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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 11.01.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 495/07
Rechtsgebiete: AGG, Richtlinie 97/80/EG, ZPO


Vorschriften:

AGG § 7 Abs. 1
AGG § 1
AGG § 22
Richtlinie 97/80/EG
ZPO § 114 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein

Beschluss

Aktenzeichen: 6 Sa 495/07

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein ... als Vorsitzenden am 11.01.2008 ohne mündliche Verhandlung

beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Durchführung der Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 21.11.2007 (3 Ca 1016 d/07) wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Durchführung der Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 21.11.2007 (3 Ca 1016 d/07). In dem zugrundeliegenden Verfahren stritten die Parteien um Zahlung einer Entschädigung wegen von der Klägerin behaupteter Benachteiligungen bei der Stellenbewerbung.

Die Beklagte berät Unternehmen in IT-Angelegenheiten. Sie schrieb im Internetportal des Hamburger Abendblatts je eine Stelle für einen "Softwareentwickler (m/w) Micro-soft.NET" und einen "Entwickler (m/w) ORACLEPL/SQL" aus. Wegen des Wortlauts der Stellenausschreibungen wird auf Bl. 3 und 4 d. A. verwiesen.

Die Klägerin ist Softwareentwicklerin und stammt aus Russland. Sie bewarb sich am 13.05.2007 per E-Mail auf die beiden von der Beklagten ausgeschriebenen Stellen. Wegen des Inhalts ihres Bewerbungsschreibens wird auf Bl. 2 d. A. verwiesen. Dieser E-Mail hatte sie als Anhang diverse Unterlagen beigefügt (vgl. Bl. 47 ff. d. A.).

Die Beklagte lud die Klägerin nicht zum Vorstellungsgespräch ein. Vielmehr erteilte sie ihr per E-Mail vom 18.06.2007 eine Absage, die wie folgt formuliert war:

"Sehr geehrte Frau M...,

besten Dank für Ihre Bewerbung und das damit verbundene Interesse an einer Zusammenarbeit mit unserem Unternehmen! Nach sorgfältiger Prüfung aller Bewerbungen und der bisher geführten Gespräche werden wir Ihnen keinen Arbeitsplatz in unserem Unternehmen anbieten können. Wir wünschen Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute!

Mit einem freundlichen Gruß"

Jedenfalls eine der beiden ausgeschriebenen Stellen hat die Beklagte mittlerweile besetzt, und zwar mit einem männlichen Bewerber.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, sie sei aufgrund ihrer Qualifikation für beide Stellen sehr gut geeignet. Dass sie keine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhalten habe, liege mit sehr großer Wahrscheinlichkeit daran, dass die Beklagte sie wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer Herkunft diskriminiert habe. Aufgrund ihrer Vorbildung, Berufserfahrung sowie fachlichen und sonstigen Eignung kämen als Ablehnungsgründe nur außerfachliche in Betracht. Die Klägerin hat gemeint, die Beklagte sei verpflichtet, ihr die Bewerbungsunterlagen der eingestellten und der zum Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerber sowie den Nachweis, dass die Beklagte niemanden für die weitere ausgeschriebene Stelle eingestellt hat, vorzulegen. Ferner müsse sie angeben, wie viele Männer und Frauen sie in der Softwareentwicklung beschäftige.

Wegen der Benachteiligung nach § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) müsse die Beklagte ihr 6 Monatsgehälter als Entschädigung zahlen. Das angemessene Monatsgehalt für einen Softwareentwickler belaufe sich auf etwa 3.000,- €.

Demgemäß hat die Klägerin erstinstanzlich die Zahlung einer Entschädigung von 18.000,- € beantragt. Ferner hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Bewerbungsunterlagen einschließlich Anschreiben und Arbeitsverträgen der anstatt der Klägerin als Softwareentwickler/in Microsoft.NET und als Entwickler/in ORACLE und PL/SQL eingestellten Bewerber vorzulegen.

Die Beklagte hat ihren Klagabweisungsantrag damit begründet, dass die Klage rechtsmissbräuchlich sei, weil die Klägerin mindestens vier Arbeitgeber mit entsprechenden Entschädigungsklagen überzogen habe. Sie, die Beklagte, habe die Klägerin nicht benachteiligt. Aus dem Bewerbungsanschreiben habe sie nur das Geschlecht der Klägerin, nicht aber deren Alter und Herkunft entnehmen können. Bereits nach dem Inhalt des Anschreibens sei die Klägerin nicht in die engere Wahl gezogen worden, und zwar nicht nur deshalb, weil sich die in dem Anschreiben genannten Kenntnisse der Klägerin überwiegend auf nicht mehr aktuelle Datenbanken und Programme bezogen hätten, sondern auch deshalb, weil sich aus einer anderen Bewerbung ergeben habe, dass der dann eingestellte Mitarbeiter in seiner bisherigen Tätigkeit genau in der von der Beklagten erwarteten Aufgabenkombination tätig gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin entgegen § 22 AGG keine Indizien bewiesen habe, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lasse. Ein Anspruch auf Vorlage der Bewerbungsunterlagen ergebe sich nicht aus dem Gesetz.

Das Urteil ist der Klägerin am 15.12.2007 zugestellt worden. Mit ihrem beim Landesarbeitsgericht am 16.12.2007 per Telefax eingegangenen Schriftsatz begehrt sie Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens.

Die Klägerin trägt vor, sie habe keine sachliche Absage erhalten und sei ohne fachliche Gründe abgewiesen worden. Sie habe belegt, dass sie für beide Stellen sehr gut passe. Dagegen habe die Beklagte nicht bewiesen, dass sie nicht diskriminiert habe. Das Arbeitsgericht habe gegen die Beweislast-Richtlinie des Europäischen Rats 97/80/EG vom 15.12.1997 verstoßen.

Die gemäß § 118 ZPO angehörte Beklagte hält die Entschädigungsklage der Klägerin für mutwillig. Aus dem Vortrag der Klägerin ergebe sich nicht der geringste Anhaltspunkt für die Berechtigung des Entschädigungsbegehrens.

II.

Die Prozesskostenhilfe ist zu versagen, denn die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 21.11.2007 (3 Ca 1016 d/07) hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 S. 1 ZPO.

1. Entgegen der Ansicht der Klägerin entfällt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Berufung nicht deshalb, weil die Berufungsgegnerin anwaltlich vertreten ist. Gemäß §119 Abs. 1 S. 2 ZPO ist in einem höheren Rechtszug nur dann nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat.

2. Die Entschädigungsklage hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Klägerin hat nicht im erforderlichen Umfang dargelegt, dass ihr Geschlecht, ihr Alter oder ihre Herkunft Grund für die Nichteinstellung waren.

a) Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Gegen dieses Verbot verstoßen auch Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts und des Alters.

b) Die Diskriminierungsmerkmale Herkunft, Geschlecht sowie Alter und die Maßnahme der Beklagten (Nichtberücksichtigung der Klägerin bei der Einstellung) sind unstreitig. Streitig ist allein, ob die Klägerin wegen eines oder mehrerer der genannten Merkmale nicht eingestellt worden ist.

c) Die Klägerin hat Indizien, die eine unzulässige Benachteiligung wegen dieser Merkmale vermuten lassen, weder schlüssig vorgetragen noch unter Beweis gestellt.

aa) Die Darlegungs- und Beweislast für Fälle des Verstoßes gegen das arbeitsrechtliche oder zivilrechtliche Benachteiligungsverbot regelt § 22 AGG. Danach reicht es in einem ersten Schritt aus, wenn die Partei, die sich auf eine Benachteiligung beruft, hier die Klägerin, "Indizien beweist", die eine Benachteiligung vermuten lassen. Das Gericht muss es für überwiegend wahrscheinlich halten, dass der Benachteiligungsgrund für die Benachteiligung ursächlich ist. In einem weiteren Schritt trägt die andere Partei, hier die Beklagte, die "Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat". Bewiesen werden muss daher zunächst, dass der Benachteiligte gegenüber einer anderen Person ungünstig behandelt worden ist. Damit allein ist aber ein Indiz für eine Ungleichbehandlung noch nicht bewiesen. Das ist erst der Fall, wenn ergänzend sog. Vermutungstatsachen vorgetragen werden, aus denen sich schließen lässt, dass die unterschiedliche Behandlung auf einem nach § 1 Abs. 1 AGG unzulässigen Grund beruht. Erst dann ist der Anscheinsbeweis erbracht und ein Indiz für die vermutete Benachteiligung bewiesen. Erklärungen "ins Blaue hinein" sind unzulässig und nicht geeignet, die Vermutung einer verbotenen Benachteiligung zu begründen (BT-Drs. 16/1780, S. 47).

bb) Unter Berücksichtigung dieser für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast maßgeblichen Grundsätze ist der Vortrag der Klägerin bereits nicht schlüssig. Sie hat keine Indizien vorgetragen, die eine unzulässige Benachteiligung vermuten lassen, geschweige denn solche unter Beweis gestellt. Bloße Behauptungen reichen nicht aus. Die Indizien selbst müssen substantiiert vorgetragen und ggf. bewiesen werden.

Die Tatsache, dass die Klägerin mehrere Benachteiligungsmerkmale im Sinne von § 1 AGG in sich trägt, reicht zur Darlegung der Anspruchsvoraussetzungen ebenso wenig aus, wie die bloße Behauptung, sie sei mit großer Wahrscheinlichkeit aufgrund dieser Merkmale benachteiligt worden. Ließe man eine solche Behauptung ausreichen, könnte jeder, der zu einer durch das Gesetz geschützten Personengruppe gehört und ein Merkmal, das nicht in die Entscheidung einfließen darf, erfüllt, ohne jeden weiteren Ansatzpunkt versuchen, seine angeblichen Rechte durchzusetzen (Bertzbach in Däubler/Bertzbach, AGG, § 22 Rn 30). Die ohne weitere Anhaltspunkte für ihre Richtigkeit in den Raum gestellte Vermutung, eine Benachteiligung sei "mit großer Wahrscheinlichkeit" auf eines oder mehrere der "verbotenen" Merkmale zurückzuführen, genügt den auf der ersten Stufe an den Vortrag des eine Benachteiligung Behauptenden zu stellenden Anforderungen nicht. Derartige "ins Blaue hinein" aufgestellten Behauptungen stellen generell keinen ausreichenden Tatsachenvortrag dar.

Die fraglichen Stellenausschreibungen der Beklagten sind nicht geeignet, die Vermutung einer unzulässigen Benachteiligung zu begründen. Beide Stellen sind geschlechtsneutral ausgeschrieben, schränken den Kreis möglicher Bewerber hinsichtlich des Alters nicht ein und sprechen auch sonst keine Kriterien im Sinne von § 1 AGG an.

Auch im Absageschreiben der Beklagten finden sich keine Anhaltspunkte auf die sich die Vermutung stützen ließe, die Klägerin sei benachteiligt worden. Die E-Mail ist in jeder Hinsicht neutral formuliert.

Selbst wenn mit der Klägerin davon ausgegangen wird, dass sie die für die ausgeschriebenen Stellen erforderliche Qualifikation besitzt, lässt sich daraus nicht auf eine Benachteiligung aus einem oder mehreren der in § 1 AGG genannten Gründe schließen. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, alle möglicherweise geeigneten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Er kann auch auf mitgeteilte zusätzliche Qualifikationen oder den äußeren Eindruck einer Bewerbung abstellen. Nach dem AGG ist eben nur untersagt, Bewerber wegen der in § 1 AGG genannten Merkmale schlechter zu behandeln als solche Bewerber, bei denen diese Merkmale nicht vorliegen.

Die Beobachtung der Klägerin, dass überwiegend Männer als Softwareentwickler tätig sind, mag durchaus zutreffen. Darauf lässt sich aber nicht die Vermutung stützen, die Beklagte habe die Klägerin im konkreten Fall wegen ihres Geschlechts benachteiligt.

Schließlich begründet auch der Umstand, dass die Beklagte die Klägerin nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hat, keine derartige Vermutung. Es gibt keinen generellen Anspruch für Bewerber bzw. Bewerberinnen darauf, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Folglich spricht die Nichteinladung für sich genommen nicht für eine Benachteiligung.

3. Auch die auf Vorlage von Bewerbungsunterlagen einschließlich Anschreiben und Arbeitsverträgen gerichtete Klage hat keine Aussicht auf Erfolg. Das AGG sieht einen solchen Anspruch nicht vor. Hierbei handelt es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers. Denn er hat in § 22 AGG einen anderen Weg gewählt, um die europarechtlichen Vorgaben der Beweislastrichtlinie 97/80 EG des Rats vom 15.12.1997 umzusetzen. Der Gesetzgeber hat sich für die oben (2. c) aa)) dargestellte Beweiserleichterung entschieden (vgl. Bauer/Göpfert/Krieger, ArbGG, § 22 Rn 11). Die Richtlinie 97/80 EG des Rates vom 15.12.1997 und auch die Richtlinie 2006/54/EG vom 05.07.2006 verlangen keinen Auskunftsanspruch. Die Bestimmungen fordern lediglich Beweiserleichterungen. Solche hat der Gesetzgeber in § 22 AGG vorgesehen. Sie genügen den europarechtlichen Vorgaoen (vgl. Hoentzsch, DB 2006, 2631).

Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine allgemeine Pflicht zur Auskunftserteilung berufen. Denn keine Partei ist gehalten, dem Gegner das Material für dessen Prozesssieg zu beschaffen (BAG 01.12.2004 - 5 AZR 664/03 - AP Nr. 38 zu § 242 BGB Auskunftspflicht). Es bestehen auch keine Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien, die es gebieten, dass die Beklagte der Klägerin - und konsequenterweise allen anderen Bewerbern - nach Treu und Glauben zur Auskunftserteilung über das Bewerbungsverfahren verpflichtet ist (vgl. eingehend LAG Hamburg 09.11.2007 - 3 Sa 102/07).



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