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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 16.07.2002
Aktenzeichen: 2 Sa 175/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 611
BGB § 823
BGB § 1004
Äußert eine Mitarbeiterin eines Baumarktes gegenüber Vorgesetzten und Kollegen: "Ihr könnt mich alle mal", ist eine deswegen ausgesprochene Abmahnung nicht unverhältnismäßig.

Grundsätzlich ist der Arbeitgeber rügebefugt, wenn der Arbeitnehmer seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt. Auf Qualität oder Quantität der Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten kommt es nicht an.

Eine Abmahnung ist nur dann unverhältnismäßig, wenn sie durch ihre Form oder ihren Inhalt das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verletzt. Sie ist aber nicht unverhältnismäßig, wenn sie sich auf den Vertragsverstoß, dessen sachliche Beanstandung und die Ankündigung von arbeitsrechtlichen Sanktionen für den Wiederholungsfall beschränkt.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 175/02

Verkündet am 16.07.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Beratung vom 16.07.2002 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Willikonsky als Vorsitzende und den ehrenamtlichen Richter Rabe und den ehrenamtlichen Richter Brunner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 27.03.2002 - 4 Ca 49 d/02 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, eine mit Datum vom 02.11.2001 erteilte Abmahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen. Der der Abmahnung zugrunde liegende Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstreitig. Jedoch sind die Parteien unterschiedlicher Auffassung darüber, ob durch die Abmahnung das Gebot der Verhältnismäßigkeit verletzt wird.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes erster Instanz sowie des Inhalts der angefochtenen Entscheidung wird auf das klagstattgebende Urteil des Arbeitsgerichts vom 27.03.2002 verwiesen, das der Beklagten am 24.04.2002 zugestellt worden ist und gegen das sie am 30.04.2002 Berufung eingelegt und am 02.05.2002 begründet hat.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt weiter vor, das Arbeitsgericht habe nicht ausgeführt, worin es die Unverhältnismäßigkeit der Abmahnung sehe. Sie, die Beklagte, habe die Abmahnung ausgesprochen, um die Klägerin auf ihre vertraglichen Verpflichtungen hinzuweisen und für die Zukunft vertragsgerechtes Verhalten einzufordern mit dem Hinweis auf andernfalls eintretende Folgen bis hin zur Kündigung. Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Abmahnung komme es auf das Verschulden nicht an. Eine objektive Pflichtverletzung dürfe abgemahnt werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 27.03.2002 - 4 Ca 49 d/02 - abzuändern und die Klage kostenfällig abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt weiter aus, das Arbeitsgericht habe sehr wohl darauf hingewiesen, worin es die Unverhältnismäßigkeit sehe. Dabei habe es nicht nur auf die nachträgliche Entschuldigung der Klägerin abgestellt, sondern auch berücksichtigt, dass die Entschuldigung unverzüglich erfolgt sei, ohne dass sie hierzu vom Arbeitgeber aufgefordert worden sei. Sie habe sich in einer äußerst angespannten Situation zu der Äußerung hinreißen lassen, jedoch nach kürzester Zeit selbst erkannt, dass sie sich falsch verhalten habe und sich für ihr unbeherrschtes Verhalten entschuldigt. Darüber hinaus sei berücksichtigt, dass das Arbeitsverhältnis mehr als sechs Jahre störungsfrei bestanden habe. Zwar sei es nicht hinzunehmen, dass eine Arbeitnehmerin ihre Kollegen in der geschehenen Weise beleidige und herabsetze. Es sei der Beklagten jedoch möglich und zuzumuten gewesen, eine Ermahnung zu erteilen, also das gerügte Verhalten nicht mit einer Kündigungsandrohung für den Wiederholungsfall zu versehen. Hinzukomme, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Übermaßverbot zur Vermeidung von schwerwiegenden Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen zu verstehen sei. Deshalb sei die erteilte Abmahnung im Vergleich zu dem beanstandeten Verhalten unverhältnismäßig.

Beide Parteien haben am 23.05. bzw. 03.06.2002 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

Die Klägerin hat nicht Anspruch auf Rücknahme der Abmahnung und Entfernung aus der Personalakte. Die Abmahnung verletzt nämlich nicht das Gebot der Verhältnismäßigkeit.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei der Abmahnung um die Ausübung eines allgemeinen vertraglichen Rügerechtes, das jedem Vertragspartner zusteht und es ihm erlaubt, den anderen Teil auf Vertragsverletzungen und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Ziel ist, den anderen - bei dem Abgemahnten kann es sich auch um den Arbeitgeber handeln - auf seine vertraglichen Pflichten hinzuweisen und deutlich zu machen, dass hier eine Verletzung vorliege, bei deren Wiederholung individualrechtliche Konsequenzen, namentlich eine Kündigung, erfolgen könnten.

Der in der Abmahnung geschilderte Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstreitig. Danach hat die Klägerin im Verkaufsraum an der Kasse um 15.41 Uhr am 31.10.2001 ihren Unmut kundgetan, indem sie zu den drei anwesenden Kollegen sagte: "Ihr könnt mich alle mal." Bei den drei Kollegen handelte es sich um eine andere Kassiererin, den Marktleiter und den stellvertretenden Marktleiter. Kunden befanden sich nicht in der Nähe. Inhalt des Vorwurfs ist, dass die Klägerin mit der Äußerung ihre Kollegin und die beiden Vorgesetzten beleidigt hat. Diese Bewertung durch die Beklagte ist zutreffend. Die Äußerung "ihr könnt mich alle mal" stellt sich als eine umgangssprachliche Abwandlung des sogenannten Götz-Zitates dar. Hierbei handelt es sich um die Kundgabe der Missachtung der anderen Person. Das müssen Kollegen und Vorgesetzte der Klägerin nicht hinnehmen. Sie haben gegenüber der Beklagten Anspruch auf Schutz vor derartigem Verhalten. Die Verpflichtung der Beklagten, ihre Mitarbeiter in Schutz zu nehmen, folgt aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Entgegen der Bewertung des Arbeitsgerichtes ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hier aber nicht verletzt. Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitgeber rügebefugt ist, wenn der Arbeitnehmer seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt. Es kommt nicht auf Qualität oder Quantität der Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Abmahnung als Vorstufe einer Sanktion des Arbeitgebers selbst schon um den Ausfluss des ultima-ratio-Prinzips handelt. Eine weitere Abstufung dergestalt, dass die Abmahnung noch einmal dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit mit der Folge unterliegt, dass das Ausmaß des Fehlverhaltens über die Berechtigung der Abmahnung entscheidet, kann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht entnommen werden. Vielmehr ist eine Abmahnung nur dann unverhältnismäßig, wenn sie durch ihre Form oder ihren Inhalt das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verletzt. Sie ist aber nicht unverhältnismäßig, wenn sie sich auf den Vertragsverstoß, dessen sachliche Beanstandung und die Ankündigung von arbeitsrechtlichen Sanktionen für den Wiederholungsfall beschränkt (LAG Schleswig-Holstein Urteil vom 15.02.1993 - 4 Sa 275/92 -).

Diesen Anforderungen genügt die erteilte Abmahnung. Sie beschränkt sich darauf, das beanstandete Fehlverhalten darzustellen, nimmt eine Bewertung durch die Beklagte vor, macht deutlich, dass das Verhalten nicht geduldet wird und enthält eine Androhung weiterer arbeitsrechtlicher Schritte bis hin zur Kündigung für den Wiederholungsfall.

Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Streitsache nicht ersichtlich ist.

Ende der Entscheidung

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