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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 07.02.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 177/05
Rechtsgebiete: BAT, Richtlinie 93/104/EG


Vorschriften:

BAT § 15
BAT § 34
Richtlinie 93/104/EG Art. 2
Verstöße gegen die Arbeitszeitrichtlinie haben keine vergütungsrechtlichen Auswirkungen und wirken sich deshalb nicht auf den Begriff des (nicht) vollbeschäftigten Angestellten i. S. d. § 34 BAT aus.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 6 Sa 177/05

Verkündet am 07.02.2007

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 07.02.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 03.03.2005 - 3 Ca 1079/04 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits (beide Rechtszüge).

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger bei Leistung von 48 Wochenstunden Vergütung einer Vollzeitkraft verlangen kann.

Der 1945 geborene Kläger ist seit 1994 bei dem Beklagten als Rettungsassistent tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand im streitbefangenen Zeitraum kraft beiderseitiger Tarifbindung der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Der Kläger war in die Vergütungsgruppe VI b BAT eingruppiert.

Zumindest seit dem Jahr 2000 berechnete der Beklagte für den Kläger als Vollzeitkraft die Sollarbeitsstunden auf der Basis einer - auch vertraglich vereinbarten - durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 49 Stunden und erstellte entsprechende Dienstpläne. Gegen die Beschäftigung mit dieser Wochenarbeitszeit wandte sich der Kläger mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht Flensburg (3 Ca 125/04) und beantragte,

den Beklagten zu verurteilen, ihm für den Zeitraum von Januar 2000 bis Dezember 2002 geleistete 156,64 Stunden gutzuschreiben und ihm künftig im Rahmen einer 48-Stun-den-Woche zu beschäftigen.

Die Parteien beendeten diesen Rechtsstreit am 24.02.2004 durch einen Vergleich mit folgendem Wortlaut:

1. "Die Beklagte verpflichtet sich, den Kläger im Rahmen einer 48-Stunden-Woche zu beschäftigen.

2. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt."

Ab April 2004 setzte der Beklagte den Kläger auf der Grundlage einer 48-Stunden-Woche ein und kürzte die bisher gewährte Vollzeitvergütung um 1/49. Die Differenz zwischen dem gekürzten Vergütungsanspruch und der Vollzeitvergütung betrug für die Monate April und Mai 2004 insgesamt 101,56 € brutto. Diesen Betrag machte der Kläger mit seiner am 02.08.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage geltend.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Vergütungskürzung sei unzulässig, weil er, indem er 48 Wochenstunden leiste, (weiter) in Vollzeit tätig sei. Zur Arbeitszeit im Sinne des Art. 2 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23.11.1993 (Arbeitszeit-Richtlinie) zählten auch Zeiten der Arbeitsbereitschaft. Die durch Arbeitsbereitschaft ausgedehnte Arbeitszeit dürfe die Höchstgrenze von 48 Stunden nicht überschreiten. Die Richtlinie sei unmittelbar umzusetzen, da es sich bei dem Beklagten um einen öffentlichen Arbeitgeber handele. Soweit § 15 Abs. 2 BAT bestimme, dass die regelmäßige Arbeitszeit auch bis zu 10 Stunden täglich (durchschnittlich 49 Stunden wöchentlich) verlängert werden kann, wenn in sie regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens 2 Stunden fällt, sei dies mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar. Die Übergangsvorschrift des § 25 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sei für den öffentlichen Dienst nicht anwendbar. Die durch Arbeitsbereitschaft ausgedehnte Arbeitszeit dürfe die Arbeitszeithöchstgrenze von 48-Wochen-Stunden nicht überschreiten.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 101,56 € zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Kläger sei nicht vollbeschäftigt, denn er leiste weniger als die in § 15 Abs. 1, 2 und 4 BAT bzw. in den Sonderregelungen festgesetzte durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit. Deshalb habe er gemäß § 34 BAT nur einen anteiligen Vergütungsanspruch. Das Arbeitszeitgesetz und die Arbeitszeit-Richtlinie enthielten ausschließlich Regelungen zum Arbeitsschutz und begründeten auch beim Überschreiten der darin geregelten Höchstarbeitszeiten keine finanziellen Ansprüche. Zudem sei die Forderung aufgrund des zwischen den Parteien geschlossenen Vergleichs ausgeschlossen, da ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass der Kläger auch nur für 48 Stunden bezahlt werden würde.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und dies wie folgt begründet: Der Kläger könne die Vergütung eines vollbeschäftigten Angestellten verlangen. Denn § 15 Abs. 2 a BAT stehe in Widerspruch zu den Begrenzungen der Höchstarbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden wie sie Art. 6 Nr. 2 der Arbeitszeit-Richtlinie vorsehe und sei deshalb auf den Streitfall nicht anwendbar. Weil der Kläger die nach der Arbeitszeit-Richtlinie zulässige Höchstarbeitszeit leiste, werde er vollzeitbeschäftigt . Der Vergleich vom 24.02.2004 habe nur die Arbeitszeit, nicht aber vergütungsrechtliche Folgen geregelt.

Gegen das ihm am 14.03.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 12.04.2005 durch Telefax und einen Tag später im Original beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung des Beklagten, die er im Berufungsschriftsatz sogleich begründet hat.

Der Beklagte meint, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht einen Anspruch des Klägers auf volle Vergütung trotz Reduzierung der Arbeitszeit angenommen. Bei Abschluss des Vergleichs am 24.02.2004 sei der Kläger auf die Vergütungskürzung wegen der Arbeitszeitreduzierung auf 48-Wochen-Stunden hingewiesen worden. Die Begrenzung der Höchstarbeitszeit auf 48 Stunden in der Woche durch Art. 6 Nr. 2 Arbeitszeit-Richtlinie habe keine vergütungsrechtlichen Auswirkungen. Die Bestimmung der Vergütungshöhe und die Definition der Vollbeschäftigung obliege den Tarifvertragsparteien.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 03.03.2005 - ö. D. 3 Ca 1079/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts und meint, wenn er mit 48 Wochenstunden die zulässige Höchstarbeitszeit leiste, sei er vollbeschäftigter Angestellter im Sinne des BAT. Eine Vergütungskürzung scheide aus. Der Vergleich regele nur die geschuldete Arbeitszeit, nicht aber die Vergütung. Mit einer Vergütungsreduzierung habe er sich nicht einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Das Arbeitsgericht hat sie im Tenor seines Urteils zugelassen. Der Beklagte hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

I.

Die Berufung hat in der Sache Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger kann für den streitbefangenen Zeitraum (April und Mai 2004) nicht die Vergütung eines Vollbeschäftigten mit 49 Wochenstunden verlangen, denn er hat vergütungsrechtlich betrachtet nur Teilzeit gearbeitet.

Auf den Differenzbetrag in Höhe von 101,56 €, bei dem es sich - anders als im arbeitsgerichtlichen Urteil ausgewiesen - um einen Bruttobetrag handelt, hat der Kläger keinen Anspruch.

1.

Die Arbeitsverpflichtung eines vollbeschäftigten Rettungssanitäters betrug bei dem Beklagten im streitbefangenen Zeitraum durchschnittlich 49 Stunden wöchentlich. Gemäß § 15 Abs. 2, 4 BAT konnte die regelmäßige Arbeitszeit, die nach § 15 Abs. 1 BAT 38,5 Wochenstunden betrug, auf bis zu 10 Stunden täglich, höchstens auf durchschnittlich 49 Stunden wöchentlich verlängert werden, wenn in sie regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens 2 Stunden täglich fiel. So verhielt es sich im Rettungsdienst des Beklagten. Demzufolge berechnete er die Sollarbeitszeit der Rettungssanitäter für Vollzeitkräfte auf der Grundlage einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 49 Stunden. Entsprechendes hatte der Beklagte zudem mit dem Kläger arbeitsvertraglich vereinbart.

2.

Diese Arbeitsverpflichtung von durchschnittlich 49 Wochenstunden reduzierten die Parteien mit Vergleich vom 24.02.2004 auf 48 Stunden. In dem durch den Vergleich beendeten Verfahren hatten die Parteien u. a. über die zulässige Höchstarbeitszeit und damit um Fragen des Arbeitszeitschutzes gestritten.

3.

Aufgrund der vereinbarten Reduzierung der Arbeitszeit von vormals 49 auf 48 Wochenstunden ändert sich die Vergütung entsprechend. Denn infolge dieser Arbeitszeitverringerung ist der Kläger nicht mehr vollbeschäftigter Angestellter i. S .d. § 34 BAT.

Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 BAT erhalten nicht vollbeschäftigte Angestellte von der Vergütung, die für entsprechende vollbeschäftigte Angestellte festgelegt ist, den Teil, der dem Maß der mit ihnen vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit entspricht. Das gilt auch bei Vereinbarung einer kürzeren als der nach § 15 Abs. 2 bis 4 BAT oder aufgrund der Sonderregelungen hierzu festgelegten längeren Arbeitszeit für entsprechende Vollzeitbeschäftigte.

4.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, vergütungsrechtlich so gestellt zu werden, als habe er im streitbefangenen Zeitraum (April und Mai 2004) 49 Stunden in der Woche gearbeitet.

Richtig ist, dass eine Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden unzulässig war. Der Beklagte hätte den Kläger unter Beachtung des Arbeitszeitrechts nicht länger als durchschnittlich 48 Stunden in der Woche einsetzen dürfen. Die in § 15 Abs. 2 BAT vorgesehene wöchentliche Arbeitszeit von bis zu 49 Stunden überschreitet die in Art. 6 Nr. 2 Arbeitszeit-Richtlinie (seit 02.08.2004: Art. 6 Buchst. b Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung) festgelegte wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden.

Das führt aber nicht dazu, dass der Begriff des vollbeschäftigten Angestellten, wie ihn § 34 i. V. m. § 15 Abs. 2 BAT bestimmt, dahin anzupassen ist, dass bereits die Leistung von 48 Wochenstunden als Vollbeschäftigung gilt. Eine solche Änderung beträfe nur die Ebene der Vergütung. Dagegen bestimmt § 34 BAT nicht, in welchem Umfang gearbeitet werden darf oder muss. Die Fragen des Arbeitsschutzes sind zwischen den Parteien bereits durch den Vergleich vom 24.02.2004 geklärt. Der Kläger muss nicht länger als arbeitszeitrechtlich zulässig arbeiten. Angesprochen sind im Streitfall dagegen allein die vergütungsrechtlichen Auswirkungen von Verstößen gegen die Arbeitszeit-Richtlinie. Derartige Verstöße kommen dem Kläger vergütungsrechtlich nicht zugute (vgl. BAG 28.01.2004 - 5 AZR 530/02 - BAGE 109, 254; BAG 14.10.2004 - 6 AZR 564/03 - DB 2005, 834 BAG 11.07.2006 - 9 AZR 519/05 - zit. nach Juris). Die Arbeitszeit-Richtlinie betrifft den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz. Nach ihrem Art. 1 Abs. 2 hat sie zum Gegenstand die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, den Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen, die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie bestimmte Aspekte der Nacht- und Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus. Zur Frage der Vergütung von Arbeitszeit enthält die Richtlinie dagegen keine Bestimmungen. Allein in Art. 7 ist vom "bezahlten" Mindestjahresurlaub die Rede. Für die Regelung von Vergütungsfragen fehlt auch eine Kompetenzgrundlage. Denn die Arbeitszeit-Richtlinie dient der Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Nach ihren Erwägungsgründen stützt sie sich auf Art. 118 a EG. Danach ist der Rat berechtigt, durch Richtlinien Mindestvorschriften festzulegen, die die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt fördern, um die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verstärkt zu schützen. Es geht darum, unter welchen Umständen die Arbeit erbracht wird (BAG 28.01.2004 a. a. O.). Mindestvorschriften über die Vergütungspflicht sieht Art. 118 a EG dagegen nicht vor. Der EG-Vertrag regelt auch keine entsprechende Primärkompetenz der Gemeinschaft.

5.

Das Arbeitszeitgesetz in der im Anspruchszeitraum gültigen Fassung bietet ebenfalls keine Anspruchsgrundlage für Vergütungsansprüche; wie die Arbeitszeit-Richtlinie beschränkt es sich auf den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz (BAG 28.01.2004 und 14.10.2004 a. a. O.).

6.

Schließlich ergibt sich der Anspruch auch nicht unter dem Gesichtpunkt des Schadensersatzes aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 6 Nr. 2 der EU-Arbeitszeit-Richtlinie. Denn Art. 6 Nr. 2 EU-Arbeitszeit-Richtlinie ist bereits kein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB (BAG 05.06.2003 - 6 AZR 114/02 - DB 2004, 138; 14.10.2004 a. a. O.).

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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