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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: 1 MN 295/03
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 14 I
Eine Veränderungssperre, die den gesamten Bereich des Gemeindegebietes erfasst, der nach den Vorarbeiten für die Änderung des Flächennutzungsplans als Potentialfläche für Windenergie in Frage kommt, wird i.d.R. wegen unzureichender Konkretisierung der Planung unwirksam sein.
Tatbestand:

Die Antragstellerin, die sich mit der Aufstellung und dem Betrieb von Windkraftanlagen befasst und im Bereich des künftigen Bebauungsplanes Nr. 14 "Windpark A. B." Genehmigungen für Windkraftanlagen begehrt, sucht um vorläufigen Rechtsschutz gegen die Veränderungssperre Nr. 2 der Antragsgegnerin "Windpark A. B. (Gemeinde C.)" nach.

Der Samtgemeindeausschuss der Samtgemeinde D. hat am 5. März 2002 beschlossen, die 50. Änderung des Flächennutzungsplanes zur Ausweisung von Windkraftstandorten aufzustellen.

Am 3. Juni 2002 hat der Rat der Antragsgegnerin beschlossen, für eine in einer beigefügten Karte näher bezeichnete Fläche im A. B. einen Bebauungsplan Nr. 14 "Windpark A. B." aufzustellen. In der Beschlussvorlage wird auf den Aufstellungsbeschluss für die 50. Änderung des Flächennutzungsplanes zur Steuerung der Windenergienutzung Bezug genommen und darauf hingewiesen, dass eine Restriktionsanalyse auf der Basis der einschlägigen Empfehlungen des Niedersächsischen Innenministers ergeben habe, dass eine große Fläche im A. B. in die weitere Prüfung, Bauflächenabgrenzung und Abwägung einzubeziehen sei. In diesem Bereich bestehe bereits der Windpark A. B. und es gebe Interesse an der Errichtung weiterer Windkraftanlagen. Durch die Aufstellung eines Bebauungsplanes wolle die Gemeinde die bauliche und sonstige Nutzung in diesem Raum so steuern, dass die Windenergienutzung möglichst konzentriert und optimiert und Konflikte und Beeinträchtigungen des Wohnens und anderer Schutzgüter so weit wie möglich vermieden werden (Innen- und Außenkoordination).

Ebenfalls am 3. Juni 2002 hat der Rat der Antragsgegnerin die Veränderungssperre Nr. 2 "Windpark A. B." für den künftigen Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 14 beschlossen. Der Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan und die Veränderungssperre sind im Amtsblatt für den Landkreis Verden am 7. Juni 2002 bekannt gemacht worden.

Mit Beschluss vom 10. November 2003 hat der Rat der Antragsgegnerin den Geltungsbereich des künftigen Bebauungsplanes Nr. 14 "Windpark A. B." verändert und mit Beschluss vom 1. Dezember 2003 die Veränderungssperre Nr. 2 "Windpark A. B. (Gemeinde C.)" teilweise aufgehoben. Diese teilweise Aufhebung ist im Amtsblatt für den Landkreis Verden vom 19. Dezember 2003 bekannt gemacht worden.

Die Antragstellerin hat am 24. Oktober 2003 einen Normenkontrollantrag gegen die Veränderungssperre gestellt und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Normenkontrollverfahren ist begründet.

Die Antragstellerin ist nach § 47 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Nach dieser Vorschrift kann jede natürliche Person einen Normenkontrollantrag stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Die Antragstellerin hat die Genehmigung einer Windkraftanlage im Geltungsbereich der Veränderungssperre beantragt. Das zwischenzeitliche Inkrafttreten der 50. Änderung des Flächennutzungsplanes steht der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags nicht entgegen, weil die Antragstellerin mit der Nichtigerklärung der Veränderungssperre ihrem Ziel, der Genehmigung der Windkraftanlage, jedenfalls näher kommen würde. Die Antragstellerin hat geltend gemacht, dass die 50. Änderung des Flächennutzungsplanes unwirksam sei.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Wegen der weitreichenden Folgen, die die Aussetzung einer Veränderungssperre hat, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Aussetzung ein strenger Maßstab anzulegen. Ein schwerer Nachteil in diesem Sinn liegt nur vor, wenn rechtlich geschützte Interessen in ganz besonderem Maße beeinträchtigt und dem Betroffenen außergewöhnliche Opfer abverlangt werden. Bei Vollzug der angegriffenen Veränderungssperre hat die Antragstellerin keine derartig schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu erwarten. Zwar kann die Antragstellerin keine Windkraftanlage errichten, solange die Veränderungssperre läuft, im Falle einer rechtswidrigen Sperre dürften der Antragstellerin aber Entschädigungsansprüche zustehen.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch aus anderen wichtigen Gründen im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO geboten. Da das Gewicht dieser Gründe ungefähr dem des schweren Nachteils entsprechen muss, ist die Aussetzung des Vollzuges aus diesem Anordnungsgrund zur Verhinderung vollendeter Tatsachen dann in Erwägung zu ziehen, wenn der Normenkontrollantrag mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Das ist hier der Fall.

Die Voraussetzungen für den Erlass der angegriffenen Veränderungssperre lagen jedenfalls am 3. Juni 2002 noch nicht vor, weil sich damals das Ergebnis der 50. Änderung des Flächennutzungsplanes noch nicht abzeichnete und damit die beabsichtigte Planung noch nicht hinreichend bestimmt war. Auf diesen Zeitpunkt (3.6.2002) kommt es entscheidend an. Die Antragsgegnerin hat zwar mit Beschluss vom 20. November 2003 den Geltungsbereich des künftigen Bebauungsplanes Nr. 14 verändert, sie hat aber keine neue Veränderungssperre erlassen, sondern die im Jahre 2002 beschlossene Veränderungssperre nur teilweise aufgehoben.

Der Inhalt der am 3. Juni 2002 beschlossenen Planung ist nicht hinreichend bestimmt, so dass eine Veränderungssperre auf der Grundlage dieses Aufstellungsbeschlusses nicht ergehen durfte. Die Planung muss nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 10.9.1976 - IV C 39.74 -, BVerwGE 51, 121 = BRS 30 Nr. 76) einen Stand erreicht haben, der ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des künftigen Bebauungsplanes sein soll, weil der Grundstückseigentümer die mit der Veränderungssperre verbundenen Nachteile nicht hinzunehmen braucht, wenn und solange nicht abzusehen ist, welchen Inhalt die in Aussicht genommene Planung haben soll. Allein das Ziel, ein bestimmtes Vorhaben zu verhindern, genügt nicht; die Gemeinde muss vielmehr positive planerische Vorstellungen entwickelt haben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.2.1990 - 4 B 191.89 -, ZfBR 1990, 206). Genügend konkretisiert ist der künftige Planinhalt in der Regel, wenn die künftige Nutzung des Gebietes der Art nach festgelegt ist (vgl. Urt. d. Sen. v. 18.6.2003 - 1 KN 56/03 -, ZfBR 2003, 790 m.N.). Die Antragsgegnerin hat im Beschluss über die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 14 den Typ des festzusetzenden Baugebietes noch nicht benannt. Andererseits lassen sich der Beschlussvorlage für den Aufstellungsbeschluss gewisse positive Vorstellungen über den Inhalt des aufzustellenden Bebauungsplanes entnehmen. Der Bebauungsplan Nr. 14 soll der konzentrierten und optimierten Windenergienutzung unter Vermeidung von Beeinträchtigungen des Wohnens und anderer Schutzgüter dienen (Innen- und Außenkoordination). Andererseits betont die Beschlussvorlage, "dass eine sehr große Fläche im Bereich des A. B. in die weitere Prüfung, Bauflächenabgrenzung und Abwägung einzubeziehen ist". Auch wenn einzelne Formulierungen der Beschlussvorlage auf einen hinreichend konkreten Planinhalt deuten könnten, erweist sich unter Berücksichtigung der Größe des Plangebietes, des Standes der Flächennutzungsplanung im Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses und des tatsächlichen Ablaufs der Bauleitplanung die der Veränderungssperre zugrunde liegende Planung als unzureichend bestimmt.

Das am 3. Juni 2002 beschlossene Plangebiet des Bebauungsplanes Nr. 14 (= Geltungsbereich der Veränderungssperre) deckt den gesamten Bereich des Gemeindegebiets ab, der nach dem Stand der Restriktionsanalyse des Planungsbüros vom 10. April 2002 als Potentialfläche für eine Windenergienutzung in Frage kommt. Obgleich die Flächennutzungsplanung der Samtgemeinde noch ganz in den Anfängen steckte und daher auch noch nicht absehbar war, welchen räumlichen Umfang die künftige Vorrangfläche Windenergie im Flächennutzungsplan haben würde, hat die Antragsgegnerin mit dem Aufstellungsbeschluss den gesamten Bereich der auf ihrem Gemarkungsgebiet gelegenen Potentialfläche erfasst. Der in der Vorlage zum Aufstellungsbeschluss umrissene Inhalt der Planung "konzentrierte und optimierte Windenergienutzung unter Vermeidung von Beeinträchtigungen des Wohnens und anderer Schutzgüter" sollte nicht ernsthaft, jedenfalls nicht auf der gesamten Fläche, umgesetzt werden, vielmehr sollten zunächst die Ergebnisse der Flächennutzungsplanung abgewartet werden. Dementsprechend heißt es in der Beschlussvorlage auch, dass eine sehr große Fläche im Bereich des A. B. in die weitere Prüfung und Bauflächenabgrenzung einzubeziehen sei. Es ging dementsprechend nicht darum, eine Windenergienutzung in dem ca. 480 ha großen Geltungsbereich des ursprünglichen Bebauungsplanes Nr. 14 umzusetzen, sondern um die Frage, in welchem Bereich des Bebauungsplanes, der die gesamte Potentialfläche der Restriktionsanalyse vom 10. April 2002 umfasste, eine Windenergienutzung vorzusehen sei. "Erst dann, wenn die Inhalte der Flächennutzungsplanänderung vorliegen, können die Planungsarbeiten zum Bebauungsplan aufgenommen werden", äußerte der Gemeindedirektor in der Ratssitzung vom 3. Juni 2002 zum Ablauf der Planungsarbeiten. Auch diese Äußerung relativiert die Planungsabsichten der Gemeinde im Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses vom 3. Juni 2002 entscheidend, denn die Planungsabsichten standen unter dem Vorbehalt, dass sie von den Darstellungen des künftigen Flächennutzungsplanes gedeckt sind. Das war im Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses am 3. Juni 2002 völlig offen. Wegen des Standes der Flächennutzungsplanung war die Festlegung von Planungsabsichten jedenfalls im räumlichen Umfang verfrüht. In Wahrheit sollten mit der Veränderungssperre nicht der Bebauungsplan für den Windpark gesichert werden, sondern die 50. Änderung des Flächennutzungsplanes, mit der im Bereich der Potentialfläche ein geeigneter Vorrangstandort für die Windenergie gesucht wurde.

Der weitere Ablauf der Planungsarbeiten bestätigt, dass die Planungsabsichten für den ursprünglichen Planbereich nicht ernsthaft verfolgt wurden, sondern zunächst weitgehend vorgeschoben waren. Die Antragsgegnerin hat nach dem Aufstellungsbeschluss am 3. Juni 2002 zunächst keinen Planungsauftrag für den Bebauungsplan vergeben, sondern den Flächennutzungsplan abgewartet. Den Darstellungen des Sondergebiets für Windenergieanlagen in dem am 12. September 2003 bekannt gemachten Flächennutzungsplan für das Gemeindegebiet der Antragsgegnerin, die gegenüber der Potentialfläche der Restriktionsanalyse vom 10. April 2002 auf etwa ein Drittel reduziert sind, hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 10. November 2003 Rechnung getragen und den Geltungsbereich des künftigen Bebauungsplanes Nr. 14 verändert und den Bereich des Sondergebietes Windenergie auf ca. 140 ha reduziert. Damit hat die Antragsgegnerin die in der Vorlage zum Aufstellungsbeschluss vom 3. Juni 2002 niedergelegten Planungsziele "möglichst konzentrierte und optimierte Windenergienutzung" - auf einer Fläche von ca. 480 ha - "sang- und klanglos" auf ein Drittel des ursprünglichen Plangebietes reduziert, und das nicht etwa als Folge von Arbeiten am Bebauungsplan Nr. 14, sondern wegen der Darstellungen des Flächennutzungsplanes der Samtgemeinde. Diese Planungsgeschichte belegt, dass die Antragsgegnerin die Planung nicht ernsthaft für das gesamte Plangebiet des am 3. Juni 2002 beschlossenen Bebauungsplanes Nr. 14 verfolgt hat.

Ende der Entscheidung

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