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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 04.03.2008
Aktenzeichen: 2 TaBV 42/07
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 23 Abs. 3
BetrVG § 87 Abs. 1
ZPO § 890
Unterlässt ein Betriebsrat es über mehrere Jahre, einen Verstoß des Arbeitgebers gegen Mitbestimmungsrechte zu beanstanden, führt dies nicht zur Verwirkung des Mitbestimmungsrechts.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Beschluss

Aktenzeichen: 2 TaBV 42/07

Verkündet am 04.03.2008

Im Beschlussverfahren

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Anhörung der Beteiligten am 04.03.2008 durch die Vizepräsidentin des Landesarbeitsgerichts ... als Vorsitzende und die ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin und den ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 8.11.2007 - 1 BV 133/07 - teilweise abgeändert.

Der Beteiligten zu 2 (Antragsgegnerin) wird aufgegeben, es zu unterlassen, die über die vereinbarten Zeiterfassungsterminals der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung "Einführung und Anwendung computerunterstützter Arbeitszeiterfassung und Entgeltabrechnung" vom 17.4.1997 hinaus installierten Terminals an den Standorten

Eingang Süd

Halle 7 im Süden

Halle 6 erstes OG, im Süden

Halle 6 zwei Terminals, im Norden

Halle 61 erstes OG, im Norden

Halle 26 a im Osten in Betrieb zu lassen.

Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die Frage, ob 6 Zeiterfassungsgeräte von der Arbeitgeberin außer Betrieb genommen werden sollen.

Der Antragsteller ist der im Betrieb der Antragsgegnerin gebildete Betriebsrat. Die Betriebsparteien schlossen mit Datum vom 17.4.1997 eine Vereinbarung über die "Einführung und Anwendung computerunterstützter Arbeitszeiterfassung und Entgeltabrechnung" (Bl. 5 ff. d.A.), deren Ziffer 4 unter der Überschrift Zeiterfassungsterminals auszugsweise wie folgt lautet:

"Anlage I enthält eine Übersicht über die Standorte der Zeiterfassungsgeräte. Für deren Aufstellung gilt im gewerblichen Bereich der Grundsatz, dass die Geräte in unmittelbarer räumlicher Nähe der Umkleidemöglichkeiten aufgestellt werden. Die Anlage wird auf dem aktuellen Stand gehalten und ist einvernehmlich mit dem Betriebsrat zu vereinbaren."

Die einvernehmlich vereinbarten Standorte der Zeiterfassungsgeräte ergeben sich aus der Anlage A 2 zur Antragsschrift (Bl. 12 d.A.). Bis zum Jahre 2000 installierte die Arbeitgeberin neben diesen Geräten sieben weitere Geräte, deren Standorte aus der Anlage A 3 zur Antragsschrift (Bl. 13 d. A., dort mit einem Kreuz markiert) ersichtlich sind. Nach - bestrittener - Darstellung der Arbeitgeberin ist darüber eine mündliche Regelungsabrede getroffen worden. Mit Schreiben vom10.2.2000 (Bl. 25 d.A.) beanstandete der Betriebsrat die Aufstellung von Zeiterfassungsgeräten, die nicht der Betriebsvereinbarung entsprächen und regte an, sich alsbald über eine neue Anlage 1 zur BV zu einigen. Die Arbeitgeberin schlug einen Gesprächstermin vor (Bl. 26 d.A.), zu dem es nicht kam. Ein weiterer vom Betriebsrat vorgeschlagener Termin (Bl. 27 d.A.) kam ebenfalls nicht zustande. Die Angelegenheit verlief dann im Sande.

In einer weiteren Betriebsvereinbarung hatte die Arbeitgeberin sich verpflichtet, an die Mitarbeiter, die einen längeren Weg vom Umkleideraum zu dem Zeiterfassungsgerät zurückzulegen hatten, ein Wegegeld zu zahlen. Zweck dieser Vereinbarung war, Änderungen der Umkleidemöglichkeiten und der zurückzulegenden Wege zu forcieren. Die Zahlung dieses Wegegeldes stellte die Arbeitgeberin im Sommer 2007 ein. Hierüber kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Betriebsparteien, bei denen vom Betriebsrat auch die zusätzlich aufgestellten Zeiterfassungsterminals beanstandet wurden. Mit dem am 17.7.2007 eingeleiteten Beschlussverfahren erstrebt der Betriebsrat nunmehr Beendigung des Betriebs der nicht genehmigten Zeiterfassungsterminals.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 8.11.2007, auf den hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens sowie der Entscheidungsgründe verwiesen wird, den Antrag zurückgewiesen. Gegen diesen am 22.11.2007 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 26.11.2007 Beschwerde eingelegt und diese begründet.

Der Antragsteller trägt vor, die Arbeitgeberin verstoße weiterhin gegen die Betriebsvereinbarung, indem sie die nicht genehmigten Terminals betreibe. Der Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung sei nicht verwirkt. Die Arbeitgeberin sei auch seit Einleitung des Beschlussverfahrens nicht an den Betriebsrat herangetreten, um eine Vereinbarung zu erreichen. Nicht der Betriebsrat, sondern die Arbeitgeberin hätte die Verhandlungen initiieren müssen.

Der Betriebsrat beantragt,

in Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Lübeck vom 8.11.2007 - 1 BV 133/07 - der Beteiligten zu 2 aufzugeben, es - bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 25.000,00 EUR in jedem Einzelfall - zu unterlassen, die über die vereinbarten Zeiterfassungsterminals der Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung "Einführung und Anwendung computerunterstützter Arbeitszeiterfassung und Entgeltabrechnung" vom 17.04.1997 hinaus installierten Terminals an den Standorten

- Eingang Süd

- Halle 7 im Süden

- Halle 6 erstes OG, im Süden

- Halle 6 zwei Terminals, im Norden

- Halle 61 erstes OG, im Norden

- Halle 26 a im Osten in Betrieb zu lassen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie wiederholt ihr Vorbringen zur Verwirkung des Anspruchs und trägt vor, der Betriebsrat sei über einen Zeitraum von 7 Jahren nicht gegen die zusätzlichen Geräte vorgegangen. Auch sei der Betriebsrat mit Schreiben vom 23.2.2007 (Anmerkung: richtig: 23.2.2000, Anlage Ag2) gebeten worden einen Entwurf zur Ergänzung einzureichen. Hierauf habe der Betriebsrat aber nicht reagiert. Der Bewertung des Arbeitsgerichts sei daher zuzustimmen.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll, Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg, soweit der Arbeitgeberin der weitere Betrieb der zusätzlichen Zeiterfassungsgeräte zu untersagen ist. Im Übrigen ist sie jedoch unbegründet.

1. Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, hat der Betriebsrat dem Grunde nach Anspruch auf Einhaltung der Betriebsvereinbarung vom 17.04.1997. Aus Ziff. 4 Abs. 1 BV ergibt sich, dass die installierten Zeiterfassungsgeräte einvernehmlich mit dem Betriebsrat zu vereinbaren sind. Verstöße hiergegen können vom Betriebsrat im Wege eines Unterlassungsanspruchs gem. § 23 Abs. 3 BetrVG geltend gemacht werden. Allerdings steht dem Betriebsrat bei der Verletzung von Mitbestimmungsrechten aus § 87 BetrVG unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG ein Anspruch auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Maßnahmen zu (BAG Beschluss vom 3.5.1994 - 1 ABR 24/93 - EzA BetrVG 1972 § 23 Nr. 36). Eine grobe Pflichtverletzung i.S. des § 23 Abs. 3 BetrVG ist mithin nicht erforderlich, um einen Unterlassungsanspruch durchsetzen zu können.

Die Aufstellung zusätzlicher Erfassungsgeräte stellt indes eine Pflichtverletzung nach § 23 Abs. 3 BetrVG dar. Der Betriebsrat hat nach § 87b Abs. 1 Nr. 6 BetrVG über Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, mitzubestimmen. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten nicht Streit. Im Rahmen der Gestaltung dieses Mitbestimmungsrechtes haben die Beteiligten in der Betriebsvereinbarung ausdrücklich festgehalten, dass die Aufstellung von Zeiterfassungsgeräten einvernehmlich mit dem Betriebsrat zu erfolgen hat. Da die Arbeitgeberin die von ihr vorgetragene Regelungsabrede nicht belegen kann, ist eine entsprechende Vereinbarung über die Aufstellung weiterer Zeiterfassungsgeräte nicht feststellbar. Spätestens seit der Einleitung dieses Verfahrens ist ihr bekannt, dass der Betriebsrat die Aufstellung der zusätzlichen Geräte beanstandet. Auch ist ihr in erster Instanz bewusst geworden, dass sie ihre Regelungsabrede nicht belegen kann. Dennoch hält sie an dem Betrieb dieser Geräte weiter fest.

2. Der Anspruch des Betriebsrats auf Einhaltung der Betriebsvereinbarung, hier: Aufstellung von Zeiterfassungsgeräten nur mit Zustimmung des Betriebsrats, ist auch nicht verwirkt. Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte sein Recht über einen bestimmten Zeitraum hin nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage war (sog. Zeitmoment) und sich der Schuldner wegen dieser Untätigkeit des Berechtigten bei objektiver Beurteilung darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht in Zukunft nicht geltend machen werde, so dass ihm insgesamt deshalb dessen Erfüllung nicht zuzumuten ist (sog. Umstandsmoment).

Die materiell-rechtliche Verwirkung von Mitbestimmungsrechten ist grundsätzlich ausgeschlossen (BAG Beschluss vom 28.8.2007 - 1 ABR 70/06 - DB 2008,70). Der Betriebsrat kann weder auf sein Mitbestimmungsrecht verzichten noch darf er es der einseitigen Regelung durch den Arbeitgeber überlassen (BAG Urteil vom 3.6.2003 - 1 AZR 349/02 - NZA 2003,1155 = DB 2004,385). Der Arbeitgeber muss grundsätzlich damit rechnen, dass der Betriebsrat seine Beteiligung in einer seiner Mitbestimmung unterliegenden Angelegenheit verlangt und diese ggf. auch gerichtlich durchsetzt.

Auch eine - ausnahmsweise - prozessrechtliche Verwirkung greift hier nicht. Auch das Recht, einen Anspruch gerichtlich geltend zu machen, kann der Verwirkung unterliegen. Voraussetzung ist, dass die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhoben wird und Umstände vorlagen, auf Grund derer der Anspruchsgegner annehmen durfte, er werde nicht mehr gerichtlich belangt werden. Zudem muss das Zumutbarkeitsmoment verwirklicht sein, d. h., dass das Erfordernis des Vertrauensschutzes das Interesse des Berechtigten an einer sachlichen Prüfung des von ihm behaupteten Anspruchs derart überwiegt, dass dem Gegner die Einlassung auf die Klage nicht mehr zuzumuten ist (BAG Urteil vom 25.4.2006 - 3 AZR 372/05 - EzA BetrAVG § 16 Nr. 48 m.w.N.). Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nicht ersichtlich. Der Betriebsrat ist zwar nach der Korrespondenz im Jahr 2000 über mehrere Jahre nicht tätig gewesen. Dies allein erweckt aber noch nicht Vertrauen, der Anspruch werde künftig nicht geltend gemacht. Vor allem wird hierdurch nicht Vertrauen dahingehend geschaffen, dass der Betriebsrat darauf verzichten werde, sein Recht gerichtlich geltend zu machen. Vor allem fehlt das Zumutbarkeitsmoment. Es ist nämlich höchst einfach, wie das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat, die Geräte außer Betrieb zu nehmen.

3. Dem Betriebsrat kann auch nicht entgegen gehalten werden, er verstoße mit der gerichtlichen Geltendmachung gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 BetrVG.

Nach § 74 BetrVG sind Arbeitgeber und Betriebsrat gehalten, über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen. Es ist zwar richtig, dass die Beteiligten gehalten sind, sich vor Anrufung des Gerichts um eine gütliche Einigung zu bemühen. Das gilt jedoch für beide Seiten. Beide Betriebsparteien sind gehalten, sich um eine Einigung zu bemühen, was bedeutet, dass weder einseitig eine - mitbestimmungspflichtige - Regelung in Kraft gesetzt oder von ihr abgewichen werden darf noch auf der anderen Seite Verhandlungen verweigert werden dürfen. Will eine Betriebspartei Änderungen erreichen, so obliegt es ihr, auf den anderen Partner zuzugehen und die Verhandlungen in Gang zu bringen.

Zudem kann dem Betriebsrat spätestens im jetzigen Zeitpunkt nicht mehr vorgehalten werden, er führe ein gerichtliches Verfahren, für dessen Einleitung kein Anlass bestehe. Denn die Antragsgegnerin wehrt sich nach wie vor gegen die Auffassung des Betriebsrats, die Terminals seien unzulässig aufgestellt worden. Ein Interesse an der Klärung dieser Frage besteht mithin. Sollte der Antragsteller voreilig das Beschlussverfahren eingeleitet haben, wirkte sich dies allenfalls auf die Frage der Übernahme der Rechtsanwaltskosten des Betriebsrats aus.

4. Der Antrag, der Arbeitgeberin ein Ordnungsgeld anzudrohen, ist jedoch zurückzuweisen. Insoweit ist die Beschwerde unbegründet. Die Androhung eines Ordnungsgeldes kommt derzeit nicht in Betracht.

§ 23 Abs. 3 BetrVG sieht die Androhung eines Ordnungsgeldes erst dann vor, wenn der Arbeitgeber einer ihm durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung auferlegten Verpflichtung zuwider handelt. Die vorherige Androhung eines Ordnungsgeldes sieht das Gesetz nicht vor. Im Gegenteil folgt aus dem Wortlaut des Gesetzes "entgegen einer rechtskräftigen Entscheidung", dass die Anordnung rechtskräftig geworden sein muss (BAG Beschluss vom 18.6.1991 - 1 ABR 60/90 - EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 101).

Auch aus einem allgemeinen Unterlassungsanspruch nach § 87 Abs. 1 i. V. m. § 2 BetrVG ergibt sich nicht die Notwendigkeit, bereits ein Ordnungsgeld anzudrohen. § 890 ZPO gestattet zwar, bereits mit der Verurteilung, eine Handlung zu unterlassen, ein Ordnungsgeld anzudrohen. Notwendig ist dies aber nicht. Vorliegend erscheint dies auch nicht notwendig.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde lagen nicht vor. Es handelt sich vorliegend um eine reine Einzelfallentscheidung.

Ende der Entscheidung

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