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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 12.02.2007
Aktenzeichen: 3 Sa 417/06
Rechtsgebiete: TVG, TV Lohn/West (Baugewerbe)


Vorschriften:

TVG § 4 Abs. 1
TVG § 4 Abs. 3
TVG § 4 Abs. 5
TV Lohn/West (Baugewerbe) § 6
§ 6 des Tarifvertrages zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der 5 neuen Länder und des Landes Berlin (TV Lohn/West) stellt lediglich eine zwischen den Tarifvertragsparteien schuldrechtlich wirkende Tarifvertragsregelung dar.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 3 Sa 417/06

Verkündet am 12.02.2007

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 12.02.2007 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 23.08.2006 - 3 Ca 329 b/06 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten jetzt noch darüber, ob die Beklagte nach § 6 des "Tarifvertrages zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der 5 neuen Länder und des Landes Berlin" (TV Lohn/West) dem Kläger wegen seiner Zuordnung zum Hamburger Sonderlohngebiet 4 Cent mehr pro Stunde zahlen muss, oder ob insoweit ein wirksamer Verzicht des Klägers vorliegt.

Der Kläger ist am ....1951 geboren und seit 1975 bei der Beklagten als Maurer beschäftigt. Er ist seit vielen Jahren Mitglied der IG Bau Agrar Umwelt.

Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen mit rund 140 Arbeitnehmern. Sie ist Mitglied im Norddeutschen Baugewerbeverband e. V. Seit dem 01.01.2006 besteht Mitgliedschaft "ohne Tarifbindung".

Die Beklagte zahlte an die gewerblichen Arbeitnehmer bis vor dem 1. September 2005 aufgrund des Firmensitzes in S. Entgelt entsprechend den bisherigen Bezirkslohntarifverträgen (Lohntabellen) des Baugewerbes Hamburg. Der Kläger erhielt zuletzt 14,82 EUR brutto/ Stunde bzw. im Akkord 14,00 EUR brutto/ Stunde, entsprechend der in Fortschreibung der letzten Lohntabelle herausgegebenen Empfehlungen der regionalen Tarifverbände. Mit Datum vom 12.07.2005 vereinbarte der Kläger mit der Beklagten eine so genannte "Arbeitsvertrags - Änderung", wonach er u. a. mit Wirkung ab 01.09.2005 auf das 13. Monatseinkommen verzichtete und die Vergütung auf den tariflichen Mindestlohn ML II von derzeit 12,47 EUR reduziert wurde (Anlage B 1 - Bl. 14 d. A.). Mit diesem Verzicht ist er jetzt nicht mehr einverstanden und verlangt von der Beklagten Erfüllung der tariflichen Ansprüche und zwar unter Beachtung der Besonderheiten des Sonderlohngebietes Hamburg.

Auf das Arbeitsverhältnis findet u. a. der "Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der 5 neuen Länder und des Landes Berlin" (TV Lohn/West) Anwendung - zuletzt vom 29.7.2005 -, der von den zentralen Tarifvertragsparteien auf Bundesebene verhandelt und geschlossen wird.

Im Baugewerbe gibt es folgende Besonderheit: Seit über 60 Jahren vereinbaren die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der bauwirtschaftlichen Tarifvertragsparteien - in Hamburg namentlich der Bauindustrieverband Hamburg e.V. und der Norddeutsche Baugewerbeverband e.V. auf Arbeitgeberseite sowie die IG Bau-Agrar-Umwelt auf Arbeitnehmerseite - Bezirkslohntarifverträge (Lohntabellen) für das Verbandsgebiet, vorliegend das Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg. Die Tarifverhandlungen fanden also zunächst regional statt. Erst später wurden bundesweit zentrale Tarifverhandlungen geführt. Diese beschränkten sich aber im Wesentlichen auf die Festlegung der Vergütung für die im Bundesrahmentarifvertrag festgelegten Berufsgruppen. Die historisch gewachsenen regionalen Besonderheiten fanden in den regionalen Bezirkslohntarifverträgen (Lohntabellen) ergänzende Berücksichtigung. In den Bundestarifverträgen war/ist jeweils geregelt, dass eine Kündigung auch als Kündigung der Bezirkslohntarifverträge (Lohntabellen) gilt.

Der letzte Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) für Hamburg wurde am 01.04.2001 geschlossen. Der ihm zu Grunde liegende bundesweit geltende Lohntarifvertrag wurde zum 31.3.2002 gekündigt. Seither befindet sich die Bezirkslohntabelle des Baugewerbes Hamburg in der Nachwirkung. Ein neuer Bezirkslohntarifvertrag ist nicht mehr zustande gekommen.

Zwischenzeitlich schlossen die bundesweit handelnden Tarifvertragsparteien zunächst am 4. Juli 2002 den TV Lohn/West ab, mit dem unter anderem neue Lohnstrukturen eingeführt wurden. Für den Kläger, der vorher nach der Hamburger Bezirkslohntabelle zur Berufsgruppe III - Spezialbaufacharbeiter mit einer Vergütung von 27,44 DM (umgerechnet 14,03 EUR) gehörte, (Anlage B 3 - Bl. 53 f. d. A.), ist seither maßgeblich die neue Lohngruppe 4 des TV Lohn/West.

Am 29.07.2005 wurde der TV Lohn/West zuletzt geändert. Für die streitbefangenen Monate November und Dezember 2005 wurde für die Lohngruppe 4 ein Gesamttariflohn von 14,78 EUR/Stunde bzw. bei Akkord von 13,96 EUR/Stunde festgelegt. Für die streitbefangenen Monate Januar, Februar und März 2006 belief sich der Gesamttariflohn der Lohngruppe 4 nach diesem TV Lohn/West auf 14,41 EUR/Stunde bzw. bei Akkord auf 13,61 EUR/Stunde.

Der Kläger will, soweit für das Berufungsverfahren noch von Bedeutung, 4 Cent pro Stunde mehr und stützt sich schwerpunktmäßig auf § 6 TV Lohn/West. § 6 TV Lohn/West lautet wie folgt:

"§ 6 Sonderlohngebiet Hamburg

Im Sonderlohngebiet Hamburg ist sicherzustellen, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet Hamburg ergeben haben, erhalten bleiben." (Anlage BB1 - Bl. 112 d. A.).

Zu den Bezirkslohntarifverträgen bestimmt der TV Lohn/West folgendes:

"§ 9

Bezirkslohntarifverträge (Lohntabellen)

Die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gebietes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. In diese ist auch eine Sonderlohngruppe für Berufskraftfahrer aufzunehmen.

§ 10 Durchführung des Vertrages

(1) Die Tarifvertragsparteien verpflichten sich, ihren Einfluss zur Durchführung und Aufrechterhaltung dieses Vertrages und der damit in Zusammenhang stehenden Lohn- und sonstigen Tarifverträge einzusetzen.

..." (Bl. 113 d. A.)

In den vergangenen 30 Jahren lag der Hamburger Spezialbaufacharbeitertariflohn wechselnd zwischen 0,08 DM (= 0,04 EUR) und 0,09 DM (= 0,05 EUR) über dem Spezialbaufacharbeiterlohn des TV Lohn/West. Zuletzt betrug der Lohnabstand 0,04 Euro mehr pro Stunde.

Mit seiner Klage vom 16.02.2006 hat der Kläger nach außergerichtlicher Geltendmachung für die Monate November 2005 bis einschließlich März 2006 abweichend von seiner Vertragsänderung vom 12. Juli 2005, soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung, die Zahlung des 13. Monatseinkommens sowie die auf Basis der von seiner Gewerkschaft ermittelten aktualisierten Hamburger Bezirkslohntabelle sich ergebenden Tariflohnansprüche geltend gemacht. Hilfsweise hat er die sich aus dem TV Lohn/West ergebenden Tariflöhne sowie das danach berechnete 13. Monatseinkommen verlangt (Berechnung Bl. 59 d. A.). Hinsichtlich der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat ihm, gestützt auf § 4 Abs. 1, Abs. 3 TVG die Forderung nach Einhaltung der für ihn einschlägigen Tarifverträge zugesprochen, der Höhe nach jedoch nur auf Basis der im TV Lohn/West geregelten Stundensätze für die Lohngruppe 4. Bezüglich der Differenz zur Hamburger Bezirkslohntabelle in Höhe von 4 Cent/Stunde hat es die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen.

Gegen diese dem Kläger am 07.09.2006 zugestellte Entscheidung legte er am 05.10.2006 Berufung ein, die am 06.11.2006 begründet wurde. Im Berufungsverfahren begehrt er noch für 282,6 im Zeitraum November 2005 bis einschließlich März 2006 unstreitig zu vergütende Arbeitsstunden sowie für weitere 93 Arbeitsstunden als Bemessungsgrundlage des 13. Monatseinkommens eine höhere Vergütung in Höhe von 4 Cent/Stunde. Das ergibt den Betrag von 15,02 EUR brutto.

Insoweit ergänzt und vertieft er im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Er trägt vor, für November und Dezember 2005 stehe im anstelle des ausgeurteilten Stundenlohns von 14,78 EUR brutto/Stunde ein Stundenlohn von 14,82 EUR brutto/Stunde zu bzw. bei Akkord anstelle der ausgeurteilten 13,96 EUR/Stunde ein Stundenlohn von 14,00 EUR/Stunde. Für Januar, Februar und März 2006 müsse abgerechnet werden mit 14,45 EUR/Stunde anstelle von 14,41 EUR/Stunde und im Akkord mit 13,65 EUR/Stunde anstelle von 13,61 EUR/Stunde. Das ergebe sich aus der Bezirkslohntabelle für das Sonderlohngebiet Hamburg - Stand 2003/2004. Er verweist insoweit auf Anlage K 1 - Bl. 24, 25 d. A. Auf diese Tariflöhne habe der Kläger gemäß § 4 Abs. 1, Abs. 3 TVG nicht wirksam verzichten können. Es treffe zwar zu, dass unter der Anlage K 1 die Unterschriften der Arbeitgeberverbände fehlten. Der Anspruch des Klägers auf 4 Cent mehr pro Stunde ergebe sich jedoch unmittelbar aus § 6 TV Lohn/West und der dort festgelegten tariflichen Abstandsregelung für das Sonderlohngebiet Hamburg. Entsprechend seien alle Vergütungsansprüche zu berechnen. § 6 TV Lohn/West stelle eine eigenständige tarifliche Anspruchsgrundlage dar. Der zu haltende Tariflohnabstand ergebe sich automatisch. Dass § 6 TV Lohn/West eine eigenständige Anspruchsgrundlage sei, ergebe sich zudem aus der Systematik des Tarifvertrages, da § 6 im materiellrechtlichen Bereich angeordnet sei und nicht in der Nähe von §§ 9 und 10 des TV Lohn/West.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 23.08.2006 - Az. 3 Ca 329 b/06 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 15,02 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher, als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Die Hamburger Arbeitgeberverbände hätten - das ist unstreitig geworden - seit 01.04.2002 keine neue Hamburger Bezirkslohntabelle mehr unterzeichnet. Das Anlagenkonvolut Anlage K 1 sei nur eine Forderung der Gewerkschaft des Klägers, so dass die Verzichtserklärung vom 12.07.2005 die Nachwirkung der alten Hamburger Bezirkslohntabelle und etwaiger anderer Handhabungen beendet habe. Es könne zudem angesichts des wechselnden Abstandes nicht von einem regelmäßigen Stundenlohnabstand zwischen dem TV Lohn/West und dem Sonderlohngebiet Hamburg in Höhe von generell 4 Cent pro Stunde ausgegangen werden. §§ 9, 10 TV Lohn/West stellten lediglich eine Verpflichtung für die Tarifvertragsparteien dar, unverzüglich Bezirkslohntarifverträge zu schließen und dabei auch § 6 TV Lohn/West einzuhalten. § 9 TV Lohn/West sei Grundvoraussetzung für die noch abzuschließenden Folgebezirkstarifverträge. § 6 sei da lediglich eine Sicherstellungsverpflichtung, deren Umsetzung nur auf Basis der Bezirkstarifverträge erfolgen könne. Normadressaten dieser Verpflichtung seien die Tarifvertragsparteien, nicht die Arbeitnehmer, so dass § 6 TV Lohn/West keine eigene Anspruchsgrundlage für die begehrten 4 Cent mehr pro Stunde darstellen könne.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.

II.

In der Sache ist die Berufung jedoch unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger wegen seiner Zuordnung zum Hamburger Sonderlohngebiet 4 Cent mehr pro Stunde zu zahlen und auf Basis eines insoweit erhöhten Gesamttarifstundenlohnes das 13. Monatseinkommen zu berechnen. Das hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Dem folgt das Berufungsgericht.

1.)

Der Kläger hat bis zum 01.09.2005 zuletzt einen Stundenlohn von 14,82 EUR brutto/Stunde bzw. bei Akkord einen solchen von 14,00 EUR brutto/Stunde erhalten. Er hat mit der Vertragsänderung vom 12.07.2005 wirksam mit Wirkung ab 01.09.2005 auf 4 Cent pro Stunde verzichtet mit der Folge, dass auch die Bemessungsgrundlage für das 13. Monatseinkommen nicht 14,82 EUR brutto/Stunde, sondern nur, wie vom Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, 14,78 EUR brutto/Stunde beträgt. Bei dem von der Beklagten bis zum 01.09.2005 gezahlten Stundenlohn von 14,82 EUR brutto/Stunde bzw. bei Akkord von 14,00 EUR brutto/Stunde handelt es sich nicht um einen nach § 4 Abs. 1 und Abs. 3 TVG geschützten tariflichen Mindestanspruch.

2.)

Die Rechtsnormen des Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen (§ 4 Abs. 1 TVG). Das Wesen der unmittelbaren Wirkung besteht darin, dass die Tarifnormen wie ein Gesetz auf das Arbeitsverhältnis einwirken. Die unmittelbare Wirkung endet u. a., wenn der Tarifvertrag endet, bspw. durch Kündigung, oder wenn die Tarifbindung wegfällt. Dann entfaltet der Tarifvertrag jedoch Nachwirkung. Im Nachwirkungszeitraum ist eine gekündigte Tarifnorm abdingbar. Sie kann durch einen anderen Tarifvertrag oder durch eine abweichende einzelvertragliche Regelung ersetzt werden. (§ 4 Abs. 5 TVG).

3.)

Aus dem letzten, von den Bezirkstarifvertragsparteien abgeschlossenen Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) für Hamburg vom 1.4.2001 ergibt sich kein Anspruch auf Vergütung in Höhe von 14,82 EUR brutto/Stunde bzw. 14,00 EUR brutto/Stunde im Akkord. Der in diesem - nachwirkenden - Tarifvertrag für damals noch Berufsgruppe III/ heute Lohngruppe 4 geregelte Gesamttarifstundenlohn belief sich nur auf 27,44 DM (umgerechnet 14,03 EUR).

4.)

Der Kläger begehrt Vergütung unter Zugrundelegung der Berechnungen seiner Gewerkschaft zu einer aktualisierten Hamburger Bezirkslohntabelle, die jedoch letztendlich nicht von den tarifvertragsschließenden Parteien abgeschlossen wurde. Bei dieser aktualisierten Bezirkslohntabelle handelt es sich nicht um eine unmittelbar und zwingend geltende Tarifnorm im Sinne des § 4 Abs. 1 TVG.

Der letzte Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) für Hamburg wurde am 01.04.2001 abgeschlossen und befindet sich infolge der Kündigung des alten TV Lohn/West ab 01.04.2002 in Nachwirkung. Ein neuer Bezirkslohntarifvertrag ist seither nicht mehr zustande gekommen. Es existieren nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Parteien in der Berufungsverhandlung jeweils nur Empfehlungen von Arbeitgeberseite und von Gewerkschaftsseite über den möglichen Inhalt eines neuen, fortgeschriebenen Bezirkslohntarifvertrages (Lohntabelle) für Hamburg, in denen mögliche Tariflöhne für das Sonderlohngebiet Hamburg unter Beachtung der bisherigen historischen Lohnabstände errechnet wurden. Hieraus ergibt sich übereinstimmend ein "empfohlener" Lohn für Spezialbaufacharbeiter, Lohngruppe 4 in Höhe von 14,82 EUR/Stunde bzw. bei Akkord 14,00 EUR/Stunde für das Sonderlohngebiet Hamburg, auf dessen Basis die Beklagte auch bis zum 01.09.2005 abgerechnet hat. Diese "Empfehlungen" für den Abschluss eines Bezirkslohntarifvertrages (Lohntabelle) für Hamburg stellen jedoch keinen Tarifvertrag im Sinne der §§ 1,4 Abs. 1 TVG dar. Insoweit fehlt die förmliche Einigung der tarifvertragsschließenden Verbände. Damit fehlt den Lohnempfehlungen, die die 14,82 EUR brutto/ Stunde bzw. 14,00 EUR bei Akkord ausweisen, auch die unmittelbare und zwingende Wirkung i. S. d. § 4 Abs. 1 TVG.

5.)

Ein etwaiger Zahlungsanspruch des Klägers auf Beibehaltung des empfohlenen Stundenlohnes von 14,82 EUR brutto/Stunde bzw. bei Akkord von 14,00 EUR brutto/Stunde ergibt sich auch nicht aus betrieblicher Übung. Die sich an den Empfehlungen einiger Verbände orientierende Handhabung im Betrieb der Beklagten in dem langen Nachwirkungszeitraum bis letztendlich 01.09.2005 wurde durch die einzelvertragliche Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 (Anlage B 1) mit Wirkung ab 01.09.2005 einvernehmlich beendet. Mit dieser ersetzenden Vereinbarung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG erfolgte letztendlich spätestens ab 01.09.2005 auch eine Gesamtabkopplung vom nur noch nachwirkenden letzten Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) für Hamburg vom 1.4.2001.

6.)

Diese Arbeitsvertragsänderung vom 12. Juli 2005 ist auch in Anwendung des TV Lohn/West vom 29.7.2005 wirksam. Auch die dort geregelten tariflichen Lohnansprüche werden nicht in Folge der einvernehmlichen Herabsetzung des Stundenlohns auf letztendlich 14,78 EUR unter Verstoß gegen §§ 4 Abs. 1, Abs. 3 TVG unterschritten. Der TV Lohn/West enthält keinen unmittelbaren Anspruch des im Sonderlohngebiet Hamburg arbeitenden Klägers auf Zahlung eines Stundenlohnes für Lohngruppe 4 in Höhe von 14,82 EUR brutto bzw. 14,00 EUR im Akkord.

Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich ein solcher Lohnanspruch des Klägers nicht unmittelbar aus § 6 TV Lohn/West. § 6 TV Lohn/West enthält keine auf das Arbeitsverhältnis des Klägers unmittelbar und zwingend als tarifliche Mindestbedingung wirkende Vergütungsregelung auf Zahlung von 4 Cent mehr pro Stunde, weil er im Sonderlohngebiet Hamburg arbeitet.

Bei § 6 TV Lohn/West handelt es sich nicht um eine Inhaltsnorm. § 6 TV Lohn/West stellt lediglich eine zwischen den Tarifvertragsparteien schuldrechtlich wirkende Tarifvertragsregelung dar. Auch durch Auslegung dieses Tarifvertrages ergibt sich nichts anderes.

a)

Nach den allgemeinen für Tarifverträge anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen ist auszugehen vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BAG vom 12.11.2002 - 1 AZR 632/01; BAG vom 22.03.2005 - 1 AZR 3/04; BAG vom 22.11.2005 - 1 AZR 458/04 - jeweils zitiert nach JURIS).

b)

Der Wortlaut des § 6 TV Lohn/West enthält keine Regelung, die für das Sonderlohngebiet Hamburg und dort die Lohngruppe 4 einen Stundenlohn von 14,82 EUR bzw. 14,00 EUR im Akkord festschreibt. Dort heißt es lediglich, dass im Sonderlohngebiet Hamburg sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet Hamburg ergeben haben, erhalten bleiben. Ein bestimmter Lohnabstand, den im Sonderlohngebiet Hamburg beschäftigte Arbeitnehmer allgemein zu beanspruchen haben, wird - anders als in § 3 Abs. 2 TV Lohn/West - in § 6 TV Lohn/West nicht festgelegt.

c)

Sinn und Zweck des § 6 TV Lohn/West ist es vielmehr, den regionalen, traditionell auf Landes- bzw. Bezirksebene verhandelnden Tarifvertragsparteien Verhandlungsvorgaben für die von ihnen in Umsetzung des Bundestarifvertrages zu führenden Tarifverhandlungen zu machen. Traditionell fanden im bauwirtschaftlichen Bereich seit Jahrzehnten zunächst ausschließlich, später jeweils im Nachgang zu bundesweit zentralen Tarifverhandlungen quasi in Ausführung der Bundestarifverträge ergänzende regionale Tarifverhandlungen statt, in denen die Landes- bzw. Bezirksorganisationen die regionalen Besonderheiten speziell berücksichtigten und ihnen Rechnung trugen. Das geschah im Bereich des Bezirkslohntarifvertrages (Lohntabelle) für Hamburg u. a. regelmäßig mit der Festlegung eines höheren tariflichen Stundenlohnes für dieses Sonderlohngebiet. Vor diesem traditionellen Hintergrund kann § 6 TV Lohn/West nur dahingehend verstanden werden, dass an die Bezirksorganisationen ein diesbezüglicher Verhandlungsauftrag "Besitzstandswahrung" der im Sonderlohngebiet Hamburg beschäftigten Arbeitnehmer festgeschrieben werden sollte. Mehr als ein solcher Verhandlungsauftrag kann dem § 6 TV Lohn/West nicht entnommen werden.

d)

Hätten die Bundestarifvertragsparteien einen unmittelbaren Zahlungsanspruch der im Sonderlohngebiet Hamburg tätigen Arbeitnehmer für das Sonderlohngebiet Hamburg im Wege der Aufstellung einer Inhaltsnorm festschreiben wollen, hätten sie § 6 anders formulieren müssen und auch anders formuliert. Dort, wo unmittelbare Anspruchsgrundlagen für Arbeitnehmer aufgestellt wurden, haben die Tarifvertragsparteien im TV Lohn/West Formulierungen gewählt, wie " ...beträgt der Ecklohn...EUR" (§ 2 Abs. 1und Abs. 2); "gelten nachstehende Löhne.."(§ 2 Abs. 7,8); " erhält der Arbeitnehmer ..."(§ 2 Abs. 3, § 3 Abs. 1 und Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 7 Abs. 1 und Abs. 2); "wird der Lohn festgelegt auf....."(§ 4 Abs. 2); "haben Anspruch auf...."( § 4 Abs. 3, § 5 Abs. 4). Demgegenüber haben die Tarifvertragsparteien aber in § 6 TV Lohn/West lediglich normiert, dass "sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände ... erhalten bleiben". Insoweit ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien hier gezielt unterschiedliche Formulierungen gewählt haben, weil den Tarifregelungen unterschiedliche Wirkung gegeben werden sollte.

e)

Allein die Formulierung "sicherstellen" macht zudem deutlich, dass es sich insoweit um einen Verhandlungsauftrag an die nachfolgenden Bezirkslohntarifvertragsparteien des Sonderlohngebietes Hamburg handelt. Das Wort "sicherstellen" verlangt naturgemäß ein Handeln. Ohne eine solche Aktivität, ein solches Handeln, kann nichts sichergestellt werden.

f)

Auch aus dem Gesamtzusammenhang und der Systematik des TV Lohn/West ergibt sich, dass § 6 lediglich als schuldrechtliche Bestimmung eingeordnet werden kann.

Insoweit ist zunächst auf § 3 Abs. 2 TV Lohn/West hinzuweisen. Dort ist ausdrücklich ein Sonderlohnanspruch für bestimmte Arbeitnehmer in einem bestimmten Baubereich in einer bestimmten Höhe normiert. Dort heißt es: "Im Sonderlohngebiet Hamburg erhalten Arbeitnehmer in Fertigbaubetrieben einen jeweils um 0,04 EUR erhöhten Tarifstundenlohn bzw. Gesamttarifstundenlohn". Diese Formulierung haben die Tarifvertragsparteien in § 6 TV Lohn/West jedoch für die sonstigen, nicht in Fertigbaubetrieben tätigen Arbeitnehmer des Sonderlohngebietes Hamburg gerade nicht gewählt. Sie haben insoweit nur eine abgeschwächte Vorgabe für einen Verhandlungsauftrag an die Bezirkslohntarifvertragsparteien gemacht, nämlich sicherzustellen, dass die Lohnabstände - in welcher ausgestalteten Höhe auch immer - erhalten bleiben.

g)

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus der Anordnung des TV Lohn/West, insbesondere der Tatsache, dass § 6 TV Lohn/West nicht unmittelbar vor §§ 9 und 10 des TV Lohn/West steht. Letztere legen zweifelsfrei eine Verpflichtung der Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien fest, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gesetzes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. Aus ihnen ergibt sich - was spätestens nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2006 (4 AZR 552/04) nicht weiter zu vertiefen sein dürfte - eine Verpflichtung zur Führung von regionalen Tarifverhandlungen mit eigenständigem Gestaltungsspielraum. Das setzt voraus, dass in dem Sonderlohngebiet selbst gestaltende Regelungen über die Vergütung getroffen werden und nicht nur der Inhalt des TV Lohn/West für das Sonderlohngebiet neu dokumentiert wird. Auch bezüglich der §§ 9 und 10 des TV Lohn/West besteht kein Zweifel, dass sich diese Tarifregelungen an die Tarifvertragsparteien wenden, mithin schuldrechtlicher Natur sind. Auch § 6 TV Lohn/West gewährt den regionalen Tarifvertragsparteien diesen erwähnten Gestaltungsspielraum. Vor diesem inhaltlichen Hintergrund kann aus dem Standort des § 6 TV Lohn/West und der fehlenden unmittelbaren gestalterischen Nähe zu §§ 9 und 10 des TV Lohn/West nicht geschlussfolgert werden, es handele sich entgegen Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck um eine Norm, die unmittelbare Ansprüche der Arbeitnehmer habe begründen sollen.

h)

Letztendlich sei darauf hingewiesen, dass auch der von Klägerseite in § 6 TV Lohn/West hineininterpretierte Inhalt nicht hinreichend bestimmt wäre. Der Lohnabstand für das Sonderlohngebiet Hamburg wurde, anders als in § 3 Abs. 2 TV Lohn/West in § 6 TV Lohn/West gerade nicht betragsmäßig festgeschrieben. Er war auch nicht immer gleich, betrug vielmehr unstreitig mindestens 4 Cent, manchmal jedoch auch 5 Cent bzw. 0,09 DM. Bereits vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum § 6 TV Lohn/West beispielsweise "nur" einen Anspruch auf 4 Cent pro Stunde mehr zubilligen soll und nicht auf "5 Cent mehr pro Stunde".

7.)

Insgesamt ist daher festzuhalten, dass keine eigenständige tarifvertragliche und damit auch von § 4 Abs. 3 TVG geschützte Anspruchsgrundlage auf Zahlung von 4 Cent mehr pro Stunde im Sonderlohngebiet Hamburg existiert, auf die der Kläger im Zusammenhang mit seiner Vertragsänderung vom 12.07.2005 nicht hätte wirksam verzichten können. Der Kläger hat mit Wirkung ab 1. September 2005 auf 4 Cent pro Stunde wirksam verzichtet. Die Klage auf Nachzahlung von 4 Cent/Stunde für die Monate Oktober 2005 - Mai 2006 sowie korrigierende Nachberechnung des 13. Monatseinkommens ist damit zu Recht abgewiesen worden. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen, da es sich im Hinblick auf den Inhalt des § 6 TV Lohn/West um die Auslegung eines bundesweit geltenden Tarifvertrags handelt.

Ende der Entscheidung

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