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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 25.11.2009
Aktenzeichen: 6 Sa 310/09
Rechtsgebiete: MTV-A, BetrVG, ArbGG, ZPO, TVG, LTV-DB


Vorschriften:

MTV-A § 8 Abs. 6
MTV-A § 15 Abs. 1
BetrVG § 87 Abs. 1 Ziff. 2
ArbGG § 64 Abs. 2 lit. a
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 519
ZPO § 520
TVG § 3 Abs. 1
LTV-DB § 3 Abs. 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 6 Sa 310/09

Verkündet am 25.11.2009

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 25.11.2009 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Scholz als Vorsitzenden und d. ehrenamtlichen Richter... als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 01.07.2009 - 1 Ca 60 d/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Badezeiten.

Der Kläger trat am 01.03.1986 in die Dienste der Beklagten. Seit Mai 1989 war er als Triebfahrzeugführer angestellt. Sein Bruttomonatsgehalt beläuft sich bei einer monatlichen Arbeitszeit von 174 Stunden auf 2.272,06 EUR.

Bei der Beklagten fand in den Jahren 1993 bis 1995 eine umfassende Neuordnung des Tarifrechts statt. Mit Datum vom 19.01.1995 schlossen die Gewerkschaft der E. E. (nunmehr T.) und der Arbeitgeberverband D. E. den Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der A. E. AG. Im Jahr 1998 schloss der Arbeitgeberverband D. E. mir der Gewerkschaft der L. (G.) einen inhaltsgleichen Tarifvertrag (MTV-A.). Der Kläger ist Mitglied der G..

§ 8 Abs. 6 MTV-A. lautet wie folgt:

"Bei besonders schmutzigen Arbeiten oder Arbeiten, bei denen der Arbeitnehmer verhältnismäßig hohen Temperaturen ausgesetzt ist, ist dem Arbeitnehmer zur Ganzreinigung des Körpers eine Badezeit bis zur Dauer von 20 Minuten zum Schluss der Arbeitszeit zu gestatten. Sie gilt nicht als Pause. Der Betrieb darf hierdurch nicht unterbrochen werden."

Bei der Beklagten wurde bis zum Abschluss des MTV-A. nahezu 50 Jahre lang zwischen Angestellten und Arbeitern unterschieden. Für Angestellte war die Anwendung der beamtenrechtlichen Bestimmungen der damaligen Deutschen B. tariflich vereinbart, für Arbeiter die Geltung der Regelungen des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen B. (LTV-DB). Der LTV-DB enthielt in § 3 Abs. 9 eine Regelung zu Bade- und Waschzeiten. Sie lautete wie folgt:

"Bei besonders schmutzigen Arbeiten oder Arbeiten, bei denen Arbeiter verhältnismäßig hohen Temperaturen ausgesetzt sind, ist den Arbeitern zur Ganzreinigung des Körpers eine Badezeit bis zur Dauer von 20 Minuten zum Schluss der Arbeitszeit zu gestatten. Sie gilt nicht als Pause. Der Betrieb darf hierdurch nicht unterbrochen werden. Wird die Ganzreinigung im Anschluss an die Arbeitszeit vorgenommen, erhält der Arbeiter eine Entschädigung von 0,50 DM für jede geleistete Arbeitsschicht."

Der Kläger hat behauptet, an den Tagen 14., 28., 29. und 31.07.2008 sowie am 01. und 02.08. 2008 hätten im Führerraum des Triebfahrzeugs Temperaturen von mehr als 40 Grad geherrscht. An diesen Tagen habe er unmittelbar nach seinem Einsatz geduscht. Der Anspruch auf die Badezeit gemäß § 8 Abs. 6 MTV-A. entstehe zum Schluss der Arbeitszeit. Da das Dienstende wegen der Arbeit im Führerstand nicht habe vorverlegt werden können, habe die Duschzeit an das geplante Dienstende angehängt werden müssen. Aufgrund des tarifvertraglichen Anspruchs liege insoweit eine automatische, stillschweigende Anordnung dieser (Wasch-) Arbeitszeit vor, die auch nicht der Mitbestimmung unterliege.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Stunde und 20 Minuten durch entsprechende Freizeit auszugleichen;

2. hilfsweise, an den Kläger 17,36 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat gemeint, § 8 Abs. 6 MTV-A. finde auf Triebfahrzeugführer keine Anwendung. Über den reinen Tarifwortlaut hinaus sei der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen. Im Rahmen der Reform des Tarifsystems hätten die Tarifvertragsparteien den Kreis der Begünstigten auf die ehemaligen Angestellten, wozu auch Triebfahrzeugführer zählten, nicht erweitern wollen. Zur Ersetzung des Begriffs "Arbeiter" durch "Arbeitnehmer" sei es gekommen, weil der Manteltarifvertrag für den Bereich der A. nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten unterscheide. Diese Auslegung werde auch bestätigt durch eine langjährige praktische Tarifübung. Erstmals am 15.09.2005 habe die Gewerkschaft G. einen vermeintlichen Anspruch geltend gemacht. Nach Ablehnung mit Schreiben vom 23.09.2005 sei von keinem Triebfahrzeugführer die Badezeit beansprucht worden. Von Überstunden, die nach der tariflichen Vorschrift des § 15 Abs. 1 MTV-A. erst bei einer Anordnung vorliegen, könne im Übrigen keine Rede sein. Beginn und Ende der Arbeitszeit einschließlich der Pausen würden außerdem dem Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Ziffer 2 BetrVG unterliegen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es könne offen bleiben, ob § 8 Abs. 6 MTV-A. auf Triebfahrzeugführer anwendbar sei. Denn der Kläger habe an den fraglichen Tagen keine Badezeit beansprucht. Die Beklagte habe dem Kläger auch keine Badezeit gestattet.

Gegen das ihm am 04.08.2009 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger am 20.08.2009 Berufung eingelegt und diese am 01.10.2009 begründet.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er behauptet, er sei während der gesamten Dienstschichten an den fraglichen Tagen einer erheblichen Wärmebelastung ausgesetzt gewesen. Der Anspruch auf Badezeit setze keinen schriftlichen Antrag voraus. Es genüge, dass er bei seinen Vorgesetzten auf Erfüllung des Anspruchs gedrungen habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 01.07.2009 (1 Ca 60d/09) abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Stunde und 20 Minuten durch entsprechende Freizeit auszugleichen;

2. hilfsweise, an den Kläger 17,36 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch die Beklagte wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag, insbesondere zur Auslegung von § 8 Abs. 6 MTV-A. Sie behauptet, die Frontscheiben der Triebwagen bestünden aus wärmeisolierendem Sicherheitsglas. Die Außenhaut und die Auspuffrohre seien isoliert. In den Führerständen befänden sich zusätzliche elektrische Lüfter.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 lit a ArbGG statthaft und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO. In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Freizeitausgleichs, hilfsweise auf Zahlung zu Recht verneint.

1. Der Kläger hat behauptet, er habe an den Tagen 14., 28., 29. und 31.07.2008 sowie am 01. und 02.08.2008 im Anschluss an seine Schicht in den sanitären Einrichtungen der Umkleideräume geduscht bevor er nach Hause gefahren sei. Dieser tatsächlichen Behauptung ist die Beklagte nicht entgegengetreten.

2. Der Kläger kann jedoch für die mit dem Duschen verbrachten Zeiten - 20 Minuten täglich - keinen Freizeitausgleich und auch keine Vergütung verlangen. Die mit dem Duschen verbrachte Zeit kann nur dann ausgleichsfähige Arbeitszeit sein, wenn es sich um Badezeit im Sinne von § 8 Abs. 6 MTV-A. gehandelt hat. Das ist nicht der Fall. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 6 MTV-A. liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist dem Arbeitnehmer bei besonders schmutzigen Arbeiten oder Arbeiten, bei denen er verhältnismäßig hohen Temperaturen ausgesetzt ist, zur Ganzreinigung des Körpers eine Badezeit bis zur Dauer von 20 Minuten am Schluss der Arbeitszeit zu gestatten. Diese Badezeit gilt nicht als Pause. Der Betrieb darf durch Inanspruchnahme der Badezeit nicht unterbrochen werden.

a) Zwar findet der MTV-A. gemäß § 3 Abs. 1 TVG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Der klare Wortlaut des § 8 Abs. 6 MTV-A. spricht auch dafür, dass bei Vorliegen der sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen Badezeiten zu gestatten sind, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer nach Maßgabe der in der Vergangenheit praktizierten Unterscheidung Angestellter oder Arbeiter gewesen ist.

b) Die Frage, ob § 8 Abs. 6 MTV-A. auch für Triebfahrzeugführer gilt, kann im vorliegenden Fall offen bleiben, weil weitere tatbestandliche Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die Badezeit ist nach der Tarifvorschrift bis zur Dauer von 20 Minuten zu gestatten, und zwar zum Schluss der Arbeitszeit. Im vorliegenden Fall hat der Kläger aber erst nach Dienstschluss geduscht. Eine Badezeit außerhalb der Arbeitszeit räumt der Tarifvertrag dem Arbeitnehmer nicht ein. Hier unterscheidet sich § 8 Abs. 6 MTV-A. von der Vorgängerregelung in § 3 Abs. 9 LTV-DB. Dort war der Fall, dass die Ganzreinigung im Anschluss an die Arbeitszeit vorgenommen wurde, ausdrücklich geregelt. In § 8 Abs. 6 MTV-A. fehlt eine entsprechende Regelung. Das spricht dagegen, dass der Arbeitgeber bezahlte Badezeiten im Anschluss an die Arbeitszeit gewähren muss.

c) Selbst wenn der Argumentation des Klägers gefolgt wird, wonach dann, wenn die Körperpflege nicht bis zum Schluss der Arbeitszeit möglich ist, Zeit hierfür im Anschluss an die Arbeitszeit gewährt werden muss, führt das im vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung. Denn in der Berufungsverhandlung hat der Kläger ausdrücklich erklärt, dass das Dienstende zwischen 10 und 20 Minuten nach Abschluss der letzten Fahrt liegt. Auch wenn zwischen dem Abschluss der letzten Fahrt und dem Dienstende noch einzelne Tätigkeiten verrichtet werden müssen, bleibt doch Zeit für Körperpflege. Aus § 8 Abs. 6 MTV-A. ergibt sich zudem nicht, dass die Badezeit stets 20 Minuten betragen muss. Im Tarifvertrag ist vielmehr von einer Badezeit bis zur Dauer von 20 Minuten die Rede. Besteht also vor Arbeitszeitende die Möglichkeit zur Körperpflege, kann der Arbeitnehmer - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - auch nur in diesem Zeitraum Badezeit beanspruchen. Das müssen auch nicht jeweils 20 Minuten sein. Dem Vortrag des Klägers lässt sich nicht entnehmen, warum er an den fraglichen Tagen nicht zwischen dem Abschluss der letzten Fahrt und dem Dienstende duschen konnte. Er hat nicht dazu ausgeführt, wann die jeweils letzte Fahrt abgeschlossen war und wie viel Zeit ihm bis zum Dienstende verblieb. Er hätte im Einzelnen darlegen müssen, mit welchen Tätigkeiten er die Zeit verbracht hat, sodass es ihm unmöglich war, sich die Badezeit noch innerhalb der Arbeitszeit gestatten zu lassen. Zudem hat der Kläger auch im Berufungsrechtszug nicht dazu vorgetragen, wie und aufweiche Weise er sich um die Gestattung der Arbeitszeit bei seinen Vorgesetzten bemüht hat.

d) Aus den vorgenannten Gründen kann offen bleiben, ob der Kläger an den fraglichen Tagen tatsächlich einer erheblichen Wärmebelastung ausgesetzt war, die das tarifliche Erfordernis der "verhältnismäßig hohen Temperaturen" erfüllt. Zu bedenken ist, dass die Schichten des Klägers an den Tagen 14. und 28. - 31.07.2008 jeweils von mittags bzw. nachmittags bis in den Abend reichten. Zur Lage seiner Schichten am 01. und 02.08.2008 hat der Kläger nicht vorgetragen. Die Temperaturen zu seiner Arbeitszeit lassen sich nicht feststellen.

2. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung auf den Umständen des Einzelfalls beruht und keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung betrifft.

Ende der Entscheidung

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