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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 03.06.2008
Aktenzeichen: 5 Sa 22/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
BGB § 611 Abs. 1
Der unbefugte Zugriff in den E-Mail-Account des Arbeitgebers ist grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Urteil

Im Namen des Volkes

Kiel, 06.06.2008

Aktenzeichen: 5 Sa 22/08

Verkündet am 03.06.2008

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 03.06.2008 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 12. Dezember 2008, Az.: 4 Ca 1479 b/05, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage und Widerklage werden abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen der Beklagte zu 60 % und die Klägerin zu 40 %.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie um Rückzahlung gezahlten Gehaltes.

Die 37-jährige Klägerin ist ledig und zwei Kindern unterhaltsverpflichtet. Sie ist bei dem Beklagten, der eine Hautarztpraxis betreibt, seit dem 01.04.2005 als Assistentin der Geschäftsleitung zu einem Bruttomonatsgehalt von € 5.000,-- beschäftigt.

Die Parteien verband seit ca. fünf Jahren eine uneheliche Lebenspartnerschaft und wohnten zusammen. Die Klägerin war unstreitig vom 19.02.2007 bis zum 23.03.2007 arbeitsunfähig erkrankt und wies dies gegenüber dem Beklagten durch Einreichung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach. Hintergrund der Erkrankung war, dass eine dritte Person böswillig Gerüchte über die Parteien streute. Dies gipfelte darin, dass die Klägerin in diversen Internetforen oder -seiten als Person präsentiert wurde, die ihre sexuellen Dienste anbietet. Für die Zeit nach dem 23.03.2007 erhielt die Klägerin von ihrem behandelnden Arzt Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die sie jedoch weder an den Beklagten noch an die Krankenkasse weiterreichte. Im Sommer des Jahres 2007 trennten sich die Parteien und am 19.06.2007 zog der Beklagte aus der gemeinsamen Wohnung aus. Es ist streitig, ob die Klägerin von April bis einschließlich Juli 2007 ihren arbeitsvertraglichen Pflichten nachkam. Unstreitig erledigte die Klägerin zumindest in geringem Umfang von zu Hause aus Arbeiten für den Beklagten. Unstreitig führte sie in diesen Monaten nach wie vor die Gehaltslisten und übergab diese Frau S..., die die Lohnabrechnungen entsprechend fertigte und schließlich Herrn F... übergab, der die Gehaltsanweisungen veranlasste. Aus der zu den Akten gereichten E-Mail-Korrespondenz der Parteien folgt, dass die Klägerin während der strittigen Zeit u. a. angewiesen wurde, eine Sicherungsplatte für T... zu bestellen (Anlage K 7, Bekl. 129 d. GA.), sich um Werbemaßnahmen zu kümmern (Anlage K 7, Bl. 130 d. GA.), bei einer Besprechung mit einem Arzt anwesend zu sein (Anlage K 7, Bl. 131 d. GA.). Des Weiteren sichtete die Klägerin Bewerbungsunterlagen künftiger Auszubildender und kümmerte sich um die Verabredung von Vorstellungsgesprächen (Anlage K 7, Bl. 133). Die Klägerin fragte den Beklagten zudem am 03.07.2007, ob noch etwas vor Ort zu erledigen sei, was dieser verneinte. Sie übermittelte dem Beklagten am 04.07.2007 eine Preisliste für die Haarentfernung, sowie eine von ihr ausgearbeitete Kombibehandlung und schlug in der Kosmetik "Rabattwochen" vor. Die Klägerin bezog auch in den Monaten April bis Juli 2007 Gehalt von dem Beklagten. Mit Schreiben vom 18.07.2007 wandte sich die Firma S... wegen noch offener Forderungen an den Beklagten und teilte u. a. Folgendes mit (Bl. 59 d. GA.):

"... vorab gesagt, bedauere ich, dass ich Sie trotz Ihres Hinweises per Email, die Zuständigkeit einzuhalten, doch anschreiben muss und dass Sie so viel lesen müssen, doch bitte ich zu würdigen, dass ich mich durchaus in Ihrem Sinne bei Ihnen melde.

Dass ich Ihnen auf dem Postweg dieses Schreiben zukommen lasse liegt in der Annahme, dass Frau H... und Herr F... meine an Sie gerichteten Emails zu Frau H... umleiten. Allerdings habe ich seit der letzten Kontaktaufnahme und nach Ihrer Rückantwort keine weiteren Emails zu Ihnen gesendet, sondern ich habe mich bemüht, mit Frau H... die verschiedenen Vorgänge abzuschließen, was bis heute nicht möglich war.

Die Situation mit Ihrer Frau H... und unserem Herrn F... ist äußerst verfahren, daher spreche ich ganz offen. ..."

Der neue Freund der Klägerin war der genannte Herr F....

Mit Schreiben vom 31.07.2007 erklärte der Beklagte die außerordentliche, hilfsweise fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses (Bl. 5. d. GA.).

Der Beklagte hat behauptet,

die fristlose Kündigung sei berechtigt, weil die Klägerin unberechtigterweise veranlasst habe, dass ihr während ihrer über den 23.04.2007 hinaus fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit und nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums weiterhin Gehälter ausgezahlt wurden. Sie sei nicht mehr zur Arbeit erschienen und habe auch gegenüber den übrigen Mitarbeitern kund getan, dass sie weiterhin krank sei. Die Klägerin habe sich mithin in den Monaten April bis Juli 2007 ungerechtfertigt bereichert, sodass auch die Widerklage in Höhe von vier Monatsgehältern berechtigt sei. Von den Gehaltszahlungen habe er erst Ende Juli 2007 auf Nachfrage bei Herrn F... (E-Mail vom 30.06.2007, Bl. 55 d. GA.) erfahren. Des Weiteren habe die Klägerin unberechtigterweise an ihn gerichtete E-Mails der Fa. S... an sich weitergeleitet, wovon er durch das Schreiben vom 18.07.2007 Kenntnis erlangt habe. Die ordentliche Kündigung sei schließlich sozial gerechtfertigt, weil er die Unternehmerentscheidung getroffen habe, die Stelle der Assistentin der Geschäftsführung dauerhaft zu streichen. Seit Ausscheiden der Klägerin sei Herr F... zuständiger Personalreferent.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz, insbesondere des streitigen Parteivorbringens, sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 12.12.2007 der Kündigungsschutzklage in vollem Umfang stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Weder die fristlose noch die ordentliche Kündigung seien gerechtfertigt gewesen. Allein der Umstand, dass die Klägerin Gehaltszahlungen ab April 2007 erhalten habe, lasse nicht den Schluss auf Überschreitung von Kompetenzen oder Täuschungshandlungen zu. Auch der Vorwurf, den E-Mail-Verkehr des Beklagten manipuliert zu haben, rechtfertige nicht die fristlose Kündigung. Als Assistentin der Geschäftsleitung habe die Klägerin umfassende Befugnisse gehabt. Da der Beklagte selbst Herrn R... von der Fa. S... aufgefordert habe, sich nicht an ihn, sondern an die Klägerin zu wenden, könne das Verhalten der Klägerin in Bezug auf die Umleitung der E-Mails der Fa. S... nicht als erheblicher arbeitsvertraglicher Pflichtverstoß, der kündigungsrelevant sei, bewertet werden. Die ordentliche Kündigung sei nicht durch dringende betriebsbedingte Gründe sozial gerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG. Der Beklagte habe die Umsetzbarkeit der behaupteten Unternehmerentscheidung nicht ausreichend dargelegt. Die Widerklage sei unbegründet. Die Klägerin habe im Einzelnen dargestellt, welche Arbeiten sie in den Monaten April bis Juli 2007 verrichtet habe. Demgegenüber habe der Beklagte nicht substantiiert dargelegt, dass die Klägerin aufgrund einer Erkrankung außerstande gewesen sei, Arbeitsleistungen zu erbringen. Die Klägerin habe mithin die Gehälter nicht ohne Rechtsgrund erhalten.

Gegen dieses ihm am 03.01.2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 17.01.2008 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese am 03.03.2008 begründet.

Der Beklagte wiederholt und vertieft im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag. Die Klägerin habe in dem Zeitraum von April bis Juli nicht gearbeitet und gleichwohl veranlasst, dass ihr die Gehälter überwiesen wurden. Sie habe nur sporadisch das Büro aufgesucht, höchstens ein-/zweimal pro Woche für jeweils höchstens eine Stunde. Sie habe gegenüber den Mitarbeitern F... und F... auch angegeben, wegen privater Belastungen im Büro keine Ruhe zu finden und deshalb weiter krankgeschrieben zu sein. Die Mitarbeiter S... und F... hätten bezüglich der Gehälter keine Kontroll- und Entscheidungsmöglichkeit gehabt und sich strikt an die Vorgaben in den von der Klägerin geführten Gehaltslisten gehalten. Er selbst habe von den Gehaltszahlungen keine Kenntnis gehabt. Die sporadischen Tätigkeiten der Klägerin während der Arbeitsunfähigkeiten führten auch nicht zu einem Vergütungsanspruch. Bei leitenden Angestellten in verantwortungsvollen Positionen sei es üblich, dass diese, soweit es ihre Arbeitsunfähigkeit zulasse, wenn auch nur in sehr geringem Umfang, aufgrund ihrer Loyalität zum Arbeitgeber Aufgaben erledigten. Die Klägerin habe zudem nachweisbar seinen, des Beklagten, E-Mail-Account ausspioniert. Auch seine E-Mail an Herrn F... vom 30.06.2007 (Anlage K 4, Bl. 55 d. GA.) sei umgeleitet worden an die Klägerin. Nur durch die Umleitung des E-Mailverkehrs sei es möglich gewesen, dass die Klägerin Kenntnis von der an ihn, den Beklagten, gerichteten E-Mail seines damaligen Rechtsanwalts K... vom 31.07.2007 erhalten habe (Bl. 109 d. GA.). Über den genauen Inhalt jener E-Mail habe die Klägerin unstreitig einen handschriftlichen Vermerk gefertigt, den er, der Beklagte, zur Jahreswende 2007/2008 beim Ausräumen des klägerischen Schreibtisches gefunden habe. Die Klägerin habe durch die Um-/ Weiterleitung der E-Mails eine illegal herbeigeführte Zugriffsmöglichkeit gezielt aus eigennützigen Motiven missbraucht und damit schwerwiegend gegen ihre Vertragspflichten verstoßen. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten. Die ordentliche Kündigung sei betriebsbedingt erforderlich gewesen. Der klägerische Arbeitsplatz sei durch die Unternehmerentscheidung in Wegfall geraten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kiel vom 12.12.2007, Az. 4 Ca 1479 b/07, abzuweisen und die Klägerin zu verurteilen, an ihn € 22.686,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf € 5.671,50 seit dem 01.05.2007, auf € 5.671,50 seit dem 01.06.2007, auf € 5.671,50 seit dem 01.07.2007 sowie auf € 5.671,50 seit dem 01.08.2007 zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt

das angefochtene Urteil. Sie sei ab dem 24.03.2007 wieder arbeitsfähig gewesen. Die weitergehenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen habe sie sich auf Geheiß des Beklagten nur formal ausstellen lassen, um diese ggf. in einem Schadensersatzprozess gegen den Straftäter in der Verleumdungssache zu verwenden. Sie habe auch von April bis Juli 2007 für den Beklagten gearbeitet. Die Parteien hätten wegen der privaten Beziehung und des erheblichen Aufwandes, den der unbekannte Straftäter verursacht habe, vereinbart, dass sie ihre Arbeit auch von zu Hause aus verrichten könne und nur bei betrieblichen Notwendigkeiten in den Geschäftsräumen anwesend sein müsse. Die von ihr vorbereiteten Gehaltslisten seien zudem nochmals durch die Buchhalterin und Herrn F... überprüft worden. Eine Täuschungshandlung habe nicht vorgelegen. Es sei zudem unglaubwürdig, dass der Beklagte keine Kenntnis von den Gehaltszahlungen gehabt habe. Der Beklagte selbst habe angewiesen, dass sie für die Bearbeitung des E-Mail-Verkehrs von Herrn R. allein zuständig sei. Der Beklagte habe mithin gewusst, dass sie unstreitig diese E-Mails erhalten habe. Auch die Anlage K 4 belege nicht, dass sie unberechtigterweise E-Mails an sich weitergeleitet habe. Der Beklagte habe sie ständig gedrängt, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Krankenkasse zu senden. Hinsichtlich des handschriftlichen Vermerks über den Inhalt der E-Mail von Rechtsanwalt K... vom 31.07.2007 beruft sich die Klägerin auf anderweitige Rechtshängigkeit. Diesen Vorfall habe der Beklagte zum Anlass einer weiteren fristlosen Kündigung vom 15.01.2008 genommen, die vor dem Arbeitsgericht in einem weiteren Verfahren, Az. 4 Ca 158b/08, anhängig sei. Ungeachtet dessen habe der Beklagte sie aber auch ausdrücklich angewiesen, dessen E-Mail-Verkehr durchzuschauen, damit er nichts übersieht. Rechtsanwalt K... sei auf ihre Empfehlung hin vom Beklagten in der Verfolgungsangelegenheit mandatiert gewesen. Deshalb habe sie diese strittige E-Mail aufgeklickt und gelesen. Der Inhalt der E-Mail habe ihre seit der privaten Trennung bestehende Befürchtung, der Beklagte wolle entgegen seiner mündlichen Zusage das Arbeitsverhältnis lösen, bestätigt. Deshalb habe sie den Vermerk für sich gefertigt, ihn indessen beim überstürzten Verlassen des Büros vergessen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 03.06.2008 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.

In der Sache selbst hat die Berufung teilweise Erfolg.

Aufgrund des im Berufungsverfahren neuen Vorbringens der Beklagten war die Kündigungsfeststellungsklage unbegründet. Das Arbeitsverhältnis endete mit Zugang der fristlosen Kündigung vom 31.07.2007 zum 06.08.2007 (I.). Das Arbeitsgericht hat indessen die Widerklage zu Recht abgewiesen. Der Beklagte hat keinen Anspruch auf Rückzahlung gezahlter Gehälter (II.).

I. Die streitgegenständliche fristlose Kündigung ist nach § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

1. Eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB ist berechtigt, wenn sie aufgrund eines wichtigen Grundes ausgesprochen wird, aufgrund dessen es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der geltenden Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Ein wichtiger Grund ist dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar machen. Im Rahmen der außerordentlichen Kündigung ist mithin zunächst in einer ersten Stufe zu prüfen, ob ein arbeitsvertraglicher Pflichtverstoß bzw. der Kündigungssachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung abzugeben. In der zweiten Prüfungsstufe ist sodann zu klären, ob es dem Arbeitgeber im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Interessen unzumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen (BAG, Urt. v. 11.12.2003 - 2 AZR 36/03 -, AP Nr. 179 zu § 626 BGB; BAG, Urt. v. 27.03.2003 - 2 AZR 51/02 -, AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG 1972 'Überwachung'; BAG, Urt. v. 20.01.1994 - 2 AZR 521/93 -, AP Nr. 115 zu § 626 BGB; LAG Düsseldorf, Urt. v. 11.05.2005 - 12 (11) Sa 115/05 -, zit. n. Juris; KR-Fischermeyer, 8. Aufl., Rn. 84 ff. zu § 626 BGB).

2. Die Beklagte stützt die außerordentliche Kündigung im Berufungsverfahren auf drei unterschiedliche Lebenssachverhalte. Zum einen habe die Klägerin sich unberechtigterweise Gehaltszahlungen erschlichen, zum anderen habe sie seinen, des Beklagten, E-Mail-Account dadurch ausspioniert, dass sie an ihn gerichtete E-Mails der Fa. S... auf sich umgeleitet habe und drittens habe sie sich Zugang zu seinem E-Mail-Account verschafft und die an ihn gerichteten E-Mails von Rechtsanwalt K. gelesen.

a) Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Klägerin die Zahlungen der Gehälter für April bis Juli 2007 nicht in betrügerischer Absicht veranlasst habe. Bereits nach dem unstreitigen Sachverhalt steht fest, dass die Klägerin in dem genannten Zeitraum für den Beklagten gearbeitet hat. Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Klägerin nicht oder nur sporadisch im Büro anwesend gewesen sei und auch nur wenige Arbeiten erledigt habe. Im Arbeitsverhältnis schuldet der Arbeitnehmer das Wirken und nicht das Werk. Es wäre dann Sache des Beklagten gewesen, die Klägerin aufzufordern, von ihrem Arbeitsplatz in der Praxis aus, ihre vertraglich geschuldeten Leistungen zu erbringen. Dem E-Mailverkehr ist zu entnehmen, dass der Beklagte es offenbar toleriert hat, dass die Klägerin von zu Hause aus arbeitete. So hat die Klägerin nachgefragt, ob noch etwas "vor Ort" zu tun sei und damit klar zu verstehen gegeben, dass sie fähig und willens war, auch im Büro zu arbeiten. Der Beklagte seinerseits hat ihr Aufgaben zur Erledigung übertragen und sie nach dem Stand dienstlicher Angelegenheiten befragt. Es unterliegt mithin keinem Zweifel, dass die Klägerin für den Beklagten auch gearbeitet hat. Sie hat mithin zu Recht ihren eigenen Namen auf die von ihr (als Arbeitsleistung) gefertigte Gehaltsliste gesetzt und an die Buchhaltung weitergereicht. Eine Täuschungshandlung ist hierin nicht zu erblicken.

b) Soweit die Klägerin unstreitig die Umleitung der an den Beklagten gerichteten E-Mails der Fa. S... einrichtete, rechtfertigt auch dieser Umstand allein keine fristlose Kündigung. Insoweit wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen unter Ziff. 1. a. (2) der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

aa) Ein unbefugter Eingriff in den persönlichen E-Mail-Account des Arbeitgebers ist zwar an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Ein derartiger unbefugter Eingriff betrifft nicht nur den Leistungsbereich, sondern in aller Regel auch ganz maßgeblich den Vertrauensbereich. Die elektronisch gespeicherten persönlichen Daten unterliegen der Privatsphäre und somit dem persönlichen Geheimbereich eines jeden Einzelnen. Diese Wertung kommt insbesondere durch Art. 10 GG und § 202a StGB zum Ausdruck. Auch wenn die elektronischen Daten nicht eigens gegen einen unberechtigten Zugang gesichert sind, so kann der unbefugte Zutritt zum elektronischen Postfach des Arbeitgebers einen erheblichen Eingriff ins Datengeheimnis darstellen, der grundsätzlich geeignet ist, die erforderliche Vertrauensbasis irreparabel zu zerstören, sodass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar ist.

Unstreitig stellt das Umleiten der an den Beklagten gerichteten E-Mails der Fa. S... einen Eingriff in die Datenbank des Beklagten dar.

bb) Der Beklagte hat indessen aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles mit der fristlosen Kündigung gegen den ultima-ratio-Grundsatz verstoßen. Auch bei einer im Vertrauensbereich angesiedelten Vertragsverletzung hat der Arbeitgeber stets das Abmahnungserfordernis als milderes Mittel gegenüber der Kündigung zu prüfen. Dies gilt zumindest dann, wenn es um ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers geht und das bisherige vertragswidrige Verhalten keine klare Negativprognose für die weitere Vertragsbeziehung zulässt und deswegen von der Möglichkeit einer künftigen vertragskonformen Erfüllung auszugehen ist (BAG, Urt. v. 04.06.1997 - 2 AZR 526/96 -, AP Nr. 137 zu § 626 BGB).

cc) Hieran gemessen hätte der Beklagte die Klägerin vor Ausspruch einer ordentlichen oder gar fristlosen Kündigung zuvor abmahnen müssen. Denn die Klägerin war unstreitig für die Betreuung des betrieblichen EDV-Systems und die Erledigung der Korrespondenz mit der Fa. S... allein zuständig. Auch wenn die Klägerin gleichwohl nicht befugt gewesen sein sollte, die diesen Aufgabenbereich betreffenden und an den Beklagten gerichteten E-Mails an sich selbst umzuleiten, so stellte ein derartiges Fehlverhalten zumindest ohne vorherige Abmahnung noch keinen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB dar. Eine solche Kompetenzüberschreitung beträfe wegen der eigens vom Beklagten angeordneten Zuständigkeitsregelungen vorliegend ganz überwiegend den Leistungsbereich. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin sich eine diesbezügliche Abmahnung wegen der Umleitung der strittigen E-Mails der Fa. S... nicht hätte zur Warnung dienen lassen. Vielmehr geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin aufgrund der ausdrücklich vorgegebenen Zuständigkeit den Beklagten in dieser Hinsicht entlasten wollte. Der Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass sein E-Mail-Account gegenüber der Klägerin i. S. v. § 202a StGB besonders gesichert war. Vor diesem Hintergrund kann die Umleitung jener E-Mails auf den E-Mail-Account der Klägerin zumindest nicht ohne vorherige Abmahnung eine verhaltensbedingte oder gar außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

c) Indessen liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vor, weil sich die Klägerin darüberhinaus auch Zugang zum E-Mail-Account des Beklagten verschafft und an ihn persönlich gerichtete E-Mails des Rechtsanwalts K... gelesen hat.

aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sich der Beklagte zur Begründung der außerordentlichen Kündigung vom 31.07.2007 auf diesen ihm nachträglich bekannt gewordenen Kündigungsgrund berufen. Insbesondere steht dem nicht der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit entgegen. Streitgegenstand in dem vor dem Arbeitsgericht Kiel anhängigen Kündigungsrechtsstreit ist u. a. die fristlose Kündigung vom 15.01.2008, demgegenüber ist im vorliegenden Verfahren die fristlose Kündigung vom 31.07.2007 streitgegenständlich. Verfahrensgegenstände der beiden Prozesse sind mithin die unterschiedlichen Kündigungen und nicht einzelne Kündigungsgründe.

bb) Der Beklagte konnte diesen Kündigungsgrund auch "nachschieben". Kündi-gungsgründe, die dem Kündigenden bei Zugang der Kündigung noch nicht länger als zwei Wochen bekannt gewesen sind, können ohne materiell-rechtliche Einschränkungen nachgeschoben werden, wenn sie bereits vor der Kündigung entstanden waren. Diese Voraussetzungen liegen hier unstreitig vor. Die strittige E-Mail datiert vom 31.07.2007 und die fristlose Kündigung vom 31.07.2007 ist der Klägerin am 06.08.2007 zugegangen. Der Beklagte hat damit augenscheinlich nicht zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung von diesem Kündigungsgrund erfahren.

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg - wie in der Berufungsverhandlung eingewandt - auf die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB berufen. Die Ausschlussfrist ist auf später bekannt gewordene wichtige Gründe, die bereits bei Zugang der Kündigung vorlagen, nicht anzuwenden (KR-Fischermeier, 8. Aufl., Rn. 178, 180 zu § 626 BGB m. w. Rspr.- und Lit.-Nachw.). Nach der gesetzlichen Intention des § 626 Abs. 2 BGB wird bei der Überschreitung der Ausschlussfrist, die sachlich den Tatbestand einer Verwirkung des wichtigen Grundes wegen reinen Zeitablaufs regelt, vermutet, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund des verspäteten Ausspruchs der Kündigung gerade nicht unzumutbar ist. Diese durch den verspäteten Kündigungsausspruch ausgelöste Indizwirkung für die fehlende Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum ordentlichen Kündigungstermin tritt indessen nicht ein, wenn bei Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund die fristlose Kündigung bereits ausgesprochen war.

cc) Wie bereits ausgeführt, ist ein unbefugter Zugang zum persönlichen E-Mail-Account des Arbeitgebers an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bieten. Insoweit wird auf Ziff. I. 2. b) aa) dieser Entscheidungsgründe verwiesen.

dd) Auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles hat die Klägerin durch ihr Verhalten am 31.07.2007 ganz erheblich den Vertrauensbereich als notwendige Basis eines Arbeitsverhältnisses verletzt, sodass es dem Beklagten nicht zumutbar war, das Arbeitsverhältnis mit ihr zumindest bis zum 30.09.2007 fortzusetzen.

Die Klägerin hat zwar behauptet, dass der Beklagte sie ausdrücklich beauftragt habe, dessen E-Mailverkehr durchzuschauen, damit er nichts übersehe. Diese vom Beklagten bestrittene Behauptung hat die Klägerin weder nach Anlass und Zeitpunkt substantiiert noch hat sie sie unter Beweis gestellt. Im Unterschied zu der Umleitung geschäftlicher und ausdrücklich in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin fallende E-Mails betrifft das allgemeine Durchsuchen des persönlichen E-Mail-Accounts des Beklagten nicht nur die geschäftlichen und in ihren Aufgabenbereich fallende E-Mails, sondern auch solche, die eindeutig nicht zu ihren Aufgaben zählen und/oder die gänzlich privater Natur sind. Die Klägerin kann sich auch nicht mehr darauf berufen, dass sie als ehemalige Lebenspartnerin des Beklagten auch dessen privaten Angelegenheiten in Bezug auf die Verleumdungsattacke geregelt hat. Auch Ehe- und Lebenspartner haben grundsätzlich das Post- und elektronische Datengeheimnis zu wahren. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass der Beklagte sie ermächtigt hat, seinen E-Mail-Account zu sichten. Ungeachtet dessen hätte sie sich ob der Tatsache, dass die Parteien zum "Tat"-Zeitpunkt 31.07.2007 bereits getrennt waren und der Beklagte am 19.06.2007 aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, eigens rückversichern müssen, dass sie nach wie vor alle an den Beklagten persönlich gerichteten E-Mails sichten darf.

Die Klägerin hat durch dieses vertragswidrige Verhalten nicht nur ihre dienstlichen Kompetenzen erheblich überschritten, sondern auch das Vertrauen in ihre Zuverlässigkeit und Loyalität in erheblichem Maße verletzt. Der Beklagte musste bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses befürchten, dass sie ihn weiterhin ausspioniert. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin in leitender Stellung bei dem Beklagten tätig war und somit auch arbeitsbedingt Zugang zu vertraulichen Daten hatte. Demgegenüber musste das Bestandsschutzinteresse der Klägerin, die erst seit gut zwei Jahren bei dem Beklagten tätig war, zurücktreten.

Die Klage war mithin unbegründet und damit abzuweisen.

II. In Bezug auf die weiterverfolgte Widerklage war die Berufung unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat die Widerklage sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht abgewiesen. Ein Anspruch des Beklagten auf Rückzahlung der Gehälter für die Monate April bis Juli 2007 gemäß § 812 BGB besteht nicht. Die Klägerin ist insoweit nicht ungerechtfertigt bereichert. Die Zahlungen waren weder erschlichen noch ohne Rechtsgrund erfolgt. Die Klägerin hat für den Beklagten in dem Klagezeitraum unstreitig gearbeitet, deshalb schuldete der Beklagte ihr nach § 611 Abs. 1 BGB auch das vereinbarte Gehalt. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird insoweit sowohl auf das angefochtene Urteil als auch auf Ziff. I. 2. a) dieser Entscheidungsgründe verwiesen.

III. Nach alledem war das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts im vorgenommenen Umfang abzuändern und Klage und Widerklage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Ein gesetzlich begründbarer Grund für die Zulassung der Revision lag nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.



Ende der Entscheidung

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