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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 18.01.2005
Aktenzeichen: 2 Sa 413/04
Rechtsgebiete: KSchG, BGB


Vorschriften:

KSchG § 1 KSchG
BGB § 626
Die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, das sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befindet, kann auch wegen eines in dem Beschäftigungsbetrieb vorgefallenen Ladendiebstahls bzw. des Verdachts des Ladendiebstahls erfolgen. Ein Hausverbot wird der Interessenlage im Allgemeinen nicht gerecht werden.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil Im Namen des Volkes

Aktenzeichen: 2 Sa 413/04

Verkündet am 18.01.2005

In dem Rechtsstreit

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 18.01.2005 durch die Vizepräsidentin des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 15.07.2004 - 2 Ca 1129/03 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die während der Freistellungsphase der Altersteilzeit ausgesprochen worden ist.

Der Kläger ist am ...1941 geboren. Eine festgestellte Schwerbehinderung mit einem Grad von 50 % ist inzwischen wieder aufgehoben. Bei der Beklagten wurde der Kläger mit Wirkung vom 01.08.1996 als Schlachtergeselle in F. zu einer Bruttovergütung von 1.080,96 EUR monatlich eingestellt. Die Parteien haben am 30.05.2001 einen Altersteilzeitvertrag im Blockmodell abgeschlossen (Bl. 61 f. d. A.), demzufolge der Kläger in der Zeit vom 01.05.2001 bis 30.04.2003 arbeiten und ab dem 01.05.2003 bis 30.04.2005 freigestellt sein sollte. Während der Freistellungsphase sollte nur noch eine außerordentliche Kündigung möglich sein. Der Kläger war zuletzt Ersatzmitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrates.

Der Kläger befand sich am 28.06.2003 zum Einkaufen in dem Markt, in dem er zuvor beschäftigt gewesen war. Bei dieser Gelegenheit steckte er einen Frischkäse in die Hosentasche und unterließ an der Kasse das Bezahlen des Frischkäses, der einen Verkaufspreis von 1,99 EUR hatte. Der Kläger wurde von dem Ladendetektiv M. angesprochen. In dem Gespräch gab er an, er habe den Frischkäse nicht mit Absicht nicht bezahlt. Strittig ist, ob er auch erklärte, er sei dadurch abgelenkt gewesen, dass ihm im Kassenbereich ein Verkaufswagen an die Beine geschoben worden sei. Das auf die Strafanzeige vom 28.06.2003 eingeleitete Ermittlungsverfahren (111 Js 15717/03 Staatsanwaltschaft ...) ist eingestellt worden. Die Beklagte beantragte zur fristlosen Kündigung am 10.07.2003 die Zustimmung des Integrationsamtes, die erteilt wurde. Den Betriebsrat unterrichtete die Beklagte am 10.07.2003. Der Betriebsrat stimmte am 11.07.2003 zu. Nach Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamtes unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat erneut, worauf hin dieser mitteilte, er nehme die außerordentliche Kündigung zur Kenntnis, eine weitere Stellungnahme erfolge nicht. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 23.07.2003 das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise zum 30.09.2003. Hiergegen hat sich der Kläger am 31.07.2003 durch Klage vor dem Arbeitsgericht gewendet.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 15.07.2004, auf das hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachvortrages sowie der Entscheidungsgründe verwiesen wird, die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger rechtzeitig Berufung eingelegt und diese begründet.

Der Kläger trägt vor, die Kündigung sei schon deshalb nicht berechtigt, weil sie als Tatkündigung wegen eines Diebstahls erfolgt sei. Er habe aber keinen Diebstahl zu Lasten der Beklagten begangen. Die Annahme des Arbeitsgerichts, das Verhalten des Klägers zeige, dass dieser den Willen gehabt habe, den Frischkäse vor der Kassiererin zu verbergen, gehe fehl. Keine der beiden Parteien hat vorgetragen, dass der Kläger den Frischkäse in die hintere Hosentasche gesteckt habe. Unstreitig habe es sich um die rechte Hosentasche gehandelt. Auch treffe es nicht zu, dass die Oberbekleidung des Klägers über die Hosentasche gezogen gewesen sei. Vielmehr habe er ein Hemd getragen, das er in die Hose gesteckt habe. Es sei also gerade nicht über die Hosentasche gezogen gewesen. Hinzu komme, dass sich die Frischkäsepackung in der Hosentasche des Klägers deutlich abgezeichnet habe. Dies lasse nur den Schluss zu, dass der Kläger gerade nicht bemüht gewesen sei, den Käse zu verbergen. Schließlich sei nicht berücksichtigt worden, dass er im Kassenbereich abgelenkt gewesen sei. Ihm habe ein Kind einen Einkaufswagen von hinten in die Beine geschoben, als er sich in der Kassenschlange angestellt hatte. Dieser Vorfall sei im Zeitpunkt des Kassierens nicht längst vorbei gewesen. Weiter dürfe ihm nicht angelastet werden, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei. Aus einer Einstellung gemäß § 153 StPO könne nicht gefolgert werden, dass die Staatsanwaltschaft einen strafbaren Tatbestand für gegeben erachtet habe.

Bei der Interessenabwägung sei unberücksichtigt geblieben, dass er sich am Tag des unterstellten Diebstahls bereits in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befunden habe. Er erbringe keine Arbeitsleistung für die Beklagte mehr. Ihm seien keine Güter der Beklagten anvertraut und er habe nicht mehr Zugang zu den Betriebsräumen der Beklagten, die über das hinausgingen, was jedem Kunden offen stehe. Die vorgeworfene Handlung habe sich auch nicht im Zusammenhang mit seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder etwa unter Ausnutzung besonderer aus dem Arbeitsverhältnis erlangten Kenntnisse ereignet. Auch der geringe Wert des Frischkäses sei in die Abwägung nicht einbezogen worden. Den Interessen der Beklagten hätte durch Verhängung des Hausverbotes hinreichend Rechnung getragen werden können.

Auch bestreite er weiterhin, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 15.07.2004 - 2 Ca 1129/03 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.07.2003 beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt weiter vor, entgegen der Darstellung des Klägers habe dieser einen Diebstahl zum Nachteil der Beklagten begangen. Das ergebe sich aus dem Verhalten des Klägers, dass der Detektiv M. beobachtet habe. Die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts sei nicht zu beanstanden. Eine fristlose Kündigung sei während der Freistellungsphase ausdrücklich vorbehalten geblieben. Ein Hausverbot könne der Sachlage nicht gerecht werden. Es sei nicht nur das fehlende Vertrauen, sondern auch der erhebliche Treuverstoß zu berücksichtigen. Der Kläger habe die Tat in Kenntnis des Marktes begangen. Er habe sich nämlich zu einer Zeit im Markt aufgehalten, als er habe erwarten können, dass ein Detektiv nicht anwesend sein würde. An diesem Tag und zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte zum ersten Mal Detektive eingesetzt. Auch seien generalpräventive Erwägungen zu berücksichtigen. Der Kläger habe als Betriebsratsmitglied in einem besonderen Verhältnis zu den Beschäftigten und zum Betrieb gestanden. Auch insoweit sei sie darauf angewiesen, den Beschäftigten deutlich zu machen, dass Diebstahl im eigenen Betrieb von keinem Mitarbeiter geduldet werde.

Entgegen der Annahme des Klägers sei der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden. Die erste Unterrichtung sei mit Schreiben vom 10.07.2003 erfolgt. Es sei das Formblatt "Kündigungsanhörung" und eine ausführliche Stellungnahme vom 10.07.2003 übermittelt worden. Beigefügt gewesen seien die Meldung "Personaldiebstahl vom 30.06.2003", eine ausführliche handschriftliche Erklärung des Herrn B. und die handschriftliche Zeugenaussage des Hausdetektivs M. im Rahmen der Anzeige wegen Ladendiebstahls. Nach Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamtes am 22.07.2003 habe sie den Betriebsrat auch hiervon unterrichtet und anschließend am 23.07.2003 die Kündigung ausgesprochen. Sie habe dem Betriebsrat alle ihr bekannten Be- und Entlastungsmomente aufgezeigt. Der Schilderung des Hausdetektivs habe der Betriebsrat entnehmen können, dass der Kläger sich dahingehend eingelassen habe, dass er es nicht mit Absicht getan habe.

In der Berufungsverhandlung vom 18.01.2005 ist gemäß Beweisbeschluss vom 23.11.2004 Beweis erhoben worden über die Behauptung des Klägers, er habe gegenüber dem Ladendetektiv angegeben, er sei dadurch abgelenkt gewesen, dass ihm ein Einkaufswagen an die Beine geschoben worden sei, durch Vernehmung des Zeugen M.. Hinsichtlich der Einzelheiten der Bekundungen dieses Zeugen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 18.01.2005 verwiesen. Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat nicht Erfolg. Der Kläger hat nicht Anspruch auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.07.2003 beendet worden.

Die Beklagte war berechtigt, das Arbeitsverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grund, § 626 BGB, zu kündigen. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.

Soweit zweitinstanzlich deutlich geworden ist, dass der Kläger den Frischkäse nicht in die hintere, sondern in die rechte vordere Hosentasche gesteckt hat, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhaltes. Es ist nämlich für die Beurteilung der Wegnahme von Waren in einem Laden ohne Bedeutung, ob diese Ware in eine vordere oder eine hintere Hosentasche gesteckt wird. In jedem Fall ist die Ware dem unmittelbaren Blick des Kassierpersonals verborgen. Die Kassierkräfte können nicht erkennen, ob es sich bei dem Gegenstand in der Hosentasche um Ware oder z. B. einen Schlüsselbund handelt.

Soweit der Kläger sich darauf beruft, er sei im Kassenbereich von einem Einkaufswagen angefahren worden, hat die Beweisaufnahme dies nicht ergeben. Da es sich um einen entlasteten Gesichtspunkt handelt, trug hier der Kläger die Beweislast. Der Zeuge M. hat den Sachverhalt so nicht bestätigt. Auch hat sich aus der Aussage des Zeugen nicht ergeben, dass der Kläger dies in der Anhörung sogleich angegeben hat. Wie die Einsicht in die Ermittlungsakte ergeben hat, hat der Kläger diesen Sachverhalt erst nach mehr als zwei Wochen gegenüber den Ermittlungsbehörden vorgetragen.

Soweit der Kläger das Vorliegen eines Ladendiebstahls bestreitet, ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte in der Berufungsverhandlung ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass es sich auch um eine Verdachtskündigung handele. Auch dem Betriebsrat ist in dem Unterrichtungsschreiben vom 10.07.2003 (Anlage B 3) explizit mitgeteilt worden:

"Zumindest besteht der dringende Tatverdacht, dass Herr S. eine Straftat zu Lasten der Firma begangen hat. Dieser dringende Tatverdacht zerstört das Vertrauen in die Redlichkeit des Herrn S. und macht eine Fortsetzung des Altersteilzeitverhältnisses unzumutbar."

Auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien war aufgrund der Altersteilzeitvereinbarung nur noch außerordentlich kündbar. Dies soll den Arbeitnehmer während der Freistellungsphase vor ordentlichen Kündigungen schützen, die aus Gründen ausgesprochen werden sollen, die nicht so gravierend wie im Fall einer außerordentlichen Kündigung sind. Hier soll ein Schutz während der letzten Jahre des Berufslebens gewährt werden. Dieser Gedanke darf weder dazu führen, dass im Fall einer unerträglichen Situation eine außerordentliche Kündigung ausgeschlossen wird, noch, dass eine Bevorzugung gegenüber anderen Mitarbeitern, die sich ähnlich verhalten haben, erfolgt. Wie die Beklagte zutreffend darlegt, hat die Mitnahme des Frischkäses das Vertrauensverhältnis in den Kläger erheblich zerstört. Dieses Vertrauen ist auch noch während der Freistellungsphase erforderlich. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch ehemalige Mitarbeiter oft in Betriebe kommen, mit ihren alten Kollegen sprechen und es daher auch vorkommen kann, dass Zugang zu Betriebsteilen gewährt wird, die normalen Kunden nicht mehr zugänglich sind. Vorliegend ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einen hohen Bekanntheitsgrad im Betrieb hatte, schon deshalb, weil er im Betriebsrat tätig war. Das hat der Kläger auf wiederholten Vorhalt des Beklagtenvertreters in der Berufungsverhandlung nicht in Abrede gestellt. Hätte die Beklagte in einer Situation, in der sie bei einem aktiven Arbeitnehmer ohne Weiteres eine fristlose Kündigung ausgesprochen hätte, hier lediglich ein Hausverbot verhängt, so hätte dies den Eindruck erwecken müssen, der Kläger werde bevorzugt behandelt. Auch dies muss in die Interessenabwägung einfließen.

Dem Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt, das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum geplanten Ende gegenüber. Dieses kann aber nicht gegenüber dem der Beklagten überwiegen. Die Schwerbehinderung und damit die Möglichkeit, bereits mit 63 Jahren als Schwerbehinderter Altersrente zu beantragen, ist zwar entfallen. Dies kann aber nicht der Beklagten angelastet werden. Es handelt sich hierbei um einen nachträglich eingetretenen Sachverhalt, der im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht vorhersehbar war. Zudem hätte auch der Kläger bei seiner Handlung die rechtlichen Konsequenzen bedenken müssen.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Kündigung nicht unwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden wäre, § 102 BetrVG. Die Beklagte hat, wie sich aus den von ihr vorgelegten Unterlagen ergibt, den Sachverhalt umfassend und vollständig mitgeteilt. Sie hat alles das vorgelegt, was ihr selbst aus der Besprechung des Klägers mit dem Zeugen M. und dem stellvertretenden Marktleiter B. bekannt war. Die ausführliche Vernehmung des Zeugen M. hat auch nicht ergeben, dass die Beklagte weitere Informationen, nämlich das Anfahren mit einem Einkaufswagen, verschwiegen hätte. Dieser Sachverhalt hätte von der Beklagten, wäre er ihr bekannt gewesen, dem Betriebsrat schon deshalb mitgeteilt werden müssen, weil es sich hierbei um einen entlasteten Gesichtspunkt handeln kann. Die Vernehmung des Zeugen M. hat aber weder ergeben, dass der Kläger von dem Einkaufswagen angefahren worden ist, noch dass der Kläger diesen Sachverhalt gegenüber dem Zeugen angegeben hat. Vielmehr war der Laden im Beobachtungszeitraum sehr leer. Nach Angaben des Zeugen M. befanden sich keine Kunden hinter dem Kläger, sondern lediglich vor ihm. Von einer langen Schlange vor der Kasse kann daher nicht die Rede sein.

Die Klage ist daher unbegründet, weshalb die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen ist.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.



Ende der Entscheidung

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