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Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 10.04.2008
Aktenzeichen: 4 TaBV 1/08
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG, BGB, AGG
Vorschriften:
ArbGG § 92 a | |
BetrVG § 23 | |
BetrVG § 23 Abs. 1 | |
BetrVG § 75 | |
BetrVG § 75 Abs. 1 | |
BetrVG § 102 | |
BetrVG § 103 | |
BetrVG § 103 Abs. 2 | |
BetrVG § 1475 Abs. 1 | |
BGB § 626 | |
BGB § 823 Abs. 1 | |
AGG § 1 | |
AGG § 7 Abs. 1 | |
AGG § 12 Abs. 3 |
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Beschluss
Aktenzeichen: 4 TaBV 1/08
Verkündet am 10.04.2008
Im Beschlussverfahren
hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Anhörung der Beteiligten am 10.04.2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und d. ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Arbeitgeberin (Antragstellerin) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 11.12.2007 - 3 BV 91 b/07 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (nachfolgend: Arbeitgeberin) ist Trägerin der P. S. Residenz W. in B. Sie beschäftigt im dortigen Betrieb ca. 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Antragsgegner ist der dort gebildete Betriebsrat. Die 1949 geborene und verheiratete Beteiligte zu 3. ist seit dem 1. Januar 1993 als Pflegehelferin bei der Arbeitgeberin beziehungsweise deren Rechtsvorgängerin in der Residenz W. beschäftigt. Seit dem 6. März 1996 liegt bei ihr ein Grad der Behinderung von 50 vor. Die Beteiligte zu 3. ist Mitglied des Betriebsrates und seit dem 10. Juli 2007 dessen Vorsitzende.
Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zur beabsichtigten fristlosen Kündigung der Beteiligten zu 3.
Die Beteiligte zu 3. erhielt seit dem Jahre 2004 verschiedene Abmahnungen, und zwar mit Datum vom 24. August 2004, vom 14. April 2005, vom 27. Oktober 2005, vom 28. Oktober 2005, vom 16. Februar 2007, vom 18. Februar 2007 und vom 15. März 2007. Mit diesen Abmahnungen rügte die Arbeitgeberin im wesentlichen Verletzungen des Rauchverbots, Nichteinhaltung der Hygiene- und Arbeitssicherheitsvorschriften und Beeinträchtigung des Betriebsfriedens durch diskriminierende und respektlose Äußerungen über Kollegen. Wegen des Inhaltes der Abmahnungen wird im Einzelnen Bezug genommen auf die zur Akte gereichten Kopien (Bl. 21 - 27 d.A.).
Die Beteiligte zu 3. erhielt für September 2007 eine Verdienstabrechnung, die einen Nettobetrag in Höhe von 148,64 EUR aufwies. Üblicherweise belief sich der Nettoverdienst der Beteiligten zu 3. auf knapp unter 1.000,00 EUR. Da sich die Beteiligte zu 3. die Septemberabrechnung des Jahres 2007 nicht erklären konnte, rief sie auf Anraten ihres Rechtsanwaltes, des jetzigen Verfahrensbevollmächtigten, am 5. Oktober 2007 um ca. 12:40 Uhr in der Verwaltung an und erkundigte sich bei dem dortigen Mitarbeiter W. danach, wer für die Weiterleitung der "Stundenzettel" zuständig sei. Sie erhielt die Antwort, dass die personalbezogenen Angelegenheiten komplett der Residenzleitung unterstünden. Auf diese Antwort hin hörte der Mitarbeiter W. am Telefon im Hintergrund eine Männerstimme, wobei zwischen den Beteiligten streitig ist, ob diese Stimme sagte, "Also die D., die kann sich warm anziehen".
Am Montag, den 8. Oktober 2007, sprach der Mitarbeiter W. die Beteiligte zu 3. im Büro der Verwaltung auf dieses Gespräch an und fragte, welche Stimme im Hintergrund zu hören gewesen sei. Darauf bestätigte die Beteiligte zu 3., dies sei die Stimme ihres Ehemannes gewesen. Die weitere Frage, ob das Gespräch über Lautsprecher gelaufen sei, bejahte die Beteiligte zu 3. Am 5.Oktober 2007 unterrichtete die Beteiligte zu 3. den Mitarbeiter W. weder zu Beginn des Telefonats noch in dessen Verlauf darüber, dass das Gespräch über Lautsprecher lief und von ihrem Ehemann mitgehört wurde.
Der Mitarbeiter W. fertigte darüber eine Beschwerde und legte diese am 8. Oktober 2007 der Residenzleiterin D. vor. Wegen der Einzelheiten der Beschwerde wird Bezug genommen auf die zur Akte gereichte Kopie (Bl. 28 d.A.).
Die Arbeitgeberin gab der Beteiligten zu 3. mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 Gelegenheit, zu dem Vorfall bis zum 22. Oktober 2007 Stellung zu nehmen. Mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 18. Oktober 2007 bestätigte dieser, dass das Gespräch von dem Ehemann der Beteiligten zu 3. aufgrund des angestellten Lautsprechers mitgehört werden konnte. Dies habe Herr W. jedoch auch registriert, da die Beteiligte zu 3. es nicht verheimlicht habe.
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2007 an die Kreisverwaltung P. - Fachdienst Soziales - beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Integrationsamtes zur beabsichtigten außerordentlichen fristlosten Kündigung der Beteiligten zu 3. Das Integrationsamt traf nicht innerhalb von 2 Wochen vom Tage des Eingangs des Antrages eine Entscheidung und wies die Arbeitgeberin mit Bescheid vom 5. November 2007 darauf hin, dass wegen des Fristablaufes die Zustimmung als erteilt gelte.
Am 2. November 2007 leitete die Arbeitgeberin gegenüber dem Betriebsrat die Anhörung zur beabsichtigten fristlosen Kündigung der Beteiligten zu 3. gemäß § 102 BetrVG ein und beantragte die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG zur beabsichtigten fristlosen Kündigung. Der Betriebsrat lehnte mit Schreiben vom 2. November 2007 die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Beteiligten zu 3. ab und begründete dies damit, die Beteiligte zu 3. habe ihre Verschwiegenheitspflicht nicht verletzt, da es sich bei dem Septembergehalt um eine Angelegenheit ihrer Existenz gehandelt habe.
Am 6. November 2007 hat die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht beantragt, die Zustimmung des Betriebsrates zur Kündigung der Beteiligten zu 3. zu ersetzen. Mit weiterem Antrag vom 7. Dezember 2007 hat die Arbeitgeberin hilfsweise beantragt, die Beteiligte zu 3. aus dem Betriebsrat auszuschließen.
Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, die Beteiligte zu 3. habe durch ihr Verhalten am 5. Oktober 2007 das Persönlichkeitsrecht des Herrn W. aus Artikel 2 Abs. 1, Artikel 1 Abs. 1 GG verletzt. Dass Herr W. während des Gesprächs das Mithören bemerkt habe, ändere nichts an der Rechtswidrigkeit des Verhaltens. Es sei absolut inakzeptabel, dass die Beteiligte zu 3. einen Kollegen in seinem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht verletze. Auch habe die Beteiligte zu 3. durch dieses Verhalten in schwerwiegender Weise ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Ihr obliege die Verpflichtung zur Verschwiegenheit. Gesprächsinhalt des Telefonanrufs vom 5. Oktober 2007 sei die Zuständigkeit für die Weitergabe der "Stun-denzettel" gewesen. Dies betreffe interne Betriebsabläufe. Sie habe es ihrem Ehemann ermöglicht, darüber Kenntnis zu erlangen. Schließlich obliege es der Beteiligten zu 3. als Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsvertrag, den Betriebsfrieden einzuhalten. Dies beinhalte den respektvollen Umgang mit den Kollegen. Die gegenseitige vertrauensvolle Zusammenarbeit sei zudem eine Grundvoraussetzung für jedes Arbeitsverhältnis. Auch deren Zerstörung sei geeignet, einen fristlosen Kündigungsgrund darzustellen. Schließlich sei auch von Wiederholungsgefahr auszugehen. Da die Beteiligte zu 3. ihre Amtspflicht aus § 75 Abs. 1 BetrVG in gröblicher Weise verletzt habe, sei sie auch aus dem Betriebsrat auszuschließen. Es sei ihre Pflicht als Betriebsratsmitglied, Rechtsverletzungen im Einzelfall zu verhindern. Auch dürfe sie als Betriebsratsmitglied nicht selbst gegen die in § 75 BetrVG genannten Grundsätze verstoßen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
- die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung der Beteiligten zu 3. zu ersetzen,
- die Beteiligte zu 3. aus dem Betriebsrat der P. S. Residenz W. auszuschließen.
Der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3. haben beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Beide bestreiten, dass der Ehemann der Beteiligten zu 3. gesagt habe, "Also die D., die kann sich warm anziehen". Der Umstand, dass die Beteiligte zu 3. den Lautsprecher eingeschaltet habe, begründe keine Verletzung eines Persönlichkeitsrechts des Mitarbeiters W.. Es könne keine Rede davon sein, dass der Mitarbeiter W. nicht gewusst habe, dass das Gespräch mitgehört werde. Im Gegenteil: Der Ehemann der Beteiligten zu 3. habe von Beginn an während des Telefonats mit seiner Frau gesprochen. Dem angerufenen W. sei deshalb bewusst gewesen, dass es einen Mithörer gegeben habe. Wie sonst habe er vom Mithören des Ehemanns erfahren? Von einer Heimlichkeit könne deshalb keine Rede sein. Weil er das Telefonat nicht abgebrochen habe, habe der Mitarbeiter W. jedenfalls konkludent in das "Dreiergespräch" eingewilligt. Die Beteiligte zu 3. habe sich beim Zeugen W. zudem allein nach der innerbetrieblichen Zuständigkeit für die Erfassung der geleisteten Arbeitszeit erkundigt. Von einer Verletzung der vertraglichen Verschwiegenheitspflicht könne keine Rede sein. Es sei unter keinen Umständen erkennbar, welchen Schaden ein Arbeitgeber dadurch erleide, dass ein Dritter - zudem noch der Ehemann einer Arbeitnehmerin - Kenntnis über den Namen einer Person erhalte, die für die Abrechnung von geleisteten Arbeitsstunden zuständig sei. Die Beteiligte zu 3. habe auch zu keiner Zeit den Betriebsfrieden gestört. Das Telefonat vom 5. Oktober 2007 sei keinem weiteren Arbeitnehmer zur Kenntnis gelangt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten in 1. Instanz wird Bezug genommen auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge der Arbeitgeberin als unbegründet zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird Bezug genommen auf den Inhalt des Beschlusses.
Die Arbeitgeberin hat gegen den ihr am 20. Dezember 2007 zugestellten Beschluss am 8. Januar 2008 Beschwerde eingelegt und diese am 20. Februar 2008 begründet.
Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens behauptet die Arbeitgeberin, der Mitarbeiter W. habe erst gegen Ende des Gesprächs davon Kenntnis erlangt, dass das Telefonat mitgehört wurde. Erst drei Tage später habe er erfahren, dass der Mithörer der Ehemann der Beteiligten zu 3. gewesen sei. Es sei ihm nicht möglich gewesen, sich darauf einzustellen und das Gespräch gegebenenfalls zu beenden.
Die Arbeitgeberin meint, die Beteiligte zu 3. habe damit das Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters W. beeinträchtigt. Der Persönlichkeitsschutz wirke auch im Verhältnis der Arbeitnehmer zueinander. Es bestehe eine Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Beachtung der Grundrechte des Arbeitgebers und seiner Kolleginnen und Kollegen. Jeder Arbeitnehmer sei zur Rücksichtnahme gegenüber seinen Kollegen angehalten.
Zu beachten sei weiterhin, dass der Mitarbeiter W. unfreiwillig Zeuge einer abschätzigen und beleidigenden Bemerkung des Ehemanns der Beteiligten zu 3. bezogen auf die Residenzleiterin D. geworden sei. Das Persönlichkeitsrecht umfasse ebenfalls den Schutz davor, gegen seinen Willen und ohne Abwehrmöglichkeiten mit Auseinandersetzungen zwischen anderen Personen belästigt zu werden. Für den Anruf vom Privatanschluss am 5. Oktober 2007 habe auch weder in inhaltlicher noch in zeitlicher Hinsicht eine Notwendigkeit bestanden. Der Beteiligten zu 3. sei bekannt gewesen, dass für Fragen der Gehaltsabrechnung die Residenzleitung zuständig sei.
Es sei deshalb nicht ersichtlich, weshalb die Beteiligte zu 3. in der Verwaltung der Einrichtung angerufen habe. Zudem sei eine Klärung der Fragen unproblematisch am Arbeitsplatz möglich gewesen. Auch habe die Beteiligte zu 3. vorsätzlich gegen ihre Geheimhaltungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen. Jedenfalls sei dem Hilfsantrag stattzugeben. Die Beteiligte zu 3. habe als Betriebsratsmitglied nach § 75 BetrVG gegenüber dem Mitarbeiter W. eine Schutzpflicht. Diese habe sie grob verletzt.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 11. Dezember 2007 - 3 BV 91 b/07 - abzuändern und
- die Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung der Beteiligten zu 3. zu ersetzen,
- hilfsweise die Beteiligte zu 3. aus dem Betriebsrat auszuschließen.
Der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3. beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Beide wiederholen ihren erstinstanzlichen Vortrag und vertreten die Auffassung, die Arbeitgeberin könne keine Persönlichkeitsrechtsverletzung gemäß Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 GG geltend machen. Die Grundrechte fänden keine Anwendung zwischen Arbeitnehmern. Sie seien staatsgerichtet und entfalteten mittelbare Wirkung allenfalls im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. § 75 BetrVG als kollektivrechtliche Norm sei für die Beteiligte zu 3. nicht unmittelbar anwendbar. Ein fristloser Kündigungsgrund liege zudem nicht vor. Wenn eine Arbeitnehmerin sich telefonisch Auskünfte über ihre eigenen geleisteten Stunden einhole und hierbei der Ehemann mithöre, stelle dies weder eine wiederholte noch eine ernstliche Störung des Betriebsfriedens oder eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht dar. Die Voraussetzungen des § 23 BetrVG seien schließlich auch nicht erfüllt, weil die Beteiligte zu 3. das Telefonat mit dem Kollegen W. nicht in ihrer Funktion als Betriebsratsmitglied geführt habe, sondern als Arbeitnehmerin betreffend ihr individuelles Arbeitsverhältnis.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerde wird Bezug genommen auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze. Auf Frage des Vorsitzenden erklärte die Beteiligte zu 3. im Termin der Beschwerdeverhandlung, am 6. September 2007 sei sie im Krankenhaus gewesen wegen einer Ohrenoperation. Infolge dieser Operation habe sie Probleme mit dem Gehör gehabt. Dies sei der Grund gewesen, warum sie seinerzeit die Mithörtaste immer gedrückt habe. Diesen Vortrag hat die Arbeitgeberin vorsorglich bestritten.
II.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig. Sie ist statthaft und frist- und formgerecht eingelegt worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Es ist weder die Zustimmung des Betriebsrates zu beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. zu ersetzen noch ist die Beteiligte zu 3. aus dem Betriebsrat auszuschließen. Dazu im Einzelnen:
I. Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 3. ist gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG nicht zu ersetzen. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrates, so kann das Arbeitsgericht sie gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
1. Die außerordentliche Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrates ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 626 BGB vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil, also auch vom Arbeitgeber, aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der normalen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Die Rechtsprechung konkretisiert den wichtigen Grund durch eine abgestufte Prüfung in zwei systematisch selbständigen Abschnitten. Es wird zunächst geprüft, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben. Sodann wird untersucht, ob bei Berücksichtigung dieser Umstände und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist. Dabei entscheidet ein objektiver Maßstab (ErfK-Müller-Glöge, § 626 BGB Rd.-Nr. 15). Zu beachten ist dabei weiterhin, dass § 626 BGB keinen absoluten Kündigungsgrund kennt. Jede außerordentliche Kündigung setzt eine umfassende Interessenabwägung voraus. Es sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (ErfK-Müller-Glöge, § 626 BGB Rd.-Nr. 40).
2. Die der Beteiligten zu 3. vorgeworfene Pflichtverletzung ist zwar an sich geeignet, einen wichtigen Grund abzugeben (dazu nachfolgend a.). Dennoch ist die konkrete Kündigung bei Berücksichtigung aller Umstände und der gebotenen Interessenabwägung rechtswidrig und hält dem Maßstab des § 626 BGB nicht stand (dazu nachfolgend b.).
a. Die Beteiligte zu 3. verletzte die ihr gegenüber der Arbeitgeberin aus dem Arbeitsverhältnis bestehende vertragliche Nebenpflicht, Rechtsgüter ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht zu beeinträchtigen beziehungsweise zu verletzen. Indem sie am 5. Oktober 2007 mit dem Kollegen W. ein Telefonat unter Einschaltung des Lautsprechers führte, ohne ihren Gesprächspartner darüber zu informieren, verletzte sie dessen Persönlichkeitsrecht. Ein solches Vorgehen ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund abzugeben.
aa. Als allgemeine Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag obliegt es dem Arbeitnehmer, die betriebliche Ordnung zu wahren. Neben der sich aus den § 1, 7 Abs. 1, 12 Abs. 3 AGG folgenden Pflicht, andere Arbeitnehmer nicht zu diskriminieren und zu belästigen (ErfK-Preis, § 611 BGB Rd.-Nr. 738), besteht weiterhin die grundsätzliche Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis, Rechtsgüter der Kolleginnen und Kollegen im Zusammenhang mit der arbeitsvertraglichen Tätigkeit und der betrieblichen Verbundenheit nicht zu beeinträchtigen beziehungsweise zu verletzen. Jeder Arbeitnehmer ist zur Rücksichtnahme gegenüber seinen Kollegen angehalten. Gerade im Arbeitsverhältnis hat diese Pflicht wegen des personalen Charakters des Dauerschuldverhältnisses eine besondere Bedeutung (Haller/Koch, NZA 1995, Seite 359). Dem einzelnen Arbeitnehmer ist es folglich aus diesem Grunde untersagt, die Persönlichkeitsrechte der Arbeitskollegen rechtswidrig zu verletzen. Das Verbot der Verletzung dieses Rechts ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag selbst (vgl. Fitting, BetrVG, 24. Auflage, § 75 Rd.-Nr. 140).
bb. Die Beteiligte zu 3. verletzte das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters W. und damit auch eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht gegenüber der Arbeitgeberin, weil sie am 15. Oktober 2007 mit dem Kollegen W. ein Gespräch unter Einschaltung einer Mithörmöglichkeit führte, ohne ihren Gesprächspartner darüber zuvor zu informieren.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht nur ein Abwehrrecht aus Artikel 2 Abs. 1, Artikel 1 Abs. 1 GG gegenüber dem Staat, sondern es ist auch ein sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB. Das zivilrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht wird zwar wie das verfassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Artikel 1, 2 GG abgeleitet, ist aber mit diesem beziehungsweise dem Schutz der Menschenwürde und deren Schutzwirkung nicht gleichzusetzen. Es ist ein umfassendes Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit. Es genießt in verfassungskonformer Anwendung und Auslegung der Generalklauseln als sonstiges Recht den Schutz als absolutes Recht (Palandt, BGB, § 823 Rd.-Nr. 84,85).
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt auch davor, dass ein Kommunikationspartner ohne Kenntnis des anderen eine dritte Person als Zuhörer in das Gespräch einbezieht oder die unmittelbare Kommunikationsteilhabe durch den Dritten gestattet (Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 9. Oktober 2002, - 1 BvR 1611/96 -, - 1 BvR 805/98 -, zit. n. JURIS, Rd.-Nr. 31). Das Mithören beziehungsweise Mithören lassen von Telefongesprächen verletzt dann das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Gesprächspartner, wenn dieser von der Vertraulichkeit des Gesprächs ausgehen konnte. Im Allgemeinen ist dies der Fall. Deshalb hat derjenige, der jemanden mithören lassen will, dies dem Gesprächspartner vorher mitzuteilen (BAG, Urteil v. 29. Oktober 1997, - 5 AZR 508/96 -, zit. n. JURIS, Rd.-Nr. 34). Dabei gilt, dass die Vertraulichkeit des Wortes nicht bei Dienstgesprächen ausgeschlossen ist. Zwar dürften mittlerweile nahezu alle Telefonapparate mit Mithörmöglichkeiten ausgerüstet sein. Dennoch bleibt es keinesfalls üblich, dass diese heimlich, also ohne entsprechenden Hinweis an den Gesprächspartner genutzt werden. Auch dienstliche beziehungsweise geschäftliche Gespräche werden in der Mehrzahl der Fälle nicht mitgehört (BAG, Urteil v. 29. Oktober 1997, - 5 AZR 508/96 -, a.a.O., Rd.-Nr. 32).
Es ist unstreitig, dass die Beteiligte zu 3. ihren Kollegen W. während des Gespräches nicht darauf hinwies, sie habe die Mithörmöglichkeit eingeschaltet. Dazu wäre sie verpflichtet gewesen. Dass W. im Laufe des Gespräches den Eindruck erlangte, es könne ein Dritter dieses Gespräch mithören, steht der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts nicht entgegen. Denn daraus kann auch keine Einwilligung abgeleitet werden. Es fehlt am entsprechenden Hinweis zu Beginn des Gesprächs.
Die Verletzung des allgemeinen zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts und damit auch der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht, Rechtsgüter der Kollegen nicht zu beeinträchtigen beziehungsweise zu verletzen, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB darzustellen. Denn ungeachtet der erst in der zweiten Stufe zu prüfenden konkreten Umstände handelt es sich bei der Verletzung des Persönlichkeitsrechtes eines Kollegen grundsätzlich um eine schwerwiegende Vertragsverletzung. Aus dem Gebot der Rücksichtnahme und der betrieblichen Verbundenheit heraus ist es unabdingbar, dass Kolleginnen und Kollegen vor rechtswidrigen Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht durch einen anderen Arbeitnehmer geschützt werden. Ein solcher Schutz kann nur dann effektiv gewährleistet werden, wenn eine diesbezügliche Verletzung auch durch eine fristlose Kündigung sanktioniert werden kann. Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch einen Arbeitskollegen ist daher grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB abzugeben.
b. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände und der gebotenen Interessenabwägung erweist sich die beabsichtigte außerordentliche Kündigung der Beteiligten zu 3. gemessen am § 626 BGB jedoch als rechtswidrig.
Zu beachten ist dabei zunächst, dass nicht zwingend jede Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Kollegen zu einer fristlosen Kündigung führen muss. Denn dann würde dieser Verletzungstatbestand in den Rang eines absoluten fristlosen Kündigungsgrundes gehoben werden. Solche absoluten außerordentlichen Kündigungsgründe kennt § 626 BGB jedoch nicht. Vielmehr hängt die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere von der Intensität der Verletzung ab.
Entscheidend ist hier, dass die Beteiligte zu 3. dem Kollegen W. weder aktiv eine Vertraulichkeit des Gespräches vorgespiegelt hat und es ihr zudem im Hinblick auf den Inhalt des Gespräches auch nicht darum ging, durch das Mithörenlassen Informationen zu erlangen, die sie nur unter Vorspiegelung der Vertraulichkeit erlangt hätte. Besonders ging es ihr nicht mit dem Inhalt des Telefonates darum, von ihrem Gesprächspartner W. Dinge zu erfahren, die dessen berufliche oder private Sphäre persönlich betreffen. Anlass für das Telefonat war für die Beklagte lediglich eine Antwort darauf zu erhalten, wer für die Weiterleitung der Stundenzettel zuständig ist. Wenn sie bezogen auf den Zweck dieses Telefonat die Mithöranlage einschaltete, so bleibt dieses zwar zu beanstanden, es stellt sich jedoch als eine nicht derart schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Mitarbeiters W. dar, die eine fristlose Kündigung im Einzelfall rechtfertigen könnte. Es ging lediglich um die nicht besonders vertrauliche und schutzwürdige Information darüber, wer die Stundenzettel weiterleitet. Hinzu kommt Folgendes: Ungeachtet der streitigen Frage, ob die Beteiligte zu 3. in der damaligen Zeit wegen etwaiger Hörprobleme die Mithöreinrichtung grundsätzlich einschaltete, so bleibt dennoch festzustellen, dass bei Personen, die nicht die entsprechende juristische Schulung haben, das Mithörenlassen von Telefonaten noch immer nicht als besonders problematisch angesehen wird. Für Juristen ist es eindeutig, dass so etwas zu unterbleiben hat und das Persönlichkeitsrecht des Gesprächspartners beeinträchtigt. Für entsprechend juristisch nicht gebildete Personen, zu denen die Beteiligte zu 3. trotz ihres Amtes als Betriebsratsvorsitzende gehört, gilt dies nicht zwingend, jedenfalls nicht dann, wenn sich das Mithörenlassen auf einen Gesprächsinhalt bezieht, der keinen vertraulichen Charakter hat.
Nach alledem erweist sich das Mithören lassen zwar als zu beanstanden und abmahnungswürdig, jedoch nicht als geeignet, eine fristlose Kündigung zu begründen.
Dabei bleibt es auch, sofern der Ehemann der Beteiligten zu 3. gesagt hätte, die D., die könne sich warm anziehen. Die Arbeitgeberin überbewertet diesen streitigen Sachverhalt, wenn sie damit einen fristlosen Kündigungsgrund begründen will unter Hinweis darauf, der Mitarbeiter W. sei damit unfreiwillig Zeuge abschätziger und beleidigender Bemerkungen gegenüber seiner Vorgesetzen geworden. Zwar ist es richtig, dass das erzwungene Zuhören von Beleidigungen gegenüber Dritten auch eine Belästigung und Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen kann. Entscheidend bleibt aber, dass es sich bei der streitigen Äußerung des Ehemannes weder um eine Beleidung der Leiterin D. handelte noch um eine Belästigung des Kollegen W... Es handelte sich allein um eine etwas kräftigere Wortwahl, die darauf hindeuten sollte, dass es wegen der Septemberabrechnung für Frau D. Probleme geben könne. Eine Beleidigung enthält eine solche Äußerung nicht.
Letztlich überhöht die Arbeitgeberin auch den Sachverhalt mit der Argumentation, die Beteiligte zu 3. habe die ihr obliegende Verschwiegenheitspflicht verletzt. Selbst wenn dies so wäre, wäre die Offenbarung der Antwort, wer für die Weiterleitung der Stundenzettel zuständig ist, derart nebensächlich, dass dies jedenfalls keine fristlose Kündigung und allenfalls eine Abmahnung rechtfertigen könnte. Woraus sich eine besondere Vertraulichkeit dieses Sachverhaltes ergeben soll, erschließt sich dem Beschwerdegericht nicht.
Trotz der verschiedenen Abmahnungen und der Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme gegenüber dem Kollegen W. erweist sich daher die beabsichtigte außerordentliche Kündigung im Hinblick auf die Intensität der Rechtsverletzung - auch unter Berücksichtigung der langen Betriebszugehörigkeit der Beteiligten zu 3. - als rechtswidrig, weshalb die Zustimmung nicht zu ersetzen ist.
II. Auch der Antrag gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG auf Ausschluss der Beteiligten zu 3. aus dem Betriebsrat wegen grober Verletzung ihrer gesetzlichen Pflichten ist unbegründet. Zwar ist insoweit der Hinweis der Arbeitgeberin durchaus zutreffend, dass § 75 Abs. 1 BetrVG auch Pflichten für das einzelne Betriebsratsmitglied begründet. Entscheidend ist aber, dass dies für § 23 Abs. 1 BetrVG nur dann relevant ist, wenn und soweit das Betriebsratsmitglied betriebsverfassungsrechtliche Aufgaben wahrnimmt und dabei die diesbezüglichen Rechte grob verletzt (vgl. Fitting, BetrVG, § 75 Rd.-Nr. 10). Davon kann hier jedoch keine Rede sein. Die Beteiligte zu 3. rief am 15. Oktober 2007 den Mitarbeiter W. nicht in ihrer Funktion als Mitglied des Betriebsrates oder als Betriebsratsvorsitzende an, sondern aus ihrer Stellung als Arbeitnehmerin, weil sie wissen wollte, wer für die Weiterleitung der Stundenzettel zuständig war. Anlass für diesen Anruf waren Unstimmigkeiten in ihrer Septemberabrechnung. Es ging ihr also dabei um die Wahrnehmung etwaiger Rechte aus dem Arbeitsverhältnis und nicht um die Erfüllung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben. Letztere müssen aber verletzt werden, um die Sanktion gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG zu ermöglichen. Allein die Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten ist für § 23 Abs. 1 BetrVG unerheblich.
Nach alledem ist auch dieser Antrag zurückzuweisen.
Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht nicht. Die Angelegenheit hat keine grundsätzliche Bedeutung.
Ende der Entscheidung
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