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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 16.05.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 441/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
Unterlässt eine Pflegekraft Pflegemaßnahmen (z. B. Lagerung), ist dies eine Pflichtverletzung. Werden nicht erbrachte Pflegemaßnahmen in die Pflegedokumentation eingetragen, begründet dies regelmäßig eine erhebliche Pflichtverletzung. Derartiges Fehlverhalten muss vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung grundsätzlich abgemahnt werden.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 6 Sa 441/06

Verkündet am 16.05.2007

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 28.03.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 30.08.2006 (5 Ca 340/06) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Arbeitgeberkündigung.

Die im Oktober 1953 geborene Klägerin trat am 24.01.2001 als Altenpflegehelferin in die Dienste der Beklagten. Zuletzt arbeitete sie als examinierte Pflegekraft mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden.

Die Beklagte betreibt in B... ein Senioren- und Therapiezentrum. Sie beschäftigt etwa 100 Arbeitnehmer. Im Pflegebereich arbeiten die Mitarbeiter im 3-Schicht-Betrieb. Am 26. und 27.01.2006 war die Klägerin jeweils in der Frühschicht, dem so genannten Frühdienst, u. a. für die Grundversorgung der Bewohnerin P... zuständig. In der zweiten Januar-Hälfte 2006 waren bei dieser Bewohnerin, die sich in der sog. Finalpflege befand, Hautdefekte an mehreren Körperteilen festgestellt worden. Am 26.01.2006 vermerkte die Klägerin im Pflegebericht Lagerungen der Bewohnerin P... für 08:00, 10:00 und 12:00 Uhr. Am 27.01.2006 vermerkte sie für 08:00 Uhr eine weitere Lagerung. An diesem Tag wurden bei der Bewohnerin mehrere Dekubiti festgestellt, und zwar im Sakralbereich, am Hinterkopf und an der Ferse.

Die Klägerin war erst seit dem 19.01.2006 auf der Station tätig, auf der die Bewohnerin P... versorgt wurde. Auf dieser Station arbeiteten seinerzeit insgesamt 20 - 24 Pflegekräfte.

Mit Schreiben vom 30.01.2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin und erteilte der Klägerin gleichzeitig Hausverbot.

Bereits Anfang November 2005 hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31.01.2006 gekündigt. Den wegen dieser Kündigung von der Klägerin angestrengten Kündigungsschutzprozess (Arbeitsgericht Lübeck 5 Ca 3443/05) hat das Arbeitsgericht ausgesetzt.

Mit ihrer am 08.02.2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage hat sich die Klägerin gegen die fristlose sowie hilfsweise fristgerechte Kündigung vom 30.01.2006 gewandt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei weder als außerordentliche noch als ordentliche Kündigung wirksam. Sie habe bei der Pflege der Bewohnerin P... keine Pflichten verletzt. Vielmehr habe sie die Bewohnerin sogar überobligatorisch gepflegt. Die für den 26.01.2006 dokumentierten Lagerungen seien von ihr durchgeführt worden. Am Morgen des Folgetages habe sie gegen 07:00 Uhr zwei neue Hautverletzungen bei der Bewohnerin P... festgestellt. Daraufhin habe sie die Bewohnerin entlastend gelagert und weitere Maßnahmen ergriffen. Bei Dienstübergabe am Mittag habe sie auf die festgestellten Verletzungen hingewiesen. Eine generelle Anweisung, Dekubiti zu dokumentieren, gebe es nicht.

Die Klägerin hat beantragt,

es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose noch durch die hilfsweise fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 30.01.2006 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, die Klägerin habe die Bewohnerin P... weder am 26. noch am 27.01.2006 tatsächlich gelagert. Für den 27.01.2006 habe sie das um 09:30 Uhr dieses Tages auf Nachfrage des Mitarbeiters B... ausdrücklich zugegeben. Dass die Klägerin die Lagerungen an diesen beiden Tagen nicht durchgeführt habe, zeige der Zustand der Bewohnerin P.... Die am 27.01.2006 festgestellten Dekubiti seien zwei Tage vorher noch nicht vorhanden gewesen. Die Klägerin habe auch versäumt, die Dekubiti zu dokumentieren.

Durch Teilurteil vom 30.08.2006 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.01.2006 nicht fristlos aufgelöst worden ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin könnten unterlassene Pflegehandlungen nicht vorgeworfen werden. Aus dem Zustand der Bewohnerin könne nicht auf unterlassene Lagerungen geschlossen werden. Denn auch durch regelmäßiges Lagern könne ein Dekubitus bei Schwerstpflegepatienten nicht verhindert werden. Fehler in der Dokumentation berechtigten nicht zur Kündigung aus wichtigem Grund, wenn dies nicht vorher abgemahnt worden sei. Nicht nachvollziehbar sei, wenn bei ca. 20 für die Patientenpflege zuständigen Personen ausgerechnet nur die Klägerin wegen der mangelnden Pflege der Bewohnerin P... arbeitsrechtliche Sanktionen erleiden solle.

Über die hilfsweise ausgesprochene fristgemäße Kündigung hat das Arbeitsgericht nicht entschieden. Vielmehr hat es den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens 5 Ca 3443/05 ausgesetzt.

Gegen das der Beklagten am 14.09.2005 zugestellte Teilurteil hat die Beklagte am 16.10.2006 (Montag) Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14.12.2006 - mit dem am 14.12.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ist die Beklagte der Auffassung, dass die Klägerin die ihr vorgeworfenen Pflichtverletzungen begangen habe. Durch Sachverständigengutachten könne bewiesen werden, dass die Klägerin die streitigen Lagerungen nicht durchgeführt habe. Denn im Frühdienst sei sie allein für die Lagerung der Bewohnerin P... zuständig gewesen. Die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass bei Schwerstpflegepatienten durch regelmäßiges Lagern ein Dekubitus nicht verhindert werden könne, treffe nicht zu. Im Übrigen habe die Klägerin gegenüber dem Kollegen B... eingeräumt, mindestens zwei Lagerungen unterlassen zu haben. Sie, die Beklagte, habe weitere Gefährdungen von Bewohnern vermeiden und deshalb das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin sofort beenden müssen. Die Klägerin habe nicht erwarten können, dass ihr Unterlassen hingenommen werde. Die Angaben in der Pflegedokumentation seien nicht bloße Dokumentationsfehler, sondern vorsätzliche Falscheintragungen. Auch insoweit habe die Klägerin nicht erwarten können, dass die Beklagte das Verhalten hinnimmt oder sich auf eine Abmahnung oder ordentliche Kündigung beschränkt. Beide Verstöße - unterlassene Lagerungen und falsche Angaben in der Pflegedokumentation - müssten zusammen betrachtet werden. Es handele sich um ein gezieltes und planmäßiges Vorgehen, um sich vor zwingend erforderlichen pflegerischen Verrichtungen zu drücken.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Teilurteils des Arbeitsgerichts Lübeck vom 30.08.2006 zum Aktenzeichen 5 Ca 340/06 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Für die Frage, ob sich ein Dekubitus habe verhindern lassen, seien die tatsächlich vorliegenden Rahmenbedingungen maßgebend. Nicht entscheidend sei, ob sich durch "entsprechende pflegerische Handlungen" das Entstehen eines Dekubitus verhindern lasse. Im Übrigen seien neben der Klägerin zahlreiche weitere Pflegekräfte für die Versorgung der Bewohnerin P... zuständig gewesen. Sie, die Klägerin, habe alle ihre Pflegeleistungen zutreffend dokumentiert.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.01.2006 nicht beendet worden ist.

1. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - NZA 2006, 98 mit weiteren Nachweisen).

b) In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 30.01.2006 als unwirksam. Die Beklagte kann die außerordentliche Kündigung nicht darauf stützen, dass die Klägerin am 26. und 27.01.2006 mehrere Lagerungen der Bewohnerin P... nicht vorgenommen und die Maßnahmen dennoch in die Pflegedokumentation eingetragen hat. Das gilt selbst dann, wenn die Behauptung der Beklagten zu den unterlassenen Lagerungen und Falscheintragungen als zutreffend unterstellt wird. Es fehlt eine vergebliche Abmahnung. Zudem überwiegt das Bestandsinteresse der Klägerin, so dass die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin ausgeht.

aa) Der von der Beklagten vorgetragene Sachverhalt zur Eintragung mehrerer tatsächlich unterlassener Lagerungen ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund abzugeben. Grobe Vertrauensverstöße eines Arbeitnehmers können grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen (BAG 10.02.1999 - 2 ABR 31/98 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 42). Das gilt nicht nur bei Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Zeiterfassung; auch das vorsätzlich falsche Ausstellen von Dokumentationen und entsprechender Formulare kann ebenso wie sonstige unrichtige Angaben in Tätigkeitsberichten grundsätzlich eine Kündigung rechtfertigen (BAG 24.11.2005 - 2 AZR 39/05 - NZA 2006, 484). Daneben können ausnahmsweise auch Schlechtleistungen eines Arbeitnehmers zu einer außerordentlichen Kündigung führen, etwa dann, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich handelt und die Schlechtleistung absichtlich erfolgt. Unter Umständen kann sogar ein einmaliges, fahrlässiges Verhalten bei einem gehobenen Angestellten mit besonderer Verantwortung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn das Verhalten des Angestellten geeignet ist, einen besonders schweren Schaden herbeizuführen und bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ähnliche Fehlleistungen durch den Arbeitnehmer zu befürchten sind (BAG 14.10.1965 - 2 AZR 466/64 - AP BetrVG 1952 § 66 Nr. 27).

Die Unterlassung von Pflegemaßnahmen wie der Lagerung stellt eine Pflichtverletzung dar, denn die Durchführung dieser Maßnahmen bildet den Kern der vertraglich geschuldeten Leistung einer Pflegekraft. Werden nicht erbrachte Pflegemaßnahmen in die Pflegedokumentation eingetragen, begründet dies regelmäßig eine erhebliche Pflichtverletzung. Denn die Betreiberin der Einrichtung, hier die Beklagte, ist auf eine korrekte Ausführung der Maßnahmen und Führung der Pflegedokumentation angewiesen.

bb) Dennoch berechtigt das von Fehlverhalten der Klägerin am 26. und 27.01.2006 nicht zur außerordentlichen Kündigung, selbst wenn es sich so zugetragen haben sollte, wie von der Beklagten behauptet. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hätte eine vergebliche Abmahnung erfordert. Der Beklagten war die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht unzumutbar. Im Ergebnis überwiegt das Bestandsinteresse der Klägerin das Beendigungsinteresse der Beklagten.

(1) Pflichtwidrigkeiten im Leistungs- oder Verhaltensbereich muss grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen, ehe sie zum Anlass einer fristlosen Kündigung genommen werden können. Das Abmahnungserfordernis folgt für das Arbeitsverhältnis aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip (s.a. § 314 Abs. 2 BGB). Eine Abmahnung ist erforderlich, wenn es sich um ein steuerbares Verhalten handelt, das bisherige vertragswidrige Fehlverhalten noch keine klare Negativprognose zulässt und deswegen von der Möglichkeit zukünftigen vertragsgerechten Verhaltens ausgegangen werden kann (BAG 27.04.2006 - 2 AZR 415/05 - NZA 2006, 1033). Regelmäßig wird nämlich erst nach einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht vertragstreu verhalten wird. Ein Arbeitnehmer, dem wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens gekündigt werden soll, ist grundsätzlich zunächst abzumahnen, und zwar auch, wenn sich das Fehlverhalten vornehmlich im Vertrauensbereich auswirkt, soweit es um ein steuerbares Verhalten geht. Mit dem Erfordernis einer einschlägigen Abmahnung vor Kündigungsausspruch soll vor allem dem Einwand des Arbeitsnehmers begegnet werden, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht erkennen bzw. nicht damit rechnen können, der Arbeitgeber werde sein vertragswidriges Verhalten als kündigungsbegründend ansehen. Dementsprechend bedarf es einer Abmahnung, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (BAG 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 - NZA 2006, 98).

Unter den gegebenen Umständen war eine Abmahnung der Klägerin zu vertragsgerechtem Verhalten nicht entbehrlich. Sowohl bei der Durchführung von Lagerungen als auch der Eintragungen in die Pflegedokumentation handelt es sich um steuerbares Verhalten der Klägerin. Die Berufungskammer ist der Überzeugung, dass eine einschlägige Abmahnung bei der Klägerin den gewünschten Erfolg haben würde. Sie wäre das geeignete Mittel, sowohl eine Änderung des Verhaltens der Klägerin als auch eine Wiederherstellung der erforderlichen Eignung und Zuverlässigkeit für die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung herbeizuführen. Die Klägerin hat in der Vergangenheit ihre Tätigkeiten in der Pflege beanstandungsfrei durchgeführt. Der von der Beklagten erhobene Vorwurf beschränkt sich auf Fehlverhalten in zwei Schichten. Die Klägerin hat in der Vergangenheit und insbesondere durch die überobligatorische Pflege der Bewohnerin P... erkennen lassen, dass sie ihre Aufgaben ernst nimmt. Sie hat keinen Zweifel daran gelassen, dass Lagerungen von bettlägerigen Patienten zwingend erforderlich sind und eine korrekte Führung der Pflegedokumentation unabdingbar ist. Unter diesen Umständen konnte der Beklagte nicht davon ausgehen, dass der Ausspruch einer Abmahnung der Klägerin erfolglos sein würde. Mit weiteren erheblichen Pflichtverletzungen seitens der Klägerin musste er nicht rechnen.

(2) Nach allseitiger Abwägung der beiderseitigen Interessen berechtigt das behauptete Fehlverhalten der Klägerin nicht zur außerordentlichen Kündigung. Der Beklagten war die Weiterbeschäftigung der Klägerin jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar.

Zugunsten der Beklagten waren die Schwere der Pflichtverletzungen und deren Auswirkungen zu berücksichtigen. Die Berufungskammer geht mit der Beklagten davon aus, dass das Unterlassen von Lagerungen bei bettlägerigen Patienten früher oder später zu einem Dekubitus führt. Aus diesem Grund liegt es nahe, dass unterlassene Lagerungen für die Entstehung der Dekubiti der Bewohnerin P... (mit) ursächlich geworden sind. Fern liegt es allerdings, der Klägerin die alleinige Verantwortung für die Hautverletzungen zuzuweisen. Unstreitig befand sich die Bewohnerin P... in einem schlechten Gesundheitszustand. Außerdem pflegte die Klägerin die Bewohnerin nicht allein. Sie arbeitete nur in einer von drei Schichten. Auf der Station waren mehr als 20 Pflegekräfte tätig. Ohne die gesundheitlichen Folgen der Pflichtverletzungen im Pflegebereich rechtlich zu relativieren, muss berücksichtigt werden, dass hier schon kleinste Mängel und Fehler schwerwiegende Auswirkungen haben können. Die hier stets gegebene Gefahr schwerer Schäden für Leib und Leben kann nach Auffassung der Berufungskammer nicht dazu führen, dass jeder Pflichtverletzung ein solches Gewicht beigemessen wird, dass stets das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers im Rahmen der Interessenabwägung überwiegt. Die Schwere der Pflichtverletzung kann nicht losgelöst von der - offensichtlich im Wesentlichen beanstandungsfreien - bisherigen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses betrachtet werden. Die Dauer der beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit ist selbst dann zu berücksichtigen, wenn die Kündigung auf ein deliktisches Verhalten zu Lasten des Arbeitgebers gestützt wird (BAG 13.12.1984 - 2 AZR 454/83 - AP BGB § 626 Nr. 81). Die Klägerin war bei Zugang der streitgegenständlichen Kündigung bereits mehr als fünf Jahre bei der Beklagten beschäftigt. Abmahnungen hat sie während dieser Zeit nicht erhalten. Auch sonst ist zu Fehlleistungen ihrerseits nichts vorgetragen oder ersichtlich.

Zu beachten ist ferner, dass es sich selbst nach dem Vortrag der Beklagten um ein auf zwei Schichten begrenztes Fehlverhalten der Klägerin gehandelt hat. Dieser Umstand ist deshalb besonders bedeutsam, weil die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat, dass sie die Bewohnerin P..., die schwerstpflegebedürftig war und sich in einem schlechten Allgemeinzustand befand, überobligatorisch gepflegt hat. Dem Vortrag der Klägerin, durch diese überobligatorische Pflege sei es ihr gelungen, den Allgemeinzustand der Patientin wesentlich zu verbessern, ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Gerade vor diesem Hintergrund ist auch kein Vorteilsstreben oder Eigennutz der Klägerin erkennbar, was auf eine besondere Verwerflichkeit hindeuten könnte.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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