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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 12.09.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 37/07
Rechtsgebiete: TVÜ-VKA, EStG, BKGG, BGB, AGG, TVÜ-L, ArbGG, ZPO, TVöD


Vorschriften:

TVÜ-VKA § 5
TVÜ-VKA § 5 Abs. 1
TVÜ-VKA § 5 Abs. 6
TVÜ-VKA § 11
TVÜ-VKA § 11 Abs. 1
TVÜ-VKA § 11 Abs. 1 Satz 1
TVÜ-VKA § 11 Abs. 1 Satz 3
TVÜ-VKA § 11 Abs. 1 Satz 3 1. Halbsatz
TVÜ-VKA § 11 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz
TVÜ-VKA § 11 Abs. 3
EStG § 64
EStG § 65
BKGG § 3
BKGG § 4
BGB § 247
BGB § 286 Abs. 1 Satz 1
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 611 a
AGG § 1
AGG § 7 Abs. 1
TVÜ-L § 11
ArbGG § 46 Abs. 2
ZPO § 256 Abs. 1
ZPO § 533 Nr. 1 2. Alt.
TVöD § 37 Abs. 1 Satz 1
TVöD § 37 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 6 Sa 37/07

Verkündet am 12.09.2007

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 12.09.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und die ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 15.11.2006, Az. 4 Ca 1198 e/06, abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.129,90 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.04.2007 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin monatlich ab April 2007 Kinder-/Sozialzuschläge in Höhe von 94,10 EUR brutto zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Besitzstandszulage im Zusammenhang mit der Überleitung in den TVöD zum 01.10.2005.

Die Klägerin ist seit dem 01.08.1982 bei der Beklagten beschäftigt. Sie ist Mutter von fünf Kindern, für die sie Kindergeld erhält. Nachdem die Klägerin mehrere Jahre Elternzeit in Anspruch genommen hatte, beantragte sie mit Schreiben vom 08.03.2005 (Anlage K 1 = Blatt 11 d. A.) Sonderurlaub zum Zweck der Kindererziehung bis zum 10.03.2006. Zugleich äußerte sie den Wunsch, ab 01.08.2005 neun Stunden wöchentlich bei der Beklagten zu arbeiten. Die Beklagte genehmigte mit Schreiben vom 17.03.2005 (Anlage B 1 = Blatt 20 d. A.) den Sonderurlaub. Zu der von der Klägerin gewünschten Teilzeitbeschäftigung kam es jedoch nicht.

Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fanden bis zur Überleitung in den TVöD zum 01.10.2005 die Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) Anwendung. Das unmittelbar vor der Überleitung am 30.09.2005 erstellte Personalstammblatt (Anlage K 2 = Blatt 10 d. A.) weist für die Klägerin bei einer Vollzeitbeschäftigung einen Kinder-/Sozialzuschlag in Höhe von 452,85 EUR monatlich aus.

Seit dem 01.04.2006 arbeitet die Klägerin acht Stunden wöchentlich bei der Beklagten. Den im Personalstammblatt ausgewiesenen Kinder-/Sozialzuschlag hat sie seitdem nicht - auch nicht anteilig - erhalten.

Der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) enthält im Abschnitt III "Besitzstandsregelungen" in § 11 folgende Bestimmung:

Kinderbezogene Entgeltbestandteile

(1) Für im September 2005 zu berücksichtigende Kinder werden die kinderbezogenen Entgeltbestandteile des BAT/BAT-O/BAT-Ostdeutsche Sparkassen oder BMT-G/BMT-G-O in der für September 2005 zustehenden Höhe als Besitzstandszulage fortgezahlt, solange für diese Kinder Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ununterbrochen gezahlt wird oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG gezahlt würde. Die Besitzstandzulage entfällt ab dem Zeitpunkt, zu dem einer anderen Person, die im öffentlichen Dienst steht oder auf Grund einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst nach beamtenrechtlichen Grundsätzen oder nach einer Ruhelohnordnung versorgungsberechtigt ist, für ein Kind, für welches die Besitzstandszulage gewährt wird, das Kindergeld gezahlt wird; die Änderung der Kindergeldberechtigung hat die/der Beschäftigte dem Arbeitgeber unverzüglich schriftlich anzuzeigen. Unterbrechungen wegen der Ableistung von Grundwehrdienst, Zivildienst oder Wehrübungen sowie die Ableistung eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres sind unschädlich; soweit die unschädliche Unterbrechung bereits im Monat September 2005 vorliegt, wird die Besitzstandszulage ab dem Zeitpunkt des Wiederauflebens der Kindergeldzahlung gewährt.

(2) ...

(3) Die Absätze 1 und 2 geltend entsprechend für

a) zwischen dem 1. Oktober 2005 und dem 31. Dezember 2005 geborene Kinder der übergeleiteten Beschäftigten,

b) die Kinder von bis zum 31. Dezember 2005 in ein Arbeitsverhältnis übernommenen Auszubildenden, Schülerinnen/Schüler in der Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und in der Entbindungspflege sowie Praktikantinnen und Praktikanten aus tarifvertraglich geregelten Beschäftigungsverhältnissen, soweit diese Kinder vor dem 1. Januar 2006 geboren sind.

Für den Bereich der Bundesbehörden hat das Bundesministerium des Inneren (BMI) mit Rundschreiben vom 23.05.2006 (D II 2 - 220210/L-GMBL. Seite 757; abgedruckt bei Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, TVöD, TVÜ-B und/TVÜ-VKA Randnr. 147 b) den dort Beschäftigten die "außertarifliche Zahlung einer Besitzstandszulage in entsprechender Anwendung des § 11 TVÜ Bund" für die Fälle zugesagt, in denen Beschäftigte im September 2005 nur deswegen keinen kinderbezogenen Anteil des Sozialzuschlags erhalten haben, weil sie u. a. wegen Elternzeit oder unbezahlten Sonderurlaubs aus familiären Gründen keinen Anspruch auf Bezüge hatten.

Die Klägerin hat gemeint, ihr stehe ein Anspruch auf Zahlung der Besitzstandszulage aus § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA zu, obwohl sie im September 2005 nicht gearbeitet und deswegen auch keine kinderbezogenen Entgeltbestandteile erhalten habe. Jedenfalls ergebe sich ein solcher Anspruch aus § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA i. V. m. § 611 a BGB bzw. § 7 Abs. 1 und § 1 AGG, weil die tarifliche Regelung Mütter in diskriminierender Weise von der Zahlung der Besitzstandszulage ausschließe.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 282,30 EUR brutto zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr monatlich ab Juli 2006 Kinder-/Sozialzuschläge in Höhe von 94,10 EUR brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung der Besitzstandszulage, weil sie im maßgeblichen Monat September 2005 keinen Kinder-/Sozialzuschlag erhalten habe. Dies mache auch das von der Klägerin angeführte Schreiben des BMI deutlich, das gerade eine außertarifliche Gewährung der Zulage regele. Einer solchen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn der Anspruch bereits unmittelbar aus § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA folgen würde. Da die Beklagte lediglich geltendes Tarifrecht anwende, könne ihr auch keine Diskriminierung vorgeworfen werden.

Mit Urteil vom 15.11.2006 hat das Arbeitsgericht Elmshorn die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA setze kumulativ die Zahlung einer Besitzstandszulage im September 2005 und den Kindergeldbezug voraus. Sonderurlaub sei nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA keine unschädliche Unterbrechung. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch aus § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA i. V. m. Artikel 33 GG, § 611 a BGB bzw. § 7 Abs. 1, § 1 AGG. Es liege weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vor. Die Regelung knüpfe nicht an ein bestimmtes Geschlecht an. Auch sei kein bestimmtes Geschlecht überdurchschnittlich häufig von der Stichtagsregelung betroffen.

Gegen das ihr am 02.01.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.01.2007 Berufung eingelegt und diese mit am 01.03.2007 eingegangenen Schriftsatz begründet. Sie macht geltend, ihr Anspruch ergebe sich bereits aus dem Personalstammblatt, mit dem die Beklagte ihr die Zahlung der Zulage zugesagt habe. Zudem sei der Bezug des kinderbezogenen Entgeltbestandteils im September 2005 keine Tatbestandsvoraussetzung des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA. Vielmehr dienten die Bestimmungen der Berechnung der Anspruchshöhe. Schließlich liege in der Vorenthaltung der Zulage eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber durchgehend beschäftigten Mitarbeitern.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.129,-- EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab 03.04.2007 zu zahlen.

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie monatlich ab April 2007 Kinder-/Sozialzuschläge in Höhe von 94,10 EUR brutto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und trägt vor, das Personalstammblatt stelle keine Zusage dar, sondern habe ausschließlich der Information gedient. Zudem hätten die Tarifvertragsparteien eine weitreichende Gestaltungsfreiheit in Bezug auf Stichtagsregelungen. Schließlich sei der vorliegende Fall des Sonderurlaubs nicht mit Fällen der Elternzeit zu vergleichen, für die teilweise in anderen gerichtlichen Verfahren ein entsprechender Anspruch bejaht worden sei.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.09.2007 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie war im Hinblick auf den erstinstanzlich festgesetzten Streitwert, der dem Beschwerdewert entspricht, statthaft und ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden. Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere steht der Klägerin für den Antrag zu 2. das gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse zu. Dieses ergibt sich aus § 37 Abs. 1 Satz 1 TVöD, nach dem Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden, wobei gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 TVöD für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung auch für später fällige Leistungen ausreicht.

Die in der Berufungsinstanz vorgenommene Klageerweiterung um die Zinsforderung sowie zwischenzeitlich angefallene monatliche Beträge ist gemäß § 533 Nr. 1 2. Alt. ZPO zulässig. Zum einen hat sich die Beklagte auf die geänderte Klage eingelassen. Zum anderen ist die Klageänderung sachdienlich. Der bisherige Streitstoff ist auch für die geänderte Klage verwertbar. Die Zulassung der neuen Anträge fördert die endgültige Beilegung des Streits und verhindert so einen erneuten Prozess.

II. Die Klage ist auch begründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 1.129,20 EUR brutto für die Monate April 2006 bis März 2007 aus § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA. Gemäß Satz 1 dieser Vorschrift werden die kinderbezogenen Entgeltbestandteile für im September 2005 zu berücksichtigende Kinder in der für diesen Monat zustehenden Höhe als Besitzstandzulage fortgezahlt, solange für diese Kinder Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ununterbrochen gezahlt wird oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG gezahlt würde.

a) Die Klägerin hat fünf zu berücksichtigende Kinder im Sinne des § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA. Berücksichtigungsfähig in diesem Sinne sind alle Kinder, für die dem Angestellten ein Anspruch auf Zahlung von Kindergeld nach dem EStG oder dem BKGG zusteht. Die Klägerin hatte für ihre fünf Kinder im September 2005 Anspruch auf Kindergeld, das ihr unstreitig gezahlt worden ist.

b) Dem Anspruch der Klägerin steht nicht entgegen, dass sie im September 2005 wegen ihres unbezahlten Sonderurlaubs keinen Kinder-/Sozialzuschlag erhalten hat. Den tatsächlichen Bezug eines Kinder-/Sozialzuschlags im September 2005 setzt § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA nicht voraus. Der Verweis auf den Monat September 2005 hat lediglich für die Bestimmung der Höhe der dem jeweiligen Angestellten zustehenden Besitzstandszulage Bedeutung. Dies ergibt die Auslegung der Tarifvorschrift.

Der normative Teil eines Tarifvertrags ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regelungen auszulegen. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut ausgehend der maßgebliche Sinn der Erklärung zu ermitteln, ohne an den Buchstaben zu haften. Über dem Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser Wille in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden kann. Noch verbleibende Zweifel können ohne Bindung an einer Reihenfolge mittels weiterer Kriterien wie der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch der praktischen Tarifübung geklärt werden. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 05.10.1999 - 4 AZR 578/98 - AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15; BAG 23.11.2006 - 6 AZR 317/06 - NZA 2007, 630).

aa) Der Wortlaut des § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA ist nicht eindeutig.

Für eine Auslegung, nach der ein Anspruch auf Zahlung der Besitzstandszulage voraussetzt, dass der Kinder-/Sozialzuschlag in dem Monat September 2005 gezahlt worden ist, lässt sich die Formulierung "in der für September 2005 zustehenden Höhe" anführen. Ruhte das Arbeitsverhältnis - aufgrund Sonderurlaubs (wie im Fall der Klägerin) oder aus anderen Gründen -, stand den Betroffenen im fraglichen Monat ein Anspruch auf Zahlung des Arbeitsentgelts einschließlich der kinderbezogenen Bestandteile des Ortszuschlags tatsächlich nicht zu. Die Anspruchshöhe ist danach mit Null zu veranschlagen (darauf stellt das Arbeitsgericht Würzburg, Urteil vom 22.08.2006 - 9 Ca 75/06 - ab; vgl. auch Arbeitsgericht Cottbus, Urteil vom 21.03.2006 - 4 Ca 481/06 -).

Wenig ergiebig ist dagegen die Formulierung "als Besitzstandszulage fortgezahlt", auf die das LAG Köln (Urteil vom 30.11.2006 - 5 Sa 973/06 -) und das Arbeitsgericht Cottbus (Urteil vom 21.03.2007 - 4 Ca 481/06 -) abstellen. Dass durch § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA ein Besitzstand des bereits unter der Geltung des BAT tätigen Arbeitnehmers gewahrt werden soll, sagt für sich genommen nichts darüber aus, an welches konkrete Merkmal dieser Besitzstand und sein Erhalt anknüpft. Die Argumentation mit dem Begriff "Fortzahlung" im Sinne der Fortsetzung der Zahlung, verfängt im Ergebnis ebenfalls nicht. Im allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet "Fortsetzung" die Weiterführung einer Tätigkeit nach einer Unterbrechung (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band II Seite 825) und damit gerade nicht eine Tätigkeit ohne Unterbrechung (so auch LAG Bremen, Urteil vom 28.02.2007 - 2 Sa 193/06 -). Gründe für einen davon abweichenden juristischen Sprachgebrauch sind nicht ersichtlich.

Für eine Auslegung, nach der ein Anspruch auf Zahlung der Besitzstandszulage nicht voraussetzt, dass der Kinder-/Sozialzuschlag im September 2005 gezahlt worden ist, spricht die ebenfalls in § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA enthaltene Formulierung "zu berücksichtigende Kinder". Wäre ein Bezug zur Zahlung der kinderbezogenen Bestandteile des Ortszuschlags beabsichtigt gewesen, hätte dies ohne Weiteres durch die Formulierung "für im September 2005 berücksichtigte Kinder" zum Ausdruck gebracht werden können (LAG Baden Württemberg, Urteil vom 22.02.2007 - 11 Sa 96/06 -). Die stattdessen gewählte Formulierung ist vor diesem Hintergrund als Verweis auf die Berechtigung zum Bezug von Kindergeld nach den Vorschriften des EStG bzw. BKGG zu verstehen, auf die auch § 29 B Abs. 3 BAT verweist.

bb) Anders als der nicht eindeutige Wortlaut legt die systematische Auslegung nahe, dass ein Anspruch auf Zahlung der Besitzstandszulage unabhängig davon besteht, ob im September 2005 ein Kinder-/Sozialzuschlag gezahlt worden ist.

Für dieses Ergebnis lässt sich zum einen § 5 Abs. 6 TVÜ-VKA anführen. Danach wird für Beschäftigte, die nicht für alle Tage im September 2005 oder für keinen Tag dieses Monats Bezüge erhalten, das Vergleichsentgelt so bestimmt, als hätten sie für alle Tage dieses Monats Bezüge erhalten. Daraus lässt sich ein allgemeiner Rechtsgedanke ableiten, der nicht nur bei der Zuordnung zu den Stufen der Entgelttabelle des TVöD gemäß § 5 Abs. 1 TVÜ-VKA zu beachten ist, sondern bei allen die Vergütung betreffenden Fragen und damit auch bei der Gewährung der Besitzstandszulage nach § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA (LAG Baden Württemberg, Urteil vom 22.02.2007 - 11 Sa 96/06 -; vgl. auch Arbeitsgericht Karlsruhe, Urteil vom 09.05.2007 - 5 Ca 294/06 - und Arbeitsgericht Cottbus, Urteil vom 01.02.2007 - 1 Ca 998/06 -). Dabei ist angesichts der Einordnung des § 5 TVÜ-VKA in dem Abschnitt II "Überleitungsregelung" und nicht in dem Abschnitt I "Allgemeine Vorschriften" und des gleichzeitigen Fehlens einer entsprechenden Regelung in Abschnitt III "Besitzstandsregelungen", in dem sich auch § 11 TVÜ-VKA befindet, vom Vorliegen eines redaktionellen Versehens der Tarifvertragsparteien auszugehen (LAG Bremen, Urteil vom 28.02.2007 - 2 Sa 193/06 -).

Mehr noch als § 5 Abs. 6 spricht nach Ansicht der Kammer § 11 Abs. 3 TVÜ-VKA für die Gewährung der Besitzstandszulage trotz Ruhens des Arbeitsverhältnisses im Monat September 2005. Nach dieser Vorschrift gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend für

a) zwischen dem 01.10.2005 und dem 31.12.2005 geborene Kinder der übergeleiteten Beschäftigten,

b) die Kinder von bis zum 31.12.2005 in ein Arbeitsverhältnis übernommenen Auszubildenden, Schülerinnen/Schülern in der Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und in der Entbindungspflege sowie Praktikantinnen und Praktikanten aus tarifvertraglich geregelten Beschäftigungsverhältnissen, soweit diese Kinder vor dem 01.01.2006 geboren worden sind.

Weder Kinder, die erst nach der Überleitung in den TVöD geboren worden sind, noch Kinder von Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis nicht vor dem 01.10.2005 begründet worden ist, können bereits im Sinne des § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA im September 2005 zu berücksichtigen gewesen sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht plausibel, diejenigen Beschäftigten, denen die Zulage im September 2005 dem Grunde nach zustand, weil sie bereits in einem Arbeitsverhältnis standen und berücksichtigungsfähige Kinder hatten, und denen nur wegen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses die Zulage nicht ausgezahlt wurde, von der Zahlung der Besitzstandszulage ab dem Zeitpunkt des Wiederauflebens des Arbeitsverhältnisses auszunehmen (LAG Baden Württemberg, 22.02.2007 - 11 Sa 96/06 -; Arbeitsgericht Karlsruhe, 09.05.2007 - 5 Ca 294/06 -; LAG Bremen 28.02.2007 - 2 Sa 193/06 -).

Nicht überzeugend ist dagegen das vereinzelt vorgebrachte Argument, angesichts des in § 11 Abs. 1 Satz 3 1. Halbsatz TVÜ-VKA enthaltenen Katalogs von Unterbrechungstatbeständen, die für die Frage der Zahlung der Besitzstandszulage gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz TVÜ-VKA unschädlich sind, müssten andere als die dort genannten Tatbestände, also unter anderem auch unbezahlter Sonderurlaub, stets schädlich sein mit der Folge, dass auch bei Wegfall der im September 2005 vorliegenden Hinderungsgründe kein Anspruch auf die Besitzstandszulage entstehe (so die Durchführungshinweise der VKA im Rundschreiben vom 08.11.2005 - R 379/2005 - unter 1.4).

Dieser Sichtweise ist entgegenzuhalten, dass mit dem Ausdruck "Unterbrechung" im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 3 TVÜ-VKA nicht Unterbrechungen der Zahlung kinderbezogener Entgeltbestandteile, sondern vielmehr solche Zeiträume gemeint sind, in denen wegen der Ableistung von Wehrdienst, Zivildienst oder Wehrübung durch das ansonsten zu berücksichtigende Kind kein Kindergeldanspruch besteht oder aber dieser während eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres nicht dem Arbeitnehmer, sondern dem Kind selbst zusteht. Dies ergibt sich zum einen aus § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA, der die ununterbrochene Zahlung des Kindergeldes voraussetzt, zum anderen aus § 11 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz TVÜ-VKA, wonach die Besitzstandszulage ab dem Zeitpunkt des Wiederauflebens der Kindergeldzahlung gewährt wird (LAG Baden Württemberg, Urteil vom 22.02.2007 - 11 Sa 96/06 -; LAG Bremen, Urteil vom 28.02.2007, 2 Sa 193/06 -).

cc) Neben den genannten systematischen Erwägungen spricht auch der Sinn und Zweck des § 11 TVÜ-VKA für einen Anspruch auf Zahlung der Zulage trotz Ruhens des Arbeitsverhältnisses im Monat September 2005. Die Regelung zielt darauf ab, den Angestellten, die unter Geltung des BAT einen Anspruch auf Zahlung kinderbezogener Entgeltbestandteile hatten, diesen Besitzstand zu erhalten. Die dem TVöD zugrunde liegende Konzeption einer Bezahlung unter stärkerer Beachtung von Leistungsgesichtspunkten erfährt insoweit für die übergeleiteten Beschäftigten eine Ausnahme. Im Übrigen ist im Rahmen der Auslegung des § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA als Bestandteil des die Überleitung insgesamt regelnden TVÜ-VKA entgegen der etwa vom Landesarbeitsgericht Köln (Urteil vom30.11.2006 - 5 Sa 973/06 -) vertretenen Auffassung nicht der Sinn und Zweck des TVöD, sondern allein der des TVÜ-VKA maßgeblich (so auch Arbeitsgericht Karlsruhe, Urteil vom 09.05.2007 - 5 Ca 294/06 -).

Dagegen kann die gegenteilige Deutung bei einer Betrachtung der mit ihr erzielten Ergebnisse nicht überzeugen. So hängt es danach vom Zufall ab, ob ein Arbeitnehmer Anspruch auf die Besitzstandszulage hat, weil sein Arbeitsverhältnis etwa nur bis zum 31.08.2005 oder erst ab dem 01.10.2005 geruht hat oder aber ob ihm dieser Anspruch nicht zusteht, weil sein Arbeitsverhältnis nicht in diesem Zeitraum, sondern stattdessen im September 2005 geruht hat. Darüber hinaus müsste einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nur während eines Teils des Monats September 2005 geruht hat, ein in der Höhe vom Zufall abhängiger Betrag als Besitzstandszulage gezahlt werden (LAG Baden Württemberg, Urteil vom 22.02.2007 - 5 Sa 96/06 -).

Schließlich spricht die außertarifliche Gewährung der Zulage im Bereich der Bundesbehörden gemäß dem Schreiben des BMI vom 23.05.2006 indiziell dafür, dass die Regelung in ihren praktischen Auswirkungen als ungerecht empfunden wird (LAG Bremen, Urteil vom 28.02.2007 - 2 Sa 193/06 -). Die gleiche Erwägung gilt für den Umstand, dass die Tarifvertragsparteien des TVÜ Länder dem ansonsten gleichlautenden § 11 TVÜ-L eine Protokollnotiz beigefügt haben, nach der Unterbrechungen der Gehaltszahlung jedenfalls in Fällen von Elternzeit unschädlich sein sollen. Zudem wird eben dieser Gesichtspunkt auch von den Tarifvertragsparteien des TVÜ-VKA nachverhandelt (LAG Baden Württemberg, Urteil vom 22.02.2007 - 11 Sa 96/06 -). Der Umstand, dass die Klägerin - anders als in der überwiegenden Zahl der bereits entschiedenen Fälle - nicht Elternzeit, sondern unbezahlten Sonderurlaub zum Zweck der Kindererziehung in Anspruch genommen hatte, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwischen Elternzeit und unbezahltem Sonderurlaub bestehen für die vorliegend zu beurteilende Frage, ob ein Anspruch auf Zahlung der Besitzstandszulage besteht, keine strukturellen Unterschiede. Rechtsfolge beider Tatbestände ist das vorübergehende Ruhen des Arbeitsverhältnisses.

c) Der Klägerin steht der Anspruch auch in der geltend gemachten Höhe von 1.129,20 EUR brutto zu. Die Beklagte hat die Forderung der Höhe nach nicht bestritten. Bei einer Vollzeitbeschäftigung stünde der Klägerin ein Anspruch in Höhe von 452,85 EUR monatlich zu. Dieser reduziert sich bei einer Beschäftigung im Umfang von acht Wochenstunden auf 94,10 EUR pro Monat. Der eingeklagte Betrag ergibt sich somit für die Zeit von April 2006 bis März 2007.

d) Weil der Anspruch der Klägerin bereits unmittelbar aus § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA folgt, kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen weiterer Anspruchsgrundlagen erfüllt sind. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang auch, ob in dem Personalstammblatt der Beklagten eine anspruchsbegründende Zusage liegt.

e) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB.

2. Weil der Klägerin - wie oben ausgeführt - ein Anspruch auf Zahlung der Besitzstandszulage gegen die Beklagte zusteht, ist auch ihr auf zukünftige Leistung gerichteter Antrag zu 2. begründet.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 5. Alternative ArbGG wegen Divergenz zuzulassen. Das Landesarbeitsgericht Köln hat im Urteil vom 30.11.2006 (5 Sa 973/06) die Vorschrift des § 11 Abs. 1 TVÜ-VKA in entscheidungserheblicher Weise anders ausgelegt als die erkennende Kammer.

Ende der Entscheidung

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