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Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 11.12.2007
Aktenzeichen: 5 Sa 386/07
Rechtsgebiete: SGB IX
Vorschriften:
SGB IX § 90 Abs. 2a |
2. Trotz fehlenden Nachweises bleibt der Sonderkündigungsschutz nach § 90 Abs. 2a 2. Alt SGB IX bestehen, wenn das Fehlen des Nachweises nicht auf fehlender Mitwirkung des Arbeitnehmers beruht. Der Arbeitnehmer verletzt seine Mitwirkungspflichten, wenn er den Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft so spät stellt, dass das Integrationsamt hierüber nicht mehr rechtzeitig, d.h. binnen der Drei- bzw. Siebenwochenfrist des § 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX vor Ausspruch der Kündigung hat entscheiden können.
3. Die weitergehenden Mitwirkungspflichten ergeben sich aus §§ 60 Abs. 1, 61, 62 SGB I i. V. m. § 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX. Danach ist der Antragsteller verpflichtet, auf Verlangen des Integrationsamtes zur mündlichen Erörterung seines Antrags persönlich zu erscheinen bzw. sich auf Verlangen ärztlicher und psychologischer Untersuchungsmaßnahmen zu unterziehen.
4. Die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ist auch dann gemäß §§ 85, 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX erforderlich, wenn bei Ausspruch der Kündigung lediglich ein - noch nicht bestandskräftiger - Feststellungsbescheid über den Grad der Behinderung von 30 vorlag, dieser indessen im Widerspruchsverfahren dahingehend abgeändert wird, dass mit Widerspruchsbescheid rückwirkend ein Grad der Behinderung von zumindest 50 festgestellt wird.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil
Aktenzeichen: 5 Sa 386/07
Verkündet am 11.12.2007
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 11.12.2007 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteils des Arbeitsgerichts Lübeck vom 10.07.2007 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Änderungskündigung der Beklagten gemäß Kündigungsschreiben vom 23.01.2007 unwirksam ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Beklagte zu 3/4 und der Kläger zu 1/4.
4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung.
Der 57-jährige Kläger ist seit dem 01.12.1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Oberarzt und ständiger Vertreter des leitenden Arztes in der Klinik für Geriatrie in G... beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 14.07.1995 (Bl. 5 d. GA.). Danach bezieht der Kläger ein Monatsgehalt nach der Vergütungsgruppe I a BAT. Gemäß Ziff. 5 des Arbeitsvertrages verpflichtete sich der Kläger zur Teilnahme an der ärztlichen Rufbereitschaft. Die Durchschnittsvergütung betrug im Jahr 2006 € 7.719,39 brutto pro Monat.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 23.01.2007 - dem Kläger zugegangen am 26.01.2007 - zum 30.07.2007 und bot ihm gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen ab dem 01.07.2007 an (Bl. 7 ff. d. GA.). Das Änderungsangebot umfasste u. a. die Weiterbeschäftigung als Assistenzarzt zu einem Gehalt nach Vergütungsgruppe BAT I b. Zudem schrieb der geänderte Vertrag die Verpflichtung zur Teilnahme am Bereitschaftsdienst vor und stellte gewährte Gratifikationen und Zulagen unter einen jederzeitigen Widerrufsvorbehalt, sofern dies durch wirtschaftliche oder verhaltensbedingte Gründe gerechtfertigt sei. Die Differenz zwischen der Vergütung nach dem alten und derjenigen nach dem neuen Vertrag beträgt ca. € 360,00 brutto. Der Kläger nahm mit Schreiben vom 07.02.2007 das Änderungsangebot unter Vorbehalt der rechtlichen Prüfung an (Bl. 10 d. GA.).
Zuvor hatte der Kläger am 16.10.2006 einen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung gestellt. Mit Bescheid vom 05.12.2006 hatte das Landesamt für soziale Dienste den Grad der Behinderung auf 30 festgesetzt (Bl. 114 f. d. GA.). Hiergegen hatte der Kläger fristgerecht am 03.01.2007 Widerspruch eingelegt mit der Zielsetzung der Feststellung eines Grads der Behinderung von zumindest 50. Auf diesen Umstand wies der Kläger die Beklagte in seinem Schreiben vom 07.02.2007 hin (Bl. 10 d. GA.).
Am 12.02.2007 hat der Kläger vor dem Arbeitsgericht Änderungskündigungsschutzklage erhoben.
Im Laufe des erstinstanzlichen Kündigungsschutzverfahrens erließ das Landesamt für soziale Dienste den Widerspruchsbescheid vom 28.06.2007 und setzte in Abänderung des Ausgangsbescheids vom 05.12.2007 den Grad der Behinderung auf 60 fest (Bl. 111 ff. d. GA.).
Der Kläger hat vorgetragen, die Änderungskündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Weder durch die Reduzierung der Planbettenkapazität noch durch die Fremdvergabe der Röntgenleistungen sei sein Arbeitsplatz als Oberarzt und ständiger Vertreter des Chefarztes in Wegfall geraten. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass die Röntgenabteilung geschlossen werde, in der er alle zwei Wochen abwechselnd mit dem Chefarzt vormittags Dienst gehabt habe. Die radiologischen Arbeiten seien durch die medizinisch technischen Röntgenassistentinnen erbracht worden. Er selbst habe Sonographien durchgeführt und Arztbriefe geschrieben. Diese Tätigkeiten entfielen durch die Schließung der Röntgenabteilung nicht. Er hat bestritten, dass die Beklagte auch beabsichtigt, die Sonographie-Sprechstunde einzustellen. Auch die Reduzierung der Planbetten führte nicht notwendigerweise zu einer Reduzierung der ärztlichen Tätigkeiten. Arbeitsmengen würden durch die Belegungszahlen oder durch Pflegetage abgebildet. Ungeachtet dessen sei die Kündigung aber auch wegen mangelhafter Betriebsratsanhörung nichtig. Die Beklagte habe den Betriebsrat nicht über seine Funktion als ständiger Vertreter des Chefarztes unterrichtet. Der Kläger hat ferner gerügt, dass die Beklagte vor Ausspruch der Änderungskündigung nicht die Zustimmung des Landesamtes für soziale Dienste eingeholt habe. Mit dem Widerspruchsbescheid des Landesamtes für Soziale Dienste vom 28.06.2007 sei - unstreitig - rückwirkend zum 16.10.2006 ein Grad der Behinderung von 60 festgestellt worden. Damit stehe fest, dass er zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Änderungskündigung bereits schwerbehindert gewesen sei und gemäß § 85 SGB IX besonderen Kündigungsschutz genossen habe.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass die Änderungskündigung der Beklagten gemäß Kündigungsschreiben vom 23.01.2007 sozial nicht gerechtfertigt ist;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn, den Kläger, als Oberarzt und ständigen Vertreter des leitenden Arztes gemäß Anstellungsvertrag vom 14.07.1995 weiter zu beschäftigen;
3. festzustellen, dass das Anstellungsverhältnis der Parteien ungekündigt fortbesteht;
4. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen,
hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag zu 1. nicht stattgegeben wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen,
infolge der Reduzierung der Planbettenzahl und der Schließung der Röntgenabteilung habe sie die unternehmerische Entscheidung getroffen, die Position eines stellvertretenden Chefarztes / Oberarztes dauerhaft abzuschaffen. Die bisherige Stelle des Klägers sei hierdurch entfallen. Lediglich durch den Umstand, dass zum 30.06.2007 zwei befristete Verträge von Assistenzärzten ausgelaufen seien, wovon nur eine wieder habe besetzt werden sollen, habe man dem Kläger eine solche Assistenzarztstelle anbieten können. Die Reduzierung der Planbetten habe auch zu einem entsprechenden Rückgang der tatsächlichen Belegungen ab dem 01.07.2007 geführt. Dies bedinge wiederum ein geringeres Arbeitsvolumen. Der Tätigkeitsbereich des Klägers sei durch die Schließung der Röntgenabteilung ebenfalls tangiert. Der Kläger selbst habe zwar keine Röntgenbilder gefertigt, zu seinen Aufgaben zählten aber die Sichtung und Befundung der Röntgenbilder. Der Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß und umfangreich mit Schreiben vom 17.01.2007 (Bl. 35-44 d. GA.) angehört worden. Die Änderungskündigung habe auch nicht der Zustimmung des Landesamtes für soziale Dienste bedurft. Seit der Neuschaffung des § 90 Abs. 2 a SGB IX genieße ein schwerbehinderter Arbeitnehmer nur noch den Sonderkündigungsschutz, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung ein Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft vorliege, der einen Grad der Behinderung von mindestens 50 feststelle. § 90 Abs. 2a SGB IX habe gerade die Funktion, dass eine Kündigung, die zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs wegen fehlenden Nachweises der Schwerbehinderteneigenschaft einer Zustimmung des Integrationsamtes nicht bedurft habe, nicht mehr nachträglich durch einen abändernden Bescheid unwirksam werden könne.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 12.07.2007 in vollem Umfang stattgegeben. Die Kündigung sei unwirksam, weil die nach § 85 SGB IX erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes nicht vorgelegen habe. Die Ausnahme nach § 90 Abs. 2a SGB IX greife nicht ein. Aus der Wirksamkeit des Kündigungsschutzantrages ergebe sich auch der Erfolg des Weiterbeschäftigungsantrages. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen dieses ihr am 20.08.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14.09.2007 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese sogleich begründet.
Die Beklagte hat vorgetragen,
das Arbeitsgericht habe die Auswirkungen der geänderten Rechtslage nach Inkrafttreten des § 90 Abs. 2a SGB IX verkannt. Bei Zugang der streitgegenständlichen Kündigung habe die Schwerbehinderteneigenschaft gerade nicht festgestanden. Mit Bescheid vom 05.12.2006 sei lediglich ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt worden, sodass der Kläger die Schwerbehinderung nicht gemäß § 90 Abs. 2a 1. Alt. SGB IX nachgewiesen habe. Vorliegend genieße der Kläger aber auch keinen Sonderkündigungsschutz nach §§ 90 Abs. 2a 2. Alt.; 85 SGB IX. Nach dieser Alternative genieße der Schwerbehinderte nur dann Sonderkündigungsschutz, wenn das Versorgungsamt über einen diesbezüglichen Antrag des Arbeitnehmers ohne Verschulden des Arbeitnehmers noch nicht entschieden habe. Wenn das Anerkennungsverfahren zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abschlägig beschieden worden sei, müsse ein Sonderkündigungsschutz hingegen ausscheiden. Dies gelte auch dann, wenn zu einem späteren Zeitpunkt auf den Widerspruch bzw. auf eine Klage des Antragstellers hin dessen Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch anerkannt werde. So liege der Fall hier. Nach dem Sinn und Zweck des § 90 Abs. 2a SGB IX solle der Arbeitgeber Klarheit gewinnen, ob er das Integrationsamt vor Ausspruch der Kündigung zu beteiligen hat, wenn zum Kündigungszeitpunkt eine Feststellung durch das Versorgungsamt bereits vorliege. Der Hinweis des Arbeitsgerichts auf die Möglichkeit eines Negativattestes helfe vorliegend auch nicht weiter. Ungeachtet dessen treffe den Kläger aber auch ein Mitverschulden, dass das Landesamt für soziale Dienste nicht bereits im Ausgangsbescheid die Schwerbehinderung auf 60 % festgesetzt habe. Der Kläger habe erst im Widerspruchsverfahren und nach Erhalt der streitgegenständlichen Änderungskündigung diverse Befundunterlagen, die erst im März 2007 bzw. Juni 2007 ausgestellt worden seien, dem Landesamt für soziale Dienste vorgelegt. Hätte er diese Unterlagen bereits innerhalb der in § 69 SGB IX gesetzten Fristen zur Verfahrensakte gereicht, wäre bereits im Rahmen des Bescheids vom 05.12.2006 ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 festgestellt worden. Zur Feststellung eines Mitverschuldens müsste die Verfahrensakte des Versorgungsamtes beigezogen werden.
Zudem sei die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts zum Weiterbeschäftigungsantrag rechtsabwegig. Der Kläger habe das Änderungsangebot unter Vorbehalt angenommen. Er sei deshalb verpflichtet, nach Ablauf der Kündigungsfrist, d. h. ab dem 01.07.2007, zu den geänderten Arbeitsbedingungen zu arbeiten und tue dies auch. Die Änderung der Arbeitsbedingungen sei auch im Übrigen sozial gerechtfertigt. Insoweit wiederholt die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Die Beklagte beantragt,
Das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 10.07.2007, Az.: 6 Ca 406/07, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt
das angefochtene Urteil. Die Beklagte habe nicht schlüssig dargelegt, dass jeder einzelne Änderungspunkt des mit der Änderungskündigung unterbreiteten neuen Arbeitsvertrages sozial gerechtfertigt seien. Die Kündigung sei aber auch wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam. § 90 Abs. 2a SGB IX schütze den Schwerbehinderten nicht nur für die Dauer des "Erstverfahrens". Insoweit verkenne die Beklagte den Schutzzweck des § 90 Abs. 2a SGB IX. Auch derjenige genieße von Anfang an Sonderkündigungsschutz, dessen Schwerbehinderteneigenschaft erst im Widerspruchsverfahren festgestellt werde. Anderenfalls wäre der Schwerbehinderte, dessen Antrag erst im Widerspruchsverfahren erfolgreich ist, gegenüber demjenigen, der sofort einen positiven Bescheid erhalte, ungerechtfertigt benachteiligt, der Rechtsbehelf des Widerspruchs für ihn in einem zentralen und wesentlichen Punkt des Schwerbehindertenrechts, nämlich beim erhöhten Kündigungsschutz, bedeutungs- und wirkungslos.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 11.12.2007 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.
In der Sache selbst hat sie nur teilweise Erfolg.
Die Berufung war zurückzuweisen, soweit sich die Beklagte gegen die Feststellung wendet, dass die Änderungskündigung vom 23.01.2007 wegen fehlender Zustimmung des Landesamtes für soziale Dienste unwirksam ist (I.). Sie ist indessen in Bezug auf die Verurteilung der Beklagten, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen, begründet (II.). Insoweit war das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
I.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die mit der Änderungskündigung angebotenen und vom Kläger unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung angenommenen geänderten Arbeitsbedingungen gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sind.
Die streitgegenständliche Änderungskündigung ist gemäß §§ 85; 2 Abs. 2 SGB IX i. V. m. § 34 BGB unwirksam und damit nichtig.
1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Der Kläger war am 26.01.2007, d. h. bei Zugang der streitgegenständlichen Änderungskündigung, schwerbehindert i. S. v. § 2 Abs. 2 SGB IX. Nach dieser Vorschrift sind Menschen im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Ausweislich des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2007 ist der Kläger seit dem 16.10.2006 zu 60 % schwerbehindert. Nach der Konzeption des Schwerbehindertenrechts ist es grundsätzlich ausreichend, dass die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung objektiv vorgelegen hat. Die Anerkennung sowie Feststellung des Grads der Behinderung habe demgegenüber nur deklaratorische Bedeutung (BAG, Urt. v. 07.03.2002 - 2 AZR 612/00 -, AP Nr 11 zu § 15 SchwbG 1986; LAG Düsseldorf, Urt. v. 22.03.2005 - 6 Sa 1938/04 -, LAGE § 90 SGB IX Nr. 1; Seel, MDR 2007, 499 ff.). Der Kläger genoss damit zum Zeitpunkt des Zugangs der Änderungskündigung den Sonderkündigungsschutz eines Schwerbehinderten gemäß §§ 85 ff. SGB IX. Vor Ausspruch der Änderungskündigung vom 23.01.2007 hatte die Beklagte unstreitig nicht die Zustimmung des Landesamtes für soziale Dienste eingeholt.
2. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Integrationsamt vor Ausspruch der Änderungskündigung vorliegend ein so genanntes Negativattest erteilt hätte.
Das so genannte Negativattest ist ein schriftlicher Bescheid des Integrationsamtes, der die Feststellung enthält, dass eine Zustimmung zur Kündigung nicht erforderlich ist. Hat das Integrationsamt ein Negativattest erteilt, bedarf die Kündigung grundsätzlich keiner zustimmenden Entscheidung des Integrationsamtes mehr, weil in diesem Falle der Arbeitgeber das ihm Zumutbare unternommen hat, die Zustimmung herbeizuführen und er somit nicht mehr mit einer Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung zu rechnen braucht. Das Negativattest ersetzt in diesem Falle die Zustimmung zur Kündigung (BAG, Urt. v. 27.05.1983 - 7 AZR 482/81 -, AP Nr. 12 zu § 12 SchwbG; LAG Düsseldorf, Urt. v. 22.03.2005 - 6 Sa 1938/04 -, LAGE § 90 SGB IX Nr. 1), auch wenn die Schwerbehinderung noch nachträglich festgestellt werden sollte (KR-Etzel, 8. Aufl., Rn. 56 zu §§ 85-90 SGB IX m. w. N.).
Unstreitig hat die Beklagte vor Ausspruch der streitgegenständlichen Änderungskündigung kein Negativattest eingeholt. Einen entsprechenden Antrag hat die Beklagte erst mit Schreiben vom 13.07.2007 gestellt. Zutreffend hat die Fürsorgestelle für Kriegsopfer und Schwerbehinderte des Kreises H... L... mit Schreiben vom 16.07.2007 darauf hingewiesen, dass für eine bereits ausgesprochene Kündigung weder die Zustimmung noch ein Negativattest erteilt werden könne.
3. Das Zustimmungserfordernis ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Änderungskündigung der Nachweis der Schwerbehinderung i. S. v. § 2 Abs. 2 SGB IX in Form eines bestandskräftigen Bescheides des Integrationsamtes noch nicht vorgelegen hat. Denn es hat unstreitig bereits seit dem 16.10.2006 objektiv eine Behinderung mit einem Grad von 60 bei dem Kläger vorgelegen, sodass der Kläger bei Ausspruch der Kündigung Sonderkündigungsschutz genoss. Der Sonderkündigungsschutz ist vorliegend auch nicht nach § 90 SGB IX ausgenommen, insbesondere liegt kein Fall des mit Wirkung zum 01.05.2004 neu eingeführten § 90 Abs. 2a SGB IX vor.
Für schwerbehinderte Menschen findet das Zustimmungserfordernis des § 85 SGB IX gemäß § 90 Abs. 2a SGB IX keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte.
a) Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 90 Abs. 2a 1. Alt. SGB IX liegen hier vor, weil zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Schwerbehinderung nicht nachgewiesen war. Am 23.01.2007 lag lediglich der noch nicht bestandskräftige Bescheid des Landesamtes für soziale Dienste vom 05.12.2006 vor, der dem Kläger einen Grad der Behinderung von 30 bescheinigte. Nach diesem - nicht bestandskräftigen - Bescheid war der Kläger indessen kein Schwerbehinderter i. S. v. 2 Abs. 2 SGB IX und konnte folglich (noch) keinen Sonderkündigungsschutz nach §§ 85, 90 Abs. 2a 1. Alt. SGB IX geltend machen. Der den Ausgangsbescheid vom 05.12.2006 abändernde Widerspruchsbescheid vom 28.06.2007 ist erst während des Laufs des Kündigungsschutzverfahrens und damit weit nach Ausspruch der Änderungskündigung vom 23.01.2007 erlassen worden.
b) Indessen kann sich der Kläger mit Erfolg auf § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX berufen. Bei § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX handelt es sich entgegen dem Wortlaut "oder" nicht um eine echte zweite Ausnahmevorschrift zu 85 SGB IX i. V. m. § 2 Abs. 2 SGB IX. Vielmehr normiert die zweite Alternative zu § 90 Abs. 2a SGB IX eine Ausnahme vom Grundsatz, dass der Nachweis der Schwerbehinderung nach § 90 Abs. 2a SGB IX bereits vor Ausspruch der Kündigung vorliegen muss (BAG, Urt. v. 01.03.2007 - 2 AZR 217/06 -, DB 2007, 1702 ff.; Grimm/Brock/Windeln, DB 2005, 282 ff.; Bitzer, NZA 2006, 1082 ff.). Die zweite Alternative des § 90 Abs. 2a SGB IX ist insoweit sprachlich missglückt (KR-Etzel, 8. Aufl., Rn. 53a zu §§ 85-90 SGB IX). Zutreffend weist Bitzer (a.a.O) darauf hin, dass die zweite Alternative des § 90 Abs. 2a SGB IX zum Ausschluss des grundsätzlich bestehenden Sonderkündigungsschutzes z. B. anstelle der "oder"-Variante in einem eigenständigen Satz sprachlich einwandfreier und verständlicher wie folgt hätte formuliert werden können: "Das gilt jedoch nicht, falls der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung die Feststellung der Schwerbehinderung beantragt hat, es sei denn, das Versorgungsamt konnte eine Feststellung nach Ablauf der Fristen des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX wegen fehlender Mitwirkung des Arbeitnehmers nicht treffen."
Trotz fehlenden Nachweises bleibt mithin der Sonderkündigungsschutz dann nach § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX bestehen, wenn der Antrag so frühzeitig vor Kündigungszugang gestellt worden ist, dass eine Entscheidung vor Ausspruch der Kündigung - bei ordnungsgemäßer Mitwirkung des Antragstellers - binnen der Frist des § 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX möglich gewesen wäre. Der Antrag muss also mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt sein (BAG, Urt. v. 01.03.2007 - 2 AZR 217/06 -, a.a.O.).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Bei Kündigungszugang lag noch kein bestandskräftiger Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers vor (aa), der Kläger hat den Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft rechtzeitig gestellt (bb) und die "verspätete" Feststellung des Grads der Behinderung von 60 beruht auch nicht auf fehlender Mitwirkung des Klägers (cc).
aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann sich der Kläger auf den Sonderkündigungsschutz berufen, obgleich bei Ausspruch der Kündigung bereits ein Feststellungsbescheid über einen Grad der Behinderung von 30 vorgelegen hat. Zwar wird in der Literatur teilweise vertreten, dass es sich bei dem fehlendem Nachweis in § 90 Abs. 2a S. 2 SGB IX nur um den behördlichen Ausgangsbescheid handele, sodass der Sonderkündigungsschutz immer ausscheide, wenn bei Ausspruch der Kündigung der Antrag des Arbeitnehmers bereits abgelehnt bzw. nur mit einem Grad der Behinderung von unter 50 entsprochen worden sei. Dies gelte selbst dann, wenn der Arbeitnehmer gegen den Bescheid erfolgreich Widerspruch eingelegt oder Anfechtungsklage erhoben habe (Grimm/Brock/Windeln, DB 2005, 282 ff.; Seel, MDR 2007, 499 ff.; so auch OVG Koblenz, Urt. v. 07.03.2006 - 7 A 11298/05 -, NZA 2006, 1108 ff.). Dieser Auffassung folgt die Kammer indessen nicht.
Dagegen spricht bereits, dass dem Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes grundsätzlich ohnedies nur deklaratorische Wirkung zukommt. Dies gilt auch für die Neuregelung in § 69 SGB IX mit der Konsequenz, dass der Arbeitgeber bereits dann der Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, wenn der Arbeitnehmer bei Zugang der Kündigung objektiv schwerbehindert war, er den Antrag auf Anerkennung zu diesem Zeitpunkt bereits gestellt hatte und das Versorgungsamt deshalb dem Antrag rückwirkend für eine Zeit vor dem Kündigungszugang stattgibt (ErfK/Rolfs, 7. Aufl., Rn. 9 zu § 69 SGB IX). Nach der Gesetzesintention sollten die Einschränkungen des § 90 Abs. 2a SGB IX Missbräuche bekämpfen, die darin liegen, dass der Arbeitnehmer noch kurz vor Ausspruch einer erwarteten Kündigung ein in der Regel aussichtsloses Anerkennungsverfahren betreibt, um so eine bessere prozessuale Position zu erreichen (BT Drucksache15/2357, Seite 24; LAG Köln, Urt. v. 16.06.2006 - 12 Sa 168/06 -, NAZ-RR 2007, 133 f. m. div. Lit.-Nachw.). Entscheidet aber das Versorgungsamt fehlerhaft, muss sich der Arbeitnehmer auch auf eine korrigierende Entscheidung der Widerspruchsbehörde oder der zuständigen Gerichte berufen können (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 15.02.2007 - 3 Sa 49/06 -, zit. n. Juris). In solchen Fällen beruht die verspätete Feststellung der Schwerbehinderung gerade nicht auf einem Verschulden des Arbeitnehmers. § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX schließt den Sonderkündigungsschutz mithin nur dann aus, wenn das Versorgungsamt nur deshalb nicht rechtzeitig über den Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung entscheiden konnte, weil der Arbeitnehmer seinen Antrag nicht rechtzeitig gestellt hat und/oder seinen Mitwirkungspflichten gegenüber dem Versorgungsamt nicht ausreichend nachgekommen ist (ErfK/Rolfs, a.a.O, Rn. 6 zu § 90 SGB IX). Eine möglicherweise fehlerhafte Bearbeitung des Antrags der Ausgangsbehörde kann nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gehen, dem erst im Wege des Widerspruchsverfahrens Recht widerfährt. Eine derartige Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX wäre weder mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift noch mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen des rechtlichen Gehörs sowie der Möglichkeit der Überprüfung einer staatlichen Entscheidung (Verwaltungsakt / Urteil) vereinbar (vgl. LAG Hamm, Urt. v. 10.05.2007 - 8 Sa 263/07 -, zit. n. Juris). Der Widerspruchsbescheid ersetzt den Ausgangsbescheid und tritt somit an dessen Stelle.
Hieran gemessen trifft den Kläger auch kein Verschulden daran, dass die 60prozentige Schwerbehinderung erst nach Ausspruch der Kündigung bestandskräftig mit Bescheid vom 28.06.2007 festgestellt worden ist.
Insbesondere hat der Kläger die für die rechtzeitige Bearbeitung seines Antrags erforderlichen Fristen gemäß §§ 90 Abs. 2a 2. Alt.; 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX gewahrt. Der Kläger hat seinen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft bereits am 16.10.2006 und damit mehr als drei Monate vor Ausspruch der Änderungskündigung gestellt. Das Versorgungsamt hätte mithin noch Zeit genug gehabt, die erst im Widerspruchsverfahren angeforderten ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten anzufordern, wobei nach § 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX i. V. m. § 14 Abs. 2 S. 2 und Abs. 5 S. 2 u. 5 SGB IX eine Frist von sieben Wochen maßgebend ist (LAG Köln, Urt. v. 16.06.2006 - 12 Sa 168/06 -, a.a.O.; LAG Hamm, Urt. v. 10.05.2007 - 8 Sa 263/07 -, zit. v. Juris; vgl. KR-Etzel, 8. Aufl., Rn. 53g zu §§ 85-90 SGB IX). Die Siebenwochenfrist lief am 04.12.2006 und damit weit vor Zugang der streitgegenständlichen Änderungskündigung vom 23.01.2007.
bb) Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Ausgangsbehörde seinem Antrag zunächst nicht in dem erforderlichen Umfang stattgegeben habe, weil der Kläger die ärztlichen Befundunterlagen von Dr. S... vom 12.03.2007, diejenigen von Dr. H...-G... vom 20.03.2007, diejenigen der Klinik N... vom 21.03.2007 sowie das ärztliche Gutachten von Dr. B... vom 13.06.2007 erst im Widerspruchsverfahren vorgelegt habe. Dabei verkennt die Beklagte, dass diese Unterlagen auch erst aufgrund des Widerspruchs des Klägers von der Widerspruchsbehörde angefordert und sodann auch erst erstellt worden sind. Die genannten Befundunterlagen und ärztlichen Gutachten waren während des ursprünglichen Anerkennungsverfahrens noch gar nicht existent und konnten folglich vom Kläger auch nicht vorgelegt werden.
cc) Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nicht im erforderlichen Umfang nachgekommen ist, sodass das Versorgungsamt dem Kläger allein wegen dessen fehlender Mitwirkung zunächst nur einen Grad der Behinderung von 30 zuerkannt hat.
(1) Die Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers ergeben sich aus der entsprechenden Anwendung des § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I i. V. m. § 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX. Danach hat der antragstellende Arbeitnehmer alle Tatsachen anzugeben, die für die Feststellung der Schwerbehinderung erforderlich sind, z. B. die amtlichen Vordrucke vollständig auszufüllen und auf Verlangen des Versorgungsamtes der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen sowie Beweismittel zu bezeichnen und ggfs. vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Entgegen der Auffassung der Beklagten muss der Arbeitnehmer gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I nicht sofort mit dem Antrag etwaig vorhandene ärztliche Untersuchungsbefunde oder Gutachten dem Versorgungsamt vorlegen - obgleich dies sinnvoll wäre -, sondern erst auf eine entsprechende behördliche Aufforderung hin. Dies gilt erst Recht für den Fall, dass die Behörde weitere oder aktuellere Gutachten für erforderlich erachtet. Zu den Mitwirkungspflichten des behinderten Arbeitnehmers zählen mithin vornehmlich die Angabe von Tatsachen und Beweismitteln, die für die Feststellung der Schwerbehinderung erheblich sind sowie auf Verlangen Beweisurkunden vorzulegen (Hauck/Noftz/ Masuch, SGB IX, Rn. 16 zu § 69). Danach beschränkt sich die Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers zunächst einmal darauf, in dem Antrag die aus seiner Sicht vorliegenden Behinderungen zu benennen und hierfür durch Vorlage bereits vorhandener ärztlicher Befundunterlagen Beweis anzubieten und ggfs. eine Schweigepflichtentbindungserklärung betreffend die ihn behandelnden Ärzte zu erteilen. Darüber hinaus werden mit dem Merkmal "fehlende Mitwirkung" in § 90 Abs. 2a 2. Alt. SGB IX aber auch alle Regelungen in Bezug genommen, die in einem Sachzusammenhang mit § 60 Abs. 1 SGB I stehen. Hier sind in erster Linie die §§ 61, 62 SGB I zu nennen, wonach der Antragsteller verpflichtet ist, auf Verlangen zur mündlichen Erörterung seines Antrags persönlich zu erscheinen bzw. sich auf Verlangen ärztlicher und psychologischer Untersuchungsmaßnahmen zu unterziehen (Schlewing, NZA 2005, 1218 ff.).
(2) Die Mitwirkungspflichten nach § 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX, § 60 SGB I ändern indessen nichts an den Amtsermittlungspflichten des Versorgungsamtes. Das Versorgungsamt hat grundsätzlich den Sachverhalt zur Feststellung der Behinderung von Amts wegen zu ermitteln. Nach diesem in § 20 Abs. 1 S. 1 SGB X geregelten Untersuchungsgrundsatz bestimmt das Versorgungsamt Art und Umfang der Ermittlungen, ohne an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Der Untersuchungsgrundsatz bedingt mithin auch, dass das Versorgungsamt den Antragsteller darauf hinweist, dass seine Angaben unvollständig sind und noch weitere oder aktuellere ärztliche Stellungnahmen eingereicht werden müssen.
(3) Der Arbeitgeber, der sich auf die Ausnahmeregelung in § 90 Abs. 2a Alt. SGB IX beruft, ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die Frist des § 69 Abs. 2 S. 2 SGB IX verstrichen ist, weil der behinderte Arbeitnehmer pflichtwidrig nicht mitgewirkt und deshalb eine Entscheidung des Versorgungsamtes verzögert hat (LAG Düsseldorf, Urt. v. 22.03.2005 - 6 Sa 1938/04 -, LAGE § 90 SGB IX Nr. 1). Da die Umstände einer möglichen Verletzung der Mitwirkungspflichten indessen in der Sphäre des Arbeitsnehmers liegen und der Arbeitgeber vom Verlauf des Anerkennungsverfahrens in aller Regel keine Kenntnis hat, hat der Arbeitnehmer nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast auf den zunächst pauschalen Einwand der Verletzung der Mitwirkungspflichten hin konkret zum Verfahrensgang vorzutragen, § 138 Abs. 2 ZPO.
(4) Vorliegend hat der Kläger in sich schlüssig vorgetragen, dass er bereits mit dem Antrag zwei Klinikberichte eingereicht hatte. Erstmals nach Eingang seines Widerspruchs sei er aufgefordert worden, weitere und insbesondere aktuellere Befundunterlagen vorzulegen. Diesem Vortrag ist die Beklagte ihrerseits nicht substantiiert entgegengetreten. Auch ein Abgleich des Inhalts des Ausgangsbescheids vom 05.12.2006 und des Widerspruchsbescheids vom 28.06.2007 lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass der Kläger nur deshalb erst im Widerspruchsverfahren erfolgreich war, weil er zuvor seinen Mitwirkungspflichten gegenüber der Ausgangsbehörde nicht nachgekommen war. In dem Bescheid vom 05.12.2006 heißt es, dass "ein höherer Grad der Behinderung ... sich nach Art und Ausmaß der medizinischen Unterlagen und ärztlichen Beurteilung gegenwärtig nicht begründen" lasse. Der Behörde lagen mithin ärztliche Befund- bzw. Untersuchungsberichte vor. Die Entscheidung der Widerspruchsbehörde basiert erkennbar auf den erst im Widerspruchsverfahren von der Behörde angeforderten und eingeholten Befundunterlagen und ärztlichen Gutachten. Dies hätte aber auch schon die Ausgangsbehörde veranlassen können. Den Kläger trifft hieran kein Verschulden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des Amtsermittlungsgrundsatzes.
(5) Das Gericht war auch nicht gehalten, die Verwaltungsakte beizuziehen. Dies wäre auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausgelaufen. Es ist insbesondere nicht im Ansatz ersichtlich, dass sich der Kläger möglicherweise im ursprünglichen Anerkennungsverfahren einer ärztlichen Begutachtung widersetzt oder diese hinausgezögert und damit seine Mitwirkungspflichten schuldhaft verletzt hat. Dies widerspräche auch der allgemeinen Lebenserfahrung, da der Antragsteller in aller Regel ein Interesse an einer zügigen Bearbeitung und Bescheidung seines Antrags hat. Nach dem in sich schlüssigen Vortrag des Klägers ist vielmehr davon auszugehen, dass die Ausgangsbehörde den Sachverhalt zur Feststellung des Grads der Behinderung nicht umfassend ermittelt hat.
Dementsprechend lag hier kein Ausnahmefall nach § 90 Abs. 2a SGB IX zur grundsätzlich nach § 85 SGB IX bestehenden vorherigen Zustimmungspflicht des Integrationsamtes vor. Die mit der Klage angegriffene Änderungskündigung ist gemäß § 85 SGB IX i. V. m. § 134 BGB nichtig, sodass die Berufung insoweit zurückzuweisen war.
II.
Soweit sich die Berufung gegen den ausgeurteilten Weiterbeschäftigungsanspruch zu unveränderten Bedingungen richtet, ist sie indessen begründet. Das angefochtene Urteil war mithin durch entsprechende hierauf bezogene Klagabweisung abzuändern.
Sofern der Arbeitnehmer im Falle einer Änderungskündigung das geänderte Vertragsangebot unter dem Vorbehalt nach § 2 KSchG angenommen hat, ist der Arbeitgeber nicht aufgrund des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs verpflichtet, den Arbeitnehmer vorläufig, d. h. bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Kündigungsschutzantrag, zu den bisherigen Bedingungen weiter zu beschäftigen (BAG, Urt. v. 28.03.1985 - 2 AZR 548/83 -, AP Nr. 4 zu § 767 ZPO; BAG Urt. v. 18.01.1990 - 2 AZR 183/89 -, AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969). Da im Falle der Vorbehaltsannahme kein Streit mehr über den Fortbestand, sondern nur noch über den Inhalt des Arbeitsverhältnisses besteht, stellt sich das Problem eines Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht. Das Arbeitsgericht hat hierbei verkannt, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorliegend nicht (mehr) Streitgegenstand war, sondern nur (noch) die soziale Rechtfertigung der durch die Änderungskündigung bewirkten geänderten Arbeitsbedingungen. Vorliegend wird der Kläger auch tatsächlich weiterbeschäftigt und zwar unbestritten zu den von ihm unter Vorbehalt angenommenen geänderten Arbeitsbedingungen. Wird der Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist aufgrund der Vorbehaltsannahme tatsächlich weiterbeschäftigt - wenn auch zu anderen Arbeitsbedingungen -, so ist den Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers damit zunächst gedient. Der Kläger hat hier selbst durch die Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt zu erkennen gegeben, dass ihm zunächst die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz zumutbar war und ist. Insofern handelt ein Arbeitnehmer im Regelfall sogar widersprüchlich (§ 242 BGB, venire contra factum proprium), wenn er trotz der Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt mit der Geltendmachung eines Weiterbeschäftigungsanspruchs zu den alten Arbeitsbedingungen während des Kündigungsschutzprozesses hiervon abrücken will (BAG, Beschl. v. 19.12.1991 - 2 AZR 280/91 -, zit. n. Juris). Die finanziellen Interessen des Arbeitnehmers sind auch durch § 8 KSchG gewährleistet. Er kann im Falle eines obsiegenden und rechtskräftigen Urteils den unveränderten Erfüllungsanspruch für die Vergangenheit und Zukunft durchsetzen, sofern dem nicht Unmöglichkeit entgegensteht (ErfK/Kiel, Rn. 3 zu § 8 KSchG).
III.
Die Berufung war nach alledem überwiegend zurückzuweisen. In Bezug auf den Weiterbeschäftigungsantrag war ihr stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.
Die Revision war für die Beklagte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen (Auslegung des § 90 Abs. 2a SGB IX).
Ende der Entscheidung
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