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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 16.01.2003
Aktenzeichen: 5 Ta 218/02
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 51 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 141 Abs. 3 Satz 1
ZPO § 380
1. Ein Ordnungsgeldbeschluss gegen eine zu einem Kammertermin ordnungsgemäß persönlich geladene Partei, die nicht erschienen ist, muss durch die vollbesetzte Kammer ergehen. Nach §§ 51 Abs. 1 ArbGG, 141 Abs. 3 ZPO entscheidet "das Gericht", im Kammertermin mithin unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, ob die Voraussetzungen zur Verhängung eines Ordnungsgeldes vorliegen.

2. Dies schließt indessen nicht aus, dass die vollbesetzte Kammer bei Ausbleiben der persönlich geladenen Partei im Kammertermin es dem Vorsitzenden überlässt, z.B. für den Fall ungenügender Entschuldigung der Partei, nach der mündlichen Kammerverhandlung einen Ordnungsgeldbeschluss zu erlassen. Außerhalb der mündlichen Verhandlung erfolgt die Verhängung eines Ordnungsgeldes regelmäßig durch den Vorsitzenden allein, § 53 ArbGG.

3. Die Rechtfertigung für die Verhängung eines Ordnungsgeldes liegt allein darin, dass die gerichtliche Sachaufklärung pflichtwidrig behindert und somit der Fortgang des Verfahrens wegen des Ausbleibens der Partei vereitelt wird (Erzwingungscharakter).

4. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes scheidet aus, wenn das Gericht ungeachtet der Abwesenheit der persönlich geladenen Partei den Rechtsstreit durch Protokollierung eines Prozessvergleichs oder Erlass eines Urteils beendet.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Beschluss

Aktenzeichen: 5 Ta 218/02

Verkündet am 16.01.2003

In der Rechtssache

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein am 16.01.2003 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Otten-Ewer als Vorsitzende

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Ordnungsgeld-Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 04.11.2002 - 6 Ca 336/02 - aufgehoben.

Gründe:

I.

In dem Hauptsacheverfahren streiten die Parteien darum; ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis oder freies Dienstverhältnis begründet worden ist, gleichzeitig wendet sich die Klägerin gegen den Ausspruch mehrerer Kündigungen. Mit Urteil vom 29.10.2002 hat das Arbeitsgericht der Statusklage der Klägerin sowie dessen Kündigungsschutzanträgen stattgegeben und deren Zahlungsklage abgewiesen. Beide Parteien haben gegen dieses Urteil Berufung eingelegt (5 Sa 532/02).

Mit der Ladungsverfügung vom 28.08.2002 zum Kammertermin vom 29.10.2002 hatte das Arbeitsgericht das persönliche Erscheinen der Klägerin sowie des Geschäftsführers der Beklagten, Herrn J... W..., "zur Aufklärung des Sachverhalts und zur gütlichen Einigung" angeordnet. Trotz ordnungsgemäßer Ladung erschien der persönlich geladene Geschäftsführer W... nicht zum Kammertermin am 29.10.2002. Der Beklagtenvertreter vermochte sich im Kammertermin nicht zu der Behauptung der Klägerin, dass es ihr aufgrund Einführung einer neuen EDV-Anlage nicht möglich sei, von zu Hause aus zu arbeiten, zu erklären. Einen vom Gericht unterbreiteten Vergleichsvorschlag war er nur bereit unter Widerrufsvorbehalt abzuschließen. Am Schluss des Sitzungstages verkündete das Arbeitsgericht das im Wesentlichen stattgebende Urteil vom 20.10.2002.

Mit Beschluss vom 04.11.2002 hat das Arbeitsgericht gegen die Beklagten ein Ordnungsgeld in Höhe von EUR 1.000,-- festgesetzt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, der Zweck der Anordnung des persönlichen Erscheinens sei im vorliegenden Fall vereitelt worden. Die Beklagten seien nicht in der Lage gewesen, den vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich ohne Wiederrufsvorbehalt abzuschließen.

Gegen diesen, den Beklagten am 08.11.2002 zugestellten Beschluss haben die Beklagten am 14.11.2002 sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, dass das Arbeitsgericht missachtet habe, dass die Ordnungsgeldmaßnahme als solche keine Ungehorsamsstrafe, sondern eine Erzwingungsmaßnahme sei. Der Inhalt des Beschlusses belege jedoch, dass das Arbeitsgericht die Beklagten dafür sanktionieren wollte, dass der Geschäftsführer W... von seinen prozessualen Rechten Gebrauch gemacht habe. Der Geschäftsführer habe keine eigene Kenntnis über das streitentscheidende Geschehen gehabt. Dafür hätten die Beklagten den Verlagsleiter zum Termin entsandt. Dieser hätte sich auch zu der strittigen Behauptung der Klägerin äußern können. Zur Durchführung einer gütlichen Einigung seien die Prozessbevollmächtigten der Beklagten schriftlich ermächtigt gewesen. Letztlich müsse dann, wenn das Gericht - wie hier - trotz Abwesenheit der Partei zur Beendigung des Rechtsstreits etwa durch Endurteil komme, von der Verhängung eines Ordnungsgeldes abgesehen werden.

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 09.12.2002 nicht abgeholfen und dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens habe nicht nur zur Sachaufklärung, sondern auch der gütlichen Streitbeilegung gedient. Der zum Termin entsandte Prozessbevollmächtigte sei hierzu jedoch nicht ausreichend instruiert gewesen. Dieser habe nur einen Widerrufsvergleich abschließen können. Hieran sei eine gütliche Streitbeilegung gescheitert. Die Beklagten verkennten nach wie vor, dass sie einer gerichtlichen Ladung folgen müssten, wenn nicht zwingende Gründe dem entgegenstünden.

Die Beklagten halten ihre Beschwerde weiter aufrecht und vertiefen und ergänzen ihre mit der Beschwerdeschrift vorgebrachten Einwände gegen die Verhängung eines Ordnungsgeldes. Insbesondere sei der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bevollmächtigt gewesen, einen Vergleich auch ohne Widerrufsvorbehalt zu schließen.

II.

Die gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i.V.m. §§ 141, 280 Abs. 3, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Ordnungsgeldbeschluss ist im vorliegenden Fall bereits in fehlerhafter Besetzung erlassen worden. Ein Ordnungsgeldbeschluss gemäß §§ 51 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO i.V.m. 380 ZPO gegen eine zu einem Kammertermin ordnungsgemäß persönlich geladene Partei, die nicht erschienen ist, muss durch die vollbesetzte Kammer ergehen (LAG Bremen, Beschl. v. 04.08.1993 - 1 Ta 34/93 -, MDR 1993, 1004; Germelmann, ArbGG, 4. Aufl., Rn. 24 zu § 51 ArbGG; Schaub, Arbeitsgerichtsverfahren, § 29 Rn. 59; Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., Rn. 13 zu § 51 ArbGG). Dies gilt zumindest dann, wenn der Ordnungsgeldbeschluss in der Kammerverhandlung selbst getroffen wird. Das Gericht, im Kammertermin mithin unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, befindet darüber, ob das mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens verfolgte Ziel der Sachaufklärung und / oder Führung von Vergleichsverhandlungen durch das Ausbleiben der Partei vereitelt worden ist und trifft sodann die Ermessensentscheidung nach § 51 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 141 Abs. 3 ZPO. Sofern die Partei mithin trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Kammertermin nicht erscheint, muss die vollbesetzte Kammer über den Erlass eines Ordnungsgeldbeschlusses befinden. Dies gilt im Grundsatz auch dann, wenn die vollbesetzte Kammer den Ordnungsgeldbeschluss erst nach Abschluss der mündlichen Kammerverhandlung erlassen will, um z. B. der Partei noch Gelegenheit zu geben, ihr Fehlen im Termin nachträglich zu entschuldigen. Denn das Gericht in der jeweiligen Besetzung der Verhandlung, zu der die Partei persönlich geladen worden ist, muss beurteilen, ob die Voraussetzungen zur Verhängung eines Ordnungsgeldes (ordnungsgemäße Ladung, Zweckvereitelung, Prozessverzögerung) gemäß §§ 51 Abs. 1 ArbGG, 141 Abs. 3 ZPO erfüllt sind.

Dies schließt indessen nicht aus, dass die vollbesetzte Kammer bei Ausbleiben der persönlich geladenen Partei im Kammertermin es dem Vorsitzenden überlässt, z.B. für den Fall ungenügender Entschuldigung der Partei, nach der mündlichen Verhandlung (Kammerverhandlung) einen gesonderten Ordnungsgeldbeschluss zu erlassen. Außerhalb der mündlichen Verhandlung erfolgt die Verhängung eines Ordnungsgeldes regelmäßig durch den Vorsitzenden allein, § 53 ArbGG.

Vorliegend hat der Vorsitzende jedoch - soweit ersichtlich - ohne jegliche Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, nachdem das Verfahren durch Urteil bereits abgeschlossen war, den streitgegenständlichen Ordnungsgeldbeschluss erlassen. Hierin ist ein Verfahrensverstoß zu erblicken.

2. Der Ordnungsgeldbeschluss ist aber auch ansonsten zu Unrecht ergangen.

Die Rechtfertigung für die Verhängung des Ordnungsgeldes liegt nicht in der Tatsache der Missachtung des Gerichts durch die Partei, die die entsprechende Anordnung unentschuldigt nicht befolgt, sondern allein darin, dass die gerichtliche Sachaufklärung pflichtwidrig behindert und somit der Fortgang des Verfahrens wegen des Ausbleibens der Partei vereitelt wird (LAG Niedersachsen, Beschl. v. 07.08.2002 - 10 Ta 306/02 -, MDR 2002, 1333 f.; OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.10.2000 - 12 W 41/00 -, zit. n. juris; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 01.08.1985 - 7 Ta 264/85 -, LAGE Nr. 3 zu § 51 ArbGG); Germelmann, aaO. Rn. 22 zu § 51 ArbGG).

Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens neben der Sachaufklärung auch der Erörterung einer gütlichen Einigung diente. Diesen Zweck hat der Geschäftsführer im Ergebnis vereitelt. Zwar waren beide Parteien im Termin bereit, dem gerichtlichen Vergleich näher zu treten, bzw. einen solchen Vergleich abzuschließen; indessen sah sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gehindert, einen verfahrensbeendenden, unbedingten Prozessvergleich abzuschließen. Wäre der Geschäftsführer im Termin anwesend gewesen, hätte das Gericht die Möglichkeit gehabt, mit ihm die Hinderungsgründe für einen festen Vergleichsabschlusses zu erörtern, um so ggf. seine Bedenken noch ausräumen oder den Vergleichsvorschlag noch modifizieren zu können, um letztendlich doch noch eine gütliche Einigung erreichen zu können (LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 03.08.1999 - 3 Ta 69/99 -). Das Gericht ist in jeder Lage des Verfahrens gehalten, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken.

Indessen scheidet die Verhängung eines Ordnungsgeldes aus, wenn das Gericht ungeachtet der Abwesenheit der Partei oder ihrer nicht ordnungsgemäßen Vertretung i.S.d. § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO in dem Termin, zu dem das persönliche Erscheinen angeordnet worden ist, den Rechtsstreit durch Protokollierung eines Prozessvergleiches oder Erlass eines Urteils beendet (LAG Niedersachen, Beschl. v. 07.08.2002, a. a. O.; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 01.08.1985, aaO.; OLG Hamm, Beschl. v. 14.05.1997 - 12 W 5/97 -, MDR 1997, 1061; Germelmann, a. a. O., Rn. 22 zu § 51 ArbGG; Schaub, a. a. O., § 29 Rn. 59). Obgleich der mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens neben der Sachaufklärung verfolgte Zweck, mit den Parteien Vergleichsverhandlungen zu führen, dem arbeitsgerichtlichen Verfahren geradezu immanent zu sein scheint, und letztlich zu einer endgültigen - und nicht nur instanzbezogenen - Beendigung des Rechtsstreits führen soll, darf einer Partei dann nicht das prozessuale Recht genommen werden, sich der Sachaufklärung sowie etwaigen Vergleichsverhandlungen durch Fernbleiben zum Termin - aus welchen Gründen auch immer - zu verschließen, wenn der Rechtsstreit auch ohne Mitwirkung der Partei entscheidungsreif ist. Die sich aus dem Fernbleiben und der fehlenden Mitwirkung der persönlich geladenen Partei ergebenden etwaigen prozessualen Nachteile hat sie im Hinblick auf die Sachentscheidung in solchen Fällen selbst zu tragen, §§ 138, 286 ZPO.

Gemessen an diesen Voraussetzungen war die Verhängung eines Ordnungsgeldes vorliegend ermessensfehlerhaft. Das Arbeitsgericht hat das Ordnungsgeld gegen die Beklagten erst fünf Tage nach Schluss der Kammersitzung vom 29.10.2002, in deren direkten Anschluss bereits das Schlussurteil verkündet worden war, erlassen. Der Rechtsstreit war mithin trotz unentschuldigten Ausbleibens des persönlich geladenen Geschäftsführers am 29.10.2002 entscheidungsreif, sodass das Arbeitsgericht am Schluss des gleichen Sitzungstages ein Schlussurteil verkündete. Der mit dem Ordnungsgeld verfolgte Zweck, liegt nicht in einer Bestrafung der nicht erschienenen Partei, sondern allein in der Verfahrensförderung. Die Förderung des Verfahrens, indem die Partei nachhaltig auf ihre Pflicht zum persönlichen Erscheinen hingewirkt wird, konnte der angefochtene Beschluss nicht mehr erreichen. Das Verfahren war bereits bei Erlass des Ordnungsgeldbeschlusses erledigt. Die sich etwa aus dem Fernbleiben des Geschäftsführers etwaig ergebenden Nachteile (fehlende gütliche Einigung) hat die Beklagte nunmehr durch das verkündete Urteil zu tragen.

Die Festsetzung des Ordnungsgeldes kann auch nicht damit begründet werden, dass in der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2002 keine gütliche Einigung erzielt werden konnte. Dabei ist unerheblich, ob der Prozessbevollmächtigte der Beklagten einen Vergleich auch ohne Widerrufsvorbehalt hätte abschließen können. Denn selbst wenn er zu einem solchen Vergleich nicht bevollmächtigt gewesen sein sollte, rechtfertigt dies wegen der Entscheidungsreife des Rechtsstreits nicht die Festsetzung eines Ordnungsgeldes.

Eine andere Aussage trifft auch nicht der von dem Arbeitsgericht Lübeck zur Begründung seiner Entscheidung herangezogene Beschluss des LAG Schleswig-Holstein vom 26.09.2002 - 6 Ta 117/02 -. Jener Fall ist mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. In jenem Beschwerdeverfahren war die Festsetzung eines Ordnungsgeldes für rechtmäßig erachtet worden, da der Rechtsstreit aufgrund des Ausbleibens der Partei nicht bereits im ersten Kammertermin zum Abschluss gebracht werden konnte, sondern erst einen Monat später in einem weiteren Kammertermin. Hierin sah die 6. Kammer des hiesigen LAG zutreffend eine von der Partei verursachte Verfahrensverzögerung.

Nach alledem war der Ordnungsgeldbeschluss aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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