § 626 BGB.

Soweit die Klägerin in der Berufungsschrift pauschal bestreitet, die Videoaufnahmen könnten diesen Verdacht nicht begründen, kann dies nicht dazu führen, dass eine erneute Beweisaufnahme hierüber erfolgt. Angesichts der ausführlichen Darstellung durch das Arbeitsgericht war von der Klägerin vielmehr zu verlangen, dass sie sich mit den Feststellungen auseinander setzte, insbesondere erklärte, was nach ihrer Auffassung jeweils zu sehen sein sollte. Insoweit kann die Klägerin auch nicht damit gehört werden, sie habe in der Berufungsbegründung einen rechtlichen Hinweis erbeten. Dass ihr Vorbringen pauschal ist, musste ihr, anwaltlich vertreten, deutlich sein. Es kann nicht die Aufgabe des Gerichts sein, eine Partei über die von ihr vorzubringende Begründung zu belehren. Nur die Klägerin kann wissen, welche Einwendungen zu den tatsächlichen Feststellungen des Arbeitsgerichts sie vortragen will. Sie ist diejenige, die auf den Videobändern abgebildet ist. Nur sie kann wissen, welcher Geschehensablauf stattgefunden hat. Das zu schildern, muss ihr schon deshalb möglich sein, weil sie mit den Videoaufnahmen von der Beklagten zeitnah konfrontiert worden war.

Ohne Bedeutung ist auch, dass die beiden Videokameras zeitlich nicht völlig synchron liefen. Das Arbeitsgericht hat zu den fraglichen Tagen die Videobänder beider Kameras in Augenschein genommen und die Zeitdifferenz bei der Auswertung auch berücksichtigt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin können die Videoaufzeichnungen auch verwertet werden. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Begründung des Arbeitsgerichts verwiesen.

Ergänzend wird hierzu ausgeführt, dass die Beklagte hier einen konkreten Anlass hatte, eine gezielte Überwachung vorzunehmen. Es wurden rechtlich geschützte Güter der Beklagten schwerwiegend beeinträchtigt. Angesichts der erheblichen Kassendifferenzen bestand der dringende Verdacht der Unterschlagung. In solchen Fällen wird der gezielte Einsatz einer Videoüberwachung für rechtmäßig angesehen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass dem Arbeitgeber im Falle einer nachfolgenden Kündigung die Darlegungs- und Beweislast obliegt. Demgegenüber steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin. Dabei geht es um die Gewährleistung und Absicherung der Persönlichkeitssphäre des Arbeitnehmers gegenüber jedem Dritten als auch gegenüber Eingriffen des Arbeitgebers oder der Kollegen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, umfasst nicht nur die aktive Handlungs- und Entschließungsfreiheit, sondern unter Anderem auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Durch die vorgenommene Videoüberwachung wird im vorliegenden Fall nur die Individualsphäre berührt. Die Privatsphäre ist hier nicht betroffen. Bei der Privatsphäre handelt es sich um den Teil der Persönlichkeit, der das private Leben im häuslichen oder im Familienkreis und das sonstige Privatleben umfasst (Palandt/Thomas, Rdnr. 178 zu § 823 BGB). Diese Privatsphäre ist hier nicht tangiert. Betroffen ist lediglich die Individualsphäre, für die regelmäßig des schwächste Schutzbedürfnis angenommen wird. Dabei ist zu erwägen, dass der Arbeitnehmer mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages und der Aufnahme der Tätigkeit sein - konkludentes - Einverständnis mit seiner Eingliederung in die Betriebsabläufe erklärt hat und eine solche Eingliederung auch systemnotwendig erfolgen muss. Die damit verbundenen organisatorischen Weisungen und Maßnahmen des Arbeitgebers stellen bereits eine Einschränkung der Freiheitssphäre des Arbeitnehmers dar. Der Arbeitgeber muss in der Lage sein, die ordnungsgemäße Erfüllung der dem Arbeitnehmer übertragenen Aufgaben zu kontrollieren, den Mitarbeiter am Arbeitsplatz aufzusuchen, ihn zum Stand der übertragenen Aufgaben zu befragen und entsprechende Weisungen zu erteilen.

Dem Recht des Mitarbeiters auf Schutz seiner Individualsphäre steht das Recht des Arbeitgebers - hier der Beklagten - aus Schutz ihres Eigentums, das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt ist, gegenüber. Zwar steht diese Eigentumsgarantie im Hinblick auf die davon berührten Arbeitsverhältnisse in einem gesteigerten sozialen Bezug. Das schließt jedoch nicht eine Anwendbarkeit der Eigentumsgarantie aus, sondern führt nur zu einer Beschränkung der Gestaltungs- und Regelungsfreiheit zum Schutz des Grundrechtes.

Eine Abwägung der wechselseitigen Interessen ergibt, dass die Beklagte im vorliegenden Fall berechtigt war, mit verdeckten Kameras Observation zu betreiben. Eine Abhilfe auf andere Art und Weise war nicht möglich, auch nicht durch den Einsatz offen angebrachter Videokameras. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind offen angebrachte Videokameras nicht geeignet, derartige Unregelmäßigkeiten aufzudecken. Eine offengelegte Videoüberwachung kann lediglich künftige Unregelmäßigkeiten erschweren. Weiterhin gab es einen konkreten Anlass für den Überwachungseinsatz. Dieser lag darin, dass die Leergutkasse erhebliche Fehlbeträge aufwies. Dass Fehlbeträge vorlagen hat die Klägerin nach den Ausführungen des Arbeitsgerichts in der Verhandlung vom 12.4.2001 selbst eingeräumt. Weiter erfolgte die Überwachung nicht wahllos, sondern aufgrund eines Tatverdachtes gegen einen bestimmten Arbeitnehmerkreis. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Aufnahmen lediglich tatbezogen im Rahmen dieses Rechtsstreites und in dem Ermittlungsverfahren verwertet. Eine darüber hinausgehende Verwertung ist nicht zu befürchten.

Der Verwertung steht auch nicht entgegen, dass nach Meinung der Klägerin der Betriebsrat der Videoüberwachung nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zugestimmt hat. Der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegt nur die Überwachung, nicht die Verwertung. Nach dem Eingangssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht nicht, soweit zwingende gesetzliche Vorschriften oder unabdingbare Tarifnormen entgegenstehen. Die Beweisverwertungsverbote resultieren aus einer grundrechtskonformen Anwendung der Verfahrensvorschriften der ZPO. Sie können daher nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegen.

Da die Beklagte berechtigterweise den dringenden Verdacht gegen die Klägerin hegt, dass diese in mehreren Fällen Unterschlagungen begangen hat, ergibt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen, hier einerseits dem Interesse der Klägerin am Erhalt des Arbeitsplatzes und ihrer sozialen Rechte, andererseits dem Interesse der Beklagten an einer Beendigung des durch das fortgefallene Vertrauen in die Redlichkeit der Klägerin belastete Arbeitsverhältnis, dass die Interessen der Beklagten hier überwogen.

Eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG ist angesichts des Vortrags in der Berufungsinstanz nicht ersichtlich. Die Klägerin hat sich auch insoweit nicht mit den Ausführungen des Arbeitsgerichts auseinander gesetzt.

2.

Da das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 23.11.2000 geendet hatte, hat die Klägerin nicht Anspruch auf Auszahlung der Vergütung für den Zeitraum danach (Anträge zu 3. - 6.).

3.

Die Klägerin hat aber auch nicht Anspruch auf Auszahlung von 6.162 DM brutto abzüglich 302,77 DM brutto (Antrag zu 2.).

Die Beklagte hat unstreitig die Bruttovergütung der Klägerin bis zum 23.11.2000 abgerechnet, hiervon jedoch das zuviel geleistete Urlaubsgeld und Urlaubsentgelt als Vorschuss in Abzug gebracht. Hinsichtlich des Urlaubs ergibt sich die Berechtigung hierzu aus § 10 Ziff. 6 i. V. m. Ziff. 5 und 7 des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Schleswig-Holstein, hinsichtlich des Urlaubsgeldes aus § 4 Ziff. 2 S. 2 der Vereinbarung über tarifliche Sonderzahlungen für Beschäftigte im Einzelhandel von Schleswig-Holstein.

4.

Soweit die Klägerin meint, ihr stehe außerdem eine tarifliche Sonderzuwendung zu, trifft dies nicht zu. Nach § 8 Ziff. 4 der Vereinbarung über tarifliche Sonderzuwendungen entfällt der Anspruch auf Zahlung der tariflichen Sonderzuwendung, wenn das Beschäftigungsverhältnis aufgrund grob treuwidrigen Verhaltens (z.B. Diebstahl, Unterschlagung, Untreue etc) beendet wird.

Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die sich hier aus der Frage der Zulässigkeit der Verwertbarkeit der Überwachung mit einer verdeckten Videokamera ergibt, zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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