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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 09.12.2008
Aktenzeichen: 5 Sa 286/08
Rechtsgebiete: AGG


Vorschriften:

AGG § 1 Abs. 1
AGG § 7 Abs. 1
AGG § 15 Abs. 2
1. Eine Stellenanzeige, nach der ein/e "jüngere/r" Buchhalter/in gesucht wird, enthält eine Altersdiskriminierung, weil von vornherein ältere Bewerber nicht angesprochen und damit benachteiligt werden.

2. Erfüllt ein Bewerber das in der Stellenanzeige festgelegte Anforderungsprofil augenscheinlich nicht, kann er keine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG beanspruchen.

3. Allein der Umstand, dass sich ein Arbeitnehmer parallel und zeitnah auf zahlreiche Stellen im gesamten norddeutschen Bereich beworben hat, ist für sich genommen nicht geeignet, die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung in Frage zu stellen, insbesondere wenn er sich ganz überwiegend auf "neutrale" Stellenanzeigen ohne diskriminierenden Inhalt beworben hat, seit langem arbeitslos und gegenüber vier Personen unterhaltsverpflichtet ist.

4. Ein rechtsmissbräuchliches AGG-Hopping liegt nicht bereits dann vor, wenn ein Arbeitnehmer gegenüber zahlreichen Arbeitgebern Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG geltend macht. Vielmehr muss sich aus den weiteren Umständen des konkreten Einzelfalles ergeben, dass es dem Beschäftigten mit seiner Bewerbung vornehmlich nicht um den Erhalt eines Arbeitsplatzes, sondern um die Geltendmachung etwaiger Entschädigungsansprüche ging. Solche Umstände lagen hier vor.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 5 Sa 286/08

Verkündet am 09.12.2008

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 09.12.2008 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 05.06.2008, Az.: 5 Ca 453 b/08, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Berufungsverfahren streiten die Parteien um Entschädigungsansprüche des Klägers wegen Altersdiskriminierung.

Der am ...1965 geborene Kläger ist ausgebildeter Groß- und Außenhandelskaufmann, verheiratet und drei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet. Von 1986 bis 2004 war er selbstständiger Kaufmann und führte die Firma B... G.... Über die Firma des Klägers und sein Privatvermögen wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Das beim Amtsgericht T... geführte Insolvenzverfahren, Az.: ..., wurde zwischenzeitlich beendet. Der Kläger ist seit mehreren Jahren arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld II.

Mit Schreiben vom 07.10.2007 (Bl. 7 d. A.) bewarb sich der Kläger auf eine Stellenanzeige der Beklagten vom 06./07.10.2007, die - soweit hier von Belang - folgenden Wortlaut hatte (Bl. 6 d. A.):

Wir suchen daher zur Verstärkung unseres Teams sofort:

jüngere/n Buchhalter/in in Vollzeit

Ihr Profil:

Abgeschlossene Berufsausbildung mit mehrjähriger Berufserfahrung in Rechnungswesen, Finanzbuchhaltung und MS-Office, Betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse sind wünschenswert.

Ihre Aufgaben:

Alle anfallenden Arbeiten in der Fibu, Zahlungsverkehr und Mahnwesen. Begleitung bei der Einführung eines neuen Warenwirtschaftssystems. Aufgaben in der Assistenz der Geschäftsführung.

..."

Mit dem Bewerbungsschreiben legte der Kläger sein Zeugnis der Fachoberschule Wirtschaft vom 26.06.1986 (Bl. 8 - 9 d. A.), ein Zeugnis vom 09.08.1985 über eine Ausbildung beim Autohaus T... (Bl. 10 d. A.), ein Prüfungszeugnis über eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandels-Kaufmann vom 16.07.1985 (Bl. 11 d. A.), ein Abschlusszeugnis der berufsbildenden Schulen B... vom 12.07.1985 (Bl. 12 d. A.) sowie ein Zeugnis des S... Maschinenschreib-Instituts vom 14. September 1981 (Bl.13 d. A.) vor.

Mit Anschreiben vom 16.10.2007 sandte die Beklagte dem Kläger die Bewerbungsunterlagen mit den Worten

"... es war nicht leicht aus der Flut der Bewerbungen die richtige Wahl zu treffen. Leider konnten wir uns trotz Ihrer Qualifikation nicht für Sie entscheiden. ..."

zurück (Bl. 14 d. A.). Zum 01.12.2007 stellte die Beklagte eine 25-jährige Mitarbeiterin zu einem Monatsgehalt von € 1.974,00 brutto ein. Mit Schreiben vom 13.12.2007 kündigte der Kläger gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche nach dem AGG an (Bl. 15 d. A.) an.

Der Kläger ist laut Auskunft des AGG-Archives Gleiss/Lutz in 24 Fällen mit Entschädigungsforderungen aufgefallen (vgl. die Liste Bl. 35 - 36 d. A.). Unstreitig führt bzw. führte der Kläger vor diversen Arbeitsgerichten im norddeutschen Bereich, so u. a. neben K... in S..., E..., H..., B..., V... und L..., zahlreiche Entschädigungsklagen nach dem AGG. Alleine vor dem Arbeitsgericht H... sind bzw. waren im September 2008 ca. 36 Entschädigungsklagen anhängig. Die Klagschriften haben zum Teil einen identischen Wortlaut mit dem vorliegenden Verfahren. Seit dem 18.08.2008 hat der Kläger als Organisationsberater und Mitarbeiter Support ein neues Arbeitsverhältnis (Bl. 91 ff. d. A.).

Mit der am 07.03.2008 erhobenen Klage hat der Kläger gegen die Beklagte eine Entschädigung in Höhe von € 40.000,00 geltend gemacht. Die Beklagte hat widerklagend vom Kläger Schadensersatz in Höhe der entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.138,50 beansprucht.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz, insbesondere des streitigen Parteivorbringens, sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat die Entschädigungsklage sowie die Widerklage mit Urteil vom 05.06.2008 abgewiesen. Zur Begründung der Abweisung der Entschädigungsklage hat es ausgeführt, dass der Kläger nicht unter Beweis gestellt habe, dass er tatsächlich über die in der Stellenausschreibung geforderten Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt. Diese Kenntnisse ergäben sich auch nicht zwangsläufig aus der mehrjährigen Tätigkeit im EDV-Bereich. Zwar habe die Beklagte mit der Stellenanzeige eine/n jüngere/n Buchhalter/in gesucht und sodann eine 25-jährige Bewerberin eingestellt, indessen unterliege der Begriff "jünger" einer Wertung, dem Vergleich und der Auslegung in Bezug auf die in Aussicht genommene Stelle. Im Arbeitsrecht werde von älteren Arbeitnehmern gesprochen, wenn diese altersmäßig in einen Bereich gelangen, in dem sie schwer vermittelbar seien. Dieser Bereich beginne bei ca. 47 - 50 Jahren, je nach Branche. Ob jemand jünger sei, richte sich nach den Kriterien der auszuübenden Tätigkeit, des Beginns des Rentenbezugs und seinem persönlichen Alter. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien sei der Kläger im Verhältnis zu anderen Menschen auch mit 42 Jahren immer noch "jünger", da ihm noch 23 Jahre bis zum Rentenbeginn bevorstünden, die Tätigkeit nicht körperlich anstrengend sei und im Übrigen bei den geforderten Kenntnissen auch ein gewisses Alter Voraussetzung sein müsse. Die Bewerbung des Klägers sei angesichts der zahlreichen Entschädigungsklagen auch nicht ernsthaft gewesen. Vielmehr dränge sich der Eindruck auf, der Kläger wolle sich über den Weg der Prozesskostenhilfe ein zusätzliches Einkommen verschaffen.

Gegen dieses ihm am 14.07.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.08.2008 Berufung beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein eingelegt und diese am Montag, den 15.09.2008, begründet.

Der Kläger trägt vor,

das Arbeitsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass jeder, der nicht "älter" sei, als "jünger" einzustufen sei. Diese Begriffsbestimmung sei willkürlich und anhand objektiver Kriterien nicht nachweisbar. Er sei mit seinem Lebensalter von 42 Jahren und seiner über 20-jährigen Berufserfahrung kein "jüngerer" Arbeitnehmer mehr. Ob er bereits als "älterer" Arbeitnehmer einzustufen sei, sei nicht streitentscheidend. Er sei auch objektiv für die zu besetzende Stelle geeignet. Er habe eine abgeschlossene Berufsausbildung mit mehrjähriger Berufserfahrung in Rechnungswesen, Finanzbuchhaltung und MS-Office. Die Beklagte selbst habe mit dem Absageschreiben dessen Qualifikation für die ausgeschriebene Stelle anerkannt. Er habe während seiner Selbstständigkeit MS-Office Produkte vertrieben und seine Kunden in der Anwendung dieser Programme geschult. Er habe für seine Firma mit einer eigenen Software die Buchführung selbst erstellt. Sein Steuerberater habe auf der Grundlage der von ihm selbst erstellten Finanzbuchhaltung die Jahresabschlüsse erstellt. Bilanzbuchhalterische Kenntnisse seien in der Stellenausschreibung nicht gefordert worden. Seine Bewerbung sei auch ernsthaft gewesen. Auch die wiederholte Geltendmachung seiner Rechte nach dem AGG führe nicht dazu, dass er seine Rechte verliere. Im Berufungsverfahren stützt der Kläger den Anspruch nur noch auf § 15 Abs. 2 AGG und hält einen Schadensersatz von anderthalb Monatsgehältern für angemessen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kiel vom 05.06.2008 (Az.: 5 Ca 453 b/08) die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung in Höhe von € 2.961,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte behauptet,

trotz der auf die Stellenanzeige eingegangenen 50 Bewerbungen habe sie keinen geeigneten Bewerber gefunden und die Stelle unbesetzt gelassen. Erst zum 01.12.2007 sei auf Empfehlung der J... V... Service GmbH eine gelernte Steuerfachgehilfin eingestellt worden. Zutreffend sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger durch die Stellenanzeige auch nicht wegen seines Alters benachteiligt worden sei. Zudem sei der Kläger für die zu besetzende Stelle objektiv ungeeignet gewesen. Die geforderten buchhalterischen Kenntnisse seien nicht durch die mit dem Bewerbungsschreiben eingereichten Unterlagen belegt worden. Vielmehr indiziere die Insolvenz seiner eigenen Firma, dass er weder praktische noch theoretische betriebswirtschaftliche bzw. kaufmännische Kenntnisse habe. Der Kläger sei für die Stelle weder qualifiziert noch geeignet gewesen. Zudem habe sich der Kläger nicht ernsthaft auf die Stelle beworben. Lauf Auskunft der Anwaltskanzlei G/L & Partner habe sich die Anzahl der Entschädigungsklagen wegen Diskriminierungen in Bewerbungsverfahren auf 75 Fälle erhöht. Noch am 01.09.2008 habe der Kläger gegenüber einer Gesellschaft in H... und mit Schreiben vom 16.10.2008 (Bl. 128 d. A.) gegenüber einer Firma in H... Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 AGG geltend gemacht. Die Anspruchsschreiben seien standardisiert.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird Bezug genommen auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist dem Beschwerdewert nach statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 2 lit. b; 66 Abs. 1 ArbGG; §§ 519, 520 ZPO.

In der Sache hat sie keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

1. Gemäß § 15 Abs. 2 AGG kann der Beschäftigte bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsgesetz wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf gemäß § 15 Abs. 2 S. 2 AGG bei Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Der Kläger beruft sich vorliegend auf eine Altersdiskriminierung. Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Nach § 1 AGG ist Ziel des Gesetzes, Benachteiligungen u. a. aus Gründen des Alters zu verhindern oder zu beseitigen. Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass das Benachteiligungsverbot auch im Anbahnungs- bzw. Bewerbungszeitraum gilt. Dies ergibt sich nicht nur aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG, sondern auch aus § 15 Abs. 2 S. 2 AGG. Nach den allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln muss der Arbeitnehmer bzw. Bewerber im Prozess grundsätzlich die Benachteiligung, auf die er sich beruft, darlegen und beweisen. Kann er indessen Indizien darlegen und beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, so trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen §§ 1 i. V. m. 7 AGG vorliegt.

2. Hieran gemessen hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG.

Zwar hat die Beklagte vorliegend eine Stellenanzeige geschaltet, die eine Altersdiskriminierung enthält. Sie hat in der Ausschreibung eine "jüngere" Buchhalterin bzw. einen "jüngeren" Buchhalter gesucht und damit von vornherein ältere Bewerber nicht angesprochen und somit auch benachteiligt. Indessen kann sich der Kläger, obgleich er aus Sicht der Berufungskammer nicht mehr zu dem angesprochenen "jüngeren" Bewerberkreis zählt, nicht auf eine Altersdiskriminierung i. S. v. § 15 Abs. 2 AGG i V. m. §§ 7 Abs. 1, 1 Abs. 1 AGG berufen, weil er aus objektiver Sicht heraus für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet war.

a) Dem Kläger fehlten für die ausgeschriebene Stelle aus objektiver Sicht die fachlichen Voraussetzungen.

(1) Das Anforderungsprofil war in der Stellenanzeige wiedergegeben. Danach suchte die Beklagte einen "Buchhalter" und setzte eine abgeschlossene Berufsausbildung voraus mit mehrjähriger Berufserfahrung in Rechnungswesen, Finanzbuchhaltung und MS-Office und erachtete betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse als wünschenswert. Der Buchhalter sollte alle anfallenden Arbeiten in der Finanzbuchhaltung, Zahlungsverkehr und Mahnwesen übernehmen und bei der Einführung eines neuen Warenwirtschaftssystems mitwirken und als Assistent der Geschäftsführung Aufgaben übernehmen. Hiernach erfüllt der Kläger nicht die fachlichen Qualifikationen, die die Beklagte ersichtlich an die Tätigkeit des von ihr gesuchten "Buchhalters" stellte. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass "Buchhalter" in Deutschland ohne weitere Zusätze keine geschützte Berufsbezeichnung ist. Vielmehr setzt die Anstellung als Buchhalter in Deutschland in der Regel einen Kaufmannsgehilfenbrief, also eine abgeschlossene kaufmännische Ausbildung voraus. Indessen ist das Berufsbild des Buchhalters dadurch geprägt, dass dieser die beim geschäftlichen Verkehr eines Unternehmens anfallenden Daten finanzieller Transaktionen in die Geschäftsbücher eingibt, diese kontrolliert und am Ende einer Rechnungsperiode in der Finanzbuchhaltung vorbereitende Tätigkeiten zum Jahresabschluss durchführt. Zusätzlich zu der Bearbeitung der Transaktionen von Kunden (Debitorenbuchhaltung) und Lieferanten (Kreditorenbuchhaltung) fallen Aufgaben wie das Verfassen von Steuererklärungen, Lohnabrechnungen und eventuell auch Verzollungserklärungen (sofern das Unternehmen dafür keine eigene Abteilung unterhält) an. Die dem Unternehmen dienenden langlebigen Wirtschaftsgüter werden in einer Anlagenbuchhaltung erfasst. Die Buchhaltung liefert das Zahlenwerk und somit die Arbeitsgrundlage für das Controlling und stellt Informationen für die Geschäftsleitung bereit (Wikipedia, Stichwort: Buchhalter). Geprägt von diesem Berufsbild sind in der Anzeige unter "Ihre Aufgaben:" auch nur derartige buchhalterische Tätigkeiten aufgeführt. Bei der Buchhaltung handelt es sich mithin um einen Teilbereich eines kaufmännischen Ausbildungsberufs.

(2) Die Kammer will dem Kläger nicht absprechen, dass er im Rahmen seiner Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann und seiner Tätigkeit als selbstständiger Kaufmann auch buchhalterische Kenntnisse erworben hat. Indessen hat die Beklagte einen "Buchhalter" mit mehrjähriger Berufserfahrung gesucht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Beklagte nicht einfach einen "kaufmännischen Angestellten" oder "Mitarbeiter" mit abgeschlossener Berufsausbildung, sondern speziell einen "Buchhalter" mit mehrjähriger Berufserfahrung gesucht hat. Die geforderte Berufserfahrung bezieht sich mithin auf die Tätigkeit als Buchhalter. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger indessen nicht. Er selbst trägt nicht vor, dass er jemals als Buchhalter gearbeitet hat. Er hat vielmehr nur die (Finanz-)Buchhaltung für seine eigene EDV-Firma erledigt. Die Haupttätigkeit des Klägers lag indessen im Bereich Handel und Dienstleistung und nicht im Bereich Buchhaltung. Auch vor dem Hintergrund, dass die Beklagte als Dienstleistungsbetrieb Bürodienstleistungen, d.h. vornehmlich buchhalterische Tätigkeiten, auf dem freien Markt anbietet, macht deutlich, dass die Beklagte einen Mitarbeiter suchte, der gerade auf diesem Gebiet Berufserfahrung mitbrachte. Der Kläger war nach seinen Bewerbungsunterlagen gerade kein Buchhalter mit entsprechender Berufserfahrung.

Die erforderliche Qualifikation ergibt sich auch nicht aus dem Absageschreiben der Beklagten. Soweit die Beklagte dem Kläger dessen Bewerbungsunterlagen mit dem Bemerken zurückgesandt hat, dass sie sich "trotz Ihrer Qualifikation" nicht für ihn hätte entscheiden können, handelt es sich hierbei um eine reine Höflichkeitsfloskel. Diese besagt lediglich, dass der Kläger über Qualifikationen verfügt, indessen nichts darüber, ob diese Qualifikationen auch dem geforderten Anforderungsprofil entsprechen.

b) Obgleich es vorliegend nicht streitentscheidend ist, hat die Kammer ebenso wie das Arbeitsgericht erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit der klägerischen Bewerbung.

(1) Zutreffend weist indessen der Kläger darauf hin, dass allein der Umstand, dass er sich parallel und auch zeitnah auf zahlreiche Stellen im gesamten norddeutschen Bereich beworben hat, für sich genommen nicht geeignet ist, die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung in Frage zu stellen. Der Kläger ist unstreitig seit mehreren Jahren arbeitslos gewesen und hat eine Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau und den drei Kindern. Er war mithin dringend auf einen Arbeitsplatz angewiesen. Es ist unter diesen Umständen weder rechtsmissbräuchlich noch überhaupt ungewöhnlich, wenn er sich auf viele Stellenanzeigen hin bewirbt. Zudem hat der Kläger unbestritten vorgetragen, dass er sich nicht nur auf Stellenanzeigen mit i. S. d. AGG diskriminierendem Inhalt, sondern ganz überwiegend auf "neutrale" Stellenanzeigen beworben hat.

Aber auch der Hinweis darauf, dass der Kläger unstreitig gegenüber zahlreichen Firmen Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG geltend gemacht hat, spricht für sich genommen nicht gegen die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung. Dem arbeitslosen Kläger kann es nicht verwehrt werden, sich auf Stellenanzeigen im gesamten Bundesgebiet zu bewerben und im Falle eines Verstoßes gegen das AGG die ihm sodann zustehenden Rechte geltend zu machen (LAG Hamm Urt. v. 26.06.2008 - 15 Sa 63/08 -, zit. n. Juris). Das Gesetz würde ins Gegenteil verkehrt, wollte man dem Beschäftigten die ihm nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG zustehenden Rechte auf Schadensersatz und Entschädigung nur deshalb verwehren, weil er diese Rechte auch gegenüber anderen potentiellen Arbeitgebern, die ebenfalls gegen das AGG verstoßen haben, geltend macht. Neben dem Schadensausgleich hat nach der Gesetzesintention § 15 Abs. 2 AGG auch pönalisierenden Charakter (Däubler/Bertzbach, AGG, 2. Aufl., Rn. 13 zu § 15).

Vielmehr muss sich aus den weiteren Umständen des konkreten Einzelfalles ergeben, dass es dem Beschäftigten mit seiner Bewerbung vornehmlich nicht um den Erhalt eines Arbeitsplatzes, sondern um die Geltendmachung etwaiger Entschädigungsansprüche gegangen ist. Liegen solche Umstände vor, fehlt der Bewerbung die notwendige Ernsthaftigkeit, sodass die Beanspruchung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen nach dem AGG rechtsmissbräuchlich ist.

(2) Die Würdigung der gesamten Umstände des vorliegenden Falles rechtfertigt die Annahme, dass der Bewerbung auf die strittige Stellenanzeige der Beklagten die erforderliche Ernsthaftigkeit fehlte. Der Kläger hat sich auf zahlreiche Stellen mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen beworben und anschließend mit formularmäßig gefassten Anspruchsschreiben Entschädigungsansprüche geltend gemacht hat. Ferner hätte der Kläger vorliegend ohne weiteres erkennen können und müssen, dass er für die ausgeschriebene Stelle als Buchhalter mit mehrjähriger Berufserfahrung für ein Bürodienstleistungsunternehmen aus objektiver Sicht gar nicht in Betracht kam. Der Kläger ist Groß- und Außenhandelskaufmann, kein Buchhalter. Er hat zu keinem Zeitpunkt als Buchhalter gearbeitet und schon gar nicht weist er eine mehrjährige Berufserfahrung als Buchhalter auf. Gleichwohl hat er sich bei der Beklagten auf die Position als Buchhalter beworben. Zudem hat der Kläger - wie auch in anderen Fällen - erstinstanzlich nicht nur die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 S. 2 AGG geltend gemacht, sondern die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG und Schadensersatz in Höhe eines Teilbetrags über € 10.000,00 ausgehend von einem Gesamtschaden für entgangenen Lohn von zumindest € 45.000,00. Dies ist angesichts des Umstands, dass der Kläger kein Buchhalter ist, völlig überzogen. Der Kläger konnte aus objektiver Sicht heraus nicht davon ausgehen, dass er der bestgeeignete Bewerber für die ausgeschriebene Stelle war. Es drängt sich mithin der Eindruck auf, dass die Bewerbung bei der Beklagten eher wahllos aufgrund des diskriminierenden Inhalts und nicht zielgerichtet auf den Erhalt eines Arbeitsplatzes erfolgte. Auch der Umstand, dass der Kläger noch Ende September 2008 (Bl. 135 d. A.) und Anfang Oktober 2008 (Bl. 134 d. A.), d. h. nach Erhalt eines neuen Arbeitsplatzes, weiterhin mit formularmäßigen Schreiben Ansprüche nach § 15 AGG erhoben hat, spricht gegen die Ernsthaftigkeit der vorliegenden Bewerbung. Es ging dem Kläger offenbar nur um eine zusätzliche Einnahmequelle. Die Gesamtschau der Umstände lässt den Schluss zu, dass der Kläger die hier strittige Bewerbung von vornherein nur deshalb abgeschickt hat, um im Nachhinein Entschädigungsansprüche gegenüber der Beklagten geltend zu machen.

3. Nach alledem war die Klage unbegründet, sodass die Berufung zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Gründe für die Zulassung der Revision lagen aus Sicht der Kammer nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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