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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 18.07.2007
Aktenzeichen: 6 TaBV 31/06
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 99 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 256 Abs. 1
In der Erhöhung des vertraglich vereinbarten Arbeitszeitvolumens kann eine Einstellung im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gesehen werden, wenn sie nach Umfang und Zeitdauer als nicht unerheblich angesehen werden muss. Als dem Umfang nach nicht unerheblich ist eine Erhöhung der Arbeitszeit eines bereits beschäftigten Arbeitnehmers um mehr als 10 Stunden in der Woche anzusehen.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Beschluss

Aktenzeichen: 6 TaBV 31/06

Verkündet am 18.07.2007

Im Beschlussverfahren

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Anhörung der Beteiligten am 18.07.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter .... als Beisitzer

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Flensburg vom 12.05.2006 - 1 BV 7/06 - teilweise abgeändert: Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 2. den Antragsteller nach § 99 BetrVG zu beteiligen hat, bevor sie die Arbeitszeit der Arbeitnehmer, die als Stundenlöhner und/oder Teilzeitkraft beschäftigt werden, von 20 Stunden pro Woche auf 37,5 Stunden pro Woche arbeitsvertraglich erhöht bzw. tatsächlich mit der erhöhten Arbeitszeit beschäftigt, sofern die Dauer der Arbeitszeiterhöhung einen Monat übersteigt.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei Erhöhung der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit von Teilzeitkräften ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG besteht.

Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin (Arbeitgeberin) betreibt Bekleidungsgeschäfte. Antragsteller ist der für die Niederlassung F... gewählte Betriebsrat (Betriebsrat). In der F... Filiale sind etwa 38 Arbeitnehmer beschäftigt.

Diese arbeiten auf der Grundlage unterschiedlicher Arbeitsverträge. So gibt es Arbeitsverträge für Vollzeitarbeitnehmer, Teilzeitarbeitnehmer, und Jahreszeitarbeitnehmer. In der Niederlassung sind auch geringfügig Beschäftigte und so genannte Stundenlöhner tätig. Verträge werden sowohl befristet als auch unbefristet geschlossen. Die wöchentliche Mindeststundenzahl beträgt derzeit 8 Stunden.

Der Betriebsrat teilte mit Schreiben vom 06.08.2003 (Anlage AST 1 = Bl. 6 d.A.) der Arbeitgeberin Folgendes mitgeteilt:

"Liebe M...,

Der Betriebsrat hat in seiner Sitzung am 05.08.03 gemäß § 93 BetrVG beschlossen, dass Arbeitsplätze, die in unserer Filiale neu zu besetzen sind vor ihrer Besetzung innerhalb des Betriebes ausgeschrieben werden sollen. Wir wollen damit erreichen, dass unsere eigenen Mitarbeiter so verstärkt auf mögliche Chancen der Veränderung und Alternativen aufmerksam gemacht werden und diese dadurch noch besser für sich nutzen können".

Mit Antrag vom 28.12.2005 bat die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur befristeten Einstellung von Frau Stefanie P... als Teilzeitkraft mit 20 Stunden/Woche und dem Zusatz "SDL" (Anlage AST 2 = Bl. 7 f.). Der Betriebsrat stimmte der Einstellung zu.

Nachdem Frau P... zwei Wochen tätig war, stockte die Arbeitgeberin die wöchentliche Arbeitszeit für einen Zeitraum von zwei Monaten von 20 auf 37,5 Stunden auf. Dies teilte sie dem Betriebsrat lediglich mit, ohne ein Verfahren gemäß § 99 BetrVG einzuleiten. Hintergrund der Maßnahme war ein personeller Engpass, der durch ein gegenüber der Filialassistentin ausgesprochenes Beschäftigungsverbot entstanden war.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass er in Fällen, in denen die wöchentliche Arbeitszeit eines Teilzeitbeschäftigten um mindestens 8 Stunden erhöht wird, gemäß § 99 BetrVG zu beteiligen sei, wenn die Arbeitszeiterhöhung einen Monat übersteigt. Zur Begründung hat er sich insbesondere auf die Entscheidung des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2005 (1 ABR 59/03) berufen und beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller nach § 99 BetrVG zu beteiligen hat, bevor sie die Arbeitszeit der Arbeitnehmer, die als "Stundenlöhner" und/oder Teilzeitkraft beschäftigt werden, um 8 Stunden je Woche arbeitsvertraglich erhöht bzw. tatsächlich mit der erhöhten Arbeitszeit beschäftigt, sofern die Dauer der Arbeitszeiterhöhung einen Monat übersteigt.

Hilfsweise

2. Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller nach § 99 BetrVG zu beteiligen hat, bevor sie die Arbeitszeit der Arbeitnehmer, die als "Stundenlöhner" oder/und Teilzeitkraft beschäftigt werden, um 8 Stunden je Woche arbeitsvertraglich erhöht bzw. tatsächlich mit der erhöhten Arbeitszeit beschäftigt, sofern die Dauer der Arbeitszeiterhöhung einen Monat übersteigt und die Antragsgegnerin die dadurch besetzte Stelle zuvor nach § 93 BetrVG ausgeschrieben hat oder der Antragsteller eine Ausschreibung nach § 93 BetrVG verlangt hat.

Die Arbeitgeberin hat zur Begründung ihres Zurückweisungsantrags die Ansicht vertreten, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 99 BetrVG bestehe in diesen Fällen nicht. Die Entscheidung des 1. Senats vom 25.01.2005 sei unzutreffend und nicht überzeugend. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass ein Zustimmungsverweigerungsgrund in Betracht kommen könne.

Wegen der Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts und des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf Teil I der Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen (dort S. 3 - 5 = Bl. 56 - 58 d.A.).

Das Arbeitsgericht hat nach dem Hauptantrag des Betriebsrats erkannt. Es hat den Antrag für zulässig gehalten und das Feststellungsinteresse bejaht, weil die Frage, ob es sich bei einer Erhöhung der Wochenarbeitszeit um eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme handelt, häufiger im Betrieb auftrete und sich jederzeit wieder stellen könne. Der Antrag sei begründet, denn der Arbeitgeber sei auch dann zu beteiligen, wenn die neu zu besetzende Stelle nicht ausgeschrieben werde. Weil im Betrieb der Arbeitgeberin nach dem derzeit geltenden Arbeitszeitmodell mindestens 8 Stunden pro Woche zu arbeiten seien, müsse der Betriebsrat bei einer Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit zumindest dann beteiligt werden, wenn die Arbeitgeberin darüber entscheide, ob infolge der geplanten Erhöhung der Arbeitszeit ein neuer Arbeitsplatz geschaffen oder die Stundenzahl für bereits beschäftigte Arbeitnehmer erhöht werden soll.

Die Arbeitgeberin hat gegen diesen ihr am 28.06.2006 zugestellten Beschluss am 26.07.2006 Beschwerde eingelegt und diese am 28.08.2006 begründet. Mit ihrer Beschwerde verfolgt sie ihr Zurückweisungsbegehren weiter. Sie hält die Anträge für nicht hinreichend bestimmt und daher für unzulässig. Es sei nicht erkennbar, zu welchem Zeitpunkt der Betriebsrat beteiligt werden will.

Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht auf die Fälle beschränkt, in denen die Arbeitgeberin die betreffende Stelle zuvor innerbetrieblich ausgeschrieben bzw. der Betriebsrat eine solche Ausschreibung gem. § 93 BetrVG zu recht verlangt hat.

Nicht jede Arbeitszeiterhöhung um 8 Stunden sei mit der Besetzung eines freien Arbeitsplatzes gleichzusetzen. Auch nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.01.2005 müsse ein freier Arbeitsplatz bestehen, der durch die Erhöhung der Wochenarbeitszeit eines Mitarbeiters besetzt wird. Das ergebe sich aber nicht aus der Erhöhung der Wochenstundenzahl, sondern aus anderen Umständen. Schließlich sei der Sachverhalt mit dem vom Bundesarbeitsgericht und verschiedenen Landesarbeitsgerichten beurteilten Sachverhalten nicht vergleichbar. Dem Ausgangsfall habe nämlich ein Teilzeitarbeitsvertrag mit flexibler Arbeitszeit zugrunde gelegen. Unter diesen Umständen könne die Erhöhung der Arbeitszeit keine Einstellung sein.

Die Arbeitgeberin beantragt unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Flensburg vom 12.05.2006, Az. 1 BV 7/06, die Anträge des Betriebsrats zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen sowie hilfsweise

es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller nach § 99 BetrVG zu beteiligen hat, bevor sie die Arbeitszeit der Arbeitnehmer, die als "Stundenlöhner" oder/und Teilzeitkraft beschäftigt werden, von 20 Stunden/Woche auf 37,5 Stunden/Woche arbeitsvertraglich erhöht bzw. tatsächlich mit der erhöhten Arbeitszeit beschäftigt, sofern die Dauer der Arbeitszeiterhöung einen Monat übersteigt.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Hilfsantrag des Betriebsrats zurückzuweisen.

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Das Arbeitsgericht habe die aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgerichtig fortgeführt. Eine Einstellung im Sinne des § 99 BetrVG setze keine Ausschreibung oder ein Ausschreibungsverlangen voraus. Für die Beurteilung, ob eine Änderung des Arbeitszeitvolumens unbedeutend sei, müsse auf die geringste im Betrieb als Arbeitszeitmodell praktizierte Stundenzahl abgestellt werden. Damit werde auch die unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht verletzt, denn ihre Beschränkung durch die betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmung sei verfassungskonform.

Der Betriebsrat bestreitet, dass ihm im Anlassfall bei der Ersteinstellung bekannt war, dass mit der Mitarbeiterin P... ein Teilzeitarbeitsvertrag mit flexibler Arbeitszeit vereinbart werden sollte. Nach dem Zustimmungsersuchen sei es um eine Beschäftigung mit einer festen Arbeitszeit von 20 Wochenstunden gegangen.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschrift verwiesen.

II.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie nur teilweise Erfolg. Der Hauptantrag des Betriebsrats ist unzulässig. Hingegen ist der Hilfsantrag sowohl zulässig als auch begründet.

1. Nur der Hilfsantrag des Betriebsrats ist zulässig.

a. Die auf Feststellung gerichteten Anträge sind hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Ihnen kann entnommen werden, für welche Maßnahmen der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht geltend macht. Der Kreis der betroffenen Mitarbeiter ist mit "Arbeitnehmer, die als "Stundenlöhner" und/oder Teilzeitkraft beschäftigt werden" konkret und abgrenzbar beschrieben. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin kann den Anträgen auch entnommen werden, zu welchen Zeitpunkten der Betriebsrat beteiligt werden will. Den Anträgen lässt sich entnehmen, dass die Beteiligung erfolgen soll, bevor die Arbeitszeit arbeitsvertraglich erhöht wird. Das bedeutet, dass der Betriebsrat noch vor Einigung der Arbeitsvertragsparteien über die Erhöhung des Stundenvolumens über den Vorgang unterrichtet werden will. Daneben möchte er auch in den Fällen beteiligt werden, in denen die Arbeitgeberin Arbeitnehmer ohne entsprechende Vereinbarung mit erhöhten Stundenvolumen beschäftigt. In diesen Fällen will der Betriebsrat noch vor der (erstmaligen) Zuweisung des erhöhten Stundenkontingents beteiligt werden. Damit sind die Anträge auch in zeitlicher Hinsicht hinreichend bestimmt.

b. Nur der Hilfsantrag genügt den Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO. Dem Hauptantrag fehlt dagegen das Feststellungsinteresse.

Die Beteiligten streiten jeweils um die Frage, wann eine mitbestimmungspflichtige Einstellung vorliegt und damit um die Reichweite eines Mitbestimmungsrechts nach § 99 BetrVG. Daher ist ein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis zwischen ihnen betroffen.

Das erforderliche Feststellungsinteresse ist allein für den Hilfsantrag gegeben. Im Beschlussverfahren können das Bestehen, der Inhalt oder der Umfang eines Mitbestimmungsrechts losgelöst von einem konkreten Ausgangsfall geklärt werden, wenn die Maßnahme, für die ein Mitbestimmungsrecht in Anspruch genommen wird, häufiger im Betrieb auftritt und sich auch künftig jederzeit wiederholen kann. Eine gerichtliche Entscheidung ist unter dieser Voraussetzung in der Lage, das betreffende Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten umfassend zu klären und seinen Inhalt auch für die Zukunft hinreichend konkret festzustellen (BAG 25.01.2005 - 1 ABR 59/03 - NZA 2005, 945 m.w.N.).

Die zur Klärung gestellte Rechtsfrage muss allerdings durch den konkreten Anlass als entscheidungserheblich aufgeworfen werden, also hinter dem Anlass gebenden Vorgang stehen (BAG 11.07.1990 - 7 ABR 23/89 - BAGE 65, 270; BVerwG 08.10.1997 - 6 P 9.95 - BVerwGE 105, 247). Das ist nur der Fall, wenn sie künftige Sachverhalte betrifft, die in ihren Grundzügen dem Sachverhalt des Anlass gebenden konkreten Vorgangs entsprechen und im wesentlichen dieselben Rechtsfragen aufwerfen (BVerwG 23.03.1999 - 6 P 10/99 - BVerwGE 108, 347). Diese Voraussetzung ist hingegen nicht erfüllt, wenn es um Rechtsfragen geht, die sich auf Sachverhalte beziehen, die zwar in einem weiteren inhaltlichen Zusammenhang mit dem Anlass gebenden Vorgang stehen, aber über die durch ihn ausgelöste Frage hinausreichen, indem sie zu neuen, bisher nicht entscheidungserheblichen Rechtsfragen führen.

Im vorliegenden Fall war die Arbeitszeit der Mitarbeiterin P... befristet für zwei Monate von 20 auf 37,5 Stunden aufgestockt worden. Diese Maßnahme hat sich erledigt. Mittlerweile ist Frau P. unbefristet mit einer Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden beschäftigt.

Auch künftig sind Erhöhungen des dem Betriebsrat ursprünglich mitgeteilten Arbeitszeitvolumens der bei der Arbeitgeberin beschäftigten Stundenlöhner und/oder Teilzeitkräfte zu erwarten. Das betrifft insbesondere Situationen, wie sie dem Anlass gebenden Fall zugrunde lagen. Die Arbeitgeberin hat nicht erläutert, wie sie künftig bei personellen Engpässen verfahren will. Sie hat vielmehr im Beschwerdetermin deutlich gemacht, dass sie bei Bedarf auch in der Zukunft die Stundenkontingente der im Antrag genannten Mitarbeitergruppen "nach oben" anpassen will, insbesondere wenn der Arbeitsvertrag - wie im Anlassfall - eine Arbeitszeiterhöhung zulässt. Deshalb kann die abstrakte Rechtsfrage, ob die Erhöhung einer Teilzeitbeschäftigung von 20 auf 37,5 Wochenstunden für die Dauer von mehr als einem Monat der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt, im Beschlussverfahren geklärt werden. Die dem Hauptantrag zugrunde liegende Frage, ob (bereits) die Erhöhung um 8 Wochenstunden der Mitbestimmung unterliegt, geht dagegen über die sich aus Anlass des konkreten Falles "P..." ergebende verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage hinaus. Der Betriebsrat kann nach den dargestellten Grundsätzen in dem Verfahren nicht allgemein ausloten, unter welchen Umständen die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit einer Teilzeitkraft mitbestimmungspflichtig ist.

c. Die Antragserweiterung um den im Beschwerdetermin gestellten Hilfsantrag ist zulässig. Der Umstand, dass der Betriebsrat diesen Antrag im Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht zurückgenommen hatte, steht nicht entgegen. Auch im Beschlussverfahren kann bei Rücknahme eines von mehreren Anträgen in erster Instanz der Antrag in zweiter Instanz grundsätzlich erneut gestellt werden (BAG 12.11.2002 - 1 ABR 60/01 - BAG 103, 329). Die hierin liegende Antragsänderung ist sachdienlich im Sinne von § 81 Abs. 3 ZPO. Sachdienlichkeit ist gegeben, wenn der bisherige Streitstoff und das Ergebnis des bisherigen Verfahrens auch für die Entscheidung über den geänderten Antrag nutzbar gemacht werden können und wenn der Streit der Beteiligten mit einer Entscheidung über den geänderten Antrag beigelegt werden kann und ein weiteres Verfahren vermieden wird. Das ist hier der Fall. Der Hilfsantrag war bereits vor dem Arbeitsgericht angekündigt aber im Anhörungstermin zurückgenommen worden. Die Beteiligten haben den für die Entscheidung über den Hilfsantrag erforderlichen Vortrag bereits im ersten Rechtszug geleistet. Über den Antrag kann ohne weiters entschieden werden. Im übrigen gilt die Zustimmung der Arbeitgeberin zur Antragsänderung als erteilt, weil sie sich in der mündlichen Verhandlung im Beschwerdetermin auf den Antrag eingelassen hat.

2. Der Hilfsantrag ist begründet. Die Erhöhung der vertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit von 20 auf 37,5 Stunden muss nach ihrem Umfang als wesentlich angesehen werden und stellt bei einer Dauer von mehr als einem Monat eine Einstellung im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dar.

a. Eine Einstellung kommt nicht nur bei der erstmaligen Eingliederung eines Mitarbeiters in den Betrieb in Betracht. Auch in der Erhöhung des vertraglich vereinbarten Arbeitszeitvolumens liegt eine Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, wenn sie nach Umfang- und Zeitdauer als nicht unerheblich anzusehen ist. Das hat der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Beschluss vom 25.01.2005 (a.a.O.) entschieden und ist damit der vom Bundesverwaltungsgericht zu § 75 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG vertretenen Ansicht gefolgt (BVerwG 23.03.1999 - 6 P 10/97 - BVerwGE 108, 347; 02.06.1993 - 6 P 3.92 - BVerwGE 92, 295).

Das Beschwerdegericht schließt sich dieser Auffassung trotz der in der Literatur an der Entscheidung vom 25.01.2005 geäußerten Kritik (vgl. Hunold, NZA 2005, 910; Kort, Anmerkung zu AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 114; Thüsing/Fuhlrott Anmerkung zu EzA § 99 BetrVG 2001 Einstellung Nr. 3) und der von der Arbeitgeberin vorgebrachten Argumente an (zustimmend auch Müller, AiB 2006, 386; Brors, SAE 2006, 80).

Der Kritik ist zuzugeben, dass nach dem umgangssprachlichen Wortsinn als Einstellung nur die erstmalige Begründung eines Arbeitsverhältnisses angesehen wird. Der Wortlaut ist aber nicht abschließend; er lässt auch andere Deutungen zu (vgl. Brors aaO.). Wird die Einstellung etwa im Sinne einer Eingliederung in den Betrieb verstanden, so erlangt das zeitliche Ausmaß des zugewiesenen Arbeitszeitvolumens für die Begriffsbestimmung Bedeutung. Denn die bisherige Eingliederung in den Betrieb ändert sich gerade durch eine Aufstockung des Arbeitszeitvolumens ggf. erheblich. Entscheidend sind die für dieses Begriffsverständnis sprechenden systematischen Gründe sowie der Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts gem. § 99 BetrVG. Die Erhöhung des bisherigen Arbeitszeitvolumens ist von der erteilten Zustimmung des Betriebsrats nicht gedeckt. Denn der Entscheidung des Betriebsrats über die Zustimmung zur Einstellung liegt stets der ihm bei der Ersteinstellung vorgesehene Arbeitszeitumfang zugrunde. Von diesem Umfang geht der Betriebsrat aus, wenn er prüft, ob Zustimmungsverweigerungsgründe vorliegen. Eine nicht unbedeutende Änderung des ursprünglichen Arbeitszeitvolumens muss deshalb zu einer erneuten Beurteilung führen. Es kommt zu einer (neuen) Auswahlentscheidung des Arbeitgebers, die er in Ansehung der Konkurrenzsituation zwischen den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern bzw. zwischen diesen und externen Bewerbern zu treffen hat. Zu bedenken ist ferner, dass das Mitbestimmungsrecht den Betriebsrat in die Lage versetzen soll, die Belange der schon beschäftigten Arbeitnehmer nach Maßgabe möglicher Zustimmungsverweigerungsgründe geltend zu machen. Die Belange der Belegschaft sind jedoch nicht nur bei der Ersteinstellung betroffen. Sie können in gleicher Weise berührt sein, wenn der Umfang der bisher vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit eines Arbeitnehmers nicht unbedeutend erhöht wird. Hier haben die bereits beschäftigten Arbeitnehmer ein besonderes Interesse daran, dass etwa Auswahlrichtlinien aber auch die in § 99 Abs. 2 Nr. 2 bis 6 BetrVG genannten Gesichtspunkte vom Arbeitgeber beachtet werden, wenn er entscheidet, ob er die Stunden betriebsintern oder auch extern vergibt.

b. Der 1. Senat hat in seinem zitierten Beschluss ausgeführt, dass nicht jede noch so geringe Arbeitszeiterhöhung des schon beschäftigten Arbeitnehmers das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG auslöst. Vielmehr muss es sich um eine sowohl nach Dauer als auch nach Umfang nicht unerhebliche Erweiterung des Volumens der arbeitsvertraglich geschuldeten regelmäßigen Arbeitszeit handeln.

aa. Der Senat hat die Frage beantwortet, von welcher Dauer an eine Erhöhung des Arbeitszeitvolumens eines schon beschäftigten Mitarbeiters eine neuerliche Einstellung darstellt. In Anlehnung an § 95 Abs. 3 BetrVG muss die Zeitspanne mehr als einen Monat betragen. Der Hilfsantrag des Betriebsrats berücksichtigt diese Monatsgrenze.

bb. Wann eine dem Umfang nach mehr als unerhebliche Arbeitszeiterhöhung vorliegt, ist nicht abschließend geklärt.

(1) Festzuhalten ist zunächst, dass eine dem Umfang nach nicht unerhebliche Erhöhung des Stundenvolumens stets dann anzunehmen ist, wenn der Arbeitgeber entweder den dadurch besetzten Arbeitsplatz tatsächlich ausgeschrieben hatte oder ihn wegen eines berechtigten Antrags des Betriebsrats nach § 93 BetrVG hätte ausschreiben müssen (BAG 25.01.2005 aaO.). In diesen Fällen kommt es nicht darauf an, in welchem zeitlichen Umfang die Arbeitsplätze ausgeschrieben worden sind bzw. hätten ausgeschrieben werden müssen. Entscheidend ist, dass der Arbeitgeber beabsichtigt, neue oder frei werdende Arbeitsplätze zu besetzen und das auch zum Ausdruck bringt (z.B. durch Anfrage bei der Agentur für Arbeit oder durch Stellenanzeige).

(2) Ausdrücklich offen gelassen hat der 1. Senat im Beschluss vom 25.01.2005 die Frage, ob in der Erhöhung der Arbeitszeit eines schon beschäftigten Arbeitnehmers von einem bestimmten absoluten Umfang an auch unabhängig von einer Ausschreibung oder einem berechtigten Ausschreibungsverlangen eine Einstellung liegt. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass die Aufstockung der Arbeitszeit unabhängig von einer Ausschreibung oder einem Ausschreibungsverlangen eine Einstellung sein kann(a). Die Arbeitszeiterhöhung ist erheblich, wenn die wöchentliche Arbeitszeit um mehr als 10 Stunden aufgestockt wird (b).

(a) Ob eine Einstellung vorliegt, hängt nicht davon ab, ob die Maßnahme gemäß § 93 BetrVG ausgeschrieben worden ist oder hätte ausgeschrieben werden müssen. Der Einstellungsbegriff knüpft nicht an die Ausschreibung an. Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Einstellung vor, wenn eine Person in den Betrieb eingegliedert wird, um zusammen mit den schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen (BAG 12.11.2002 - 1 ABR 60/01 - BAGE 103, 329). Für die Mitbestimmung kann nicht entscheidend sein, ob der Betriebsrat eine Ausschreibung verlangt hat. Zum einen müsste der Betriebsrat sein Verlangen allein auf den Verdacht hin äußern, dass der Arbeitgeber eine Erhöhung des Arbeitszeitvolumens einzelner Mitarbeiter beabsichtigt. Zum anderen mag der Betriebsrat aus gutem Grund von einer Ausschreibung absehen, was aber keinen Einfluss darauf haben kann, ob eine Maßnahme des Arbeitgebers eine Einstellung ist oder nicht. Entscheidend ist allein, dass ein Stundenkontingent zur Verteilung ansteht, das einem Arbeitsplatz entspricht, denn dann sind die Interessen der übrigen Belegschaft betroffen.

(b) Kann demnach in der Erhöhung der Arbeitszeit eines schon beschäftigten Arbeitnehmers unabhängig von einer Ausschreibung oder einem berechtigten Ausschreibungsverlangen eine Einstellung liegen, ist die Grenze zu bestimmen, bei deren Überschreitung die Aufstockung als nicht unerheblich anzusehen ist.

Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht genau festgelegt, wo die Grenze zur mehr als geringfügigen Erweiterung des Volumens verläuft. In der Aufstockung um 14,75 Stunden in der Woche hat es allerdings eine mehr als geringfügige Erhöhung des Arbeitszeitvolumens erblickt (BVerwG 23.03.1999 a.a.O.). Dieses zusätzlich zugeteilte wöchentliche Arbeitszeitvolumen habe von seinem Umfang her ohne weiteres selbständig ausgeübt und vergeben werden können.

Das Hessische Landesarbeitsgericht (13.12.2005 - 4 TaBV 120/05 -) hat die Verdopplung der Arbeitszeit eines bislang mit 8 Wochenstunden beschäftigten Arbeitnehmers als wesentlich und deshalb als mitbestimmungspflichtig angesehen. Dabei hat es auf die Üblichkeit eines Wochenarbeitszeitvolumens von 8 Stunden bei der Beschäftigung von vergleichbaren Mitarbeitern abgestellt. Mit ähnlicher Begründung hat das Arbeitsgericht im vorliegenden Fall dem Hauptantrag des Betriebsrats entsprochen.

Das Landesarbeitsgericht München (07.03.2007 - 9 TaBV 127/06 -) hat die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 42 Stunden als nicht unerheblich angesehen. Entscheidend sei, ob ein Sachverhalt gegeben sei, durch den die Interessen der Belegschaft berührt sein könnten. Mehrere personelle Maßnahmen müssten ggf. zusammen betrachtet werden.

Dagegen hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in einem Beschluss vom13.01.2006 (- 16 TaBV 21/05 - zit. nach JURIS) die Erhöhung der Arbeitszeit der einzelnen Mitarbeiter um 5 Wochenstunden als nicht erheblich angesehen. Die Erheblichkeit hänge davon ab, ob der Arbeitgeber beabsichtige, Arbeitsplätze im Betrieb zu besetzen und nur deswegen darauf verzichte, weil Mitarbeiter aus dem Betrieb an Stelle des neu eingestellten Mitarbeiters diese Tätigkeit ausüben könnten.

(c) Das Beschwerdegericht gibt gerade auch aus Gründen der Rechtssicherheit einer absoluten Grenze den Vorzug vor Einzelfalllösungen, die sich an den jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten orientieren. Der Einstellungsbegriff kann nicht vom kleinsten Stundenkontingent abhängen, das der Arbeitgeber bei Ersteinstellungen anbietet. Denn dann würde allein die "Stellenpolitik" des Arbeitgebers darüber bestimmen, welche Maßnahme eine Einstellung ist. Er hätte es in der Hand, die Mitbestimmung bei der Einstellung zu steuern.

Eine personelle Einzelmaßnahme wird auch nicht dadurch zur Einstellung im Sinne von § 99 BetrVG, weil weitere Maßnahmen durchgeführt werden, die (erst) in ihrer Gesamtheit die Interessen der Belegschaft berühren. Die Zustimmungsverweigerungsgründe knüpfen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 99 Abs. 2 BetrVG stets an die einzelne personelle Maßnahme an.

Wird die Arbeitszeit eines bereits beschäftigten Arbeitnehmers um mehr als 10 Stunden in der Woche erhöht, muss diese Erhöhung als nicht unerheblich angesehen werden. Eine solche Aufstockung der Arbeitszeit berührt die Interessen der übrigen Belegschaft. Deren Interessen sind regelmäßig betroffen, wenn Arbeitsplätze im Betrieb zur Besetzung anstehen. Das genannte Stundenvolumen genügt in zeitlicher Hinsicht den an einen Arbeitsplatz zu stellenden Anforderungen. Der Gesetzgeber hat in § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG für die Abrufarbeit eine wöchentliche Arbeitszeit von 10 Stunden vorgesehen, falls die Vertragsparteien keine Vereinbarung über die Arbeitszeitdauer getroffen haben. Zwar garantiert § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG keine Mindestarbeitszeit. Durch die Regelung der Mindestdauer bei fehlender Vereinbarung hat der Gesetzgeber dennoch für das Arbeitzeitvolumen eine Erheblichkeitsschwelle definiert. Die wöchentliche Arbeitszeit von 10 Stunden sieht er als relevant an. Diese Wertung kann auf die Frage übertragen werden, von welchem Umfang an eine Erhöhung des Arbeitszeitvolumens eine neuerliche Einstellung darstellt.

c. Im Ergebnis ist daher der Hilfsantrag des Betriebsrats begründet. Die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 20 auf 37,5 Stunden überschreitet die Erheblichkeitsschwelle. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Mitarbeiterin im Anlassfall einen Teilzeitvertrag abgeschlossen hatte, der die Erhöhung der Arbeitszeit erlaubte. Ob sich die Arbeitgeberin arbeitsvertraglich die Erhöhung der Arbeitszeit der Teilzeitkräfte vorbehalten hat, ist nicht entscheidend. Die individualrechtliche Gestaltung betrifft nur das Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien. Der Betriebsrat kann der Einstellung nicht allein wegen der gewählten Vertragsgestaltung widersprechen. Maßgebend für die kollektivrechtliche Frage, ob eine erneute Beteiligung gemäß § 99 BetrVG erforderlich ist, ist zum einen das dem Betriebsrat mitgeteilte Volumen von 20 Wochenstunden. Das ist ein konkretes Volumen, das sich deutlich von dem Volumen bei vereinbarter Abrufarbeit unterscheidet. Zum anderen kommt es nicht entscheidend auf die Stundenverpflichtung der bereits beschäftigten Teilzeitkräfte an, sondern auf das zu verteilende Stundenkontingent. Die Verteilung dieser Stunden auf bereits beschäftigte Teilzeitkräfte oder neue Mitarbeiter bildet den entscheidenden Anknüpfungspunkt für die Beteiligung des Betriebsratsgemäß § 99 BetrVG.

3. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 72 Abs. 2 Nr. 1, 78 Satz 2 ArbGG zugelassen worden, weil die für die Entscheidung maßgebliche Frage, ab welchem Umfang die Erhöhung der Arbeitszeit eines schon beschäftigten Arbeitnehmers erheblich ist und den Einstellungsbegriff des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllt, bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist.

Ende der Entscheidung

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