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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 08.06.2004
Aktenzeichen: 5 Sa 5/04
Rechtsgebiete: BAT/AOK


Vorschriften:

BAT/AOK § 22
1. Ein Kundenberater im Leistungs-, Versicherungs- und Beitragsbereich mit entsprechender Berufserfahrung ist nach dem Regelbeispiel 1 in der VergG 8 BAT/AOK eingruppiert. Eine zusätzliche Aus- bzw. Fortbildungsvoraussetzung i. S. v. § 2 Abs. 2 der Anlage 1a zu § 22 BAT/AOK ist nicht Tarifmerkmal der VergG 8 Regelbeispiel 1 BAT/AOK.

2. Es widerspricht dem Grundsatz der Tarifautomatik, wollte man die Eingruppierung in VergG 8 BAT/AOK zusätzlich von dem in der Soll-Vorschrift des § 2 Abs. 2 der Anlage 1a zu § 22 BAT/AOK geforderten Nachweis einer "den wahrzunehmenden Aufgaben entsprechenden Qualifikation" abhängig machen. Dies folgt daraus, dass die Erlangung der nach § 2 Abs. 2 Anlage 1a geforderten Qualifikationen nach § 2 Abs. 1 Anlage 1a letztlich durch die Bestimmung des entsprechenden Bedarfs sowie das unter Eignungsgesichtspunkten zu treffende Auswahlverfahren der Bewerber von Entscheidungen des Dienstherrn abhängig ist.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 5 Sa 5/04

Verkündet am 08.06.2004

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 08.06.2004 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Otten-Ewer als Vorsitzende und d. ehrenamtliche Richterin Gudrun Wramp als Beisitzerin und d. ehrenamtliche Richterin Karin Finnern als Beisitzerin

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 09.12.2003, Az.: 3 Ca 1186 b/03, wird abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von EUR 9.690,78 brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 28.05.2003 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht restliche Vergütung geltend, wobei die Parteien über die zutreffende Eingruppierung des Klägers streiten.

Der 37-jährige Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 01.08.1983 zunächst als Auszubildender und ab Juli 1986 als Sozialversicherungsfachangestellter zuletzt in der Geschäftsstelle in Pinneberg beschäftigt. Seit dem 01.01.1996 erhält er Vergütung nach Vergütungsgruppe (VergG) 8 BAT/AOK. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundesangestelltentarifvertrag Ortskrankenkassen und die diesen ergänzenden Tarifverträge Anwendung (BAT/AOK). Soweit hier von Bedeutung gelten hiernach folgende tarifliche Regelungen:

§ 22 BAT/AOK

(1) Die Eingruppierung der Angestellten richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsordnung (Anlagen 1 a und 1 b). Der Angestellte erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe, in die er eingruppiert ist.

...

"Anlage 1 a zu § 22 BAT/AOK (künftig: Anlage 1a)

§ 1 Geltungsbereich

....

§ 2 Aus-, Fort- und Weiterbildung (Qualifikation)

(1) Angestellten soll entsprechend ihrer Eignung sowie dem Bedarf des Arbeitgebers Gelegenheit gegeben werden, insbesondere an den von der AOK bzw. deren Verbänden angebotenen Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen.

(2) Für die Ausübung von Tätigkeiten der Vergütungsgruppe 8 und der höheren Vergütungsgruppen sollen die Angestellten den wahrzunehmenden Aufgaben entsprechende Qualifikationen nachweisen.

Die Qualifikationen werden insbesondere

(a) durch das Bestehen der Prüfung nach der Fortbildungs- und Prüfungsordnung für Angestellte im Krankendienst oder

(b) durch eine abgeschlossene Fachhochschul- oder Hochschulausbildung nachgewiesen.

...

Vergütungsgruppe 7

Angestellte mit Tätigkeiten, die gründliche und umfassende Fachkenntnisse und selbstständige Leistungen erfordern

zum Beispiel:

1. Angestellte, die im Leistungs- und Versicherungs- und Beitragsbereich Kunden betreuen

oder

Angestellte im Vertragsbereich, die auch Prüfanträge vorbereiten

2. ...

Vergütungsgruppe 8

Angestellte mit Tätigkeiten, die gründliche und umfassende Fachkenntnisse und selbstständige Leistungen erfordern und mit einer besonderen Verantwortung verbunden sind

zum Beispiel:

1. Angestellte, die im Leistungs- und Versicherungs- und Beitragsbereich Kunden betreuen und dabei über entsprechende Berufserfahrung verfügen

2. ..."

Der Kläger war bei der Beklagten wie folgt eingesetzt:

- 05.07.1986 - 11.07.1988 Kundenberater/Sachleistungen in E.

- 12.07.1988 - 31.05.1989 Arbeitgeberfachberater in R.

- 01.06.1989 - Mai 1995 Kundenberater in E.

- Mai 1995 - - Januar 1996 Kundenberater in G.

- Januar 1996 -Februar 1997 Kundenberater in E.

- Februar 1997 - 15.03.1998 Krankengeldfallmanager in E.

- seit 16.03.1998 Kundenberater in P.

Infolge der Fusion der Ortskrankenkassen 1994 nahm die Beklagte eine Umstrukturierung bei der Stellenbesetzung der Kundenberater in Typ A (fallabschließende Beratung im Leistungs-, Versicherungs- und Beitragsbereich) und Typ B (fallabschließende Beratung im Leistungsbereich) vor (Bl. 28 ff. d. GA.). Die jetzt vom Kläger innegehabte Stelle war im Oktober 1997 hausintern als Kundenberaterstelle des Typs B mit maximaler Vergütung nach VergG 7 BAT/AOK ausgeschrieben. Im Vorstellungsgespräch akzeptierte der Kläger eine Herabstufung von VergG 8 auf VergG 7. Am 09.10.1998 vereinbarten die Parteien in einem Nachtrag zum Arbeitsvertrag, dass die Vergütung ab dem 16.03.1998 nach VergG 7 BAT/AOK erfolge (Bl. 34 d. GA.). Am 13.07.2000 stellte der Kläger einen Höhergruppierungsantrag nach VergG 8 BAT/AOK (Bl. 15 d. GA.). Mit Schreiben vom 29.08.2000 (Bl. 82 d. GA.) und zuletzt mit Schreiben vom 31.03.2003 wies die Beklagte den Höhergruppierungsantrag zurück.

Mit der am 21.05.2003 erhobenen Klage beansprucht der Kläger die Vergütungsdifferenz für die Zeit vom 01.01.2000 bis zum 30.04.2003 in unstreitiger Höhe von € 9.690,78 brutto.

Der Kläger hat vorgetragen:

Er erfülle das Regelbeispiel Nr. 1 zu VergG 8 BAT/AOK und sei mit Tätigkeiten befasst, die gründliche, umfassende Fachkenntnisse und selbstständige Leistungen erfordern und die mit besonderer Verantwortung verbunden seien. Er betreue Kunden im Leistungs-, Versicherungs- und Beitragsbereich und verfüge über entsprechende Berufserfahrung. Auf die Sollvorschrift des § 2 Abs. 2 der Anlage 1 zu § 22 BAT/AOK könne sich die Beklagte aufgrund der Tarifautomatik des § 22 BAT/AOK nicht berufen. Der Beklagten sei es im Hinblick auf die Eingruppierung verwehrt, Kundenberater nach Typ A und Typ B zu differenzieren.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von € 9.690,78 nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 28.05.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

In VergG 8 seien nur Kundenberater des Typs A eingruppiert. Der Kläger sei jedoch Kundenberater des Typs B. Ihm fehle für die Eingruppierung nach VergG 8 BAT/AOK der Qualifikationsnachweis. Der Kläger sei auch nicht von der Besitzstandsregelung erfasst. Unstreitig habe er zu jenem Zeitpunkt nicht als Kundendienstberater, sondern als Krankengeldmanager gearbeitet.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, mit der Sollvorschrift des § 2 Abs. 2 Anlage 1a hätten die Parteien abweichend von § 22 BAT/AOK bestimmt, dass innerbetrieblich hinsichtlich der Eingruppierung auf die entsprechende Qualifikation abgestellt werden könne. Dementsprechend differenziere die Beklagte zulässigerweise zwischen Kundenberatern des Typs A und des Typs B. Die Beklagte sei auch gehalten, die Sollbestimmung der Anlage 1a einzuhalten und Ausnahmegründe, die trotz fehlender Qualifikation gleichwohl eine Eingruppierung rechtfertigten, seien vom Kläger nicht vorgetragen worden.

Gegen dieses ihm am 10.12.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.01.2004 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10.03.2004 - am 09.03.2004 begründet.

Der Kläger trägt vor:

Er wiederholt und vertieft im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag. Aufgrund seiner bisherigen Tätigkeiten als Kundenberater im Leistungs-, Versicherungs- und Beitragsbereich habe er - unstreitig - die für VergG 8 BAT/AOK erforderliche Berufserfahrung. Die Beklagte sei zwar nicht gehindert, die unternehmerische Entscheidung zu treffen, Stellen nach VergG 8 BAT/AOK nur noch Mitarbeitern zu übertragen, die die nach § 2 Abs. 2 Anlage 1a erforderte Qualifikation nachweisen. Wenn die Beklagte indessen einem Mitarbeiter, der diese Qualifikation nicht habe, eine solche Stelle übertrage, so führe dies nicht zu einer Eingruppierung nach VergG 7 BAT/AOK, wenn die Tätigkeitsmerkmale der VergG 8 VergG/AOK erfüllt seien, da nur diese für die Eingruppierung maßgeblich seien. Bei § 2 Abs. 2 Anlage 1a handele es sich um eine Soll- und nicht um eine Mussvorschrift. Da er, der Kläger, das Regelbeispiel 1 der VergG 8 erfülle, seien die Tarifmerkmale der VergG 8 BAT/AOK auch erfüllt. Ein Qualifikationsnachweis sei in VergG 8 BAT/AOK nicht als tarifliche Anspruchsvoraussetzung genannt. Im Übrigen falle er auch unter die 1997 getroffene Besitzstandsregelung. Von Januar 1996 bis Februar 1997 sei er Kundenberater in E. mit VergG 8 BAT/AOK gewesen. VergG 8 BAT/AOK habe er beibehalten, als er von Februar 1997 bis Mitte März 1998 in E. als Krankengeldmanager tätig gewesen sei. Ab dem 16.03.1998 sei er wieder als Kundenberater tätig gewesen, sodass er am Stichtag 30.06.1998 die Voraussetzungen der Übergangsregelung für die Eingruppierung nach VergG 8 BAT/AOK erfüllt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn, Az.: 3 Ca 1186 b/03, vom 09.12.2003, zugegangen am 10.12.2003, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 9.690,78 nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 28.05.2003 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor:

Das Arbeitsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger sei seinem Darlegungserfordernis nicht nachgekommen. Vielmehr habe er lediglich pauschal vorgetragen, seit 01.01.1996 die Funktion eines Kundenberaters mit VergG 8 BAT/AOK innegehabt zu haben. Er genüge auch nicht seiner Darlegungslast durch die Behauptung, seit vielen Jahren Kunden umfassend im Leistungs-, Versicherungs- und Beitragsbereich beraten zu haben. Hieraus könne nicht entnommen werden, dass die von ihm ausgeübten Tätigkeiten gründliche und umfassende Fachkenntnisse und selbstständige Leistungen erforderten und mit besonderer Verantwortung verbunden seien. Im Übrigen erfülle der Kläger unstreitig nicht die tarifliche Voraussetzung nach § 2 Abs. 2 Anlage 1a zur Eingruppierung in VergG 8 BAT/AOK. Die VergG 8 werde durch § 2 Abs. 2 Anlage 1a ergänzt. Es sei auch nicht ermessensfehlerhaft, dass die Beklagte diese Vorschrift umsetze. Den Tarifvertragsparteien stehe es auch frei, den Vergütungsanspruch sowohl von der Ausübung bestimmter Tätigkeiten als auch vom Nachweis einer besonderen Ausbildung abhängig zu machen. Somit trete die Rechtsfolge der Tarifautomatik nur bei Vorliegen dieser weiteren Anspruchsvoraussetzungen ein.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist dem Wert der Beschwer nach statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Auch in der Sache hat die Berufung Erfolg.

Dem Kläger steht die begehrte Vergütungsdifferenz zwischen der Vergütung nach VergG 7 und VergG 8 BAT/AOK für die Zeit vom 01.01.2000 bis 30.04.2003 in unstreitiger Höhe von € 9.690,78 brutto zu. Der Anspruch ergibt sich aus § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. dem zugrunde liegenden Arbeitsvertrag und § 22 Abs. 1 BAT/AOK.

1. Dem steht insbesondere nicht der Nachtrag zum Arbeitsvertrag vom 09.10.1998, in welchem eine Vergütung nach VergG 7 BAT/AOK vereinbart war, entgegen. Aus § 22 Abs. 1 BAT/AOK folgt, dass sich die Eingruppierung der Angestellten ausschließlich nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsordnung (Anlage 1a und 1b) richtet. Daraus folgt die Tarifautomatik, dass der Angestellte - unabhängig vom Willen des Dienstherrn bzw. einer anders lautenden arbeitsvertraglichen Vereinbarung - in der Vergütungsgruppe eingruppiert ist, deren Tarif- bzw. Tätigkeitsmerkmale er erfüllt. Die Ausweisung einer bestimmten Vergütungsgruppe im Arbeitsvertrag hat mithin rein deklaratorischen Charakter. Dies wird von der Beklagten im Übrigen auch nicht in Abrede gestellt. Ein hierin zu erblickender etwaiger Verzicht auf tarifgerechte Vergütung wäre im Übrigen mangels Zustimmung der Tarifpartner unwirksam, § 4 Abs. 4 TVG.

2. Der Kläger erfüllt auch die Tarifmerkmale der VergG 8 BAT/AOK.

a) Entgegen der in der Berufungsschrift von der Beklagten geäußerten Auffassung ist der Kläger vorliegend auch nicht im Rahmen seiner Darlegungspflicht verpflichtet gewesen, seine Tätigkeiten und Einzelaufgaben lückenlos und genau darzulegen und konkret Tatsachen vorzutragen, die Rückschlüsse auf die Erfüllung der Qualifizierungsmerkmale zulassen.

Führen die Tarifvertragsparteien im Anschluss an allgemeine Tätigkeitsmerkmale Beispielstätigkeiten an, die sie mit "zum Beispiel" einleiten, sind die im Obersatz formulierten allgemeinen Tarifmerkmale nach dem Willen der Tarifvertragsparteien stets dann erfüllt, wenn der Angestellte eine Beispielstätigkeit ausübt. Ist dies nicht der Fall, bleibt die Erfüllung der allgemeinen Merkmale zur Rechtfertigung einer höheren Eingruppierung möglich (BAG, Urt. v. 21.07.1993 - 4 AZR 486/92 -, AP Nr. 10 zu § 1 TVG 'Tarifverträge Luftfahrt' m. w. N.; BAG, Urt. v. 15.06.1994 - 4 AZR 327/93 -, AP Nr. 9 zu §§ 22, 23 BAT 'Krankenkassen'; BAG, Urt. v. 08.10.1997 - 4 AZR 274/96 -, AP Nr. 3 zu § 1 TVG 'Tarifverträge Medizinischer Dienst'). Bei der Prüfung der tarifgerechten Eingruppierung sind zunächst die Beispielstätigkeiten zu prüfen, weil die Tarifvertragsparteien mit der Bezeichnung einer Tätigkeit in dem Beispielskatalog zum Ausdruck bringen, dass der diese Tätigkeit ausübende Angestellte die Erfordernisse der betroffenen Vergütungsgruppe auch erfüllt.

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erfüllt der Kläger das Regelbeispiel 1 der VergG 8 BAT/AOK. Er ist unstreitig zumindest ab 01.01.2000 als Kundenberater tätig. Dies ergibt sich bereits aus der zur Akte gereichten Stellenbeschreibung (Anlage K 3, Bl. 12 ff. d.GA.). Der Kläger hat zudem unbestritten vorgetragen, dass er die Kunden nicht nur in Leistungsfragen, sondern auch in Versicherungs- und Beitragsfragen fallabschließend berät und betreut. Dies ergebe sich bereits daraus, dass sich die Kunden in der Geschäftsstelle in Pinneberg unstreitig an jeden der Kundenbetreuungsplätze wenden und dort von dem jeweiligen Angestellten beraten lassen könnten. Es gebe keine Beratungsplätze nur für Leistungsfragen, sodass er - wie alle anderen Kundenberater der Schalterstelle auch - die Kunden sowohl in Leistungsfragen als auch in Versicherungs- und Beitragsfragen fallabschließend berate. Die Beklagte hat im Berufungstermin auch unstreitig gestellt, dass der Kläger während seines Einsatzes als Kundenberater sowohl in E. als auch in P. Kunden im Leistungs-, Versicherungs- und Beitragsbereich beraten hat.

c) Im Tarifvertrag BAT/AOK werden als Regelbeispiel Kundenberater sowohl in VergG 7 als auch VergG 8 genannt, wobei das Regelbeispiel der VergG 8 BAT/AOK noch das Heraushebungsmerkmal "entsprechende Berufserfahrung" aufweist. Insoweit bedarf es vorliegend auch keines Rückgriffs auf die allgemeinen Qualifizierungsmerkmale, da das Regelbeispiel 1 in § 8 BAT/AOK selbst keinen unbestimmten Rechtsbegriff enthält (vgl. hierzu: BAG, Urt. v. 08.02.1984 - 4 AZR 158/83 -, aaO.). Bei dem Heraushebungsmerkmal "entsprechende Berufserfahrung" handelt es sich um einen sowohl nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als auch im Rechtssinne bestimmten Begriff. Berufserfahrung gewinnt jemand durch die praktische Arbeit in dem entsprechenden Beruf. Durch die praktische Arbeit verfestigt er die (häufig) zunächst nur theoretisch erlernten Fachkenntnisse, gewinnt Routine und sammelt neue berufsspezifische Erfahrungen hinzu. Durch die praktische Ausübung des Berufs bzw. der geforderten Tätigkeitsmerkmale qualifiziert sich der Angestellte gegenüber einem Berufsanfänger.

Das insoweit klar bestimmte zusätzliche Qualifizierungsmerkmal "Berufserfahrung" muss sich auf die gesamte Tätigkeit als Kundenbetreuer beziehen (BAT, Urt. v. 15.06.1994 - 4 AZR 327/93 -, a. a. O.). Voraussetzung ist mithin, dass der Kundenbetreuer in der Beratung sowohl im Leistungs- als auch im Versicherungs- und Beitragsbereich Berufserfahrung erworben hat. Der Kläger hat sowohl vom 01.01.1996 bis Februar 1997 als auch vom 16.03.1998 bis heute als Kundenberater im Leistungs-, Versicherungs- und Beitragsbereich gearbeitet, mithin am 01.01.2000 (ab diesem Zeitpunkt begehrt er Vergütung nach VergG 8 BAT/AOK) entsprechende Berufserfahrung erworben. Dabei geht die Kammer davon aus, dass zumindest nach einer dreijährigen Tätigkeit eine auf diese Tätigkeit bezogene Berufserfahrung vorliegt. Dies ist seitens der Beklagten in der Berufungsverhandlung auch ausdrücklich nicht mehr in Abrede gestellt worden.

3. Der Eingruppierung nach VergG 8 BAT/AOK steht auch nicht entgegen, dass § 2 Abs. 2 Anlage 1a bestimmt, dass für die Ausübung von Tätigkeiten der VergG 8 BAT/AOK die Angestellten den wahrzunehmenden Aufgaben entsprechende Qualifikationen nachweisen sollen.

Einem solchen Verständnis von § 2 Abs. 2 Anlage 1a steht bereits der in § 22 Abs. 1 BAT/AOK normierte Grundsatz der Tarifautomatik entgegen. Dieser hat zum Inhalt, dass der Angestellte einen sich unmittelbar aus dem Tarifvertrag ergebenden Anspruch darauf hat, "automatisch" nach derjenigen Vergütungsgruppe vergütet zu werden, deren Voraussetzungen er erfüllt (vgl. hierzu nur: Clemens/ Scheuring/ Steingen/ Wiese, Anm. 2 der Vorbemerkungen zu § 22 BAT). Der Anspruch auf tarifgemäße Vergütung ist mithin weder von einer entsprechenden Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, noch vom Willen des Dienstherrn bzw. einer entsprechenden Zuweisung durch den Dienstherrn abhängig.

Damit wäre es aber in doppelter Hinsicht unvereinbar, den Inhalt des § 2 Abs. 2 Anlage 1a sozusagen als zusätzliches Tarifmerkmal in die VergG 8 BAT/AOK hineinzuinterpretieren.

a) Dies folgt zunächst schon aus dem "Soll"-Charakter der Vorschrift, durch den dem Dienstherrn ein - wenn auch sog. intendiertes - Ermessen eingeräumt wird, aufgrund dessen der Dienstherr in begründeten Einzelfällen auch solche Angestellten Tätigkeiten der VergG 8 BAT/AOK ausüben lassen kann, die keine den hierbei wahrzunehmenden Aufgaben entsprechende Qualifikationen nachweisen können. Würde man den Nachweis entsprechender Qualifikationen als zusätzliches Tätigkeitsmerkmal ansehen, so würde die Eingruppierung mithin im Ergebnis davon abhängen, ob und ggf. wie der Dienstherr das ihm durch § 2 Abs. 2 Anlage 1a eingeräumte intendierte Ermessen ausgeübt hat. Eben dies würde aber in Widerspruch dazu stehen, dass nach dem Grundsatz der Tarifautomatik - wie dargestellt - die Eingruppierung allein von der Erfüllung der betreffenden objektiven und subjektiven Voraussetzungen durch den Arbeitnehmer, nicht aber von einer bestimmten Willensbetätigung des Dienstherrn abhängt.

b) Es kommt hinzu, dass auch die Erlangung der entsprechenden Qualifikationen von Entscheidungen des Arbeitgebers abhängt. Dies folgt schon aus § 2 Abs. 1 Anlage 1a, wonach Angestellten nicht nur gemäß ihrer Eignung, sondern auch entsprechend "dem Bedarf des Arbeitgebers" Gelegenheit gegeben werden soll, insbesondere an den von der AOK bzw. deren Verbänden angebotenen Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen. Selbst wenn der Arbeitgeber seinen Willen im Sinne der Bejahung eines derartigen Bedarfs betätigen sollte, kann der Angestellte nicht selbst bestimmen, ob, wann und an welcher Weiterbildungsmaßnahme er teilnimmt, um hierdurch einen entsprechenden Qualifikationsnachweis zu erwerben. Vielmehr ist auch diese Entscheidung - unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange, des Gleichbehandlungsgrundsatzes und anderer Gesichtspunkte - maßgeblich vom Dienstherrn zu treffen und unterliegt damit dessen Entscheidungsbefugnis. So hat die Beklagte im Berufungstermin unbestritten vorgetragen, dass sich die Angestellten auf einen Fortbildungsplatz bewerben könnten und sodann im Rahmen eines Assessment-Center-Verfahrens eine Auswahl derjenigen vorgenommen würde, die an der Fortbildung teilnehmen könnten.

Mithin würde aber ein Verständnis, wonach eine Eingruppierung nach VergG 8 BAT/AOK zusätzlich voraussetzt, dass der Arbeitnehmer den Nachweis einer Qualifikation i. V. m. § 2 Abs. 2 Anlage 1a erbracht hat, dazu führen, dass der Anspruch auf eine Vergütung nach dieser Vergütungsgruppe nicht nur von der Erfüllung der durch diese vorgegebenen Tätigkeitsmerkmale, sondern zudem von bestimmten Willensbetätigungen des Dienstherrn abhängt. Eben dies wäre aber - wie oben ausgeführt - mit dem Grundsatz der Tarifautomatik gerade nicht vereinbar.

b) Schließlich spricht gegen ein derartiges Verständnis der tariflichen Regelungen auch der Wortlaut der Merkmale der VergG 8 BAT/AOK und das systematische Verhältnis dieser Bestimmung zu § 2 Abs. 2 Anlage 1a. Hätten die Tarifvertragsparteien den Nachweis der erfolgreichen Absolvierung bestimmter Qualifikationsmaßnahmen zur Voraussetzung für eine Eingruppierung nach VergG 8 BAT/AOK machen wollen, so hätte es nahe gelegen, dass sie eine entsprechende Regelung in den im Obersatz der VergG 8 BAT/AOK aufgeführten Katalog der allgemeinen Tarifmerkmale aufgenommen und nicht in einem gänzlich anderen Regelungszusammenhang untergebracht hätten. Nach alledem kommt es nicht darauf an, dass es - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - tarifrechtlich ohne Weiteres möglich gewesen wäre, den Vergütungsanspruch nach einer bestimmten Vergütungsgruppe nicht nur von der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, sondern auch von weiteren persönlichen Ausbildungs-Voraussetzungen abhängig zu machen (vgl. BAG, Urt. v. 0608.1997 - 10 AZR 638/96 -, AP Nr. 61 zu §§ 22, 23 BAT 'Lehrer': LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 16.12.2003 - 5 Sa 438/03 -), da die Tarifvertragsparteien von dieser Möglichkeit bei der Normierung der VergG 8 BAT/AOK gerade keinen Gebrauch gemacht haben.

Nach alledem war der Kläger nach Erwerb der entsprechenden Berufserfahrung als Kundenberater im Leistungs-, Versicherungs- und Beitragsbereich zumindest seit dem 01.01.2000 in VergG 8 BAT/AOK eingruppiert, sodass ihm seit diesem Zeitpunkt auch Vergütung nach VergG 8 BAT/AOK zustand. Der Vergütungsklage in unstreitiger Höhe war mithin unter Abänderung des angefochtenen Urteils stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Die Revision war wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung des Falles zuzulassen, § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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