Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 12.03.2002
Aktenzeichen: 3 Sa 611/01
Rechtsgebiete: ArbZG, BAT


Vorschriften:

ArbZG § 5 Abs. 3
ArbZG § 7 Abs. 2
BAT § 15 Abs. 6
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Handelt es sich bei einem Bereitschaftsdienst, den ein Arbeitnehmer in einem Krankenhaus ableistet, generell um Arbeitszeit i.S. des Art. 2 Ziff. 1 der RiL 93/104 EG, und zwar auch insoweit, als es dem Arbeitnehmer in Zeiten, in denen er nicht in Anspruch genommen wird, gestattet ist, zu schlafen?

2. Verstößt eine Regelung im nationalen Recht, mit der Bereitschaftsdienst als Ruhezeit bewertet wird, soweit nicht eine Inanspruchnahme erfolgt, dergestalt, dass sich der Arbeitnehmer in einem Krankenhaus in einem ihm zur Verfügung gestellten Raum aufhält und auf Aufforderung die Arbeit aufnimmt, gegen Art. 3 der RiL 93/104 EG?

3. Verstößt eine nationale Regelung, die eine Kürzung der täglichen Ruhezeit von 11 Stunden in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen dergestalt zulässt, dass Zeiten der Inanspruchnahme während des Bereitschaftsdienstes oder der Rufbereitschaft, die nicht mehr als die Hälfte der Ruhezeit betragen, zu anderen Zeiten ausgeglichen werden, gegen RiL 93/104 EG?

4. Verstößt eine nationale Regelung, die es zulässt, dass in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung zugelassen werden kann, dass Ruhezeiten bei Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft den Besonderheiten dieser Dienste angepasst werden, insbesondere Kürzungen der Ruhezeit infolge von Inanspruchnahmen während dieser Dienste zu anderen Zeiten ausgeglichen werden, gegen RiL 93/104 EG?


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Beschluss

Aktenzeichen: 3 Sa 611/01

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein am 12.3.2002 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht W... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter K... und St... als Beisitzer

beschlossen:

Tenor:

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Handelt es sich bei einem Bereitschaftsdienst, den ein Arbeitnehmer in einem Krankenhaus ableistet, generell um Arbeitszeit i.S. des Art. 2 Ziff. 1 der RiL 93/104 EG, und zwar auch insoweit, als es dem Arbeitnehmer in Zeiten, in denen er nicht in Anspruch genommen wird, gestattet ist, zu schlafen?

2. Verstößt eine Regelung im nationalen Recht, mit der Bereitschaftsdienst als Ruhezeit bewertet wird, soweit nicht eine Inanspruchnahme erfolgt, dergestalt, dass sich der Arbeitnehmer in einem Krankenhaus in einem ihm zur Verfügung gestellten Raum aufhält und auf Aufforderung die Arbeit aufnimmt, gegen Art. 3 der RiL 93/104 EG?

3. Verstößt eine nationale Regelung, die eine Kürzung der täglichen Ruhezeit von 11 Stunden in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen dergestalt zulässt, dass Zeiten der Inanspruchnahme während des Bereitschaftsdienstes oder der Rufbereitschaft, die nicht mehr als die Hälfte der Ruhezeit betragen, zu anderen Zeiten ausgeglichen werden, gegen RiL 93/104 EG?

4. Verstößt eine nationale Regelung, die es zulässt, dass in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung zugelassen werden kann, dass Ruhezeiten bei Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft den Besonderheiten dieser Dienste angepasst werden, insbesondere Kürzungen der Ruhezeit infolge von Inanspruchnahmen während dieser Dienste zu anderen Zeiten ausgeglichen werden, gegen RiL 93/104 EG?

Gründe:

A. Sachverhalt

Die Parteien streiten darüber, ob der durch die Beklagte angeordnete Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit (so der Kläger) oder als Ruhezeit (so die Beklagte) zu werten ist. Dabei ist ausschließlich die arbeitsschutzrechtliche Seite der Bereitschaftszeiten, nicht dagegen die vergütungsrechtliche, berührt.

Der Kläger ist seit dem 1.5.1992 als Assistenzarzt in der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses der Beklagten mit 3/4 der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit (d.i. 28,875 Stunden wöchentlich) beschäftigt. Darüber hinaus ist er durch Nebenabrede verpflichtet, Bereitschaftsdienste zu leisten. Diese werden der Stufe D der Nr. 8 Abs. 2 der Anlage 2 c zum BAT (SR 2 c BAT) zugewiesen. Die Parteien haben im Arbeitsvertrag die Anwendung des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) vereinbart.

Der Kläger leistet im Monat regelmäßig sechs Bereitschaftsdienste, die teils durch Freizeit und teils durch zusätzliche Vergütung abgegolten werden. Der Bereitschaftsdienst beträgt je Dienst wochentags 16 Stunden, samstags 25 Stunden (08:30 h Sonnabendmorgen bis 09:30 h Sonntagmorgen) und sonntags 22 Stunden 45 Min. (08:30 h Sonntagmorgen bis 07:15 h Montagmorgen). Die Bereitschaftsdienste sind dergestalt organisiert, dass sich der Kläger in der Klinik aufhält und dort auf Anordnung der Beklagten hin ggfs. anfallende Arbeiten erledigt. Dem Kläger steht für die Zeiten, in denen er nicht herangezogen wird, ein Zimmer zur Verfügung, in dem sich auch ein Bett befindet und in dem er ggf. schlafen darf. Die Angemessenheit der Unterkunft ist strittig. Unstreitig liegt die durchschnittliche Heranziehungsrate während des Bereitschaftsdienstes bei 49 %.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die von ihm als Assistenzarzt sowie als Notarzt im Rahmen des notärztlichen Dienstes geleisteten Bereitschaftsdienste Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes seien. Dies ergebe sich aus der direkten Anwendung der Richtlinie 93/104, denn diese sei hinsichtlich der Arbeitszeit durch das Arbeitszeitgesetz nicht umgesetzt. Die Auslegung des Arbeitszeitbegriffs im Urteil des EuGH vom 03. Okt. 2000 (AZ: C-303/98) sei auf den vorliegenden Fall übertragbar, da die Ausgangssituation inhaltlich identisch sei. Insbesondere sei der in Spanien abzuleistende Bereitschaftsdienst mit dem deutschen hinsichtlich der Beanspruchung vergleichbar. Das hinsichtlich des Arbeitszeitbegriffs vom Verständnis des EuGH abweichende deutsche Arbeitszeitgesetz sei deshalb in § 5 Abs. 3 ArbZG nicht anwendbar. Da der nationale Gesetzgeber Bereitschaftsdienst abweichend vom europäischen Recht definiert habe, sei die Richtlinie nicht rechtzeitig umgesetzt worden. Somit könne sich der Kläger direkt auf die Richtlinie beziehen. Art. 17 der Richtlinie könne von der Beklagten nicht als Ausnahmevorschrift für den deutschen Gesetzgeber herangezogen werden, da Art. 17 lediglich Ausnahmen bei der Ruhezeitpraxis nicht aber beim Arbeitszeitbegriff vorsehe.

Die Beklagte führt aus, Bereitschaftsdienste seien nach ständiger Auslegung der nationalen Gerichte und der herrschenden Meinung in der Literatur als Ruhezeit und nicht als Arbeitszeit anzusehen. Sonst liefen §§ 5 Abs. 3, 7 Abs. 2 ArbZG leer. Der EuGH habe in seiner Entscheidung vom 03. Okt. 2000 zwar Bereitschaftsdienste als dem Arbeitszeitbegriff der Richtlinie unterfallend angesehen. Jedoch gelte die Entscheidung nicht für den vorliegenden Fall. Der vorliegende Sachverhalt sei mit dem spanischen nicht vergleichbar. Die spanischen Ärzte arbeiteten im Rahmen der Bereitschaftsdienste in vollem Umfange, während die Heranziehungsquote der deutschen Ärzte durchschnittlich maximal 49 % betrage. Schließlich sei der abweichende nationale Arbeitszeitbegriff von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie gedeckt. Der EuGH stelle selbst klar, dass der nationale Gesetzgeber einen weiten Spielraum habe. Eine ausdrückliche Erwähnung von Art. 2 in Art. 17 der Richtlinie sei entbehrlich gewesen, da Art. 2 lediglich Definitionen enthalte.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und im Wesentlichen ausgeführt, die vom Kläger abzuleistenden Bereitschaftsdienste seien Arbeitszeit im Sinne des § 2 Arbeitszeitgesetzes (ArbZG). Das ergebe sich nach Auslegung der Vorschrift, wobei der bisherige besonders auf der Systematik und dem Willen des nationalen Gesetzgebers begründete enge Arbeitszeitbegriff durch einen weiten Arbeitszeitbegriff aufgrund richtlinienkonformer Auslegung verdrängt werde.

Die Beklagte hat gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt.

B. Darstellung des nationalen Rechts

Die Regelungen zur Dauer der Arbeitszeit und zur Ruhezeit sind im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) vom 6.6.1994 (BGBl. I S. 1170) getroffen.

Nach § 2 Abs. 1 ArbZG ist Arbeitszeit im Sinne dieses Gesetzes die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Nach § 3 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur dann verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

Die Dauer der den Arbeitnehmern zustehenden Ruhezeit ist in § 5 ArbZG geregelt, und zwar müssen die Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.

Die Dauer der Ruhezeit kann

- in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen,

- in Gaststätten und anderen Einrichtungen zur Bewirtung und Beherbergung,

- in Verkehrsbetrieben,

- beim Rundfunk sowie

- in der Landwirtschaft und in der Tierhaltung gem. § 5 Abs. 2 ArbZG um bis zu eine Stunde verkürzt werden, wenn jede Verkürzung der Ruhezeit innerhalb eines Kalendermonats oder innerhalb von vier Wochen durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit auf mindestens zwölf Stunden ausgeglichen wird.

Weiter ist (§ 5 Abs. 3 ArbZG) vorgesehen, dass in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen Kürzungen der Ruhezeit durch Inanspruchnahmen während des Bereitschaftsdienstes oder der Rufbereitschaft, die nicht mehr als die Hälfte der Ruhezeit betragen, zu anderen Zeiten ausgeglichen werden können.

Eine vergleichbare Regelung gibt es in § 7 Abs. 2 ArbZG, wonach es zulässig ist , in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung vorzusehen, dass

- abweichend von § 5 Abs. 1 die Ruhezeiten bei Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft den Besonderheiten dieser Dienste angepasst, insbesondere Kürzungen der Ruhezeit infolge von Inanspruchnahmen während dieser Dienste zu anderen Zeiten ausgeglichen werden (Nr. 1),

- die Regelungen der §§ 3, 4, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 bei der Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen der Eigenart dieser Tätigkeit und dem Wohl dieser Personen entsprechend angepasst werden (Nr. 3)

- die Regelungen der §§ 3, 4, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 bei Verwaltungen und Betrieben des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie bei anderen Arbeitgebern, die der Tarifbindung eines für den öffentlichen Dienst geltenden oder eines im wesentlichen inhaltsgleichen Tarifvertrag unterliegen, der Eigenart der Tätigkeit bei diesen Stellen angepasst werden (Nr. 4), sofern der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch einen entsprechenden Zeitausgleich gewährleistet wird.

Nach der Vorschrift des § 15 Abs. 6 a BAT (Bundesangestelltentarifvertrag) ist ein Angestellter des öffentlichen Dienstes verpflichtet, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen (Bereitschaftsdienst). Der Arbeitgeber darf danach Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Die Zuweisung zu den einzelnen Stufen des Bereitschaftsdienstes zum Zwecke der Vergütungsberechnung ist in den Sonderregelungen für Angestellte in Kranken-, Heil-, Pflege- und Entbindungsanstalten sowie in sonstigen Anstalten und Heimen, in denen die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen (SR 2 a BAT) geregelt.

Der Begriff des Bereitschaftsdienstes ist im ArbZG nicht ausdrücklich geregelt. Bereitschaftsdienst wird als eine Aufenthaltsbeschränkung, verbunden mit der Verpflichtung, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden verstanden. "Wache Achtsamkeit" wird nicht verlangt. Der Arbeitnehmer kann ruhen oder sich sonstwie beschäftigen und muss nicht von sich aus tätig werden, sondern nur auf Anweisung des Arbeitgebers (vgl. BAG Urteil vom 30.1.1996 - 3 AZR 1030/94 - EzA § 4 TVG Rotes Kreuz Nr. 2; Wank, Erfurter Kommentar, 2. Aufl., § 2 ArbZG, Rn. 51).

Die Tätigkeit des Klägers ist Bereitschaftsdienst im Sinne vorstehender Definition.

Nach dem nationalen Recht stellt Bereitschaftsdienst nicht Arbeits-, sondern Ruhezeit dar (vgl. u.a. BAG Urteil vom 30.1.1996 - 3 AZR 1030/94 - EzA § 4 TVG Rotes Kreuz Nr. 2; BAG Urteil vom 22.11.2000 - 4 AZR 612/99 - EzA § 4 TVG Rotes Kreuz Nr. 4 = DB 2000,2431 zur vergütungsrechtlichen Seite; Wank, Erfurter Kommentar, 2. Aufl., § 2 ArbGG, Rn. 50; Baeck/Deutsch, Arbeitszeitgesetz, § 5, Rn. 6 ff.).

Diese Auffassung ergibt sich aus § 5 Abs. 3 bzw. § 7 Abs. 2 ArbZG. Aus der Tatsache, dass Kürzungen der Ruhezeiten durch Inanspruchnahme während des Bereitschaftsdienstes zu anderen Zeiten ausgeglichen werden können, folgt, dass Bereitschaftsdienste zur Ruhezeit zählen, soweit nicht eine tatsächliche Inanspruchnahme erfolgt. Dass dies auch Ansicht des Gesetzgebers war, ergibt sich daraus, dass die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung (Seite 25 der Bundestagsdrucksache 12/5888) ausgeführt hat, Arbeitsleistungen könnten in Anschluss an Bereitschaftsdienste erbracht werden. Das ist aber nur zulässig, wenn Bereitschaftsdienste aus Sicht des Gesetzgebers grundsätzlich als Ruhezeit und nicht als Arbeit verstanden werden.

C. Erläuterung der Vorlagefragen

zu 1:

Im vorliegenden Fall ist über den Antrag zu entscheiden:

Festzustellen, dass die von der Beklagten gegenüber dem Kläger in seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit angeordneten Bereitschaftsdienste Arbeitszeit im Sinne von § 2 ArbZG sind,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, in seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit Arbeitsleistung und Bereitschaftsdienst (als Bereithalten für bedarfsweise Arbeitsleistung an einem von der Beklagten angeordneten Ort) einschließlich Überstunden im Umfang von mehr als 10 Stunden werktäglich insgesamt und mehr als durchschnittlich 48 Stunden pro Woche insgesamt zu leisten.

Die Entscheidung hängt damit davon ab, ob die Bereitschaftsdienste im vollem Umfang als Arbeitszeit zu werten sind, auch wenn eine Inanspruchnahme nicht erfolgt.

Das Arbeitszeitgesetz ist in Umsetzung der Richtlinie 93/104 EG in Nationales Recht entstanden. Die Begründung der Bundesregierung nimmt Bezug auf die Richtlinie (Seite 19 der Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 12/5888). Die Bundesregierung hat in einer Antwort auf die große Anfrage Arbeitszeitflexibilisierung (Bundestagsdrucksache 13/2581) das Arbeitszeitgesetz als Umsetzung der Richtlinie 93/104 bezeichnet.

Das Gericht geht auf Grund der nationalen Regelung in § 5 Abs. 3 ArbZG davon aus, dass der vom Kläger abzuleistende Bereitschaftsdienst dann als Ruhezeit zu werten ist, wenn der Kläger nicht tatsächlich zur Arbeitsleistung herangezogen wird. Damit wäre die Klage abzuweisen. Der Kläger könnte sich nicht darauf berufen, er sei nicht verpflichtet, Bereitschaftsdienst und Arbeitszeit in einem Umfang von mehr als 10 Stunden täglich und mehr als durchschnittlich 48 Stunden pro Woche zu leisten.

In der Entscheidung des EuGH vom 3.10.2000 (Rs. 303/98 - SIMAP) ist ausgeführt, der Bereitschaftsdienst, den die Ärzte der Teams zur medizinischen Grundversorgung in Form persönlicher Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung leisten, sei insgesamt als Arbeitszeit und gegebenenfalls als Überstunden im Sinne der Richtlinie 93/104 anzusehen. Entgegen der Auffassung des Klägers und des Arbeitsgerichts kommt es nicht darauf an, ob der dort entschiedene Fall gleich gelagert ist. Denn die Frage, ob Bereitschaftsdienst auch dann als Arbeitszeit zu werten ist, wenn der Arbeitnehmer schlafen darf, war nicht gestellt und daher auch nicht beantwortet worden. Das BAG hat in den letzten Jahren wiederholt (u.a. Urteil vom 30.1.1996 - 3 AZR 1030/94 - AP TVG § 1 Tarifverträge: DRK Nr. 5 = EzA § 4 Rotes Kreuz Nr. 2; Urteil vom 22.11.2000 - 4 AZR 612/99 - EzA § 4 TVG Rotes Kreuz Nr. 4 = NZA 2001,451 = DB 2001,820), jedoch die vergütungsrechtliche Seite betreffend, ausgeführt, Bereitschaftsdienst sei Ruhezeit. Ein Mitarbeiter, der während der Nachtschicht erlaubtermaßen schlafe, werde nicht von sich aus, also aus eigener Initiative tätig, wenn er erst durch einen vom Arbeitgeber, hier durch einen von einem Mitarbeiter der Rettungsleitstelle der Beklagten getätigten Telefonanruf geweckt wird, um dann tätig zu werden. Der schlafende Arbeitnehmer erbringe nicht eine im Verhältnis zur Vollarbeit graduell geringere Arbeitsleistung, sondern gar keine Arbeitsleistung. Vielmehr ruhe er. Ein Nachtdienst, in dem der Arbeitnehmer die Befugnis zum Schlafen habe, sei Ruhezeit.

Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutete das, dass der Arbeitnehmer, der die Befugnis zum Schlafen hat, in dieser Zeit dem Arbeitgeber nicht i.S. des Art. 1 Ziff. 1 RiL 93/104 EG zur Verfügung steht.

zu 2:

Sollte die Frage 1 nicht eindeutig beantwortet werden können, hinge die Entscheidung des vorliegenden Falles davon ab, ob die Regelung in § 5 Abs. 3 ArbZG gegen Art. 2 Ziff. 1 und 2 der RiL 93/104 EG verstößt. Denn dann wäre unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht vorgeht, eine richtlinienkonforme Auslegung des § 5 Abs. 3 ArbZG geboten.

zu 3 und 4:

Angesichts der Tatsache, dass die Beklagte sich auf die Vorschriften in § 5 Abs. 3 und § 7 Abs. 2 ArbZG (für eine tarifvertragliche Regelung) beruft, sind die Fragen zu 3 und 4 geboten.

Die Kammer geht davon aus, dass über den Hilfsantrag zu entscheiden sein wird. Daher ist der Rechtsstreit nicht bereits dann entscheidungsreif, wenn die Frage, ob Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit oder Ruhezeit zu werten ist, geklärt ist. Vielmehr kommt es auch darauf an, ob sich die Regelungen in §§ 5 Abs. 3 und 7 Abs. 2 ArbZG im Rahmen der Regelungsspielräume hält, die die Richtlinie den Mitgliedsstaaten und Sozialpartnern lassen wollte. Sollte nämlich Bereitschaftsdienst Arbeitszeit sein und die nationale Gestaltung des Bereitschaftsdienstes gegen Art. 3 RiL 93/104 EG verstoßen, könnte die nationale Regelung doch durch Art. 17 Abs. 2 RiL gedeckt sein.

Es kommt dabei darauf an, ob sich eine nationale oder tarifvertragliche Regelung, die eine Kürzung von Ruhezeiten vorsieht, auch dann im Rahmen der RiL 93/104 EG hält, wenn die Regelung davon ausgeht, dass Bereitschaftsdienst als Ruhezeit anzusehen ist.

§ 5 Abs. 3 ArbZG, § 7 Abs. 2 Ziff. 1 ArbZG gehen über Art. 3 der Richtlinie (11 Stunden ununterbrochene Ruhezeit) hinaus, indem die Vorschrift nicht nur Verkürzungen, sondern auch Unterbrechungen der Ruhezeit zulässt. Die Tatsache, dass der Kreis der Betroffenen in §§ 5 Abs. 3, 7 Abs. 2 Ziff. 1 ArbZG und der in Art. 17 Abs. 2 Ziff. 2.1 c) i) RiL 93/104 EG gleich ist, deutet auf eine Inanspruchnahme des Art. 17 Abs. 2 Ziff. 2.1 c) i) der Richtlinie hin. Dabei ist zu berücksichtigen, dass §§ 5 Abs. 3 und § 7 Abs. 2 ArbZG von dem bisherigen nationalen Arbeitszeitbegriff ausgehen, weshalb die Vorschrift in § 5 Abs. 3 ArbZG im Zusammenhang mit der Regelung der Ruhezeit steht und nicht etwa in § 2 ArbZG angesiedelt ist, wo der Begriff der Arbeitszeit festgelegt ist.

Aus § 15 Abs. 6 des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrags (BAT) ergibt sich, dass der Angestellte verpflichtet ist, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen (Bereitschaftsdienst). Der Arbeitgeber darf Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. In Nr. 6 B der Sonderregelung 2a zum BAT (SR 2a), die hier auch anzuwenden ist, ist eine Höchstzahl von monatlichen Bereitschaftsdiensten festgelegt, die je nach dem Umfang der Inanspruchnahme gestaffelt ist. Weiter ist vorgeschrieben, dass nach einem zusammenhängenden Wochenendbereitschaftsdienst oder einem anderen entsprechend langen Bereitschaftsdienst eine Ruhezeit von mindestens zwölf Stunden dienstplanmäßig vorzusehen ist. Ferner soll einem Angestellten, der an einem Kalendertag, an dem er eine Arbeitszeit - ausschließlich der Pausen - von mindestens siebeneinhalb Stunden abgeleistet hat, und der zu einem mindestens zwölfstündigen Bereitschaftsdienst der Stufe C oder D (25 - 40 % bzw. 40 bis 49 % Inanspruchnahme) herangezogen wird, nach diesem Bereitschaftsdienst eine Ruhezeit von mindestens acht Stunden gewährt werden.

Diese Regelung zeigt, dass nicht nur der nationale Gesetzgeber, sondern auch die Tarifvertragsparteien (Sozialpartner) davon ausgehen, dass Bereitschaftsdienst grundsätzlich als Ruhezeit anzusehen ist.

Wenn auf Grund der nationalen Reglung bzw. in dem Tarifvertrag sicher gestellt wäre, dass trotz Bewertung des Bereitschaftsdienstes als Ruhezeit den Arbeitnehmern ausreichende Ausgleichszeiträume gewährt werden, könnte der Zielrichtung der Richtlinie, Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer in der Gemeinschaft zu gewährleisten, Rechnung getragen werden.

In diesem Fall wäre die Klage mit dem Hilfsantrag abzuweisen.

Ende der Entscheidung

Zurück