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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 07.01.2009
Aktenzeichen: 6 Sa 189/08
Rechtsgebiete: ArbGG, TV 13. ME, BRTV-Bau, TVG


Vorschriften:

ArbGG § 72 a
TV 13. ME § 6
TV 13. ME § 6 Abs. 1 Satz 1
BRTV-Bau § 5 Ziff. 7.1
BRTV-Bau § 15 Abs. 1
BRTV-Bau § 15 Abs. 2 Satz 1
TVG § 4 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 6 Sa 189/08

Verkündet am 07.01.2009

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 07.01.2009 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 07.09.2006 - 3 Ca 824 b/06 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Zahlung der zweiten Hälfte des tariflichen 13. Monatseinkommens für das Jahr 2005.

Der Kläger ist seit dem 23.08.1994 bei der Beklagten als Maurer beschäftigt. Er ist Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt.

Die Beklagte betreibt ein Bauunternehmen mit rund 140 Arbeitnehmern. Sie ist Mitglied im Norddeutschen Baugewerbeverband e. V. Seit dem 01.01.2006 besteht die Mitgliedschaft "ohne Tarifbindung".

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom 21.5.1997 (TV 13. ME), zuletzt in der Fassung vom 29.10.2003, Anwendung. Gemäß § 2 dieses Tarifvertrages haben Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30.11. des laufenden Kalenderjahres (Stichtag) mindestens 12 Monate (Bezugszeitraum) ununterbrochen besteht, einen Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen in Höhe des 93-fachen ihres in der Lohntabelle ausgewiesenen Gesamttarifstundenlohnes. Das 13. Monatseinkommen wird bei krankheitsbedingten Ausfalltagen gekürzt. Beim Kläger war aus diesem Grund die Sonderzuwendung für das Jahr 2005 unstreitig auf das 78-fache des Gesamttarifstundenlohnes zu kürzen.

Nach § 6 TV 13. ME ist das 13. Monatseinkommen, das zum Stichtag berechnet wird, je zur Hälfte zusammen mit der Zahlung des Lohns für den Monat November und für den Monat April des Folgejahres auszuzahlen. Abweichend von dieser Fälligkeitsregelung zahlte die Beklagte seit Jahrzehnten das komplette 13. Monatseinkommen mit der Vergütung für den Monat November aus, also spätestens am 15.12. eines Jahres. Für das Jahr 2005 erfolgte keine Zahlung.

In dem Verfahren bei dem Arbeitsgericht Elmshorn mit dem Aktenzeichen 3 Ca 2363b/05 hatte der Kläger die erste Hälfte der Sonderzuwendung eingeklagt. Mit der vorliegenden Klage, die am 4.5.2006 beim Arbeitsgericht einging, hat er die zweite Hälfte der Sonderzuwendung geltend gemacht. Gleichzeitig hat der Kläger diese Forderung gegenüber der Beklagten außergerichtlich geltend gemacht. Die Beklagte hat sich auf die tarifliche Ausschlussfrist des § 15 Abs.1 BRTV-Bau berufen.

Wegen der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und das im Wesentlichen damit begründet, infolge betrieblicher Übung sei das gesamte 13. Monatseinkommen mit dem Novembergehalt fällig gewesen. Bei Klagerhebung sei die streitgegenständliche zweite Hälfte der Sonderzuwendung verfallen gewesen, weil sie erst rund 4,5 Monate nach Fälligkeit gerichtlich geltend gemacht worden sei.

Gegen das ihm am 25.09.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.10.2006 Berufung eingelegt, die er am 22.11.2006 begründet hat.

Der Kläger meint, die zweite Hälfte des 13. Monatseinkommens sei gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 TV 13. ME erst mit Zahlung des Aprillohnes, und daher am 15.5.2006 fällig gewesen. Er habe seine Klage daher rechtzeitig erhoben. Weil die Zahlungsmodalitäten im Tarifvertrag geregelt seien, bestehe kein Raum für individuelle Vereinbarungen oder gar eine abweichende betriebliche Übung bzgl. der Fälligkeit. Durch langjähriges Abweichen von tariflichen Regelungen könnten diese nicht außer Kraft gesetzt werden. Auch unter dem Gesichtspunkt der Günstigkeit stelle die vorgezogene Zahlungsweise keinen Vorteil für den Kläger dar, sondern sei steuerlich nachteilhaft.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 07.09.2006 - Az. 3 Ca 842b/06 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die zweite Hälfte des tarifvertraglichen 13. Monatseinkommens für das Jahr 2005 in Höhe von 576,42 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die streitige Forderung sei verfallen. Die Fälligkeit sei durch betriebliche Übung vorverlagert worden. Dem stehe weder das TVG noch die Tarifautonomie entgegen. Die frühere Zahlung des vollen 13. Gehalts sei für den Kläger günstiger. Die meisten Kollegen hätten im Übrigen ihr 13. Monatseinkommen bereits in voller Höhe zum Jahreswechsel eingeklagt. Warum der Kläger das nicht getan habe, entziehe sich ihrer Kenntnis.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 lit. a ArbGG) und form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg.

I. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der zweiten Hälfte des tariflichen 13. Monatseinkommens für das Jahr 2005 ist gemäß § 15 Abs. 1 Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) vom 4. Juli 2002 in der Fassung vom 29. Juli 2005 verfallen.

1. Gemäß § 15 Abs. 1 BRTV Bau verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird, § 15 Abs. 2 Satz 1 BRTV Bau.

Gemäß § 6 des TV 13. ME ist das 13. Monatseinkommen, das zum Stichtag berechnet wird, je zur Hälfte zusammen mit der Zahlung des Lohns für den Monat November und für den Monat April des Folgejahres auszuzahlen. Stichtag ist der 30. November des laufenden Kalenderjahres.

Der Lohn für den Monat April 2006 war gemäß § 5 Ziff. 7.1 BRTV am 15. des Folgemonats, mithin am 15.05.2006 fällig. Der Kläger hat am 04.05.2006 Klage auf Zahlung der zweiten Hälfte des 13. Monatseinkommens erhoben.

2. Die Beklagte zahlt jedoch abweichend von dieser tarifvertraglichen Fälligkeitsregelung die zweite Hälfte des 13. Monatseinkommens unstreitig seit Jahrzehnten mit der Vergütung für November, also spätestens am 15.12. eines jeden Kalenderjahres. Diese Zahlung ist für das Jahr 2005 unterblieben.

3. Die Fälligkeit der zweiten Hälfte des 13. Monatseinkommens ist in zulässiger Weise durch betriebliche Übung vorgezogen worden.

a) Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Dadurch wird ein vertragliches Schuldverhältnis geschaffen, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst (vgl. u. a. BAG vom 28.06.2006 - 10 AZR 385/05 Rd.-Ziff. 35, zitiert nach JURIS,). Grundsätzlich können alle Arbeitsbedingungen, die Gegenstand einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung sein können, durch betriebliche Übung begründet werden (Schaub/Koch, Arbeitsrechthandbuch, 12. Aufl., § 111 Rn. 9 m. w. N.). Das betrifft auch die Bestimmung der Fälligkeit einer Leistung.

b) Demgemäß ist durch die - gemessen am tariflichen Auszahlungszeitpunkt - über viele Jahre praktizierte vorzeitige Auszahlung des vollen 13. Monatseinkommens kraft betrieblicher Übung ein einzelvertraglicher Anspruch der Arbeitnehmer des Betriebes gegenüber der Beklagten entstanden, auch für das Jahr 2005 die zweite Hälfte des 13. Monatseinkommens nicht erst am 15.05.2006, sondern bereits mit der Novembervergütung am 15.12.2005 ausgezahlt zu bekommen. Zu diesem Zeitpunkt war daher auch der Anspruch des Klägers fällig.

c) Der Umstand, dass das 13. Monatsgehalt hinsichtlich der Entstehung und Fälligkeit im Tarifvertrag geregelt ist, hindert nicht die Entstehung einer betrieblichen Übung. Richtig ist, dass ein Anspruch aus betrieblicher Übung nur entstehen kann, wenn es an einer anderen kollektiv- oder individualrechtlichen Grundlage für die Leistungsgewährung fehlt. Im vorliegenden Fall besteht eine tarifliche Regelung. Die Beklagte hat die zweite Hälfte des tariflichen Anspruchs auf ein 13. Monatsgehalt jedoch zu einem Zeitpunkt gezahlt, zu dem nach dem Tarifvertrag noch kein Auszahlungsanspruch bestand.

Die tarifliche Regelung lässt Raum für die Schaffung solcher, vom Tarifvertrag abweichender, günstigerer einzelvertraglicher Arbeitsbedingungen. Kraft betrieblicher Übung können Fälligkeitstermine für Sonderzahlungen vorverlegt werden. Insoweit wird die durch jahrelange vorzeitige Auszahlung des vollen 13. Monatseinkommens entstandene betriebliche Übung nicht durch die Existenz des TV 13. ME und die dortige Fälligkeitsregelung des § 6 verdrängt.

d) Die betriebsübliche Fälligkeitsregelung für die Zahlung des vollen 13. Monatseinkommens verstößt auch nicht gegen das Günstigkeitsgebot des § 4 Abs. 3 TVG.

Durch die vorzeitige Zahlung der zweiten Hälfte des 13. Monatseinkommens werden die Arbeitnehmer besser gestellt, als durch die tarifliche Regelung. Aufgrund der betrieblichen Übung muss das volle 13. Monatsentgelt vor Weihnachten ausgezahlt werden. Es steht den Arbeitnehmern daher abweichend vom Tarifvertrag bereits zu einem Zeitpunkt zur Verfügung, zu dem erfahrungsgemäß höhere Ausgaben anfallen. Die Beklagte ist dagegen verpflichtet, die zweite Hälfte des 13. Monatseinkommens bereits vier Monate früher an die Arbeitnehmer auszuzahlen. Die Arbeitnehmer haben folglich ein geringeres Insolvenzrisiko betreffend den bereits verdienten, tarifvertraglich jedoch noch nicht fälligen zweiten Teil des 13. Monatseinkommens. Steuerliche Nachteile für die Arbeitnehmer sind nicht ersichtlich, bzw. gleichen sich übers Jahr aus, jedenfalls aber durch den Lohnsteuerjahresausgleich.

4. Demnach ist die vom Tarifvertrag abweichende betriebliche Übung, das 13. Monatseinkommen in voller Höhe bereits mit der Novembervergütung auszuzahlen, zulässig und wirksam. Das führt dazu, dass die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 1 BRTV Bau mit der Auszahlung des Novembergehalts zu laufen beginnt. Die Auszahlung mit dem Novembergehalt beinhaltet eine diesbezügliche betriebsübliche Fälligkeitsregelung und damit einen Auszahlungsanspruch per 15.12. eines jeden Kalenderjahres.

5. Da kraft betrieblicher Übung das 13. Monatseinkommen abweichend von § 6 des TV 13. ME im Betrieb der Beklagten bereits spätestens am 15.12.2005 fällig war, ist die erst mit Klagerhebung vom 04.05.2006 geltend gemachte zweite Hälfte des 13. Monatseinkommens für das Jahr 2005 gemäß § 15 Abs. 1 BRTV Bau verfallen.

6. Anhaltspunkte für ein treuwidriges Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit der Berufung auf die Ausschlussfrist sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat in einem gesonderten Verfahren zum Jahreswechsel 2005/2006 nur die erste Hälfte des 13. Monatseinkommens geltend gemacht, obgleich sich eine Vielzahl der vom gleichen Prozessbevollmächtigten vertretenen Kollegen zeitgleich zur Begründung eines bereits fälligen vollen Anspruchs auf die betriebsübliche vorzeitige Fälligkeit berufen haben. Diese Vorgehensweise und die anschließende späte Klagerhebung erst im Mai 2006 ist von der Beklagten nicht beeinflusst worden.

Die Klage war daher bereits aus diesem Grunde abzuweisen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Revision war angesichts der Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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