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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 09.07.2008
Aktenzeichen: 6 TaBV 03/08
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 8
BetrVG § 14a
BetrVG § 19
BetrVG § 20
1. Die - wenn auch rechtsirrige - Mitteilung an einen wahlberechtigten und wählbaren Arbeitnehmer, er sei leitender Angestellter und deshalb nicht wahlberechtigt bzw. wählbar, begründet eine unzulässige Wahlbehinderung, wenn die Mitteilung nicht eindeutig als eine unverbindliche Meinungsäußerung, sondern als Aufforderung oder Wunsch für ein bestimmtes Verhalten zu verstehen ist.

2. Die Wahlbehinderung kann durch jedermann, auch durch den zur Wahlversammlung nach § 14a Abs. 1 S. 1 BetrVG Einladenden, begangen werden.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Beschluss

Aktenzeichen: 6 TaBV 3/08

Verkündet am 09.07.2008

In dem Beschlussverfahren

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Anhörung der Beteiligten am 09.07.2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners (Betriebsrats) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 05.12.2007 - 5 BV 123/07 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl vom 13.06.2007.

Die Beteiligte zu 1. (Arbeitgeberin) betreibt in E. mit etwa 40 Arbeitnehmern einen Baumarkt. Der Beteiligte zu 3. war Marktleiter des Betriebs. Er schied zum 31.10.2007 aus den Diensten der Arbeitgeberin aus. Die Beteiligten zu 4. und 5. waren und sind Arbeitnehmer der Arbeitgeberin.

Im Betrieb der Arbeitgeberin, in dem es bisher keinen Betriebsrat gab, fand am 05.06.2007 um 18.00 Uhr auf Einladung der Gewerkschaft ver.di die erste Wahlversammlung im Rahmen des vereinfachten Wahlverfahrens für Kleinbetriebe gemäß § 14 a BetrVG statt. Wegen des Inhalts des Einladungsschreibens wird auf Anlage A 1 (= Bl. 6 f. d. A.) verwiesen. Die Wahlversammlung leitete die Gewerkschaftssekretärin Frau S. K.. Nach Begrüßung der Versammlungsteilnehmer fragte Frau K., ob leitende Angestellte anwesend sein. Sie wandte sich an den damaligen Marktleiter der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 3. Herrn D.. Über die Einzelheiten des Gesprächs zwischen Frau K. und dem Beteiligten zu 3. besteht Streit. Der Beteiligte zu 3., der unstreitig kein leitender Angestellter im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG war, verließ nach dem Gespräch die Wahlversammlung. Anschließend wurde ein Wahlvorstand gewählt. Dieser nahm Wahlvorschläge entgegen. Der Wahlvorstand erhielt von Frau K. in einem versiegelten Umschlag eine Wählerliste, auf der sich auch der Beteiligte zu 3. befand.

Die Betriebsratswahl fand am 13.06.2007 statt. Das Wahlergebnis wurde mit Schreiben vom 23.06.2007 durch Aushang bekannt gegeben (Anlage A 5 = Bl. 12 d. A.).

Die Arbeitgeberin und die Beteiligte zu 3. bis 5. leitete mit am 05.07.2007 7K.K.K.Arbeitgeberin die Beteiligten zu seineK.K.wK.K.Arbeitgeberin und die Beteiligten zu K.K.f (§ 87 Abs. 1 ArbGG) (§§ 87 Abs. 2 S. 1, 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S.1 ArbGG, 519, 520 ZPO)-Erfolg angefochten worden.

a) Die Arbeitgeberin und die Beteiligten zu 3. bis 5. haben die Betriebsratswahl form- und fristgerecht angefochten. Sie gehören zu dem nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigten Personenkreis. Hiernach sind neben der Gewerkschaft und dem Arbeitgeber auch mindestens 3 wahlberechtigte Arbeitnehmer zur Wahlanfechtung berechtigt. Zwar ist der Beteiligte zu 3. mittlerweile aus dem Betrieb ausgeschieden und somit nicht mehr wahlberechtigt; dieser nachträgliche Wegfall der Wahlberechtigung hat aber keinen Einfluss auf die Anfechtungsbefugnis (BAG 04.12.1986 a. a. O.). Erforderlich aber auch ausreichend ist, dass wenigstens 3 am Wahltag wahlberechtigte Arbeitnehmer das Wahlanfechtungsverfahren eingeleitet haben und dieses bis zum Zeitpunkt der Entscheidung betreiben (Richardi/Thüsing BetrVG 11. Aufl. § 19 Rn. 38 f.). Erst wenn alle die Wahlanfechtung betreibenden Arbeitnehmer endgültig ausscheiden, entfällt das Rechtsschutzinteresse, mit der Folge, dass das Wahlanfechtungsverfahren unzulässig wird.

Sowohl die Arbeitgeberin als auch die Beteiligten zu 3. bis 5. haben mit ihren am 05.07.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anträgen die 2-wöchige Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG gewahrt. Das Wahlergebnis war keine 2 Wochen vorher bekannt gegeben worden, nämlich am 23.06.2007.

b) Die Wahl des Betriebsrats vom 13.06.2007 ist gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Nach dieser Vorschrift kann die Wahl beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

aa) Die Wählbarkeit ist in § 8 BetrVG geregelt. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift kann in der Nichtzulassung eines Wählbaren zur Wahl liegen (BAG 15.12.1972 - 1 ARB 8/72 - BAGE 24, 480; 14.05.1997 - 7 ABR 26/96 - AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6). Das passive Wahlrecht erfährt weiterhin Schutz durch § 20 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Danach darf kein Arbeitnehmer in der Ausführung des aktiven oder passiven Wahlrechts beschränkt werden. Verboten ist jede Maßnahme, die darauf gerichtet ist, einen Wahlberechtigten in der Ausübung von Wahlbefugnissen im weitesten Sinne zu beschränken. Das Verbot richtet sich gegen jedermann, also nicht nur gegen den Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer des Betriebs, sondern auch gegen Außenstehende (Fitting 24. Aufl. § 20 Rn. 5). Verstöße gegen § 20 Abs. 1 BetrVG können zur Wahlanfechtung führen (Fitting a. a. O. Rn. 31).

bb. Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Versammlungsleiterin Frau K. den Beteiligten zu 3. in der Ausübung seines passiven Wahlrechts beschränkt. Sie hat zwar nicht unmittelbar über die Zulassung zur Wahl entschieden. Frau K. hat den Beteiligten zu 3. aber zu Beginn der Wahlversammlung, noch vor Wahl des Wahlvorstands, wegen seiner vermeidlichen Stellung als leitender Angestellter aufgefordert die Versammlung zu verlassen. Dem hatte der Beteiligte zu 3. Folge zu leisten, denn Frau K. übte zu diesem Zeitpunkt das Hausrecht aus. Die Versammlungsleitung hat das Hausrecht bis zur Wahl eines Wahlleiters für die Wahl des Wahlvorstands inne. Auf diese Weise hat Frau K. verhindert, dass der Beteiligte zu 3. auf der Versammlung am 05.06.2007 als Kandidat für den Wahlvorstand und/oder den Betriebsrat vorgeschlagen werden konnte.

(1) Die - wenn auch rechtsirrige - Mitteilung an einen wahlberechtigten und wählbaren Arbeitnehmer, er sei leitender Angestellter und deshalb nicht wahlberechtigt bzw. wählbar, begründet eine unzulässige Wahlbehinderung, wenn die Mitteilung nicht eindeutig als eine unverbindliche Meinungsäußerung, sondern als Wunsch oder Aufforderung für ein bestimmtes Verhalten zu verstehen ist (für den Fall der Mitteilung durch den Arbeitgeber: LAG Hamm 27.04.1972 - 8 Ta BV 5/72 - DB 1972, 1297; LAG Baden-Württemberg 31.05.1972 - 4 Ta BV 1/72 - DB 1972, 1392; Richardi/Thüsing BetrVG 11. Aufl. § 20 Rn. 11; Fitting 24. Aufl. § 20 Rn. 18). Derartige Mitteilungen sind geeignet, die betroffenen Mitarbeiter von der Beteiligung an der Wahl abzuhalten.

Nicht entscheidend ist, dass sich im vorliegenden Fall weder der Wahlvorstand noch die Arbeitgeberin, sondern die zur Versammlung einladende Frau K. zum Status des Beteiligten zu 3. und zu seinem Recht, an der Wahlversammlung teilzunehmen, geäußert hat. Das Verbot der Wahlbehinderung richtet sich - wie oben ausgeführt - gegen jedermann. Hier hat die Gewerkschaftssekretärin K. als Versammlungsleiterin die Frage des Status des Beteiligten zu 3. angesprochen und dazu Stellung genommen. Dies hat sie mit der Konsequenz verknüpft, dass er als leitender Angestellter an der Versammlung nicht teilnehmen dürfe. Ihr Verhalten war somit zumindest mitursächlich dafür, dass der Beteiligte zu 3. die Versammlung noch vor der Wahl des Wahlvorstands und vor Entgegennahme der Wahlvorschläge verlassen hat. Das war den insoweit übereinstimmenden Bekundungen der Beteiligten in der Beschwerdeverhandlung zu entnehmen. Es war Frau K., die sich an den Beteiligten zu 3. gewandt und ihn gefragt hat, ob er leitender Angestellter sei. Falls ja, dürfe er an der Versammlung nicht teilnehmen. Die darauf geführte Diskussion über den Status des Beteiligten zu 3. endete damit, dass dieser unzutreffender Weise als leitender Angestellter qualifiziert wurde. Sodann hat ihn Frau K. gebeten, den Saal zu verlassen. Denkt man ihren Beitrag hinweg, hätte erst der Wahlvorstand den Status des Beteiligten zu 3. beurteilen müssen. Es bestand überhaupt keine Veranlassung, dass bereits Frau K. eine "Vorprüfung" in die Wege leitet, verbunden mit der Konsequenz, die weitere Teilnahme an der Versammlung nicht zuzulassen. Richtigerweise hätte sie dies dem Wahlvorstand überlassen, der sodann auf Grundlage der von der Arbeitgeberin gefertigten Wählerliste und ggf. durch Rückfragen bei der Arbeitgeberin die Frage zu beurteilen gehabt hätte. Auf dieser Liste war der Beteiligte zu 3. im übrigen als wahlberechtigter und wählbarer Arbeitnehmer aufgeführt.

(2) Der Umstand, dass die Wahlbehinderung durch Frau K. außerhalb des eigentlichen Wahlverfahrens stattgefunden hat, nämlich vor Erlass des Wahlausschreibens und sogar vor Wahl des Wahlvorstands, steht der Annahme eines die Wahlanfechtung begründenden Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht entgegen. Das Verbot der Wahlbehinderung ist auch außerhalb des Wahlverfahrens zu beachten. Es schützt vor jeder Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts. Auf den Zeitpunkt der Maßnahme kommt es nicht an.

(3) Die Wahlbehinderung ist auch dann verboten und begründet die Anfechtung der Wahl, wenn sie unabsichtlich erfolgt. Nicht erforderlich ist, dass der Fehler bewusst und gewollt herbeigeführt wird. Es genügt, dass die Behinderung objektiv eingetreten ist. Demnach war nicht entscheidend, ob Frau K. den Beteiligten zu 3. in der Ausübung seines passiven Wahlrechts tatsächlich behindern wollte. Für die Anfechtung ist entscheidend, dass tatsächlich eine Behinderung eingetreten ist.

(4) Der Betriebsrat kann nicht mit Erfolg geltend machen, der Beteiligte zu 3. hätte nach der Wahl des Wahlvorstands in die Versammlung zurückkehren können, um seine Wahlberechtigung und Wählbarkeit einzufordern. Auf die Beurteilung von Frau K. und die damit verbundene Konsequenz - Ausschluss aus der Versammlung - durfte der Beteiligte zu 3. vertrauen. Das mit ihr erzielte Einvernehmen war geeignet und ausreichend, ihn von einer weiteren Beteiligung an der Versammlung und der Wahl abzuhalten. Hinzu kommt, dass nach dem Vortrag des Betriebsrats der Beteiligte zu 3. die Versammlung auch im Einvernehmen mit den anderen Versammlungsteilnehmern verlassen hat. Es bestand insoweit überhaupt keine Veranlassung für ihn, die Versammlung nochmals aufzusuchen und die Frage seines Status nunmehr mit dem Wahlvorstand zu diskutieren.

(5) Der Annahme einer Wahlbehinderung steht nicht entgegen, dass die Möglichkeit bestanden hätte, einen schriftlich vorbereiteten Wahlvorschlag einzureichen und dem Beteiligten zu 3. auf diese Weise die Ausübung seines passiven Wahlrechts zu ermöglichen. Richtig ist, dass beim Wahlvorstand bereits zuvor gefertigte schriftliche Vorschläge eingereicht werden können. Hierauf müssen sich die Beteiligten zu 3. bis 5. aber nicht verweisen lassen. Auch, oder gerade weil sie einen solchen schriftlichen Vorschlag nicht vorbereitet hatten, hätten sie den Beteiligten zu 3. auf der Wahlversammlung zur Wahl des Wahlvorstands bis zu deren Ende noch mündlich vorschlagen können, § 14 a Abs. 2 BetrVG. Die Wahlbehinderung liegt im vorliegenden Fall gerade darin, dass diese Möglichkeit ausgeschlossen worden ist. Nach dem Ende der Wahlversammlung konnten keine Wahlvorschläge mehr gemacht werden.

c) Das Arbeitsgericht hat zutreffend bejaht, dass das Wahlergebnis durch den Wahlfehler möglicherweise beeinflusst worden ist. Nicht entscheidend ist, dass das Ergebnis tatsächlich geändert wurde. Es reicht aus, wenn es durch den Wahlfehler objektiv beeinflusst werden konnte (BAG 14.09.1988 - 7 ABR 93/87 - AP BetrVG 1972 § 16 Nr. 1). Wird ein Arbeitnehmer als nicht wählbar zurückgewiesen und besteht die Möglichkeit, dass er sich um einen Sitz im Betriebsrat beworben hätte, ist die erforderliche Kausalität zu bejahen (BAG 28.04.1964 - 1 ABR 2/64 - BAGE 16, 8, 21). In gleicher Weise kann das Wahlergebnis beeinflusst sein, wenn die Ausübung des passiven Wahlrechts - wie im vorliegenden Fall - durch Wahlbehinderung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verhindert wird. Der Beteiligte zu 3. konnte sich nicht selbst vorschlagen. Er wäre von den Beteiligten zu 4. und 5. bei seiner Bewerbung unterstützt worden.

3. Die Rechtsbeschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden.

Ende der Entscheidung

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