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Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 19.02.2008
Aktenzeichen: 5 Sa 418/07
Rechtsgebiete: TVG, BGB
Vorschriften:
TVG § 3 Abs. 3 | |
TVG § 4 Abs. 5 | |
BGB § 133 | |
BGB § 154 |
2. Eine vorab, d.h. vor Beginn des Nachwirkungszeitraums bzw. während bestehender beiderseitiger Tarifbindung vereinbarte "andere Abmachung" i. S. v. § 4 Abs. 5 TVG muss als Ausnahme von der Regel den eindeutigen Regelungswillen enthalten, dass die abweichenden und damit zulasten des Arbeitnehmers vereinbarten Regelungen spätestens mit Beginn des Nachwirkungszeitraums Gültigkeit haben sollen. Dies setzt voraus, dass die Vertragsparteien den Verzicht auf tarifliche Ansprüche mit konkretem Blick auf den bevorstehenden Nachwirkungszeitraum vereinbart haben.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil
Aktenzeichen: 5 Sa 418/07
Verkündet am 19.02.2008
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 19.02.2008 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.09.2007, Az.: 3 Ca 962 b/07, werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 98 % und der Kläger zu 2 %.
3. Die Revision wird für den Kläger und die Beklagte zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger trotz einer abweichenden einzelvertraglichen Abmachung ein höherer Tariflohn kraft tariflicher Nachwirkung zusteht.
Der 57-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit 1987 als Bauarbeiter beschäftigt. Er ist langjähriges Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (im Folgenden: IG Bau). Die Beklagte betreibt mit Sitz in S. ein Bauunternehmen mit rund 140 Arbeitnehmern. Sie ist Mitglied im Norddeutschen Baugewerbeverband e.V.. Seit 01.01.2006 ist die Beklagte indessen nur noch Verbandsmitglied ohne Tarifbindung (= OT-Mitgliedschaft). Mit ihrem Sitz in S. gehört die Beklagte zum Sonderlohngebiet H..
Am 04.07.2002 schlossen die bundesweit handelnden Tarifvertragsparteien den "Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der 5 neuen Länder und des Landes Berlin" (im Folgenden: TV Lohn/West) ab, mit dem auch neue Lohnstrukturen eingeführt wurden. Für den Kläger als Spezialfacharbeiter war seither die neue Lohngruppe 4 des TV Lohn/West maßgeblich. Am 29.07.2005 vereinbarten die Tarifvertragsparteien einen geänderten TV Lohn/West. Nach dem TV Lohn/West vom 29.07.2005 beträgt der Gesamttariflohn der Lohngruppe 4 ab dem 01.04.2006 € 14,56 pro Stunde beziehungsweise bei Akkord € 13,75 pro Stunde.
Seit über 60 Jahren vereinbarten die Landes- beziehungsweise Bezirksorganisationen der bauwirtschaftlichen Tarifvertragsparteien in H. für das dortige Verbandsgebiet Bezirkslohntarifverträge (Lohntabellen). Anlass der Erstellung dieser Bezirkslohntarifverträge war zumeist der Abschluss eines Tarifvertrages der zentralen Tarifvertragsparteien auf Bundesebene.
Der letzte Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) für H. wurde am 01.04.2001 geschlossen. Der ihm zugrunde liegende bundesweit geltende Lohntarifvertrag wurde zum 31.03.2002 gekündigt. Seither befindet sich die Bezirkslohntabelle des Baugewerbes H. in der Nachwirkung. Ein neuer Bezirkslohntarifvertrag ist nicht mehr abgeschlossen worden.
In den vergangenen 30 Jahren lag der H.er Spezialbaufacharbeitertariflohn wechselnd zwischen DM 0,08 (= € 0,04) und DM 0,09 (= € 0,05) über dem Spezialbaufacharbeiterlohn des TV Lohn/West. Zuletzt betrug der Lohnabstand € 0,04 mehr pro Stunde.
Ungeachtet des Fehlens tariflicher Bezirkslohntarifverträge ab dem Jahre 2002 zahlte die Beklagte ihren Arbeitnehmern einen Lohn, der die bisherigen Besonderheiten des Sonderlohngebietes H. berücksichtigte und der € 0,04 über dem entsprechenden Lohn des TV Lohn/West lag.
Am 23.06.2005 berichtete die Beklagte dem Betriebsrat, dass sie in den letzten Jahren zwei Mio. Euro Verluste gehabt habe und dass sie beabsichtige, zum Juli die Hälfte der Belegschaft zu kündigen und zum Jahresende die Firma ganz zu schließen. Alternativ machte sie den Vorschlag, dass die Arbeitnehmer sich bereit erklärten, zum tariflichen Mindestlohn zu arbeiten, um so wettbewerbsfähig zu werden. Der Betriebsrat sollte die Kollegen auf den Baustellen hierüber informieren. Ferner teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, dass sie "in Zukunft nicht mehr im Arbeitgeberverband sein" werde (Bl. 98 f. d. GA.). Der Kläger ist nicht Betriebsratsmitglied und nahm an der Betriebsratssitzung vom 23.06.2005 auch nicht teil.
Am 12.07.2005 unterzeichneten die Parteien eine "Arbeitsvertrags Änderung" folgenden Inhalts (Bl. 15 d. GA.):
"Arbeitsvertrags Änderung
aufgrund der wirtschaftlichen Situation in unserem Betrieb sind wir an den Betriebsrat herangetreten, um über mögliche Veränderungen innerhalb der Lohn- und Kostenstrukturen unserer Firma zu sprechen. Ziel der diversen Gespräche war es die Lohn- und Lohnnebenkosten zu senken, um unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem H.er Markt zu erhalten. Bei dieser Maßnahme sind wir auf Ihr Verständnis und Ihre Mithilfe angewiesen. Um den Fortbestand der Firma und insbesondere Ihren Arbeitsplatz zu gewährleisten, bieten wir Ihnen diese einvernehmliche Arbeitsvertrags-Änderung an.
Es wird einvernehmlich wie folgt geändert:
Inkrafttreten der Änderung: 01. September 2005
Ab diesem Zeitpunkt erklären Sie sich bereit, mit einem Mindestlohn ML II von z.Zt. € 12,47
Lohnverzicht der Zahlung des 13. Monatseinkommen und bezahlte längere Arbeitszeit Freitag um 3 Stunden (während der Sommermonate)
zu ansonsten unveränderten Bedingungen weiter für uns tätig zu sein."
Entsprechend dieser Vereinbarung zahlt die Beklagte seit September 2005 an den Kläger nur noch einen Lohn von € 12,47 brutto pro Stunde im Zeitlohn und € 11,78 brutto pro Stunde im Akkordlohn.
Soweit hier von Belang enthält der TV Lohn/West folgende Regelungen:
§ 6 Sonderlohngebiet H.
Im Sonderlohngebiet H. ist sicherzustellen, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet H. ergeben haben, erhalten bleiben.
§ 9 Bezirkslohntarifverträge
Die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gebietes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. In diese ist auch eine Sonderlohngruppe für Berufskraftfahrer aufzunehmen.
§ 10 Durchführung dieses Vertrages
(1) Die Tarifvertragsparteien verpflichten sich, ihren Einfluss zur Durchführung und Aufrechterhaltung dieses Vertrages und der damit in Zusammenhang stehenden Lohn- und sonstigen Tarifverträge einzusetzen.
..."
Die IG Bau kündigte mit Schreiben vom 22.01.2007 den TV Lohn/West vom 29.07.2005 unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31.03.2007.
Der Kläger machte in zwei weiteren Zahlungsklagen die tarifliche Sonderzahlung 2006 sowie Vergütungsdifferenzen für die Monate April 2006 bis November 2006 (ArbG Elmshorn: 3 Ca 1151 b/06 = LAG 5 Sa 78/07) und die Vergütungsdifferenzen für die Monate Dezember 2006 bis März 2007 (ArbG Elmshorn 3 Ca 217 b/07 = 5 Sa 279/07) geltend. Diese Verfahren sind zweitinstanzlich noch nicht entschieden; sie ruhen aufgrund eines vor dem Bundesarbeitsgericht anhängigen Musterverfahrens.
In dem vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger gegen die Beklagte Klage erhoben mit dem Begehren, ihm für die Monate April 2007 bis einschließlich Juni 2007 einen um 0,04 Euro über dem Lohn der Lohngruppe 4 des TV Lohn/West liegenden Lohn zu zahlen, hilfsweise den Lohn nach TV Lohn/West vom 29.07.2005.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands in erster Instanz, insbesondere des streitigen Parteivorbringens, sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.09.2007 der Zahlungsklage weitestgehend stattgegeben und den Hilfsanträgen des Klägers entsprochen. Der tarifliche Lohnanspruch nach dem TV Lohn/West stehe dem Kläger auch über dem 31.03.2007 kraft tariflicher Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG zu. Die Vertragsänderung vom 12.07.2005 sei keine Abmachung i. S. v. § 4 Abs. 5 TVG, die zum Wegfall des Anspruchs des Klägers auf Zahlung des tariflichen Entgelts führen könne. Grundsätzlich könne eine solche Abmachung gemäß § 4 Abs. 5 TVG erst nach Ablauf des Tarifvertrages geschlossen werden. Eine frühere Abmachung könne zwar dann Geltung beanspruchen, wenn die Parteien bei Abschluss der Vereinbarung das Eingreifen zwingender tariflicher Regelungen überhaupt nicht in Betracht gezogen hätten. Vorliegend seien indessen keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Parteien bei Unterzeichnung der Verzichtserklärung den rechtsgeschäftlichen Willen gehabt hätten, eine zunächst für die völlig ungewisse normative Laufzeit des Tarifvertrags unwirksame, nach dessen Kündigung jedoch wirksam werdende Erklärung zu vereinbaren. Ein Erklärungswille des Klägers dahingehend, dass die Vertragsänderung vorläufig zwar unwirksam, später jedoch ab Beginn der Nachwirkungsphase wirksam sein sollte, sei dem Sachvortrag der Parteien nicht zu entnehmen. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass die Parteien in der Vertragsänderung den für die Bauwirtschaft jeweils gültigen Mindestlohn ausdrücklich vereinbart hatten und damit erkennbar tarifliche Regelungen in Betracht gezogen hätten. Das Arbeitsgericht hat die Berufung (für beide Seiten) zugelassen.
Gegen dieses ihm am 04.10.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.10.2007 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese am 15.11.2007 begründet. Die Beklagte hat gegen das ihr am 08.10.2007 zugestellte Urteil am 07.11.2007 Berufung eingelegt und diese am 07.12.2007 begründet.
Der Kläger ergänzt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er meint, sein Anspruch auf weitere 0,04 Euro pro Stunde ergebe sich ungeachtet des Fehlens einer tarifvertraglichen Lohntabelle für das Sonderlohngebiet H. im streitgegenständlichen Zeitraum direkt aus § 6 TV Lohn/West. Der Wortlaut des § 6 TV Lohn/West sei so zu verstehen, dass mit dieser Vorschrift automatisch der Abstand zwischen den für das gesamte Bundesgebiet nach diesem Tarifvertrag gültigen Stundenlöhnen und den Stundenlöhnen des Sonderlohngebietes H. entsprechend den bisherigen Abständen bewirkt werde. § 6 TV Lohn/West stelle eine eigene anspruchsbegründende Norm dar und benötige keine weitere Konkretisierung in anderen Tarifverträgen. Die Löhne im Sonderlohngebiet H. würden nach dieser Vorschrift automatisch entsprechend ihrem bisherigen Abstand angepasst und erhöht. § 6 TV Lohn/West entspreche auch dem Bestimmtheitsgrundsatz. Wegen der festgelegten Bundeslöhne und der ebenfalls bestimmten Lohnabstände für die einzelnen Lohngruppen sei es problemlos möglich, den entsprechenden Lohn für das Sonderlohngebiet H. zu errechnen. Auch werde aus § 6 TV Lohn/West deutlich, dass Normadressat der einzelne Arbeitnehmer beziehungsweise Arbeitgeber sei. Hätten die Tarifvertragsparteien etwas anderes gewollt, dann hätten sie, wie in § 9 TV Lohn/West geschehen, die Landes- beziehungsweise Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien als Normadressaten benannt. Die §§ 9, 10 TV Lohn/West hätten wegen der speziellen Vorschrift in § 6 TV Lohn/West für das Sonderlohngebiet H. keine Bedeutung. Die §§ 9, 10 TV Lohn/West bezögen sich ausschließlichen auf solche Bezirkslohntarifverträge bzw. Lohntabellen, in denen Sonderlöhne und Sonderlohngruppen enthalten und geregelt seien. Diese Sonderlöhne und Sonderlohngruppen beträfen die Löhne, die für bestimmte Berufsgruppen außerhalb der Bundeslohntabellen geregelt seien. Darum gehe es bei § 6 TV Lohn/West nicht, denn dort seien eigene Lohngruppen nicht eingeführt. Die Vorschrift diene einzig und allein dazu, bestehende Lohngruppen im Vergleich zu Bundeslöhnen zu vereinbaren. Zwischen den Tarifvertragsparteien habe Einigkeit bestanden, dass die Höhe des Lohnabstandes nicht verhandelbar sei. Letztlich spreche auch die Systematik des Tarifvertrages für seine - klägerische - Auffassung. Wäre § 6 TV Lohn/West lediglich als Aufforderung an die regionalen Tarifvertragsparteien zu verstehen, dann hätte diese Vorschrift ihren Platz zwischen den §§ 9, 10 TV Lohn/West finden müssen. Er habe deshalb - bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum - Anspruch auf weitere € 16,21 brutto, wobei die Forderung der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig ist.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.09.2007, Az.: 3 Ca 962 b/07, insoweit abzuändern, als seine verfolgten Zahlungsanträge abgewiesen wurden und die Beklagte zu verurteilen, an ihn den nach den Schlussanträgen der ersten Instanz noch nicht zuerkannten Differenzbetrag für den Zeitraum April 2007 bis Juni 2007 von insgesamt € 16,21 brutto und 41,86 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen;
und das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn, Az.: 3 Ca 962 b/07, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung,
dass sich der Kläger (zumindest) seit dem 01.04.2007 an seine Verzichtserklärung vom 12.07.2005 festhalten lassen müsse. Seit der zum 01.01.2006 wirksam gewordenen OT-Mitgliedschaft hätten die Regelungen des TV Lohn/West nur noch in Form der sogenannten Fortgeltung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung gefunden, § 3 Abs. 3 TVG. Mit Ablauf des 31.03.2007 sei der ZV Lohn/West sodann in die Nachwirkungsphase getreten und mit diesem Zeitpunkt sei die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005, welche eine Vergütung des Klägers auf Basis eines Stundenlohnes in Höhe von € 12,47 vorsehe, in Kraft getreten und habe rechtliche Wirkung entfaltet. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 21.09.1989 - 1 AZR 454/88 -) und herrschenden Meinung in der Literatur lebten einzelvertragliche Regelungen wieder auf, die vor Beendigung des Tarifvertrages verdrängt waren. Bei Abschluss der Arbeitsvertragsänderung habe sie keine Kenntnis von der Mitgliedschaft des Klägers in der IG Bau gehabt. Des Weiteren sei der TV Lohn/West von vornherein kündbar gewesen, sodass dessen Laufzeit gerade nicht völlig ungewiss gewesen sei. Überdies spreche der Sinn und Zweck der sog. Nachwirkungslehre, d.h. der Ausschluss eines ansonsten inhaltsleer werdenden Arbeitsverhältnisses, in dem hier zu beurteilenden Fall nicht gegen ein Aufleben der streitigen Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005. Denn das Arbeitsverhältnis werde durch die Regelungen in dem allgemein verbindlichen BRTV-Bau und in dem ebenfalls allgemein verbindlichen Mindestlohntarifvertrag bestimmt. Ein inhaltsleerer Zustand sei mithin gar nicht zu befürchten gewesen. Somit sei während der Laufzeit des TV Lohn/West bis zum 31.03.2007 die arbeitsvertragliche Abrede vom 12.07.2005 verdrängt gewesen und sei mit dem Wechsel der Beklagten in die OT-Mitgliedschaft und der durch Kündigung bedingten Beendigung des TV Lohn/West zum 31.03.2007 zu diesem Zeitpunkt wieder aufgelebt.
In Erwiderung auf die Berufung des Klägers verteidigt die Beklagte das angefochtene Urteil. Aufgrund der Verzichtserklärung vom 12.07.2005 habe der Kläger keinen Anspruch mehr auf die von ihm begehrten weiteren € 0,04 pro Stunde. Aus § 6 TV Lohn/West folge kein diesbezüglicher unmittelbarer Anspruch. § 6 TV Lohn/West sei lediglich eine Sicherstellungsverpflichtung, deren Umsetzung durch Bezirkstarifverträge erfolgen könne. Normadressaten dieser Verpflichtung seien die Tarifvertragsparteien, nicht die Arbeitnehmer. §§ 9, 10 TV Lohn/West stellten lediglich eine Verpflichtung für die Tarifvertragsparteien dar, unverzüglich Bezirkstarifverträge zu schließen und dabei auch § 6 TV Lohn / West einzuhalten. Zudem könne angesichts des wechselnden Abstandes nicht von einem regelmäßigen Stundenlohnabstand zwischen dem TV Lohn/West und dem Sonderlohngebiet H. in Höhe von generell € 0,04 pro Stunde ausgegangen werden.
In Erwiderung auf die Berufung der Beklagten trägt der Kläger vor, zumindest bis Januar 2006 habe der TV Lohn/West kraft unmittelbarer Tarifbindung beider Parteien auf das Arbeitsverhältnis Anwendung gefunden. Die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 sei mithin unwirksam und nichtig, da dieser Verzicht nicht im Rahmen eines von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleichs erfolgte. Auch nach dem Wechsel der Beklagten in die OT-Mitgliedschaft habe der TV Lohn/West fortgegolten, § 3 Abs. 3 TVG. Auch die Kündigung des TV Lohn/West zum 31.03.2007 und der Abschluss eines neuen TV Lohn/West vom 20.08.2007 führe nicht zum Weg seines tariflichen Lohnanspruchs, da sich der TV Lohn/West vom 29.07.2005 seit dem 01.04.2007 in der Nachwirkung befinde, § 4 Abs. 5 TVG. Die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 sei auch keine andere Abmachung i. S. v. § 4 Abs. 5 TVG. Diese Vereinbarung sei nach § 4 Abs. 4 TVG nichtig gewesen, und nicht nur schwebend unwirksam.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages der Parteien in der Berufung wird Bezug genommen auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze.
Entscheidungsgründe:
Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Sie sind dem Beschwerdewert nach statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 2 lit. b; 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.
In der Sache selbst hat weder die Berufung des Klägers (I.) noch diejenige der Beklagten (II.) Erfolg.
I.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger für den hier streitgegenständlichen Zeitraum von April bis Juni 2007 keinen Anspruch auf einen um € 0,04 erhöhten Stundenlohn nach der H.er Lohntabelle hat. Die erkennende Kammer schließt sich insoweit der Auffassung der 3. Kammer und der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein an (Urteil vom 12.02.2007 - 3 Sa 420/06 - und Urteil vom 22.03.2007 - 4 Sa 421/06 -), die jeweils die Berufungen in Parallelverfahren mit dem entsprechenden Begehren zurückgewiesen haben.
1. Der Kläger hat mit der von ihm unterzeichneten Vereinbarung vom 12.07.2005 wirksam darauf verzichtet, dass die Beklagte ihm auch über den 01.09.2005 hinaus einen mindestens um € 0,04 über dem "Bundeslohn" liegenden Lohn zahlt. Insoweit war der Verzicht wirksam, weil die Beklagte ab 01.09.2005 nicht mehr gemäß § 3 Abs. 1 beziehungsweise § 3 Abs. 3 TVG verpflichtet war, ihm einen um € 0,04 höheren Lohn zu zahlen. Die letzte zwischen den H.er Tarifvertragsparteien vereinbarte Lohntabelle befindet sich unstreitig seit dem 01.04.2002 in der Nachwirkung, sodass die Tarifbindung der H.er Lohntabelle zu jenem Zeitpunkt endete, § 3 Abs. 3 TVG. Die Parteien waren mithin ab jenem Zeitpunkt tarifrechtlich nicht mehr gehindert, auf den erhöhten Lohn nach der H.er Lohntabelle einvernehmlich durch eine andere Abmachung nach § 4 Abs. 5 TVG zu verzichten. Soweit die Beklagte im Nachwirkungszeitraum jeweils einen orientiert an dem "Bundeslohn" um 4 Cent höheren Lohn zahlte, steht dies der Wirksamkeit der Vereinbarung vom 12.07.2005 nicht entgegen. Denn insoweit handelte es sich nicht um eine tarifvertragliche Verpflichtung.
2. Die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 verletzt § 6 TV Lohn/West vom 29.07.2005 nicht. Auch unter Beachtung dieser Vorschrift missachtet die Vertragsänderung vom 12.07.2005 bezogen auf die streitgegenständlichen 0,04 Euro pro Stunde kein Tarifrecht. Denn § 6 TV Lohn/West enthält keinen unmittelbaren Anspruch des im Sonderlohngebiet H. arbeitenden Klägers auf Zahlung der begehrten weiteren 0,04 Euro pro Stunde. Bei § 6 TV Lohn/West handelt es sich nicht um eine Inhaltsnorm. Diese Vorschrift stellt lediglich eine zwischen den Tarifvertragsparteien schuldrechtlich wirkende Tarifvertragsregelung dar. Die Auslegung dieses Tarifvertrages ergibt nichts anderes. Dazu hat bereits die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein im Urteil vom 12.02.2007 (3 Sa 420/06 n. rk., anhängig beim BAG 4 AZR 217/07) ausgeführt:
"a) Nach den allgemeinen für Tarifverträge anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen ist auszugehen vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung sind ferner Sinn und Zweck der Regelung. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, soweit er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BAG vom 12.11.2002 - 1 AZR 632/01; BAG vom 22.03.2005 - 1 AZR 3/04; BAG vom 22.11.2005 - 1 AZR 458/04 - jeweils zitiert nach JURIS).
b) Der Wortlaut des § 6 TV Lohn/West enthält keine Regelung, die für das Sonderlohngebiet H. und dort die Lohngruppe 4 einen Stundenlohn von 14,82 EUR bzw. 14,00 EUR im Akkord festschreibt. Dort heißt es lediglich, dass im Sonderlohngebiet H. sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet H. ergeben haben, erhalten bleiben. Ein bestimmter Lohnabstand, den im Sonderlohngebiet H. beschäftigte Arbeitnehmer allgemein zu beanspruchen haben, wird - anders als in § 3 Abs. 2 TV Lohn/West - in § 6 TV Lohn/West nicht festgelegt.
c) Sinn und Zweck des § 6 TV Lohn/West ist es vielmehr, den regionalen, traditionell auf Landes- bzw. Bezirksebene verhandelnden Tarifvertragsparteien Verhandlungsvorgaben für die von ihnen in Umsetzung des Bundestarifvertrages zu führenden Tarifverhandlungen zu machen. Traditionell fanden im bauwirtschaftlichen Bereich seit Jahrzehnten zunächst ausschließlich, später jeweils im Nachgang zu bundesweit zentralen Tarifverhandlungen quasi in Ausführung der Bundestarifverträge ergänzende regionale Tarifverhandlungen statt, in denen die Landes- bzw. Bezirksorganisationen die regionalen Besonderheiten speziell berücksichtigten und ihnen Rechnung trugen. Das geschah im Bereich des Bezirkslohntarifvertrages (Lohntabelle) für H. u. a. regelmäßig mit der Festlegung eines höheren tariflichen Stundenlohnes für dieses Sonderlohngebiet. Vor diesem traditionellen Hintergrund kann § 6 TV Lohn/West nur dahingehend verstanden werden, dass an die Bezirksorganisationen ein diesbezüglicher Verhandlungsauftrag "Besitzstandswahrung" der im Sonderlohngebiet H. beschäftigten Arbeitnehmer festgeschrieben werden sollte. Mehr als ein solcher Verhandlungsauftrag kann dem § 6 TV Lohn/West nicht entnommen werden.
d) Hätten die Bundestarifvertragsparteien einen unmittelbaren Zahlungsanspruch der im Sonderlohngebiet H. tätigen Arbeitnehmer für das Sonderlohngebiet H. im Wege der Aufstellung einer Inhaltsnorm festschreiben wollen, hätten sie § 6 anders formulieren müssen und auch anders formuliert. Dort, wo unmittelbare Anspruchsgrundlagen für Arbeitnehmer aufgestellt wurden, haben die Tarifvertragsparteien im TV Lohn/West Formulierungen gewählt, wie " ...beträgt der Ecklohn...EUR" (§ 2 Abs. 1und Abs. 2); "gelten nachstehende Löhne.."(§ 2 Abs. 7,8); " erhält der Arbeitnehmer ..."(§ 2 Abs. 3, § 3 Abs. 1 und Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 7 Abs. 1 und Abs. 2); "wird der Lohn festgelegt auf....."(§ 4 Abs. 2); "haben Anspruch auf...."( § 4 Abs. 3, § 5 Abs. 4). Demgegenüber haben die Tarifvertragsparteien aber in § 6 TV Lohn/West lediglich normiert, dass "sicherzustellen ist, dass die Lohnabstände ... erhalten bleiben". Insoweit ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien hier gezielt unterschiedliche Formulierungen gewählt haben, weil den Tarifregelungen unterschiedliche Wirkung gegeben werden sollte.
e) Allein die Formulierung "sicherstellen" macht zudem deutlich, dass es sich insoweit um einen Verhandlungsauftrag an die nachfolgenden Bezirkslohntarifvertragsparteien des Sonderlohngebietes H. handelt. Das Wort "sicherstellen" verlangt naturgemäß ein Handeln. Ohne eine solche Aktivität, ein solches Handeln, kann nichts sichergestellt werden.
f) Auch aus dem Gesamtzusammenhang und der Systematik des TV Lohn/West ergibt sich, dass § 6 lediglich als schuldrechtliche Bestimmung eingeordnet werden kann.
Insoweit ist zunächst auf § 3 Abs. 2 TV Lohn/West hinzuweisen. Dort ist ausdrücklich ein Sonderlohnanspruch für bestimmte Arbeitnehmer in einem bestimmten Baubereich in einer bestimmten Höhe normiert. Dort heißt es: "Im Sonderlohngebiet H. erhalten Arbeitnehmer in Fertigbaubetrieben einen jeweils um 0,04 EUR erhöhten Tarifstundenlohn bzw. Gesamttarifstundenlohn". Diese Formulierung haben die Tarifvertragsparteien in § 6 TV Lohn/West jedoch für die sonstigen, nicht in Fertigbaubetrieben tätigen Arbeitnehmer des Sonderlohngebietes H. gerade nicht gewählt. Sie haben insoweit nur eine abgeschwächte Vorgabe für einen Verhandlungsauftrag an die Bezirkslohntarifvertragsparteien gemacht, nämlich sicherzustellen, dass die Lohnabstände - in welcher ausgestalteten Höhe auch immer - erhalten bleiben.
g) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus der Anordnung des TV Lohn/West, insbesondere der Tatsache, dass § 6 TV Lohn/West nicht unmittelbar vor §§ 9 und 10 des TV Lohn/West steht. Letztere legen zweifelsfrei eine Verpflichtung der Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien fest, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gesetzes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. Aus ihnen ergibt sich - was spätestens nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2006 (4 AZR 552/04) nicht weiter zu vertiefen sein dürfte - eine Verpflichtung zur Führung von regionalen Tarifverhandlungen mit eigenständigem Gestaltungsspielraum. Das setzt voraus, dass in dem Sonderlohngebiet selbst gestaltende Regelungen über die Vergütung getroffen werden und nicht nur der Inhalt des TV Lohn/West für das Sonderlohngebiet neu dokumentiert wird. Auch bezüglich der §§ 9 und 10 des TV Lohn/West besteht kein Zweifel, dass sich diese Tarifregelungen an die Tarifvertragsparteien wenden, mithin schuldrechtlicher Natur sind. Auch § 6 TV Lohn/West gewährt den regionalen Tarifvertragsparteien diesen erwähnten Gestaltungsspielraum. Vor diesem inhaltlichen Hintergrund kann aus dem Standort des § 6 TV Lohn/West und der fehlenden unmittelbaren gestalterischen Nähe zu §§ 9 und 10 des TV Lohn/West nicht geschlussfolgert werden, es handele sich entgegen Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck um eine Norm, die unmittelbare Ansprüche der Arbeitnehmer habe begründen sollen."
Dem schließt sich die erkennende Berufungskammer vollständig an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen darauf ausdrücklich Bezug.
II.
Die Berufung der Beklagten ist ebenfalls unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage bezogen auf den Hilfsantrag zu Recht stattgegeben. Der Kläger kann auch noch für die Monate April bis einschließlich Juni 2007 Vergütung nach Entgeltgruppe 4 des TV Lohn/West vom 29.07.2005 beanspruchen.
1. Zwar kann der Kläger den hilfsweise geltend gemachten tariflichen Lohn nicht mehr gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 3 TVG i. V. m. dem TV Lohn/West geltend machen, da die Beklagte seit dem 01.01.2006 nur noch in dem Baugewerbeverband als OT-Mitglied geführt wird. Die tarifliche Nachbindung endete aufgrund der Kündigung des TV Lohn/West zum 31.03.2007.
2. Indessen steht dem Kläger der Tariflohn entsprechend dem TV Lohn/West vom 29.07.2005 (statisch) auch über den 31.03.2007 hinaus aufgrund der tariflichen Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG zu. Die Nachwirkung gemäß § 4 Abs. 5 TVG schließt sich auch bei einem Verbandsaustritt an das Ende der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 3 TVG an (st. Rspr. d. Bundesarbeitsgerichts, s. nur: BAG Urt. v. 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 -, AP Nr. 42 zu § 4 TVG 'Nachwirkung' m.w.N.; BVerfG Urt. v. 03.07.2000 - 1 BvR 945/00 -, AP Nr. 36 zu § 4 TVG 'Nachwirkung'). Die Kammer sieht keine Veranlassung, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen. Hiergegen erhebt die Beklagte auch keine Einwände.
3. Der Nachwirkung des TV Lohn/West vom 29.07.2005 steht auch nicht die einzelvertragliche Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 entgegen. Diese Vereinbarung, mit der der Kläger mit Wirkung ab dem 01.09.2005 weitreichend auf tarifliche Ansprüche verzichtet hat, ist nach § 4 Abs. 3 TVG unwirksam (a). Der Vereinbarung vom 12.07.2005 erweist sich auch nicht gemäß § 4 Abs. 5 TVG als "andere Abmachung" bezogen auf den Nachwirkungszeitraum des beendeten TV Lohn/West vom 29.07.2005 (b).
a) Aufgrund der sowohl bei Abschluss des TV Lohn/West vom 29.07.2005 als auch bei dessen Inkrafttreten am 01.09.2005 noch bestehenden beiderseitigen Tarifbindung konnte der Kläger am 12.07.2005 weder auf seine damals aktuellen tariflichen Rechte aus dem TV Lohn/West vom 04.07.2002 noch auf diejenigen aus dem erst noch abzuschließenden Nachfolgetarifvertrag vom 29.07.2005 rechtswirksam verzichten, § 4 Abs. 3 TVG. Abmachungen der Arbeitsvertragsparteien, die zuungunsten des Arbeitnehmers getroffen werden, sind nur zulässig, wenn der Tarifvertrag dies gestattet (Öffnungsklausel) oder die Tarifvertragsparteien dem zugestimmt haben.
Diese Ausnahmetatbestände liegen hier unstreitig nicht vor.
Eine zulasten des Arbeitnehmers getroffene tarifwidrige einzelvertragliche Vereinbarung ist in aller Regel gemäß § 134 BGB i. V. m. § 4 Abs. 3 TVG nichtig. Denn die Auslegung eines Arbeitsvertrages wird regelmäßig ergeben, dass tarifwidrige Abreden nichtig und nicht nur schwebend unwirksam sind, sodass die Tarifnormen an die Stelle der unwirksamen einzelvertraglichen Abmachungen treten und diese ersetzen. Es entspricht regelmäßig nicht dem Willen des Arbeitnehmers, dass tarifwidrige Abmachung nach Jahr und Tag mit der Beendigung des Tarifvertrages sozusagen wieder aufleben (vgl. Wiedemann/ Wank, TVG, 7. Aufl., Rn. 372 zu § 4). Hieran gemessen, erweist sich der von den Parteien abgeschlossene Änderungsvertrag vom 12.07.2005 als nichtig. Trotz bestehender beiderseitiger Tarifbindung hat der Kläger gesetzwidrig (teilweise) auf seine tariflichen Ansprüche aus dem TV Lohn/West mit Wirkung ab dem 01.09.2005 verzichtet.
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten haben die Parteien mit der Verzichtsvereinbarung vom 12.07.2005 auch keine "andere Abmachung" im Hinblick auf den am 01.04.2007 beginnenden Nachwirkungszeitraum des TV Lohn/West vom 29.07.2005 getroffen.
aa) Während des Nachwirkungszeitraums besteht nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung keine unmittelbare und zwingende Wirkung der Tarifnormen. Vielmehr sind sie dispositiv. Sowohl mit neu eingestellten als auch mit bereits angestellten tarifgebundenen Arbeitnehmern kann der nicht tarifgebundene Arbeitgeber im Nachwirkungszeitraum untertarifliche Arbeitsbedingungen vereinbaren (ErfK/Schaub/ Franzen, a.a.O., Rn 76 zu § 4). Inhalts- und Abschlussnormen eines nachwirkenden Tarifvertrages können somit auch zulasten des Arbeitnehmers abbedungen werden. Dies folgt aus § 4 Abs. 5 TVG, wonach die Rechtsnormen eines Tarifvertrages nach dessen Ablauf solange weitergelten, bis sie durch eine "andere Abmachung" ersetzt werden. Eine "andere Abmachung" i. V. m. § 4 Abs. 5 TVG kann auch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung sein (BAG Urt. v. 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 -, a.a.O.; ErfK, 8. Aufl., Rn. 63 zu § 4 TVG). Sie kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent geschlossen werden.
Der hier strittigen Vereinbarung vom 12.07.2005 ist indessen nicht zu entnehmen, dass die Parteien - zumindest auch - den Zeitraum der tariflichen Nachbindung des erst am 29.07.2005 abgeschlossenen und am 01.09.2005 in Kraft getretenen TV Lohn/West haben regeln wollen. Nach den Auslegungsgrundsätzen der §§ 157, 133 BGB kann auch unter Zugrundelegung der Begleitumstände nicht darauf geschlossen werden, die Parteien hätten mit dem Änderungsvertrag vom 12.07.2005 bereits den tariflichen Nachwirkungszeitraum ab 01.04.2007 regeln wollen.
bb) Dabei ist zu berücksichtigen, dass als andere Abmachung grundsätzlich nur eine individualrechtliche Vereinbarung in Betracht kommt, die nach Ablauf des Tarifvertrages, also im Nachwirkungszeitraum, zustande gekommen ist. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG. Danach kann erst durch eine nach Wegfall der Tarifbindung getroffene "andere Abmachung" die tarifliche Nachwirkung beendet werden. Dies ergibt sich aus dem Wort "bis". Ungünstigere frühere einzelvertragliche Vereinbarungen, die während der Vollwirksamkeit des Tarifvertrages nach § 4 Abs. 1, § 4 Abs. 3 TVG nicht gelten konnten, leben mit dessen Ablauf entgegen der Auffassung der Beklagten nicht wieder auf und gestalten das Arbeitsverhältnis im Nachwirkungszeitraum abweichend vom abgelaufenen Tarifvertrag (Däubler/ Bepler, TVG, 2. Aufl. Rn.908 zu § 4; ErfK/ Schaub/ Franzen, a.a.O. Rn. 78 zu § 4). Vielmehr sind solche vorab, d.h. noch während der Tarifbindung zu Ungunsten des Arbeitnehmers geschlossene Vereinbarungen grundsätzlich gemäß § 134 BGB i. V. m. § 4 Abs. 3 TVG nichtig. Nichtige Rechtsgeschäfte sind nichtig und nicht nur schwebend unwirksam.
cc) Zwar ist es entgegen dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG auch möglich, eine "andere Abmachung" schon vor dem Nachwirkungszeitraum abzuschließen. Aufgrund der Privatautonomie ist es den Arbeitsvertragsparteien unbenommen, Verträge abzuschließen, die erst in der Zukunft Wirkung entfalten sollen. Das gilt auch für eine Vereinbarung, die auf die Ablösung einer Nachwirkung eines Tarifvertrages gerichtet ist. Maßgeblich ist insoweit, dass die Vereinbarung dahingehend ausgelegt werden kann, dass sie - zumindest auch - die Nachwirkung des Tarifvertrages beseitigen soll (BAG Urt. v. 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 -, a.a.O.). Eine vorab, d. h. vor Beginn des Nachwirkungszeitraums vereinbarte "andere Abmachung" i. S. v. § 4 Abs. 5 TVG muss als Ausnahme indessen den eindeutigen Regelungswillen enthalten, dass die abweichenden und damit zulasten des Arbeitnehmers vereinbarten Regelungen spätestens mit Beginn des Nachwirkungszeitraums Gültigkeit haben sollen. Die Arbeitsvertragsparteien müssen mithin bei Abschluss der vor dem Beginn des Nachwirkungszeitraums getroffenen Vereinbarung auch schon an den konkreten Nachwirkungszeitraum gedacht haben.
dd) Dies ist vorliegend indessen nicht der Fall. Die Parteien haben am 12.07.2005 weder ausdrücklich noch konkludent die nachwirkenden Normen des (zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht abgeschlossenen) TV Lohn/West vom 29.07.2005 durch eine andere Abmachung ersetzt. Gegenteiliges lässt sich weder dem Wortlaut des Änderungsvertrages noch den Begleitumständen des Vertragsschlusses entnehmen.
(1) Die Arbeitsvertragsänderung vom 12.07.2005 selbst enthält keinen Hinweis darauf, dass die beabsichtigte Lohnsenkung (spätestens) mit Beginn des Nachwirkungszeitraums des TV Lohn/West vom 29.07.2005 Wirksamkeit entfalten sollte. Vielmehr haben die Parteien hierin lediglich geregelt, dass die Änderungen bereits mit dem 01.09.2005 gelten sollten.
(2) Die Umstände des Vertragsschlusses rechtfertigen aber auch nicht den Schluss, dass die Parteien den Nachwirkungszeitraum eines noch nicht einmal von den Tarifvertragsparteien abgeschlossenen Nachfolgetarifvertrages (TV Lohn/West vom 27.07.2005) haben regeln wollen. Anders als in dem der BAG-Entscheidung vom 23.02.2005 - 4 AZR 186/04 - zugrunde liegenden Fall, stand der Beginn des Nachwirkungszeitraums gerade nicht unmittelbar bevor. Er war noch nicht einmal bekannt. Die Parteien hätten diesbezüglich hellseherische Fähigkeiten haben müssen. Der hier maßgebliche TV Lohn/West vom 29.07.2005 war von den Tarifvertragsparteien am 12.07.2005 noch nicht einmal abgeschlossen, mithin stand auch noch gar nicht fest, zu welchem Zeitpunkt dieser Tarifvertrag frühestens gekündigt werden konnte.
(3) Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte noch nicht einmal behauptet hat, dass sie den Kläger vor Abschluss des Änderungsvertrages über ihren künftigen Verbandsaustritt in Kenntnis gesetzt hat. Der Kläger war ausweislich des zur Akte gereichten Protokolls bei der Betriebsratssitzung vom 23.06.2006 nicht abwesend. Der Kläger musste bei Abschluss des Änderungsvertrages mithin davon ausgehen, dass der TV Lohn/West auch künftig kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung findet. Der klägerische Verzicht auf den Tariflohn war - ungeachtet des erklärten Willens des Klägers - kraft Gesetzes nichtig, § 4 Abs. 1 und 3 TVG. Es ist weder rechtsmissbräuchlich noch verwerflich, sich im Nachhinein auf die Nichtigkeit eines Vertrages zu berufen. Hierbei verkennt die Beklagte, dass sie dem Kläger immerhin ein von vornherein nichtiges Vertragsangebot unterbreitet hat.
(4) Aber auch wenn der Kläger bei Abschluss des Änderungsvertrages gewusst hat, dass die Beklagte aus dem Verband austreten wird, führt dies nicht dazu, in der Vereinbarung vom 12.07.2005 eine "andere Abmachung" in Bezug auf den zukünftig nachwirkenden TV Lohn/West vom 29.07.2005 zu erblicken. Am 12.07.2005 stand die Laufzeit und dessen erstmalige Kündigungsmöglichkeit des TV Lohn/West vom 29.07.2005 noch nicht einmal fest. Aus der zeitlichen Abfolge und den Ankündigungen der Beklagten anlässlich der Betriebsratssitzung vom 23.06.2005 kann allenfalls geschlussfolgert werden, dass der Kläger bei Abschluss der Vertragsänderung wegen der (vermeintlich) fehlenden Tarifbindung der Beklagten nach Ablauf des TV Lohn/West vom 04.07.2002, der bereits gekündigt war, und der wirtschaftlich angespannten Lage der Beklagten den Willen hatte, zum Erhalt seines Arbeitsplatzes auf seine ab dem 01.09.2005 (vermeintlich) nur noch nachwirkenden Rechte aus dem TV Lohn/West vom 04.07.2002 verzichten zu wollen.
Gleiches gilt indessen nicht im Hinblick auf den Nachwirkungszeitraum des noch abzuschließenden Folgetarifvertrages vom 29.07.2005. Anlass und Motiv für den Verzicht auf die Tarifrechte war das desolate Betriebsergebnis der Beklagten sowie deren Behauptung, aufgrund der hohen Lohnkosten nicht wettbewerbsfähig zu sein. Ob die wirtschaftliche Situation auch knapp zwei Jahre später noch so sein würde, war für den Kläger zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch gar nicht absehbar. Es bestand für ihn mithin gar kein Anlass, zum Erhalt seines Arbeitsplatzes so frühzeitig wegen einer erst Jahre später wegfallenden Tarifbindung der Beklagten auf dann (01.04.2007) erst nachwirkende Tarifrechte zu verzichten.
Dementsprechend wirkt der TV Lohn/West vom 29.07.2005 auf das Arbeitsverhältnis nach. Er ist nicht durch eine andere Abmachung i. S. v. § 4 Abs. 5 TVG abgelöst worden. Dem Kläger stehen folglich auch nach Wegfall der Tarifbindung über den 31.03.2007 hinaus die Ansprüche und Rechte aus dem TV Lohn/West vom 29.07.2005 zu. An künftigen Tariferhöhungen nimmt er indessen nicht mehr teil.
4. Die Höhe der geltend gemachten Differenzbeträge zwischen dem gezahlten (tariflichen) Mindestlohn und dem Tariflohn der Lohngruppe 4 nach dem TV Lohn/West vom 29.07.2005 bezogen auf den Klagzeitraum April bis Juni 2007 ist zwischen den Parteien unstreitig.
5. Der Zinsanspruch beruht auf §§ 291, 288 BGB.
III.
Nach alledem waren die Berufungen beider Parteien mit der Kostenfolge des § 97 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG zurückzuweisen.
Für den Kläger war die Revision wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung und für die Beklagte wegen Divergenz zu dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 24.01.2008, Az.: 1 Sa 416/07, zuzulassen, § 72 Abs. 2 ArbGG.
Ende der Entscheidung
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