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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 12.11.2007
Aktenzeichen: 11 ME 373/07
Rechtsgebiete: GKG, Streitwertkatalog, WaffG


Vorschriften:

GKG § 52 Abs. 1
Streitwertkatalog Nr. 50.2
WaffG Anlage 1
WaffG Anlage 2
1. Waffen- und Jagdscheininhaber sind vom Erfordernis der Erteilung einer Erlaubnis zum Führen einer Schreckschusswaffe (Kleiner Waffenschein) nicht ausgenommen.

2. Im Klageverfahren gegen den Widerruf von Waffenbesitzkarten ist das Interesse des Klägers gem. § 52 Abs. 1 GKG am Fortbestand der Erlaubnisse mit 25.000 Euro anzunehmen, wenn sich bei Berechnung des Streitwertes nach Nr. 50.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004,1327) ein höherer Betrag als 25.000 Euro ergäbe.


Gründe:

Die gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtete Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.

Die Beschwerdegründe, auf deren Überprüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen nicht eine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses, mit dem der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen zwei für sofort vollziehbar erklärte ordnungsrechtliche Entscheidungen des Antragsgegners abgelehnt wurde. Mit Bescheid vom 31. Mai 2007 widerrief der Antragsgegner mehrere dem Antragsteller erteilte Waffenbesitzkarten und zwei dem Antragsteller erteilte Europäische Feuerwaffenpässe. Mit dem weiteren Bescheid vom 31. Mai 2007 erklärte der Antragsgegner einen bis 2008 erteilten Jagdschein für ungültig und zog ihn ein. Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen entschieden, dass sich beide Bescheide des Antragsgegners im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen werden und deshalb das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen der Entscheidungen des Antragsgegners verschont zu werden, zurückzutreten hat. Auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts nimmt der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug. Die Beschwerdebegründung führt nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung.

Die waffenrechtlichen Erlaubnisse (Waffenbesitzkarten und Europäische Feuerwaffenpässe) sind gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG zu widerrufen, weil der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 a WaffG besitzt. Der Antragsgegner hat Tatsachen ermittelt, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller Waffen missbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird. Der Antragsteller hat am 16. April 2006 eine Schreckschusswaffe geführt, ohne im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis für diesen Zweck des Umgangs mit einer Waffe zu sein. Er hat deshalb in einer dem Recht widersprechenden Weise von seiner Waffe Gebrauch gemacht. Der Antragsteller stellt nicht in Abrede, anlässlich des Vorfalls am 16. April 2006 in der Nähe des Einmündungsbereichs des B. weges in die Bundesstraße eine Schreckschusswaffe geführt zu haben, d. h. die tatsächliche Gewalt über die Waffe außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder des eigenen befriedeten Besitztums ausgeübt zu haben (vgl. zu diesem Begriff des Führens: Anlage 1 zum WaffG, Abschnitt 2 Nr. 4). Unerheblich ist, dass der Ort des Vorfalls im Jagdrevier des Antragstellers liegt. Eine Erstreckung des Begriffs des befriedeten Besitztums auf ein Jagdrevier scheidet aus, weil dieses nicht eingefriedet und deshalb nicht vor dem beliebigen Betreten durch Andere geschützt ist.

Der Antragsteller hat in der Nacht des Vorfalls eine Schreckschusswaffe ohne die erforderliche Erlaubnis geführt. Für das Führen einer Schreckschusswaffe benötigt der Antragsteller eine Erlaubnis nach Anlage 2 zum WaffG, Abschnitt 2, Unterabschnitt 3, Nr. 2.1. Lediglich der Erwerb und der Besitz einer Schreckschusswaffe sind erlaubnisfrei (vgl. Anlage 2 zum WaffG, Abschnitt 2, Unterabschnitt 2, Nr. 1.3).

Bei der von dem Antragsteller geführten Waffe handelt es sich um eine Schreckschusswaffe nach der waffenrechtlichen Begriffsbestimmung. Die Schreckschusswaffe gehört zur Gattung der Feuerwaffen, bei denen zum Antrieb der Geschosse heiße Gase verwendet werden (vgl. Anlage 1 zum WaffG, Abschnitt 1, Unterabschnitt 1, Nr. 2.7 in Verbindung mit Nr. 2). Danach sind Schreckschusswaffen Schusswaffen mit einem Kartuschenlager, die zum Abschießen von Kartuschenmunition bestimmt sind. Soweit der Antragsteller diese Einordnung in Frage stellt, hat der Antragsgegner bereits zutreffend in seinem waffenrechtlichen Bescheid vom 31. Mai 2007 ausgeführt, dass die Bauweise der von dem Antragsteller geführten Waffe, bei der der Lauf vorn geschlossen ist und bei der die Pulvergase lediglich seitlich austreten, der Definition als Schreckschusswaffe nicht entgegensteht.

Entgegen der in der Beschwerdebegründung geäußerten Ansicht ist der Antragsteller als Waffen- und Jagdscheininhaber nicht von der Erteilung einer Erlaubnis für Schreckschusswaffen (Kleiner Waffenschein) befreit. Das Verwaltungsgericht hat bereits richtig ausgeführt, dass sich den gesetzlichen Bestimmungen eine Ausnahme vom Erfordernis des Kleinen Waffenscheins für Jagdscheininhaber nicht entnehmen lässt. Die erlaubnisfreien Arten des Umgangs mit Waffen sind in der Anlage 2 zum WaffG, Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 und 2 abschließend aufgeführt. Waffen- und Jagdscheininhaber sind danach hinsichtlich des Führens einer Schreckschusswaffe nicht privilegiert.

Dem Verwaltungsgericht ist ferner darin zuzustimmen, dass der Antragsteller die Schreckschusswaffe am 16. April 2006 nicht nur ohne Erlaubnis geführt, sondern sie darüber hinaus ohne eine ersichtliche Notwehrsituation verwendet hat, indem er in unmittelbarer Nähe von umstehenden Personen einen Schuss mit dieser Waffe abgegeben hat. Ob der Einsatz der Schreckschusspistole räumlich oder zeitlich mit dem am Vorabend abgehaltenen Osterfeuer im Zusammenhang stand, kann auf sich beruhen. Das Verwaltungsgericht hat die Frage, ob der Antragsteller nach § 42 Abs. 1 WaffG eine Waffe bei einer öffentlichen Veranstaltung geführt hat, ausdrücklich offen gelassen (vgl. S. 5 des Beschluss-Abdruckes).

Es kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren auch unentschieden bleiben, ob der Antragsteller die Schreckschusswaffe in der Jackentasche bei sich getragen hat, wie vom Verwaltungsgericht aufgrund der Sachverhaltsdarstellung in dem Bericht des Polizeikommissariats C. vom 21. April 2006 angenommen, oder ob sich die Waffe, wie von dem Antragsteller in der Beschwerdebegründung behauptet, in dem mitgeführten Fahrzeug in einer Ablage links unter dem Lenkrad befunden hat. Überwiegende Gründe sprechen für die Richtigkeit der Darstellung des Sachverhalts in dem angesprochenen Bericht der Polizei vom 21. April 2006, der Zeugenaussagen anführt, wonach der Antragsteller "eine Pistole/oder Revolver" aus seiner Jackentasche gezogen und in die Luft geschossen habe. Sollte die Angabe des Antragstellers richtig sein, wäre ihm vorzuwerfen, dass er eine Waffe in seinem Fahrzeug aufbewahrt hat. Der Antragsteller hat selbst dargelegt, dass sich die Schreckschusswaffe in der Ablage unter dem Lenkrad befunden habe, um sie gelegentlich zum Hundetraining einzusetzen. Dieses Verhalten begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 b WaffG, wonach die erforderliche Zuverlässigkeit Personen nicht besitzen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, sie werden Waffen nicht sorgfältig verwahren.

Das Verwaltungsgericht hat auch mit zutreffenden Erwägungen eine Notwehr- oder Nothilfesituation verneint, die den Antragsteller hätte berechtigen können, seine Schreckschusswaffe bei der streitgegenständlichen Auseinandersetzung zu verwenden. Der Antragsteller wendet ohne Erfolg ein, er habe seinem Sohn und weiteren Personen, die von einer Gruppe gewaltbereiter junger Erwachsener bedroht worden seien, zu Hilfe kommen wollen. Der Sohn des Antragstellers hatte nach der Darstellung in dem polizeilichen Bericht vom 21. April 2006 wegen der Pöbeleien von mehreren Erwachsenen beim Osterfeuer die Veranstaltung bereits verlassen und war in der Obhut der elterlichen Wohnung. Es bestand deshalb keine Veranlassung für den Antragsteller, sich mit dem Sohn zum Osterfeuer zu begeben. Da sich der Antragsteller trotz der angespannten Lage mit der in dem Polizeibericht aufgenommenen, von ihm nicht bestrittenen Begründung, "dass das endlich ein Ende haben müsse", bewusst entschieden hat, einem drohenden Konflikt nicht auszuweichen, scheidet die Annahme einer Notwehr- oder Nothilfesituation aus.

Die vom Antragsgegner ermittelten Tatsachen begründen die Befürchtung, der Antragsteller werde sich auch zukünftig nicht an die waffenrechtlichen Bestimmungen halten. Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller in Konfliktsituationen unter besonderer nervlicher Anspannung nicht so besonnen reagiere, wie dies von einem Waffenbesitzer zu jeder Zeit und in jeder Situation erwartet werden müsse. Es bestehen auch keine rechtlichen Bedenken dagegen, zur Abrundung und Bestätigung der Zuverlässigkeitsprognose die Verurteilung des Antragstellers durch das Amtsgericht D. vom 6. November 2003 wegen Beleidigung und Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe heranzuziehen. Das abgeurteilte Verhalten des Antragstellers, nämlich die Beleidigung eines anderen Verkehrsteilnehmers nach mehrfachen Überholversuchen und die Beschädigung des Fahrzeuges dieses Verkehrsteilnehmers, spricht auch dafür, dass der Antragsteller dazu neigt, in Konfliktsituationen unbeherrscht zu reagieren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Streitwert für beide Instanzen ist auf jeweils 16.500,-- € festzusetzen.

Soweit der Senat die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts abändert, macht er von seinem Recht gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG Gebrauch, bei Schweben des Verfahrens wegen der Hauptsache in der Rechtsmittelinstanz den Ansatz der ersten Instanz von Amts wegen zu ändern.

Der vom Verwaltungsgericht festgesetzte Wert von 50.125,-- € ist zu hoch. Er wird dem nach § 52 Abs. 1 GKG zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers an der Rechtssache nicht gerecht. Der vom Verwaltungsgericht ermittelte Wert setzt sich wie folgt zusammen: 82.250,-- € für den Widerruf der 16 Waffenbesitzkarten (16 x 5.000,-- € = 80.000,-- €) und drei der dort eingetragenen 19 Waffen (3 x 750,-- € = 2.250,-- €), 10.000,-- € für den Widerruf von zwei Europäischen Feuerwaffenpässen (5.000,-- € je Erlaubnis) und 8.000,-- € für die Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins. Den daraus resultierenden Wert von 100.250,-- € hat das Verwaltungsgericht mit Rücksicht auf den Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens halbiert.

Hinsichtlich des Widerrufs von Waffenbesitzkarten bzw. der Ungültigkeitserklärung und Einziehung von Jagdscheinen entspricht die Praxis des Verwaltungsgerichts der Rechtsprechung des Senats, die sich bei der Bemessung der Höhe des Streitwertes an den Vorschlägen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) orientiert. Nach Nr. 50.2 des Katalogs ist bei Verfahren, die sich auf eine Waffenbesitzkarte beziehen, je Erlaubnis der Auffangwert, der eine Waffe einschließt, und für jede weitere Waffe ein Betrag von 750,-- € anzusetzen. Bei Verfahren, die den Entzug des Jagdscheins betreffen, ist im Hauptsacheverfahren ein Wert von 8.000,-- € anzunehmen. Nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs beträgt der Streitwert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel die Hälfte des Streitwerts im Hauptsacheverfahren.

Hinsichtlich der Bemessung des Streitwerts beim Widerruf (und auch bei der Erteilung) von Waffenbesitzkarten in Fällen der vorliegenden Art, in denen eine große Anzahl von Waffenbesitzkarten in Rede steht, ist an dieser Rechtsprechung nicht mehr festzuhalten. Bei der Gewichtung, die der Streitwertkatalog für die unterschiedlichen Streitgegenstände und die einzelnen Rechtsgebiete vornimmt, ist der hier nach Nr. 50.2 zu ermittelnde Streitwert von 82.250,-- € im Hauptsacheverfahren nicht mehr angemessen, sondern unverhältnismäßig hoch. Denn in der Regel hat der betroffene Erlaubnisinhaber ein einheitliches Interesse an dem Fortbestand seiner Waffenbesitzkarten und dem Erhalt des Besitzes der dort eingetragenen Waffen. Es ist deshalb sachgerecht, in den Fällen, in denen ein umfangreicher Waffenbesitz streitig ist, den anzunehmenden Streitwert zu "deckeln". Die Grenze zieht der Senat im Hauptsacheverfahren bei 25.000,-- €, dem fünffachen Auffangwert (vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 22.9.2005 - 20 A 3723/04 -, veröffentlicht in juris). Unterhalb dieser Grenze ist der Streitwert wie bisher zu ermitteln.

Bei der hier gegebenen Fallkonstellation ist es auch nicht sachgerecht, für den Widerruf der beiden Europäischen Feuerwaffenpässe im Hauptsacheverfahren einen Betrag von jeweils 5.000,-- € anzusetzen. Der Widerruf der Europäischen Feuerwaffenpässe hat neben dem Widerruf der Waffenbesitzkarten aus der Sicht des Waffeninhabers keine nach § 52 Abs. 1 GKG eigenständige Bedeutung. Er ist lediglich Folge des Widerrufs der Waffenbesitzkarten (im Ergebnis ebenso: BayVGH, Beschl. v. 20.9.2007 - 21 BV 07.2029 -, veröffentlicht in juris).

Daran schließt sich folgende Wertermittlung an: Da hier 16 Waffenbesitzkarten mit 19 eingetragenen Waffen widerrufen wurden, ist der Streitwert im Hauptsacheverfahren auf 25.000,-- € zu "deckeln". Hinzuzurechnen ist ein Betrag von 8.000,-- € für die Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins. Der Wert von 33.000,-- € ist wegen des Charakters des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu halbieren, so dass sich der tenorierte Wert von 16.500,-- € ergibt.

Ende der Entscheidung

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