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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 02.03.2007
Aktenzeichen: 11 LA 189/06
Rechtsgebiete: AufenthG, EMRK, GG, RL 2004/83/EG
Vorschriften:
AufenthG § 60 Abs. 1 | |
AufenthG § 60 Abs. 5 | |
EMRK Art. 15 | |
EMRK Art. 3 | |
EMRK Art. 4 Abs. 3 b | |
EMRK Art. 9 | |
GG Art. 4 | |
GG Art. 16a | |
RL 2004/83/EG Art. 9 | |
RL 2004/83/EG Art. 12 |
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS
Aktenz.: 11 LA 189/06
Datum: 02.03.2007
Gründe:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
1) Der Kläger sieht es sinngemäß als grundsätzlich klärungsbedürftig (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) an, ob die Gefahr, in der Türkei wegen Wehrdienstentziehung bestraft zu werden, obgleich der Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert wird, zur Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG und zur Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 bis 7 AufenthG führt.
a) Soweit es um die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG und um die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG geht, würde sich diese Frage in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Bei dem vorliegenden Verfahren handelt es sich um ein Asylfolgeverfahren. Ein Folgeverfahren ist gemäß § 71 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 2 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller ohne Verschulden gehindert war, seinen jetzigen Vortrag, er verweigere den Kriegsdienst in der Türkei aus Gewissensgründen, bereits in dem im April 2003 rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren 4 A 2069/02 (Urteil vom 31. 3. 2003) geltend zu machen. Streitgegenstand jenes Verfahrens war der Widerruf der 1994 gegenüber dem Kläger aufgrund der von ihm behaupteten Zugehörigkeit zum Yezidentum ausgesprochenen Asylanerkennung, nachdem sich im Jahre 2000 herausgestellt hatte, dass der Kläger dieser Religionsgemeinschaft gar nicht angehört. In jenem Widerrufsverfahren hatte der Kläger u. a. einen Schriftsatz des Türkischen Generalkonsulats vom 19. Februar 2003 übersandt, mit dem er zur Ableistung des Wehrdienstes aufgefordert worden war. In diesem Zusammenhang hat er vorgetragen (Schriftsatz vom 13. 3. 2003 in dem Verfahren 4 A 2069/02), er werde gerade wegen seiner kurdischen Herkunft und seiner deutschen Prägung in der türkischen Armee mit keinerlei Rücksichtnahme rechnen können und als Erster zu gefahrvollen Einsätzen herangezogen werden. Er hatte mithin die Gefahr politischer Verfolgung wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit bei Ableistung des Wehrdienstes geltend gemacht. Es ist nicht ersichtlich, warum der Kläger nicht bereits in jenem Verfahren darauf hingewiesen hat, dass er den Kriegsdienst (auch) aus Gewissensgründen verweigere. Zureichende Anhaltspunkte, dass diese Einstellung zeitlich erst nach rechtskräftigem Abschluss jenes Verfahrens (im April 2003) in ihm gewachsen ist, sind den Unterlagen nicht zu entnehmen.
b) Soweit es um das Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG geht, gelten hierfür zwar nicht die formellen Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG. Gleichwohl ist auch hinsichtlich dieser Anspruchsgrundlagen die Berufung nicht zur Klärung der oben angegebenen grundsätzlichen Frage zuzulassen; denn auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens ist festzuhalten, dass die Bestrafung in der Türkei wegen Wehrdienstentziehung auch gegenüber Wehrdienstpflichtigen, die sich auf eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst berufen, nicht zur Gewährung eines derartigen Abschiebungsschutzes führt.
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 4 AufenthG kommt von vornherein nicht in Betracht, weil keine Anhaltspunkte für die Gefahr von Folter oder der Todesstrafe ersichtlich sind und ein Auslieferungsersuchen nicht vorliegt.
§ 60 Abs. 5 AufentG greift ebenfalls nicht ein.
Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kann sich grundsätzlich nur aus einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK ergeben, also bei der Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung. Die besondere Bedeutung gerade der Bestimmung des Art. 3 EMRK ist daraus abzuleiten, dass dieser Artikel selbst keinerlei Einschränkungen enthält und auch für den Fall eines Krieges oder eines öffentlichen Notstandes gemäß Art. 15 EMRK Einschränkungen des Art. 3 EMRK nicht zulässig sind (vgl. Beschl. d. Sen. v. 10. 11. 1995 - 11 M 4996/95 -, Hailbronner, AuslG, Stand: Dezember 2006, § 60 AufenthG Rdnr. 121). Die vorliegenden Erkenntnismittel belegen aber keine derart schwerwiegenden Beeinträchtigungen bei Ableistung des Wehrdienstes in der Türkei (vgl. z.B Urt. d. Sen. v. 21. 9. 2004 - 11 LB 22/04 - mwN).
Ein Verstoß gegen andere Vorschriften der EMRK (hier Art. 9) kann allenfalls dann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründen, wenn die drohenden Beeinträchtigungen von ihrer Schwere her dem vergleichbar sind, was zu einem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK führen würde (Hailbronner, a. a. O., § 60 AufenthG, Rdnr. 124 m. w. N.). Dass dem Kläger in der Türkei bei Ableistung des Wehrdienstes vergleichbare Maßnahmen wie Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen, ist aber nicht ersichtlich. Insbesondere rechtfertigt nicht die Höhe der in der Türkei wegen Wehrdienstentziehung verhängten Strafe die Gewährung von Abschiebungsschutz; denn bei dem Wehrdienstentzug und der Fahnenflucht handelt es sich in der Türkei um Massendelikte und die Militärgerichte orientieren sich nach wie vor bei der Verhängung von Strafen am unteren Strafrahmen. Schließlich ist es im Ausland lebenden türkischen Wehrpflichtigen auch möglich, lediglich eine militärische Grundausbildung zu absolvieren und sich im Übrigen vom Wehrdienst freizukaufen (vgl. AA, Lagebericht Türkei vom 11. 1. 2007, S. 31; Senatsurt. v. 21. 9. 2004 - 11 LB 22/04 -).
Unabhängig davon liegt auch ein Verstoß gegen Art. 9 EMRK (schon gar) nicht vor. Ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung kann nicht aus Art. 9 EMRK abgeleitet werden. Aus Art. 4 Abs. 3 b EMRK (Dienstleistungen militärischer Art oder Dienstleistungen, die an die Stelle des im Rahmen der Wehrpflicht zu leistenden Dienstes treten in Ländern, in denen die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkannt ist, gelten nicht als Zwangsarbeit) folgt vielmehr, dass die allgemeine Wehrpflicht als Recht jeden Staates völkerrechtlich anerkannt ist und dass völkerrechtlich keine Pflicht besteht, Ersatzdienst anzubieten. Daraus ergibt sich, dass es den Ländern freisteht, bei Nichtableistung des Wehrdienstes unabhängig von der Motivation Sanktionen zu verhängen (Hailbronner, aaO, Art. 16 a Rdnr. 80 ff. und § 60 AufenthG Rdnr. 120; Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl., Art. 9 Rdnr. 3; Art. 4 Rdnr. 4). Die Türkei bestraft aber unabhängig von der jeweiligen Motivation jeden, der den Kriegsdienst verweigert, wegen Wehrdienstentziehung. Dieser Bestrafung kommt daher lediglich ein ordnungsrechtlicher Charakter zu.
Auch der mittlerweile in Kraft getretenen Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union vom 29. April 2004 (ABl. EU L 304/12 - Qualifikationsrichtlinie -) ist zu entnehmen, dass die Kriegsdienstverweigerung als solche nicht zur Gewährung von Abschiebungsschutz führt. Art. 9 Abs. 2 e der Richtlinie bestimmt nämlich, dass als "Verfolgungshandlung" im Sinne der Richtlinie unter Umständen zwar auch die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt anzusehen ist, allerdings nur, "wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des Art. 12 Abs. 2 fallen". Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie wiederum erfasst Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit, schwere nichtpolitische Straftaten sowie Handlungen, die den Grundsätzen der Vereinten Nation zuwiderlaufen. Es ist weder ersichtlich noch dargetan, dass bei Ableistung des Wehrdienstes in der Türkei derartige Handlungen vom Kläger verlangt würden. Der Auffassung des vom Kläger zitierten Verwaltungsgerichts Berlin (Urt. v. 8. 5. 2003 - 36 X 88.99 -) vermag der Senat daher nicht zu folgen.
Der UNHCR vertritt ebenfalls nicht die Auffassung, dass allein die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen bereits zur Anerkennung als politisch Verfolgter führt. Er stellt vielmehr - insoweit in Übereinstimmung mit der o. a. Richtlinie - darauf ab, ob die Art der militärischen Aktion, mit der sich der Betreffende nicht identifizieren möchte, von der Völkergemeinschaft als den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend verurteilt wird (Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Genf 1993, Anm. 170, 171).
Die vom Kläger zitierte Entscheidung des BGH vom 24. Mai 1977 (BGHSt 27, 191) ist schon deswegen im vorliegenden Verfahren nicht einschlägig, weil jenem Rechtsstreit der Deutsch-Jugoslawische Auslieferungsvertrag zugrunde lag, der eine Auslieferung verbot, wenn dem Bestimmungen der Verfassung des ersuchten Staates entgegenstanden. Der BGH sah damals Art. 4 Abs. 3 GG als einen derartigen entgegenstehenden Belang an. Im vorliegenden Verfahren findet der Deutsch-Jugoslawische Auslieferungsvertrag indes keine Anwendung.
Dass (allein) die kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers bei Ableistung seines Wehrdienstes nicht zu Drangsalierungen führt, die seiner Rückkehr in die Türkei entgegenstehen, hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats entschieden. Es ist vom Kläger weder vorgetragen noch ersichtlich, dass hinsichtlich dieser Frage zwischenzeitlich eine neue Sachlage eingetreten ist. Der Senat geht vielmehr weiterhin davon aus, dass kurdischen Volkszugehörigen bei Ableistung des Wehrdienstes keine Eingriffe drohen, die zur Gewährung von Asyl und/oder Abschiebungsschutz führen (vgl. Urt. v. 21. 9. 2004 - 11 LB 22/04 -mwN).
2. Die Divergenzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) greift nicht durch. Die angefochtene Entscheidung weicht nicht von dem o. a. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. März 1981 (a. a. O.) ab. Das Bundesverwaltungsgericht hat u. a. ausgeführt:
"Die politischen Tendenzen einer generellen Maßnahme oder Regelung wie gerade der Verpflichtung zum Waffendienst liegen nicht immer offen zutage. Damit ist aber nicht gesagt, dass einer solchen "Wehrpflicht" nicht neben ihrer allgemeinen - asylrechtlich nicht einschlägigen - Intention auch eine Verfolgungstendenz innewohnen kann. Das wäre etwa der Fall, wenn zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wäre. Anhaltspunkte für derartige Intentionen können sich aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht begründenden Regelungen, aus ihrer praktischen Handhabung, aber auch aus ihrer Funktion im allgemeinen politischen System der Organisation ergeben. Der totalitäre Charakter einer Organisation oder einer Staatsform, die Radikalität ihrer Ziele, der Rang, den sie dem Einzelnen und seinen Belangen einräumt, sowie das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung sind wichtige Gradmesser für Verfolgungstendenzen in Regelungen, denen eine gezielte Diskriminierung nicht ohne weiteres anzusehen ist. Deutlich werden kann der politische Charakter von Wehrdienstregelungen etwa daran, dass Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet werden. Ein Flüchtling, den ein solches Schicksal erwartet, ist politisch Verfolgter von Art. 16 a GG."
Das Bundesverwaltungsgericht hat mithin nicht die Auffassung vertreten, dass generell schon die Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen und die sich daran anschließende Bestrafung zur Annahme politischer Verfolgung führen. Es hat - in Übereinstimmung mit der o. a. Stellungnahme des UNHCR und der Qualifikationsrichtlinie - vielmehr zusätzlich Anhaltspunkte dafür gefordert, dass die Bestrafung neben der allgemeinen Ahndung eines Straftatbestandes politischen Charakter hat. Das angefochtene Urteil steht damit nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dass im vorliegenden Fall zusätzliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer politischen Verfolgung nicht vorliegen, wurde bereits oben dargelegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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